Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.1013/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_1013/2008

Urteil vom 9. April 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Lanz.

Parteien
C.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Karin Caviezel,

gegen

Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, Hohlstrasse 552, 8048 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 9. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1981 geborene C.________ absolvierte im Jahr 2000 in der Schule X.________
die Ausbildung zur Krankenpflegerin und war dadurch bei der Berner Allgemeine
Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Berner) obligatorisch gegen
Unfallfolgen versichert. Am 6. September 2000 sass C.________ als Beifahrerin
in einem VW Golf. Ein anderes Auto fuhr aus einem Parkplatz und prallte in die
seitliche Frontpartie der Fahrerseite des VW. C.________ suchte gleichentags
das Spital K.________ auf, wo ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS) mit
occipitalen Kopfschmerzen sowie vegetativer Begleitsymptomatik diagnostiziert
und eine volle Arbeitsunfähigkeit bestätigt wurde. Die Berner erbrachte die
gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Nachdem ab 30. Oktober 2000
- bis auf einige Tage im Januar 2001 - wieder eine volle Arbeitsfähigkeit
bestätigt worden war und die Heilbehandlung im Jahr 2001 beendet werden konnte,
schloss die Berner den Fall formlos ab. Am 17. Oktober 2006 suchte C.________
wegen gesundheitlichen Beschwerden Dr. med. E.________, Innere Medizin FMH,
auf. Dieser diagnostizierte chronisch rezidivierende Nacken-/Kopfschmerzen nach
HWS-Distorsion im Jahr 2000. Er bestätigte eine volle Arbeitsunfähigkeit vom
17. bis 22. Oktober 2006 und veranlasste Physiotherapie (Bericht Dr. med.
E.________ vom 18. Januar 2007). Die Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft
(nachfolgend: Allianz), als Rechtsnachfolgerin der Berner, traf medizinische
Abklärungen. Mit Verfügung vom 22. Oktober 2007 verneinte sie ihre
Leistungspflicht für die ab Oktober 2006 behandelten Beschwerden mit der
Begründung, diese stünden nicht in einem natürlichen Kausalzusammenhang zum
Unfall vom 6. September 2000. Die vom Krankenversicherer der C.________
hiegegen vorsorglich erhobene Einsprache wurde wieder zurückgezogen. Die
Einsprache der Versicherten wies die Allianz ab, wobei sie nebst dem
natürlichen auch den adäquaten Kausalzusammenhang verneinte
(Einspracheentscheid vom 3. März 2008).

B.
C.________ erhob Beschwerde, welche das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden mit Entscheid vom 9. September 2008 abwies.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt C.________
beantragen, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und die Allianz
anzuweisen, ein poly- bzw. interdisziplinäres medizinisches Gutachten
einzuholen und nach dessen Vorliegen aus dem Rückfall vom Oktober 2006
Heilbehandlung zu gewähren, Taggeld auszurichten und den Anspruch auf eine
Invalidenrente sowie auf eine Integritätsentschädigung zu prüfen.

Die Allianz schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es
kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem
Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht
und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Im Beschwerdeverfahren um die
Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder
Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Streitig ist, ob die Versicherte aus dem Unfall vom 6. September 2000 für die
ab Oktober 2006 behandelten Beschwerden Anspruch auf Leistungen der
obligatorischen Unfallversicherung hat.

Die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der Streitsache sind im Einsprache-
und im angefochtenen Entscheid zutreffend dargelegt. Das betrifft namentlich
den für einen Leistungsanspruch vorausgesetzten natürlichen und adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden im
Allgemeinen sowie bei Rückfällen und bei organisch nicht objektiv ausgewiesenen
Beschwerden nach Unfall im Besonderen mit den sich jeweils stellenden
Beweisfragen. Darauf wird verwiesen.

3.
Das kantonale Gericht ist zum Ergebnis gelangt, die ab Oktober 2006 behandelten
Beschwerden seien weder natürlich noch adäquat unfallkausal. Den adäquaten
Kausalzusammenhang prüfte es nach den bei Schleudertraumen ohne organisch
ausgewiesene Unfallfolgen geltenden Grundsätzen (sog. Schleudertrauma-Praxis;
vgl. 134 V 109).

Die Versicherte wendet ein, das Bundesgericht verlange in BGE 134 V 109, dass
in solchen Fällen zur Beurteilung der Unfallkausalität ein poly-/
interdisziplinäres Gutachten eingeholt werde. Diese Expertise habe sich zur
Unfallkausalität der Beschwerden zu äussern und auch die Grundlage zu bilden
für die Prüfung der Kriterien, welche in die Adäquanzbeurteilung einzubeziehen
seien. Das einzuholende Gutachten werde bestätigen, dass die vom Bundesgericht
in BGE 134 V 109 neu formulierten Kriterien für eine Bejahung des adäquaten
Kausalzusammenhangs in hinreichender Zahl erfüllt seien.

4.
Unter den gegebenen Umständen rechtfertigt sich, die Beschwerde zunächst unter
dem Gesichtspunkt der Adäquanz zu prüfen.

