Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.128/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_128/2008

Urteil vom 10. Oktober 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Parteien
G.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter Kehl, Poststrasse 22, 9410 Heiden,

gegen

Generali Versicherungen, Rechtsdienst, Rue de la Fontaine 1, 1204 Genf,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts von Appenzell
Ausserrhoden
vom 19. September 2007.

Sachverhalt:

A.
A.a Die 1955 geborene G.________, war seit Februar 1980 verwitwet und bezog
Hinterlassenenrenten der AHV für sich und zwei Kinder (geboren 1975 und 1977).
Ab 1990 war sie als Teilzeitmitarbeiterin im Service eines Restaurants tätig
und in dieser Eigenschaft bei den Schweizer Union Versicherungen (heute:
Generali Versicherungen) gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 25. April
1995 erlitt sie bei einem Auffahrunfall ein Schleudertrauma der
Halswirbelsäule. Die Invalidenversicherung ermittelte auf Grund der gemischten
Methode einen Invaliditätsgrad von 94 % und richtete mit Verfügung vom 18.
Oktober 2001 ab August 1996 eine ganze Invalidenrente nebst einer Kinderrente
für ihren im Jahre 1986 geborenen Sohn M.________ aus. Ab diesem Zeitpunkt
wurden in Anwendung von Art. 24b und 28bis AHVG keine Hinterlassenenrenten mehr
ausgerichtet. Mit Verfügung vom 3. Dezember 2003 teilte die Generali der
Versicherten mit, seit Ende des Jahres 2001 sei von der Fortsetzung der
ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung ihres Gesundheitszustandes mehr
zu erwarten, womit ab 1. Januar 2002 grundsätzlich die Voraussetzungen zur
Ausrichtung einer Rente erfüllt seien. Gemäss Abklärungen der
Invalidenversicherung betrage der Invaliditätsgrad im erwerblichen Bereich 100
%. Der massgebende versicherte Verdienst beziffere sich auf Fr. 17'244.-, der
erwerbliche Anteil der vollen Invalidenrente auf Fr. 18'840.-, womit die
Komplementärrente Fr. 0.- betrage und daher nicht zur Auszahlung gelange.
Daneben richtete die Unfallversicherung eine Integritätsentschädigung von 60 %
aus. Die Verfügung wurde nicht angefochten.
A.b Mit Schreiben vom 29. Dezember 2006 gelangte der Rechtsvertreter von
G.________ an die Gernerali und ersuchte "um einen Bericht zum Stand des
Verfahrens (UVV 33 Abs. 2 lit. a)". Die Unfallversicherung erliess am 22.
Januar 2007 eine Verfügung und erwog, die Invaliden-Kinderrente des Sohnes
M.________ sei inzwischen weggefallen, womit die Komplementärrente den neuen
Verhältnissen grundsätzlich anzupassen sei. Da bei der ursprünglichen
Festsetzung im Dezember 2003 diese Kinderrente gar nicht berücksichtigt worden
sei, erfolge nun bei deren Wegfall auch keine Anpassung. Mittels Einsprache
liess die Versicherte geltend machen, sie habe ab 1. Dezember 1996 Anspruch auf
eine Komplementärrente von Fr. 3'016.- jährlich, nach Wegfall der Kinderrente
per August 2006 betrage ihr Anspruch Fr. 11'356.-, da nur die Differenz
zwischen der ihr ausgerichteten Invalidenrente und der bis dahin ausgerichteten
Witwenrente für die Komplementärrentenberechnung berücksichtigt werden könne.
Die Generali wies die Einsprache mit Entscheid vom 16. Februar 2007 ab.

B.
Das Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden wies eine gegen den
Einspracheentscheid gerichtete Beschwerde, mit welcher beantragt wurde, der
Versicherten sei in Aufhebung des angefochtenen Entscheides ab 1. August 2006
eine Rente im Umfang von Fr. 11'356.- pro Jahr auszurichten, mit Entscheid vom
19. September 2007 ab.

C.
G.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und die vorinstanzlich gestellten Anträge erneuern.
Die Generali schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten
sei, das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Das Bundesgericht prüft
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es
kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem
Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht
und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur
Rechtsverhältnisse zu überprüfen bzw. zu beurteilen, zu denen die zuständige
Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung
genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise
weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem
Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und
insoweit keine Verfügung ergangen ist (BGE 131 V 164 E. 2.1, 125 V 413 E. 1a S.
414, 119 Ib 33 E. 1b S. 36, je mit Hinweisen). Streitgegenstand im System der
nachträglichen Verwaltungsrechtspflege ist das Rechtsverhältnis, welches - im
Rahmen des durch die Verfügung bestimmten Anfechtungsgegenstandes - den auf
Grund der Beschwerdebegehren effektiv angefochtenen Verfügungsgegenstand
bildet. Anfechtungs- und Streitgegenstand sind danach identisch, wenn die
Verwaltungsverfügung insgesamt angefochten wird; bezieht sich demgegenüber die
Beschwerde nur auf einzelne der durch die Verfügung bestimmten
Rechtsverhältnisse, gehören die nicht beanstandeten - verfügungsweise
festgelegten - Rechtsverhältnisse zwar wohl zum Anfechtungs-, nicht aber zum
Streitgegenstand (BGE 131 V 164 E. 2.1 in fine S. 165 mit Hinweis).

