Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.123/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_123/2008

Urteil vom 5. Dezember 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Parteien
V.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Alfred Dätwyler, Bielstrasse 3, 4500 Solothurn,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 21. Dezember 2007.

Sachverhalt:

A.
V.________, geboren 1950, bezog seit 1. Februar 1987 eine ganze Invalidenrente
(Verfügung vom 15. Juni 1988). Mit Verfügung vom 23. Januar 2007 hob die
IV-Stelle des Kantons Solothurn diese Rente auf, nachdem sie die Versicherte
interdisziplinär durch Dr. med. L.________, Innere Medizin und
Rheumaerkrankungen FMH, und Dr. med. C.________, Psychiatrie und
Psychotherapie, hatte untersuchen lassen (Gutachten vom 9. März 2006).

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn mit Entscheid vom 21. Dezember 2007 ab.

C.
V.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid und die damit bestätigte Verfügung
vom 23. Januar 2007 seien aufzuheben. Des Weiteren ersucht sie um
unentgeltliche Rechtspflege.
Während die IV-Stelle beantragt, es sei auf die Beschwerde nicht einzutreten,
verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG).

2.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmung über die Rentenrevision (Art. 17 ATSG)
zutreffend dargelegt. Voraussetzung für eine Rentenrevision ist demnach die
Änderung des Grades der Invalidität eines Rentenbezügers in einer für den
Anspruch erheblichen Weise, was insbesondere bei einer wesentlichen Veränderung
des Gesundheitszustandes zutrifft (BGE 113 V 273 E. 1a S. 275 mit Hinweisen;
112 V 371 E. 2b S. 371 und 387 E. 1b S. 390). Dies beurteilt sich durch
Vergleich des Sachverhalts, wie er im Zeitpunkt der ursprünglichen
Rentenverfügung bestanden hat (beziehungsweise der letzten rechtskräftigen
Verfügung, welche auf einer materiellen Prüfung des Rentenanspruchs mit
rechtskonformer Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und Durchführung eines
Einkommensvergleichs beruht), mit demjenigen zur Zeit der streitigen
Revisionsverfügung (AHI 1999 S. 83 [I 557/97]; BGE 130 V 71 E. 3.2.3 S. 75 f.
und 133 V 108). Für das Vorliegen einer erheblichen Sachverhaltsänderung genügt
es nicht, dass im fraglichen Bericht der bereits bekannte, im Zeitpunkt der
ursprünglichen Rentenverfügung gegebene Sachverhalt anders bewertet wird und
daraus andere Schlussfolgerungen gezogen werden als im früheren Verwaltungs-
und/oder Beschwerdeverfahren. Vielmehr bedarf es neuer Elemente tatsächlicher
Natur, die nach der ursprünglichen Rentenverfügung eingetreten und zu dem
damals gegebenen Sachverhalt hinzugekommen sind oder diesen verändert haben
(Urteil I 633/03 vom 9. Juni 2004 E. 4.2). Prozessentscheidend ist damit die
Frage, ob sich der Gesundheitszustand im Vergleichszeitraum in rentenrelevantem
Ausmass verändert hat.

3.
Streitig ist, ob seit dem hier massgebenden Zeitpunkt der Rentenverfügung vom
15. Juni 1988 eine wesentliche Veränderung des Gesundheitszustandes der
Beschwerdeführerin eingetreten ist.
Die Vorinstanz hat nach einlässlicher und sorgfältiger Würdigung der
medizinischen Akten erkannt, dass insbesondere gestützt auf das Gutachten der
Dres. med. L.________ und C.________ eine wesentliche Verbesserung des
Gesundheitszustandes eingetreten sei, indem es der Beschwerdeführerin nunmehr
zuzumuten sei, ihre angestammte Tätigkeit als Näherin oder eine andere leicht-
bis mässiggradig körperlich belastende Hilfsarbeitertätigkeit mit einem Pensum
von 80 % auszuüben. Die Frage, ob sich eine Arbeits(un)fähigkeit in einem
bestimmten Zeitraum in revisionsrechtlich relevantem Sinne verändert hat, ist
eine Tatfrage (Urteil I 692/06 vom 19. Februar 2006, E. 3.1). Die Feststellung
des entsprechenden Sachverhalts durch die Vorinstanz ist für das Bundesgericht
verbindlich, sofern keine Anhaltspunkte für eine diesbezügliche offensichtliche
Unrichtigkeit bestehen (E. 1).

4.
Mit der Beschwerde wird diesbezüglich geltend gemacht, dass sich der
Gesundheitszustand weder hinsichtlich der Depressivität noch des somatischen
Beschwerdebildes verbessert habe.