4.1 Rechtsprechungsgemäss kann der adäquate Kausalzusammenhang bei
Gesundheitsschädigungen mit einem klaren organischen Substrat in der Regel ohne
weiteres zusammen mit dem natürlichen Kausalzusammenhang bejaht werden. Anders
verhält es sich bei natürlich unfallkausalen, aber organisch nicht objektiv
ausgewiesenen Beschwerden. Hier lässt sich die Adäquanzfrage nicht ohne eine
besondere Prüfung beantworten. (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 112 mit Hinweis; Urteil
8C_986/2008 vom 23. März 2009 E. 2).

Im vorliegenden Fall gehen die Vorinstanz und die Parteien bei ihren
Ausführungen davon aus, dass keine organisch objektiv nachweisbare Unfallfolgen
vorliegen, welche die ab Oktober 2006 behandelten Beschwerden zu erklären
vermöchten. Das ist nach Lage der Akten richtig. Die bildgebenden
Untersuchungen ergaben keine entsprechenden Befunde und mit den von ärztlicher
Seite beschriebenen Symptomen (wie Irritationszonen im Bereich der Kopfgelenke,
der Liniae nuchae sowie Triggerpunkte im Bereich der Schulterblattlevatoren)
ist keine organische Unfallfolge dargetan.

4.2 Bei der demnach erforderlichen Prüfung des adäquaten Kausalzusammenhangs
ist an das (objektiv erfassbare) Unfallereignis anzuknüpfen. Abhängig von der
Unfallschwere sind je nachdem weitere Kriterien in die Beurteilung
einzubeziehen. Bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall werden diese
Adäquanzkriterien unter Ausschluss psychischer Aspekte geprüft (sog.
Psycho-Praxis), während bei Schleudertraumen und äquivalenten Verletzungen der
HWS sowie Schädel-Hirntraumen auf eine Differenzierung zwischen physischen und
psychischen Komponenten verzichtet wird (sog. Schleudertrauma-Praxis; zum
Ganzen: BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 112 mit Hinweisen; Urteil 8C_986/2008 vom 23.
März 2009 E. 2).

Im vorliegenden Fall hat die Adäquanzprüfung gemäss dem übereinstimmenden
Verständnis der Vorinstanz und der Parteien nach der Schleudertrauma-Praxis zu
erfolgen. Ob diese Auffassung zutrifft, muss dann nicht abschliessend
beantwortet werden, wenn die Adäquanz auch nach der
Schleudertrauma-Rechtsprechung, welche in der Regel (vgl. Urteil 8C_986/2008
vom 23. März 2009 E. 4.1) und jedenfalls hier für die versicherte Person
günstiger ist als die Psycho-Praxis, zu verneinen ist. Diesfalls erübrigt sich
auch von vornherein die Einholung eines medizinischen Gutachtens im von der
Beschwerdeführerin beantragten Sinne. Denn diese Beweismassnahme würde der
Beantwortung der Frage dienen, ob die Schleudertrauma-Praxis zur Anwendung
gelangt oder nicht (vgl. BGE 134 V 109 E. 9).

4.3 Ausgangspunkt der Adäquanzprüfung bildet die Unfallschwere. Diese beurteilt
sich nach dem augenfälligen Geschehensablauf mit den sich dabei entwickelnden
Kräften (SVR 2008 UV Nr. 8 S. 26 E. 5.2 und 5.3.1, [U 2, 3 und 4/07]; Urteil
8C_536/2007 vom 11. Juni 2008 E. 6.1).
4.3.1 Das kantonale Gericht ist davon ausgegangen, die Versicherte sei gerade
am Aussteigen auf der Beifahrerseite des - demnach stehenden - VW gewesen, als
das andere Auto in die Fahrerseite prallte. Es hat sodann erwogen, das Ereignis
sei höchstens im mittelschweren Bereich an der Grenze zu den leichten Unfällen
einzustufen. Es liess offen, ob nicht sogar ein lediglich leichter Unfall
vorliege, da auch bei einem mittelschweren Unfall im Grenzbereich zu den
leichten Unfällen die Adäquanz zu verneinen sei.

Die Versicherte wendet ein, der Unfall habe sich anders ereignet. Sie sei als
Beifahrerin im fahrenden VW gesessen, als es zu der Kollision gekommen sei. Der
Unfall sei auf jeden Fall im mittelschweren Bereich anzusiedeln.
4.3.2 Das kantonale Gericht hat bezüglich des Unfallhergangs auf die
Unfallbeschreibung gemäss Bericht des Spital K.________ vom 15. September 2000
abgestellt. Danach war die Versicherte daran, aus dem VW auszusteigen, als sich
die Kollision der Fahrzeuge ereignete. Im Fragebogen vom 20. April 2001 hat die
Beschwerdeführerin den Unfall anders beschrieben: Danach sass sie als -
angegurtete - Beifahrerin im VW und fuhr dieser mit einer Geschwindigkeit von
ca. 30 km/h, als er von dem den Parkplatz verlassenden Auto gerammt wurde. Von
diesem Unfallhergang ging dann offensichtlich auch die Allianz aus. Es ist in
der Tat nicht recht nachvollziehbar und auch nicht weiter dokumentiert, wie
sich die Versicherte bei dem von der Vorinstanz angenommenen Geschehensablauf
hätte eine HWS-Distorsion zuziehen können. Abschliessend muss dies aber nicht
beurteilt werden. Denn auch bei dem von der Beschwerdeführerin geltend
gemachten Geschehensablauf wäre der Unfall im mittelschweren Bereich und dort
an der Grenze zu den leichten Unfällen einzustufen. Selbst eine Einreihung bei
den leichten Unfällen wäre nicht undenkbar. Jedenfalls liegt kein Unfall im
Grenzbereich zu den schweren Unfällen oder gar ein schwerer Unfall vor.

