Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.110/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_110/2008

Urteil vom 7. Mai 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Frésard,
Gerichtsschreiberin Polla.

Parteien
S.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Rémy Wyssmann, Hauptstrasse 36, 4702 Oensingen,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 7. Januar 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1957 geborene S.________ erlitt am 12. Oktober 1999 und 3. Juli 2002
Berufsunfälle, für welche die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
als obligatorischer Unfallversicherer die gesetzlichen Leistungen
(Heilbehandlung, Taggeld) übernahm. Mit Verfügung vom 29. November 2006 stellte
sie ihre Leistungen ab 31. Dezember 2006 ein und entzog einer allfälligen
Einsprache die aufschiebende Wirkung. Nach dagegen erhobener Einsprache teilte
die SUVA S.________ am 4. Juli 2004 mit, er werde erneut medizinisch
begutachtet, worauf der Versicherte am 31. Juli und 27. August 2007 Antrag auf
rückwirkende Ausrichtung der Leistungen ab Leistungseinstellung am 31. Dezember
2006 stellte. Mit Zwischenentscheid vom 20. September 2007 wies die SUVA das
Begehren um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ab.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Bern mit Entscheid vom 7. Januar 2008 ab.

C.
Mit Beschwerde lässt S.________ beantragen, es seien ihm unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids ab 1. Januar 2007 weiterhin die gesetzlichen
Leistungen nach Massgabe einer unfallbedingten 100%igen Arbeitsunfähigkeit
auszurichten. Ferner sei seinem Rechtsvertreter bezüglich der Geltendmachung
einer Parteientschädigung vor Urteilseröffnung Gelegenheit zur Einreichung
einer detaillierten Kostennote zu bieten.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
hat auf eine Stellungnahme verzichtet.

Erwägungen:

1.
1.1 Mit der Beschwerde gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen kann nur
die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (Art. 98 BGG). Als
vorsorgliche Massnahme im Sinne dieser Bestimmung gilt auch die Zuerkennung
oder Verweigerung der aufschiebenden Wirkung (Botschaft des Bundesrates zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl 2001 4202, 4336;
Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, S. 420, Art.
98 N 7). Gegebenes Rechtsmittel ist trotz der dargelegten Kognitionsregelung
die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) und
nicht die subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG; Urteil 8C_261/
2007 vom 22. August 2007, E. 1.1).

1.2 Handelt es sich beim angerufenen verfassungsmässigen Recht um ein
Grundrecht, prüft das Bundesgericht dessen Verletzung nur insofern, als eine
entsprechende Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art.
106 Abs. 2 BGG). In der Beschwerdeschrift ist zumindest in erkennbarer Weise
anzuführen, welches Grundrecht verletzt sein soll, und kurz darzulegen, worin
die behauptete Verletzung besteht (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 4344 f.; Urteil
8C_261/2007 vom 22. August 2007, E. 1.2).

2.
Das Bundesgericht hat nach dem Gesagten zu prüfen, ob die Verweigerung der
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen verfassungsmässige Rechte
verstösst. Weil sich der Beschwerdeführer insoweit ausschliesslich auf
Grundrechte beruft, gilt das Rügeprinzip des Art. 106 Abs. 2 BGG.