3.
3.1 Nach Art. 20 Abs. 1 UVG beträgt die Invalidenrente bei Vollinvalidität 80 %
des versicherten Verdienstes; bei Teilinvalidität wird sie entsprechend
gekürzt. Hat die versicherte Person Anspruch auf eine Rente der
Invalidenversicherung (IV) oder der Alters- und Hinterlassenenversicherung
(AHV), so wird ihr eine Komplementärrente gewährt; diese entspricht der
Differenz zwischen 90 % des versicherten Verdienstes und der Rente der IV oder
der AHV, höchstens aber dem für Voll- oder Teilinvalidität vorgesehenen Betrag.
Die Komplementärrente wird beim erstmaligen Zusammentreffen der erwähnten
Renten festgesetzt und lediglich späteren Änderungen der für Familienangehörige
bestimmten Teile der Rente der IV oder der AHV angepasst (Art. 20 Abs. 2 UVG).

3.2 Gestützt auf Art. 20 Abs. 3 UVG hat der Bundesrat in Art. 31 ff. UVV nähere
Vorschriften zur Berechnung der Komplementärrenten erlassen. Diese Bestimmungen
sind auf den 1. Januar 1997 revidiert worden (Verordnungsänderung vom 9.
Dezember 1996, AS 1996 3456). Art. 31 UVV enthält hier nicht näher
interessierende Vorschriften zur Berechnung der Komplementärrenten im
Allgemeinen. Art. 32 UVV regelt die Berechnung der Komplementärrenten in
Sonderfällen: Entschädigt eine Rente der IV auch eine nicht nach UVG
versicherte Invalidität, wird bei der Berechnung der Komplementärrente nur
jener Teil der Rente der IV berücksichtigt, welcher die obligatorisch
versicherte Tätigkeit abgilt (Abs. 1). Wird infolge eines Unfalls eine Rente
der IV erhöht oder eine Hinterlassenenrente der AHV durch eine Rente der IV
abgelöst, so wird nur die Differenz zwischen der vor dem Unfall gewährten Rente
und der neuen Leistung in die Berechnung der Komplementärrente einbezogen. In
den Fällen von Art. 24 Abs. 4 UVV (weiterer versicherter Unfall, welcher zu
einer höheren Invalidität führt) wird die Rente der IV voll angerechnet (Abs.
2). Unter dem Titel "Anpassung von Komplementärrenten" bestimmt Art. 33 Abs. 1
UVV, dass bei Umwandlung einer Rente der IV in eine Altersrente der AHV keine
Neuberechnung der Komplementärrente erfolgt. Nach Abs. 2 der Bestimmung werden
Komplementärrenten den veränderten Verhältnissen angepasst, wenn a) Zusatz- und
Kinderrenten der AHV oder der IV dahinfallen oder neu hinzukommen; b) die Rente
der AHV oder der IV infolge einer Änderung der Berechnungsgrundlagen erhöht
oder herabgesetzt wird; c) sich der Invaliditätsgrad erheblich ändert (Art. 22
UVG); oder d) sich der versicherte Verdienst nach Art. 24 Abs. 3 der Verordnung
ändert. Mit der auf den 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Verordnungsnovelle
vom 11. September 2002 (AS 2002 3914 ff.) wurde Art. 33 Abs. 2 lit. c UVV dahin
gehend geändert, dass eine Anpassung der Komplementärrente erfolgt, wenn sich
der für die Unfallversicherung (UV) massgebende Invaliditätsgrad erheblich
ändert (BGE 130 V 39 E. 2 S. 40 f.).

3.3 Art. 32 Abs. 2 UVV bezweckt, im Rahmen der Komplementärrentenberechnung nur
jenen Teil der Rente der Invalidenversicherung zu berücksichtigen, der wegen
des Unfalles ausgerichtet wird. Der eine Krankheit beziehungsweise eine
vorherige Situation als Hinterlassene entschädigende Teil dieser Rente wird
dagegen nicht in die Berechnung einbezogen. Es soll mithin in beiden
Vergleichsgrössen einzig die unfallbedingte Invalidität massgeblich sein, was
dem Prinzip der sachlichen Kongruenz entspricht. Der Unfallversicherer soll
nicht vom Umstand profitieren, dass die versicherte Person schon eine Rente der
Invalidenversicherung oder der AHV bezieht, welche in keinem Zusammenhang mit
dem Unfallereignis steht (vgl. Jean-Maurice Frésard, L'assurance-accidents
obligatoire, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale
Sicherheit, S. 41 Fn 155). Die Bestimmung geht von einer bereits bestehenden
Rente der Invalidenversicherung (beziehungsweise der
Hinterlassenenversicherung) aus, die nachträglich auf Grund einer zusätzlichen
unfallbedingten Invalidität erhöht wird (RKUV 2001 Nr. U 443 S. 550 E. 5).