4.4 Von den weiteren massgeblichen Kriterien (vgl. BGE 134 V 109 E. 10.3 S.
130) müssten für eine Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhanges entweder ein
einzelnes in besonders ausgeprägter Weise oder aber mehrere in gehäufter oder
auffallender Weise gegeben sein (BGE 134 V 109 E. 10.1 S. 126 f., 117 V 359 E.
6 S. 367 f.).

Das kantonale Gericht hat sämtliche Adäquanzkriterien verneint. Nach Auffassung
der Versicherten sind die Kriterien der fortgesetzt spezifischen, belastenden
ärztlichen Behandlung, der erheblichen Beschwerden sowie der erheblichen
Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen erfüllt. Die restlichen
der rechtsprechungsgemäss relevanten Kriterien (besonders dramatische
Begleitumstände oder besondere Eindrücklichkeit des Unfalls; die Schwere oder
besondere Art der erlittenen Verletzungen; ärztliche Fehlbehandlung, welche die
Unfallfolgen erheblich verschlimmert; schwieriger Heilungsverlauf und
erhebliche Komplikationen) werden, nach Lage der Akten zu Recht, nicht geltend
gemacht.
4.4.1 Die Versicherte hat sich im Zeitraum vom Unfall vom 6. September 2000 bis
Ende 2001 mit Physiotherapie, medizinischer Trainingstherapie und Atlaslogie
behandeln lassen. Weiter macht sie geltend, sie sei seit dem Unfall auf die
regelmässige Einnahme von entzündungshemmenden Schmerzmitteln angewiesen. Zudem
habe sie einen Therapeuten aufgesucht, welcher aufgrund seiner in China
genossenen Ausbildung die Hals- und Rückenwirbel wieder habe in ihre
ursprüngliche Position bewegen können. Diese Therapie habe ihr jeweils etwa
fünf bis sechs Monate Linderung gebracht. Seit Herbst 2006 erfolgten auch
wieder regelmässige physiotherapeutische Behandlungen.

Die erwähnten Behandlungen mögen unangenehm und mit Erschwernissen in der
Zeitplanung verbunden sein. Eine fortgesetzt spezifische, belastende ärztliche
Behandlung kann darin aber nicht gesehen werden. Praxisgemäss werden an dieses
Kriterium deutlich höhere Anforderungen gestellt (vgl. etwa Urteile 8C_724/2008
vom 18. Dezember 2008 E. 4.2.2, 8C_209/2008 vom 2. Dezember 2008 E. 5.4 und
8C_144/2008 vom 8. August 2008 E. 5.4).
4.4.2 Damit der adäquate Kausalzusammenhang bejaht werden könnte, müsste von
den verbleibenden zwei Kriterien mindestens eines in besonders ausgeprägter
Weise erfüllt sein. Das ist nicht der Fall. Dies gilt zum einen für das
Kriterium der erheblichen Arbeitsunfähigkeit, konnte doch die Versicherte die
Arbeit bereits gut einen Monat nach dem Unfall wieder voll aufnehmen und
danach, abgesehen von einem kurzen Unterbruch im Januar 2001 über mehrere Jahre
ausüben. Selbst wenn, wie geltend gemacht wird, die zwischenzeitlich erfolgte
Reduktion des Arbeitspensums auf 90 % als gesundheitsbedingt betrachtet wird
und es in dem seit Dezember 2003 bestehenden Arbeitsverhältnis zu wiederholten
Arbeitsausfällen gekommen ist, wäre das Kriterium jedenfalls nicht in besonders
ausgeprägter Weise erfüllt. Gleiches gilt für das Kriterium der erheblichen
Beschwerden. Es muss daher nicht abschliessend geprüft werden, ob diese
Kriterien überhaupt in der einfachen Form erfüllt wären.

4.5 Nach dem Gesagten hat das kantonale Gericht in Bezug auf die ab Oktober
2006 behandelten Beschwerden zu Recht den adäquaten Kausalzusammenhang und
damit die Leistungspflicht der Allianz verneint. Es kann daher offen bleiben,
ob der natürliche Kausalzusammenhang - ob nun im Sinne eines Rückfalles oder
nicht - gegeben wäre.

5.
Die Kosten des Verfahrens sind von der unterliegenden Beschwerdeführerin zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat zudem entgegen ihrem Antrag weder für
das vor- noch für das letztinstanzliche Verfahren (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG)
Anspruch auf eine Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden,
Kammer 2 als Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 9. April 2009

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Lanz