Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.1005/2008
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_1005/2008

Urteil vom 17. April 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Parteien
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdeführerin,

gegen

S.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Alex Beeler.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom
31. Oktober 2008.

Sachverhalt:

A.
S.________, geboren 1952, war seit über 20 Jahren als Bauarbeiter tätig, als er
sich am 12. Oktober 1998 am rechten Ellbogen verletzte. Gemäss
Bagatellunfallmeldung des behandelnden Arztes Dr. med. G.________,
Orthopädische Chirurgie FMH, vom 16. April 1999 hatte er den Ellbogen, als er
sich drehte, angeschlagen und dabei eine Prellung erlitten. Am 11. Juli 2003
meldete der Arbeitgeber der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
einen Rückfall. Diese anerkannte ihre Leistungspflicht dem Grundsatz nach. Die
am 30. Oktober 2003 verfügte Integritätsentschädigung bei einer
Integritätseinbusse von 10 % erhöhte die SUVA am 23. Mai 2005 um 5 % und hielt
daran auch auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 26. Oktober 2005).
Gestützt auf die ärztliche Abschlussuntersuchung durch Kreisarzt Dr. med.
B.________ vom 22. August 2006, welcher eine leidensangepasste Tätigkeit ohne
zeitliche Einschränkung als zumutbar erachtete, sprach sie S.________ mit
Verfügung vom 20. September 2006 und Einspracheentscheid vom 16. Mai 2007 ab 1.
Oktober 2006 eine Invalidenrente basierend auf einer Erwerbsunfähigkeit von 38
% zu.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
mit Entscheid vom 31. Oktober 2008 in dem Sinne gut, als der
Einspracheentscheid vom 16. Mai 2007 abgeändert und die SUVA verpflichtet
wurde, dem Beschwerdeführer eine Invalidenrente aufgrund eines
Invaliditätsgrades von 70 % auszurichten.

C.
Die SUVA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei der
Einsprachentscheid vom 16. Mai 2007 zu bestätigen.

Während S.________ auf Abweisung der Beschwerde schliessen lässt, verzichtet
das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die Leistungspflicht des
Unfallversicherers (Art. 6 Abs. 1 UVG) und die Ermittlung des
Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG) unter Hinweis auf den
Einspracheentscheid zutreffend dargelegt.

2.
Streitig ist zunächst die Arbeitsfähigkeit des Versicherten.

2.1 Gemäss den Erwägungen des kantonalen Gerichts steht gestützt auf die
medizinischen Akten fest, dass der Beschwerdegegner als Folge des Unfalls vom
12. Oktober 1998 unter einer Arthrose im Ellbogen leidet, woraus eine
Beweglichkeitseinschränkung resultiert, vor allem bei der Extension; zudem
bestehe seit der unfallbedingten Operation vom 1. April 2004 eine Teillähmung
des Nervus medianus, wodurch die Feinmotorik, aber auch Kraft und Ausdauer in
der rechten Hand beeinträchtigt seien.

2.2 Bezüglich der verbleibenden Arbeitsfähigkeit ist nach Ansicht der
Vorinstanz auf die Berichte des PD Dr. med. C.________, welcher den
Beschwerdegegner operiert (Arthroskopie, offenes Debridement) und schon im Juli
2005 eine verbleibende Restarbeitsfähigkeit für eine angepasste Tätigkeit
attestiert hatte, sowie auf den Abschlussbericht des Dr. med. B.________ vom
22. August 2006 abzustellen, wonach dem Beschwerdegegner körperlich leichte
Tätigkeiten ohne Schläge oder Vibrationen auf den rechten Ellbogen,
Zwangshaltungen für den Ellbogen, repetitive Tätigkeiten sowie das Heben und
Tragen von Lasten über 10-12 kg zu 100 % zumutbar sind.

