Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.148/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_148/2008

Urteil vom 7. August 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Grunder.

Parteien
K.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hollinger, Stapferstrasse 28, 5200 Brugg,

gegen

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgericht des Kantons Aargau vom
11. Dezember 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Entscheid vom 11. Dezember 2007 hiess das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau die gegen den Einspracheentscheid der Sozialversicherungsanstalt des
Kantons Aargau vom 5. Februar 2007 gerichtete Beschwerde der 1963 geborenen
K.________ teilweise gut und wies die Sache an die Verwaltung zurück, "damit
(diese) mit Wirkung ab Dezember 2005 bei den Ausgaben für die Wohnkosten den
Betrag von Fr. 840.50 pro Monat und für die Zimmermiete des Sohnes I.________
den Betrag von Fr. 420.- (inkl. Nebenkosten) pro Monat einsetze und die
Ergänzungsleistungen dementsprechend neu berechne"; im Übrigen wies es die
Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten war. Das Gesuch um unentgeltliche
Verbeiständung wies das kantonale Gericht mangels Bedürftigkeit ab.

B.
K.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
eventualiter subsidiäre Verfassungsbeschwerde erheben mit dem Rechtsbegehren,
der vorinstanzliche Entscheid sei, soweit damit das Gesuch um Bewilligung eines
unentgeltlichen Rechtsbeistands für den kantonalen Gerichtsprozess abgewiesen
wurde, aufzuheben; eventualiter sei die Sache im Sinne der Begründung an die
Vorinstanz zurückzuweisen, unter Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit dem angefochtenen Entscheid wurde das kantonale Gerichtsverfahren
abgeschlossen. Es handelt sich daher um einen Endentscheid im Sinne von Art. 90
BGG, weshalb die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig
und darauf einzutreten ist. Damit kommt der gleichzeitig in derselben
Rechtsschrift eingereichten (subsidiären) Verfassungsbeschwerde keine
selbständige Bedeutung zu. Die Verletzung verfassungsmässiger Rechte kann auch
mit der ordentlichen Beschwerde gerügt werden (Art. 113, 116 und 117 BGG in
Verbindung mit Art. 95 lit. a BGG).

2.
Die Vorinstanz hat den Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung für das
abgeschlossene kantonale Verfahren mangels Prozessarmut im Sinne der
einschlägigen kantonalen Rechtsgrundlagen verneint (vgl. unter anderem
Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums
[Notbedarf] nach Art. 93 SchKG vom 3. Januar 2001 des Obergerichts des Kantons
Aargau, publ. in der Systematischen Sammlung des Aargauischen Rechts [SAR]
unter Nummer 231.191). Sie ermittelte Einkünfte der Beschwerdeführerin und
ihres Sohnes im Betrag von Fr. 4082.50 (Invalidenrente, Kinderrente, BVG-Rente,
Erwerbseinkommen des Sohnes aus einer Lehranstellung, Ergänzungsleistung),
welcher den festgestellten prozessualen Zwangsbedarf von Fr. 3633.50
(Grundbetrag für die Beschwerdeführerin, Grundbetrag für den Sohn, prozessualer
Zuschlag von 25 %, Wohnkosten der Beschwerdeführerin, Mietzins [inkl.
Nebenkosten] für die Wohnung des Sohnes am Arbeitsort, Krankenkassenpauschale)
um Fr. 449.- monatlich überstieg. Mit diesem Überschuss sei es möglich, die
Parteikosten innert vernünftiger Frist zu bezahlen.

3.
In der letztinstanzlichen Beschwerde wird eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3
Satz 2 BV gerügt, welcher einen verfassungsrechtlichen Mindestanspruch der
bedürftigen Partei auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand garantiert. Diese
Rüge ist hier von beschränkter Tragweite, weil das Bundesrecht auf
Gesetzesebene einen Anspruch auf Bewilligung eines unentgeltlichen
Rechtsbeistand für das kantonale Gerichtsverfahren in
sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten statuiert (Art. 61 lit. f Satz 2
ATSG).