4.
Die Beschwerdeführerin beruft sich mit ihrem Ersuchen an die Unfallversicherung
vom 29. Dezember 2006 auf Art. 33 Abs. 2 lit. a UVV. Anlass bildet der Wegfall
der Kinder-Invalidenrente für ihren Sohn M.________ ab August 2006. Mit der
angefochtenen Verfügung teilt die Generali der Versicherten mit, dass diese
Kinderrente schon bei der ursprünglichen Berechnung der Komplementärrente
unberücksichtigt geblieben war, weshalb deren Wegfall zu keinen Änderungen
führt. Das trifft grundsätzlich zu. Indessen stellt sich die Beschwerdeführerin
mit ihrer Einsprache sowie im kantonalen und eidgenössischen
Beschwerdeverfahren sinngemäss auf den Standpunkt, die veränderten Verhältnisse
führten zu einer grundsätzlichen Neuberechnung der Komplementärrente, die sich
nicht nur auf das veränderte Sachverhaltselement beschränke. Ein entsprechendes
Vorgehen würde indessen Art. 33 Abs. 1 UVV widersprechen, in welcher Bestimmung
eine eigentliche Neuberechnung ausgeschlossen ist. Diese Verordnungsbestimmung
stützt sich auf Art. 20 Abs. 2 Satz 2 UVG, wonach die Komplementärrente beim
erstmaligen Zusammentreffen mit Renten der IV oder der AHV festgesetzt und
lediglich späteren Änderungen der für Familienangehörige bestimmten Teile der
Rente der IV oder der AHV angepasst wird. Damit hat die Unfallversicherung das
Ersuchen vom 29. Dezember 2006 zu Recht abgelehnt, was vom kantonalen Gericht
bestätigt wurde.

5.
5.1 Die Beschwerdeführerin macht weiter sinngemäss geltend, die
Komplementärrente sei ursprünglich falsch berechnet worden. Indem die ganze
Invalidenrente und nicht nur die Differenz zwischen der - höheren -
Invalidenrente und der bis dahin gewährten Hinterlassenenrente in die
Komplementärrentenberechnung miteinbezogen wurde, sei Art. 32 Abs. 2 UVV
verletzt worden, weshalb die Verfügung vom 3. Dezember 2003 in Wiedererwägung
zu ziehen sei.

5.2 Sowohl im Einspracheentscheid vom 16. Februar 2007 ("Auf ein allfälliges
Wiedererwägungsgesuch würde somit nicht eingetreten werden."), in der
Vernehmlassung vor dem Verwaltungsgericht ("sollte die Beschwerdeführerin die
rechtskräftige Verfügung vom 3.12.2003 als fehlerhaft betrachten, so hätte sie
ein entsprechendes ordentliches Wiedererwägungsgesuch zu stellen ...") als auch
vor Bundesgericht, wo die vorinstanzlichen Ausführungen wörtlich wiederholt
wurden, macht die Generali deutlich, dass die Verfügung vom 22. Januar 2007
sich nicht auf eine eventuelle Wiedererwägung der ursprünglichen
Komplementärrentenberechnung bezieht, weil dazu gar kein eigentliches Gesuch
gestellt worden sei. Demgemäss hat auch das kantonale Gericht richtig
festgehalten, dass die Frage nach einer Wiedererwägung nicht
Verfahrensgegenstand sei. Entsprechendes gilt auch letztinstanzlich (vgl. E.
2). Auf einen eventuellen Antrag auf Wiedererwägung der Verfügung vom 3.
Dezember 2003 wird nicht eingetreten.

5.3 Sollte die Beschwerdeführerin künftig ein Wiedererwägungsgesuch an die
Generali richten, wird diese zu befinden haben, ob sie die Verfügung vom 3.
Dezember 2003 wegen zweifelloser Unrichtigkeit in Wiedererwägung ziehen will.
Da noch keine Verfügung über ein Wiedererwägungsgesuch vorliegt kann auch offen
bleiben, ob die im Oktober 2004 erfolgten Erkundigungen der Generali bei der
zuständigen Ausgleichskasse, wie sich die Hinterlassenenrenten ohne Hinzukommen
eines Invaliditätsfalles entwickelt hätten, als Eintreten auf ein
Wiedererwägungsgesuch zu qualifizieren ist.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 4 lit. a BGG). Dem
Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht von Appenzell
Ausserrhoden und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. Oktober 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Schüpfer