2.3 Des Weiteren ging das kantonale Gericht davon aus, dass der
Beschwerdegegner bei der Ausübung einer ganztägigen Tätigkeit gemäss Abklärung
bei der Beruflichen Abklärungsstelle (BEFAS) nur zu 50 % leistungsfähig sei
(Bericht vom 14. Juni 2006). Dagegen richtet sich die Beschwerde der SUVA.
2.3.1 Zunächst wird geltend gemacht, dass im Rahmen der von der
Invalidenversicherung in Auftrag gegebenen BEFAS-Begutachtung nicht nur
unfallbedingte Beschwerden berücksichtigt worden seien. Dieser Einwand ist
zutreffend. So ist dem Gutachten zu entnehmen, dass - nebst Beschwerden am
linken Ellbogen wegen eines kürzlichen Sturzes - die Gesamtbeweglichkeit der
Wirbelsäule massiv eingeschränkt, insbesondere ein Bücken nicht möglich sei.
2.3.2 Warum der Beschwerdegegner in einer leidensangepassten Tätigkeit, welche
im Übrigen weitgehend übereinstimmend mit der Einschätzung des Dr. med.
B.________ definiert wird (leichte Tätigkeit, vorwiegend mit der linken Hand,
ohne Schläge, Vibrationen, Lastenheben/-tragen über 5 kg), nur noch zu 50 %
leistungsfähig sein soll, wird indessen nicht näher begründet. Selbst wenn nur
noch ein Einsatz der linken (adominanten) Hand möglich wäre, liesse sich eine
lediglich 50%ige Arbeitsfähigkeit mit Blick auf vergleichbare Fälle nicht
begründen. Massgebend ist allein, ob der Beschwerdegegner auf dem
ausgeglichenen Arbeitsmarkt, der von seiner Struktur her einen Fächer
verschiedenartiger Stellen offen hält, eine Arbeit finden könnte (BGE 110 V 273
E. 4b S. 276). Dort finden sich auch Stellen, die einhändig ausgeführt werden
können. Zu denken ist etwa an einfache Überwachungs-, Prüf- und
Kontrolltätigkeiten sowie an die Bedienung und Überwachung von (halb-)
automatischen Maschinen oder Produktionseinheiten, die keinen Einsatz von
rechtem Arm und rechter Hand voraussetzen (vgl. Urteile U 470/06 vom 27. April
2007 E. 3, U 303/06 vom 22. November 2006 E. 7.2, I 47/00 vom 21. Februar 2001
E. 3a und U 132/99 vom 22. Dezember 1999 E. 2a). Beim Beschwerdegegner liegt
nebst der schlechten Beweglichkeit des Ellbogens eine feinmotorische und
kräftemässige Einschränkung der Hand vor.

2.4 Somit kann hier auf die Einschätzung der BEFAS-Gutachter, wonach bei
ganztägigem Einsatz eine Leistungseinbusse von 50 % bestehe, nicht abgestellt
werden, sondern es ist eine 100%ige Arbeitsfähigkeit anzunehmen.

3.
Was die erwerblichen Auswirkungen betrifft, ist die Vorinstanz zu Recht davon
ausgegangen, dass auf die von der SUVA beigezogenen DAP-Blätter nicht
abgestellt werden kann, sind die entsprechenden Tätigkeiten doch mehrheitlich
beidhändig auszuführen; dies vermag der Behinderung des Beschwerdegegners nicht
Rechnung zu tragen.

3.1 Das kantonale Gericht hat daher zur Ermittlung des Invalideneinkommens
richtigerweise die vom Bundesamt für Statistik herausgegebene
Lohnstrukturerhebung (LSE) beigezogen. Der massgebliche Tabellenlohn
(Zentralwert [Total] im privaten Sektor, Männer) belief sich zum Zeitpunkt des
Rentenbeginns (BGE 128 V 174, 129 V 222) gemäss LSE 2006, Tabelle TA1 (S. 25),
Anforderungsniveau 4 (einfache und repetitive Tätigkeiten; Fr. 4'732.-),
umgerechnet auf die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit von 41,7 Stunden
(Die Volkswirtschaft, 2008 Heft 7/8, S. 90, Tabelle B 9.2) auf Fr. 4'933.- pro
Monat oder Fr. 59'197.- pro Jahr.

