Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.186/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_186/2008

Urteil vom 4. November 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Kopp Käch.

Parteien
"Zürich" Versicherungs-Gesellschaft, Rechtsdienst,
Generaldirektion Schweiz, Postfach, 8085 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

Helsana Versicherungen AG, Versicherungsrecht, Postfach, 8081 Zürich,
Beschwerdegegnerin,

betreffend H.________.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 4. Februar 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1953 geborene H.________ war seit 1. September 1994 als Geschäftsleiterin
bei der Firma X.________ tätig und in dieser Eigenschaft bei der "Zürich"
Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: "Zürich") gegen die Folgen von
Unfällen versichert. Gemäss Schadenmeldung UVG vom 27. September 2006 kam es am
9. September 2006 beim Bücken zu einem hörbaren Knacken im rechten Kniegelenk,
worauf zunehmende Schmerzen auftraten. Der am 11. September 2006 konsultierte
Dr. med. S.________ diagnostizierte im Arztzeugnis vom 24. Oktober 2006 eine
akute Meniskopathie rechts medial sowie eine posttraumatische hämorrhagische
Synoviahypertrophie. Mit Verfügung vom 10. November 2006 lehnte die "Zürich"
eine Leistungspflicht ab. Der Krankenversicherer von H.________, die Helsana
Versicherungen AG (nachfolgend: Helsana) erhob Einsprache, welche die "Zürich"
mit Einspracheentscheid vom 30. April 2007 abwies.

B.
Die von der Helsana hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht
des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 4. Februar 2008 gut, hob den
Einspracheentscheid vom 30. April 2007 auf und verpflichtete die "Zürich", für
die unfallähnliche Körperschädigung der Versicherten die gesetzlichen
Leistungen zu erbringen.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die "Zürich"
die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids vom 4. Februar 2008 und die
Bestätigung des Einspracheentscheids vom 30. April 2007. Gleichzeitig ersucht
sie um Gewährung der aufschiebenden Wirkung.
Während die Helsana auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit Verfügung der Instruktionsrichterin vom 24. April 2008 wurde der Beschwerde
die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Das Bundesgericht prüft
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen,
wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die
Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur
insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Im Beschwerdeverfahren um die
Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder
Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen zum Unfallbegriff (Art.
4 ATSG) und zur Leistungspflicht der Unfallversicherung bei unfallähnlichen
Körperschädigungen (Art. 6 Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 UVV)
sowie die zuletzt in BGE 129 V 466 bestätigte Rechtsprechung, wonach bei
unfallähnlichen Körperschädigungen am Erfordernis des äusseren Faktors
festzuhalten ist, zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Streitig ist, ob die "Zürich" für die Folgen der am 9. September 2006
zugezogenen Knieverletzung der Versicherten leistungspflichtig ist. Dabei steht
fest und ist unbestritten, dass die Versicherte am 9. September 2006 keinen
Unfall im Sinne von Art. 4 ATSG erlitten hat, da es am hiefür erforderlichen
Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors fehlte. Zu prüfen bleibt jedoch, ob
die Beschwerdeführerin für die genannte Verletzung im Sinne einer
unfallähnlichen Körperschädigung gemäss Art. 9 Abs. 2 UVV die gesetzlichen
Leistungen zu erbringen hat.

3.1 Gemäss Schadenmeldung UVG vom 27. September 2006 kam es bei der
Versicherten am 9. September 2006 beim Bücken zu einem hörbaren Knacken im
rechten Kniegelenk und zu zunehmenden Schmerzen. Im Fragebogen der "Zürich"
antwortete sie am 17. Oktober 2006 auf die Frage nach der Schilderung des
Vorgangs im Detail: "Beim in die Knie Gehen hörbares Knacken im rechten Knie.
Zunehmende Schmerzen." Der am 11. September 2006 konsultierte Dr. med.
S.________ hielt im Arztbericht vom 24. Oktober 2006 fest, es sei am 9.
September 2006 zu einem akuten Auftreten einer Knieblockierung bei vorher
beschwerdefreier Patientin gekommen, und diagnostizierte eine akute
Meniskopathie rechts medial sowie eine posttraumatische hämorrhagische
Synoviahypertrophie.