4.
4.1 Die Beschwerdeführerin macht in materieller Hinsicht unter anderem geltend,
die Vorinstanz hätte bei der Ermittlung des prozessualen Zwangsbedarfs für sie
und ihren Sohn je den Grundbetrag von Fr. 1100.- für alleinstehende Schuldner
einsetzen müssen. Sie und ihr Sohn führten zwei voneinander unabhängige
Haushalte. Selbst wenn mit der Vorinstanz von einer Haushaltgemeinschaft
ausgegangen werde, wäre der Grundbetrag auf je Fr. 1000.- für erwachsene
Personen festzulegen.

4.2 Mit diesen Vorbringen ist ohne weiteres begründbar, dass die Vorinstanz den
Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt hat (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG
sowie Art. 105 Abs. 2 BGG). Der 1987 geborene Sohn der Beschwerdeführerin war
bei Einreichung des Gesuchs um unentgeltliche Verbeiständung am 14. März 2007,
welcher Zeitpunkt nach den Erwägungen der Vorinstanz für die Beurteilung des
prozessualen Zwangsbedarfs massgeblich ist, volljährig. Gemäss Ziffer 1 der
vorinstanzlich angewendeten Richtlinien für die Berechnung des
betreibungsrechtlichen Existenzminimums vom 3. Januar 2001 ist für einen
alleinstehenden Schuldner ein monatlicher Grundbetrag von Fr. 1100.-
einzusetzen. Lebt er in Haushaltgemeinschaft mit erwachsenen Personen, beläuft
sich der monatliche Grundbetrag auf Fr. 1000.- (Ziffer 2). Den Erwägungen im
angefochtenen Entscheid ist nicht zu entnehmen, weshalb die Vorinstanz für den
Sohn der Beschwerdeführerin den Grundbetrag für Kinder über 12 Jahre (Fr.
500.-; vgl. Ziffer 4 der erwähnten Richtlinien) heranzog. Wird mit dem
kantonalen Gericht angenommen, dass die Beschwerdeführerin und ihr Sohn in
einer Haushaltgemeinschaft leben, ist zur Festlegung des prozessualen
Zwangsbedarfs nach dem Gesagten von einem Grundbetrag von je Fr. 1000.-
zuzüglich einem prozessualen Zuschlag von 25 % auszugehen (Fr. 2500.-). Addiert
mit den weiteren Auslagen gemäss Angaben im angefochtenen Entscheid ergibt sich
eine Summe in Höhe von Fr. 4633.50. Den vorinstanzlich festgestellten
Einkünften von Fr. 4082.50 gegenübergestellt resultiert ein Negativsaldo von
Fr. 551.-. Demnach ist die Bedürftigkeit im Zeitpunkt bei Einreichung des
Gesuchs um unentgeltliche Verbeiständung am 14. März 2007 im kantonalen Prozess
ausgewiesen, ohne dass auf die übrigen Vorbringen in der bundesgerichtlichen
Beschwerde näher einzugehen ist. Die Sache ist daher an das kantonale Gericht
zurückzuweisen, damit es die weiteren Voraussetzungen des Anspruchs auf
unentgeltliche Verbeiständung (Nichaussichtslosigkeit der kantonalen
Beschwerde; Notwendigkeit oder Gebotenheit einer anwaltlichen Vertretung im
kantonalen Prozess) beurteile.

5.
5.1 Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG).

5.2 Infolge Obsiegens steht der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu
(Art. 68 Abs. 2 BGG). Diese geht zu Lasten des Kantons Aargau, weil der
Gegenpartei im Verfahren um die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege
keine Parteistellung zukommt (RKUV Nr. U 184 S. 78 E. 5 [U 24/93]). Damit wird
das Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Anwalts oder Anwältin für das
bundesgerichtliche Verfahren gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird
der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 11. Dezember
2007, soweit es die unentgeltliche Rechtspflege betrifft, aufgehoben und die
Sache wird an das kantonale Gericht zurückgewiesen, damit es das Gesuch um
Bewilligung eines unentgeltlichen Rechtsanwalts für das kantonale Verfahren im
Sinne der Erwägung 4.2 beurteile.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Aargau hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Sozialversicherungsanstalt des Kantons
Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 7. August 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Grunder