3.2 Ist nach dem Gesagten eine volle Arbeitsfähigkeit anzunehmen, ist der
Umfang des leidensbedingten Abzuges neu zu prüfen (vgl. Urteil U 303/06 vom 22.
November 2006, E. 10.2 in fine mit Hinweis).

Die Vorinstanz hat unter Annahme einer 50%igen Arbeitsfähigkeit einen Abzug von
15 % gewährt. Damit hat sie, nachdem die leidensbedingte Einschränkung bereits
beim Arbeitspensum berücksichtigt worden war, auch den übrigen persönlichen und
beruflichen Merkmalen, welche rechtsprechungsgemäss einzubeziehen sind (vgl.
BGE 126 V 75 E. 5 und 6 S. 78 ff., 129 V 472 E. 4.2.3 S. 481), Rechnung
getragen. Ein 15%iger Abzug scheint indessen unter Annahme einer 100%igen
Arbeitsfähigkeit nicht mehr angemessen. Damit würde die leidensbedingte
Einschränkung nicht nur beim zumutbaren Arbeitspensum unberücksichtigt
gelassen, sondern es würde ihr praktisch gar nicht mehr Rechnung getragen. Ins
Gewicht fällt zudem, dass sich die Behinderung des Versicherten bei einem
vollzeitlichen Einsatz stärker auswirkt, da die Grundbelastung durch die
Arbeitstätigkeit doppelt so hoch ist. Angesichts der doch beträchtlichen
unfallbedingten Einschränkung des Versicherten sowie mit Blick auf die auch von
der Vorinstanz berücksichtigte Gesamtsituation des Beschwerdegegners, wie sie
im BEFAS-Bericht eindrücklich geschildert wird, rechtfertigt es sich damit, den
Tabellenlohn um den höchstmöglichen leidensbedingten Abzug zu reduzieren (vgl.
auch Urteile 8C_971/2008 vom 23. März 2009 E. 4.2.6; 9C_418/2008 vom 17.
September 2008 E. 3; U 470/06 vom 27. April 2007 E. 3).

3.3 Das Invalideneinkommen beläuft sich damit auf Fr. 44'398.-. Verglichen mit
dem unbestritten gebliebenen Valideneinkommen von Fr. 82'567.- resultiert ein
Invaliditätsgrad von 46 % (vgl. zur Rundung des Invaliditätsgrades BGE 130 V
121).

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden zu
zwei Dritteln dem unterliegenden Beschwerdegegner und zu einem Drittel der
teilweise obsiegenden Beschwerdeführerin auferlegt (vgl. Art. 65 Abs. 4 lit. a
in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung zugunsten des
obsiegenden Beschwerde führenden Unfallversicherers wird gemäss Art. 68 Abs. 3
BGG nicht zugesprochen (vgl. die zu Art. 159 Abs. 2 OG ergangene, weiterhin
geltende Rechtsprechung: BGE 126 V 143 E. 4a S. 150); in Anwendung von Art. 68
Abs. 5 BGG in Verbindung mit. Art. 61 lit. g ATSG wird der Entscheid der
Vorinstanz über die Parteientschädigung aufgehoben und es wird dem
Beschwerdegegner eine Entschädigung für das gesamte Verfahren zugesprochen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 31. Oktober 2008 und der
Einspracheentscheid der SUVA vom 16. Mai 2007 werden insoweit abgeändert, als
der Beschwerdegegner mit Wirkung ab 1. Oktober 2006 Anspruch auf eine
Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 46 % hat. Im Übrigen wird die
Beschwerde abgewiesen.

2.
Von den Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdegegner Fr. 500.- und
der Beschwerdeführerin Fr. 250.- auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das gesamte Verfahren mit
Fr. 2'500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. April 2009

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Durizzo