2.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, in einem ersten Einspracheverfahren gegen
die leistungseinstellende Verfügung vom 19. November 2003 habe die SUVA
erkannt, dass der rechtserhebliche medizinische Sachverhalt ungenügend
abgeklärt worden sei und eine weitere Begutachtung angeordnet, wobei sie die
per 24. November 2003 eingestellten Taggeldleistungen wieder ausgerichtet habe.
Im Rahmen der gegen die Verfügung vom 29. November 2006 geführten Einsprache
habe der Unfallversicherer gestützt auf einen internen
versicherungsmedizinischen Bericht wiederum weitere medizinische Abklärungen im
Sinne eines polydisziplinären Gutachtens vorgenommen. Wenn die SUVA bei
gleicher Situation den Leistungsanspruch das eine Mal wieder aufleben lasse und
das andere Mal nicht, sei dieses Vorgehen willkürlich und verletze den
verfassungsmässigen Anspruch auf rechtsgleiche Behandlung. Zudem verstosse ein
solches Verhalten gegen das Prinzip der Verfahrensfairness.
2.2
2.2.1 Nach dem in Art. 8 Abs. 1 BV verankerten allgemeinen
Rechtsgleichheitsgebot ist Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich oder
Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln (vgl. BGE
131 I 1 E. 4.2 S. 6 f.). Für die Rechtsanwendung bedeutet dies insbesondere,
dass die zuständige Behörde das Gesetz in allen gleichgelagerten Fällen in
gleicher Weise anwendet (BGE 129 I 113 E. 5.1 S. 125 f.). Eine Gleichbehandlung
im Unrecht kann nur dann verlangt werden, wenn die Behörde nicht nur in einem
einzigen oder in einigen wenigen Fällen, sondern in ständiger Praxis vom Gesetz
abweicht und zu erkennen gibt, dass sie auch in Zukunft nicht gesetzeskonform
entscheiden werde (vgl. BGE 131 V 9 E. 3.7 S. 20, mit Hinweisen).
2.2.2 Die Verfügung vom 19. November 2003, mit welcher die SUVA ihre bis anhin
erbrachten Taggeldleistungen per 24. November 2003 einstellte, zog die SUVA
gemäss Schreiben vom 5. August 2004, ohne formelles Verfahren von sich aus
zurück und liess den Taggeldanspruch wieder aufleben, womit - im Gegensatz zum
hier streitigen Sachverhalt - keine leistungsaufhebende Verfügung mehr vorlag.
Der Beschwerdeführer vermag bei diesem ungleichen Sachverhalt nicht überzeugend
darzulegen, inwiefern das Rechtsgleichheitsgebot verletzt sein soll. Ebenso
wenig kann im Umstand, dass die SUVA während des zweiten Einspracheverfahrens
trotz weiteren Sachverhaltsabklärungen an ihrer leistungsaufhebenden Verfügung
vom 29. November 2006 und dem damit verbundenen Entzug der aufschiebenden
Wirkung einer allfälligen Einsprache, festhielt (vgl. Urteil U 115/06 vom 24.
Juli 2007, E. 5.2, 6 und 7), ein krass widersprüchliches oder sonstwie
willkürliches Verhalten erblickt werden. Im Weiteren ist der Vorhalt der
mangelnden Verfahrensfairness (Art. 29 Abs. 1 BV) nicht rechtsgenüglich
begründet. Aus der Beschwerde geht nicht deutlich hervor, inwiefern dieser
Grundsatz verletzt worden sein soll, weshalb insoweit darauf nicht einzutreten
ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Frage, ob bisher erbrachte Leistungen während
eines gegen die sie einstellende Verfügung gerichteten Rechtsmittelverfahrens
weiterhin auszurichten sind, entscheidet sich praxisgemäss auf Grund einer
Abwägung zwischen dem Interesse der versicherten Person am ununterbrochenen
Bezug der Leistungen und demjenigen des Versicherers an deren sofortiger
Einstellung (BGE 105 V 266 E. 2 S. 268 f.; AHI 2000 S. 181 E. 4 und 5 S. 184
f., I 267/98; Urteil I 57/03 vom 3. April 2003, E. 4.1 und 4.2). Dadurch ist
gewährleistet, dass der Versicherer seine Leistungen nicht von einem Tag auf
den anderen oder gar rückwirkend einstellen kann, obwohl der entsprechende
Anspruch weiterhin klar ausgewiesen ist. Mit dieser Vorgabe wird dem
Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes im Regelfall
hinreichend Rechnung getragen. Für weitergehende Ansprüche aus diesem
Teilgehalt von Art. 9 BV könnte allenfalls dann Raum bleiben, wenn der konkrete
Sachverhalt spezifische, diesbezüglich relevante Elemente aufweist (Urteil
8C_261/2007 vom 22. August 2007, E. 2.2). Dies trifft hier nicht zu.

2.3 Die Interessenabwägung als solche kann nach der dargelegten
Kognitionsregelung (E. 1.1 hiervor) nur unter dem Aspekt des ebenfalls in Art.
9 BV enthaltenen Willkürverbotes geprüft werden. Willkür ist gegeben, wenn die
vorinstanzliche Beurteilung eine Norm oder einen klaren und unumstrittenen
Rechtsgrundsatz offensichtlich schwer verletzt, sich mit sachlichen Gründen
schlechthin nicht vertreten lässt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (vgl. zum Willkürbegriff: BGE 132 III 209
E. 2.1 S. 211, 129 I 8 E. 2.1 S. 9, 125 V 408 E. 3a S. 409, je mit Hinweisen;
Urteil 8C_261/2007 vom 22. August 2007, E. 2).
Mit Blick auf die Interessenabwägung hat die Vorinstanz unter Hinweis auf die
bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 129 V 370, 106 V 18; RKUV 2003 Nr. U 479
S. 188, U 21/02) das Interesse der SUVA an der sofortigen Leistungseinstellung
über die Interessen des Versicherten gestellt, da er versucht sein könnte, nach
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der angefochtenen Verfügung den
Erlass einer neuen Verfügung hinauszuzögern, was im Sinne der Rechtsgleichheit
zu verhindern sei. Wenn das kantonale Gericht die Interessen der SUVA,
namentlich das Interesse, eine Rückforderung der allenfalls zu Unrecht
ausgerichteten Taggeldleistungen wegen der damit verbundenen administrativen
Erschwernisse und der Gefahr der Uneinbringlichkeit nach Möglichkeit zu
vermeiden, höher gewichtete als das Interesse des Versicherten an der
Sicherstellung seines Lebensunterhaltes während des von der Einstellung der
Taggeldzahlungen erfassten Zeitraumes, verstösst dies nicht gegen das
Willkürverbot nach Art. 9 BV, zumal die allfällige Notwendigkeit des Bezugs von
Sozialhilfe praxisgemäss nicht ohne weiteres ein überwiegendes Interesse der
versicherten Person an der Weiterausrichtung von Leistungen begründet (vgl.
Urteil 8C_276/2007 vom 20. November 2007, E. 4). Damit hat es beim
vorinstanzlichen Entscheid sein Bewenden.

3.
Der Beschwerdeführer hat als unterliegende Partei die Gerichtskosten zu tragen
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Da die Parteientschädigung nach Massgabe des Obsiegens
und Unterliegens verlegt wird, besteht kein Anspruch auf Parteientschädigung
(Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 7. Mai 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Polla