3.2 Bei unfallähnlichen Körperschädigungen nach Art. 9 Abs. 2 UVV müssen zur
Begründung der Leistungspflicht des Unfallversicherers - wie die Vorinstanz
zutreffend dargelegt hat - mit Ausnahme der Ungewöhnlichkeit die übrigen
Tatbestandsmerkmale des Unfalls erfüllt sein. Besondere Bedeutung kommt hierbei
der Voraussetzung des äusseren Ereignisses zu, d.h. eines ausserhalb des
Körpers liegenden, objektiv feststellbaren, sinnfälligen, eben unfallähnlichen
Vorfalles (BGE 129 V 466 E. 2.2 S. 467). Die schädigende äussere Einwirkung
kann in einer körpereigenen Bewegung bestehen (BGE 129 V 466 E. 4.1 S. 468 mit
Hinweisen). Das Auftreten von Schmerzen als solches ist kein äusserer
(schädigender) Faktor im Sinne der Rechtsprechung, weshalb dieser nicht gegeben
ist, wenn die versicherte Person nur das (erstmalige) Auftreten von Schmerzen
in zeitlicher Hinsicht anzugeben vermag (BGE 129 V 466 E. 4.2.1 S. 469). Nicht
erfüllt ist das Erfordernis des äusseren schädigenden Faktors auch, wenn das
erstmalige Auftreten der Schmerzen mit einer blossen Lebensverrichtung
einhergeht, welche die versicherte Person zu beschreiben in der Lage ist.
Vielmehr ist gemäss Rechtsprechung für die Bejahung eines äusseren auf den
menschlichen Körper schädigend einwirkenden Faktors stets ein Geschehen
verlangt, dem ein gewisses gesteigertes Gefährdungspotenzial innewohnt. Das ist
zu bejahen, wenn die zum einschiessenden Schmerz führende Tätigkeit im Rahmen
einer allgemein gesteigerten Gefahrenlage vorgenommen wird, wie dies etwa für
viele sportliche Betätigungen zutreffen kann. Der äussere Faktor mit
erheblichem Schädigungspotenzial ist sodann auch zu bejahen, wenn die in Frage
stehende Lebensverrichtung einer mehr als physiologisch normalen und
psychologisch beherrschten Beanspruchung des Körpers, insbesondere seiner
Gliedmassen, gleichkommt. Deswegen fallen einschiessende Schmerzen als Symptome
einer Schädigung nach Art. 9 Abs. 2 UVV ausser Betracht, wenn sie allein bei
der Vornahme einer alltäglichen Lebensverrichtung auftreten, ohne dass hiezu
ein davon unterscheidbares äusseres Moment hineinspielt. Wer also lediglich
beim Aufstehen, Absitzen, Abliegen, der Bewegung im Raum, Handreichungen usw.
einen einschiessenden Schmerz erleidet, welcher sich als Symptom einer
Schädigung nach Art. 9 Abs. 2 UVV herausstellt, kann sich nicht auf das
Vorliegen einer unfallähnlichen Körperschädigung berufen. Die physiologische
Beanspruchung des Skelettes, der Gelenke, Muskeln, Sehnen und Bänder stellt
keinen äusseren Faktor dar, dem ein zwar nicht ungewöhnliches, jedoch gegenüber
dem normalen Gebrauch der Körperteile gesteigertes Gefährdungspotenzial
innewohnen muss (BGE 129 V 466 E. 4.2.2 S. 470). Erfüllt ist demgegenüber das
Erfordernis des äusseren schädigenden Faktors bei Änderungen der Körperlage,
die nach unfallmedizinischer Erfahrung häufig zu körpereigenen Traumen führen
können, etwa das plötzliche Aufstehen aus der Hocke, die heftige und/oder
belastende Bewegung und die durch äussere Einflüsse unkontrollierbare Änderung
der Körperlage (BGE 129 V 466 E. 4.2.3 S. 470). Erforderlich für die Bejahung
eines äusseren Faktors ist dabei demzufolge ein gesteigertes
Schädigungspotenzial, sei es zufolge einer allgemein gesteigerten Gefahrenlage,
sei es durch Hinzutreten eines zur Unkontrollierbarkeit der Vornahme der
alltäglichen Lebensverrichtung führenden Faktors (BGE 129 V 466 E. 4.3 S. 471).