4.1 Zunächst ist dazu festzustellen, dass sich die damalige Rentenzusprache auf
einen Bericht der Frau Dr. med. I.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH,
vom 18. März 1988 stützte, welche eine chronische depressive Entwicklung bei
bekannter radikulärer Symptomatik diagnostizierte und eine 100%ige
Arbeitsunfähigkeit attestierte. Gemäss Einschätzung der Psychiaterin machte die
Versicherte einen schweren depressiven Eindruck und klagte neben den
Rückenbeschwerden über Magenschmerzen, Schwindel, Inappetenz, Gewichtsverlust,
Nervosität, Atemnot, Müdigkeit, Schlafstörung, Interesse- und Freudlosigkeit.
Die verordneten Antidepressiva brachten nur eine vorübergehende Besserung, dann
verschlechterte sich der Gesundheitszustand erneut. Aus somatischer Sicht war
die Beschwerdeführerin voll arbeitsfähig. Seither fand bis zum aktuellen
Revisionsverfahren keine umfassende ärztliche Untersuchung mehr statt.

4.2 Gemäss Gutachten des Dr. med. L.________, Innere Medizin und
Rheumaerkrankungen FMH, vom 9. März 2006, besteht in einer leidensangepassten
Tätigkeit (nach wie vor) keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit.

4.3 Aus psychiatrischer Sicht beträgt die Arbeitsfähigkeit gemäss Gutachten des
Dr. med. C.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, und der Frau lic.
phil. F.________, Psychologin FSP, vom 9. März 2006 80 %. Die Gutachter stellen
die Diagnosen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung sowie einer
rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichte Episode.
Aufgrund ihrer Schilderungen sowie der psychiatrischen Beobachtung und
Einschätzung ihres verbalen, emotionalen und psychomotorischen Ausdrucks wird
die Versicherte als wach und bewusstseinsklar, zeitlich, örtlich, situativ und
bezüglich der eigenen Person als voll orientiert beschrieben; Aufmerksamkeit,
Konzentration und Gedächtnis seien klinisch unauffällig. Das formale Denken sei
leicht eingeengt auf die bestehende Problematik, jedoch geordnet und nicht
verlangsamt. Es bestanden keine Anhaltspunkte für Zwänge, inhaltliche
Denkstörungen, Ich-Störungen oder Sinnestäuschung und ebenso wenig Hinweise auf
eine Selbst- oder Fremdgefährdung. Die Versicherte wurde mit Blick auf ihre
Depressivität auch mittels eines Tests untersucht (Beck Depressionsinterview).
Dabei erreichte sie zehn von 63 Punkten, wobei ab einem Wert von elf Punkten
von einem subjektiv als leicht erlebten depressiven Syndrom gesprochen werden
kann. Hinweise auf eine eigenständige Angststörung fanden sich nicht
(Agoraphobic Cognitions Questionnaire ACQ nach Margraf).
Mit Blick darauf ist die Einschätzung des Psychiaters, wonach die Versicherte
durch die Symptome der diagnostizierten rezidivierenden depressiven Störung nur
leichtgradig beeinträchtigt ist, schlüssig und nachvollziehbar, sodass darauf
abgestellt werden kann (vgl. BGE 125 V 351 E. 3 S. 352 ff., 122 V 157 E. 1c S.
160 ff.).
Zu ergänzen ist in diesem Zusammenhang, dass nach Auffassung von Dr. med.
C.________ die Begleitumstände der Schmerzproblematik (leichter sozialer
Rückzug, aber kein verfestigter, therapeutisch nicht mehr angehbarer
innerseelischer Verlauf einer Konfliktbewältigung) angesichts ihrer Ausprägung
auch nicht zu einer Unzumutbarkeit der Schmerzüberwindung führen, sondern sich
in Bezug auf die Arbeitstätigkeit nur in einer leichten Reduktion der
Leistungsfähigkeit auswirken.

4.4 Unter diesen Umständen ist die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung,
wonach sich eine erhebliche Verbesserung des Gesundheitszustandes eingestellt
habe und die Beschwerdeführerin heute zu 80 % arbeitsfähig sei (was zu einem
rentenausschliessenden Invaliditätsgrad führt), nicht offensichtlich unrichtig
und daher für das Bundesgericht verbindlich.

5.
Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten)
und Verbeiständung (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG) kann gewährt werden, weil die
Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen ist und auch die übrigen
Voraussetzungen erfüllt sind (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135, 128 I 225 E. 2.5.3
S. 236, 125 V 371 E. 5b S. 372). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs.
4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse
Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Rechtsanwalt Alfred Dätwyler, Solothurn, wird als unentgeltlicher Anwalt der
Beschwerdeführerin bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1500.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Ausgleichskasse EXFOUR und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. Dezember 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Durizzo