3.3 Die Versicherte gibt weder in der Schadenmeldung UVG vom 27. September 2006
noch im Fragebogen der "Zürich" vom 17. Oktober 2006 eine unkontrollierte
Bewegung, einen Fehltritt, eine besondere Belastung oder Ähnliches an. Etwas
solches geht auch aus dem Arztbericht vom 24. Oktober 2006 nicht hervor.
Vielmehr kam es beim Bücken bzw. beim in die Knie Gehen zu einem hörbaren
Knacken im rechten Kniegelenk und anschliessend zu zunehmenden Schmerzen. Das
Auftreten von Schmerzen als solches ist - wie oben dargelegt - kein äusserer
schädigender Faktor. Das Bücken bzw. in die Knie Gehen stellt sodann - wie die
Beschwerdeführerin geltend macht - eine alltägliche Lebensverrichtung wie
Aufstehen, Absitzen, Abliegen, Bewegung im Raum usw. dar, welche üblicherweise
im Rahmen einer physiologisch normalen und psychologisch beherrschten
Beanspruchung des Körpers erfolgt und bei welcher grundsätzlich kein besonderes
Schädigungspotenzial vorhanden ist. Es fehlt im konkreten Fall sowohl an einer
gesteigerten Gefahrenlage wie auch am Hinzutreten eines zur
Unkontrollierbarkeit des Bückens bzw. in die Knie Gehens führenden Moments. Der
vorliegend zu beurteilende Sachverhalt ist daher entgegen der Auffassung von
Vorinstanz und Beschwerdegegnerin eben nicht vergleichbar mit dem plötzlichen
Aufstehen aus der Hocke (BGE 116 V 145 E. 2c S. 148 mit Hinweisen), mit dem
Niederknien mit einem Gewicht in den Händen begleitet von einem Fehltritt
(Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts U 184/06 vom 27. September 2006 E. 3),
mit dem Verschieben eines schweren Wäschekorbes mit dem linken Fuss, Ausführung
einer ruckartigen Bewegung und Verdrehung des rechten Knies (RKUV 2000 Nr. U
385 S. 267, U 228/99) oder mit dem brüsken Umdrehen beim Kochen Richtung
Kühlschrank (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts U 5/02 vom 21. Oktober
2002, E. 2), welche Tatbestände wohl körpereigene Bewegungen und alltägliche
Lebensverrichtungen darstellen, bei welchen jedoch ein davon unterscheidbares
zur Unkontrollierbarkeit der Verrichtung führendes äusseres Moment in Form der
Plötzlichkeit, Brüskheit, Belastetheit o.Ä. hinzutrat. Der vorliegend zu
beurteilende Sachverhalt ist vielmehr vergleichbar mit einem plötzlichen
Knacken im Knie beim Gehen, mit dem Einsteigen in die Badewanne und Anheben des
Beines, mit dem Abdrehen des Oberkörpers im Sitzen nach hinten und Anheben
eines Armes, mit dem Aufstehen aus dem Bett sowie ähnlichen Vorgängen -
ebenfalls körpereigene Bewegungen und alltägliche Lebensverrichtungen, welchen
jedoch das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 129 V 466 den äusseren
Faktor abgesprochen hat, da es an der erforderlichen gesteigerten Gefahrenlage
oder am Hinzutreten eines zur Unkontrollierbarkeit der Vornahme der in Frage
stehenden Lebensverrichtung führenden Moments fehlt.

3.4 Zusammenfassend ist unter Berücksichtigung aller Umstände ein in den
Bewegungsablauf hineinspielendes äusseres Moment und damit ein ausserhalb des
Körpers liegendes, objektiv feststellbares, sinnfälliges, unfallähnliches
Ereignis nicht nachgewiesen, weshalb die Beschwerdeführerin Leistungen der
Unfallversicherung zu Recht abgelehnt hat.

4.
4.1 Das Verfahren ist kostenpflichtig. Als unterliegende Partei hat die
Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

4.2 Nach Art. 68 Abs. 3 BGG wird obsiegenden Behörden oder mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen in der Regel keine
Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis
obsiegen. In Anwendung dieser Bestimmung hat das Bundesgericht der SUVA und den
privaten UVG-Versicherern sowie - von Sonderfällen abgesehen - den
Krankenkassen keine Parteientschädigungen zugesprochen, weil sie als
Organisationen mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben zu qualifizieren sind. Das
gilt grundsätzlich auch für die Trägerinnen oder Versicherer der beruflichen
Vorsorge gemäss BVG (BGE 126 V 143 E. 4a S. 150 mit Hinweisen).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons St. Gallen vom 4. Februar 2008 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 4. November 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

i.V. Widmer Kopp Käch