Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.98/2008
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2008
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2008


Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_98/2008/ hum

Urteil vom 27. Juni 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
Gerichtsschreiberin Binz.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Adolf Spörri,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Aufschub der Freiheitsstrafe zu Gunsten einer ambulanten Behandlung (Art. 63
Abs. 2 StGB),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, vom 27. September 2007.

Sachverhalt:

A.
X.________ wurde 1999 vom Bezirksgericht Pfäffikon wegen Fahrens in
angetrunkenem Zustand zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt, wobei die Strafe
zugunsten einer ambulanten Massnahme aufgeschoben wurde. Die Massnahme
absolvierte er in den Jahren zwischen 2000 und 2002. Mit Urteil des
Bezirksgerichts Uster vom 21. März 2007 wurde er erneut des Fahrens in
fahrunfähigem Zustand (Art. 91 Abs. 1 SVG) schuldig gesprochen und zu einer
Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt.

B.
Gegen dieses Urteil erklärte X.________ die Berufung und beantragte, die Strafe
sei zu Gunsten einer ambulanten Behandlung aufzuschieben (Art. 63 Abs. 2 StGB).
Das Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, bestätigte mit Urteil vom
27. September 2007 das erstinstanzliche Urteil.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, die vom Obergericht
ausgefällte Freiheitsstrafe von 7 Monaten sei zugunsten einer ambulanten
Behandlung aufzuschieben. Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben
und die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
Am 1. Januar 2007 ist der revidierte Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches in
Kraft getreten. Dieses neue Recht gelangt auf Taten, welche noch unter Geltung
des alten Rechts begangen wurden, nur zur Anwendung, wenn es für den Täter das
mildere ist (Art. 2 Abs. 2 StGB). Von dieser allgemeinen Bestimmung über den
zeitlichen Geltungsbereich des Gesetzes schafft Ziff. 2 Abs. 1 der
Schlussbestimmungen der Änderung vom 13. Dezember 2002 für die aktuelle
Revision des Allgemeinen Teils in Bezug auf das Massnahmenrecht eine spezielle
Regelung. Danach sind die neuen Bestimmungen von Art. 56-65 und Art. 90 StGB
auch auf diejenigen Täter anwendbar, die vor deren Inkrafttreten eine Tat
begangen haben oder beurteilt worden sind. Die Bestimmung sieht somit die
rückwirkende Anwendung des neuen Massnahmenrechts sowohl für verurteilte wie
auch für noch nicht beurteilte Täter vor (zur amtlichen Publikation
vorgesehenes Urteil 6B_347/2007 vom 29. November 2007 E. 3.1).

2.
Der Beschwerdeführer rügt eine offensichtlich unrichtige Feststellung des
Sachverhalts (Art. 97 Abs. 1 BGG) in Bezug auf die in den Jahren 2000 bis 2002
durchgeführte ambulante Massnahme.

2.1 Die Vorinstanz führt dazu aus, diese Massnahme sei gestützt auf ein
rechtskräftiges Urteil durchgeführt worden. Der Beschwerdeführer bezweifle die
fachliche Qualifikation des damaligen Therapeuten. Inwiefern jener eine in
fachlicher Hinsicht unsachgemässe Therapie durchgeführt haben soll, sei aus den
Vollzugsakten nicht ersichtlich und werde vom Beschwerdeführer nicht
substantiiert. Demgegenüber sei dem Schlussbericht der Behandlung zu entnehmen,
dass sich der Beschwerdeführer kaum mit seinem Alkoholproblem
auseinandergesetzt habe. Dies entspreche der Einschätzung des aktuellen
Gutachters, wonach der Beschwerdeführer seine Alkoholproblematik bagatellisiere
und eine nachhaltige Auseinandersetzung mit seinen Taten nicht stattfinde. Die
Behandlung sei demnach nicht an der fehlenden Qualifikation des Therapeuten,
sondern an der mangelnden Kooperation des Beschwerdeführers gescheitert
(angefochtenes Urteil III. E. 3.7 S. 27 f.).

2.2 Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, er habe auf freiwilliger Basis
regelmässig Gespräche mit M.________, Mitarbeiter der Fachstelle für Alkohol-
und andere Suchtprobleme in N.________, gehabt. Dabei habe sich herausgestellt,
dass die in den Jahren 2000 bis 2002 durchgeführte ambulante Massnahme nicht
den gesetzlichen Kriterien entsprach. Beim damaligen Betreuer habe es sich um
einen Sozialarbeiter ohne psychologische Ausbildung gehandelt. Deshab habe er -
der Beschwerdeführer - im Berufungsverfahren den Beweisantrag gestellt, von
Amtes wegen bei der Fachstelle für Alkohol- und Suchtprobleme N.________ einen
Bericht einzuholen. Eventualiter habe er die Einholung eines
Ergänzungsgutachtens zum Gutachten der Psychiatrischen Universitätsklinik
Zürich vom 20. Dezember 2006 (nachfolgend amtliches Gutachten) gefordert. Die
Vorinstanz bestreite die fehlende Qualifikation des Therapeuten und begründe
die damalige gescheiterte Behandlung damit, dass seine Kooperation mangelhaft
gewesen sei. Aufgrund der aktenkundigen Tatsache, dass es sich beim Betreuer um
einen Sozialarbeiter handelte, sei diese Sachverhaltsfeststellung unrichtig und
willkürlich (Beschwerde S. 4 ff.).

2.3 Gemäss Art. 105 Abs. 1 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Soweit es um die Frage
geht, ob der Sachverhalt willkürlich oder unter verfassungswidriger Verletzung
einer kantonalen Verfahrensregel ermittelt worden ist, sind strenge
Anforderungen an die Begründungspflicht der Beschwerde gerechtfertigt.
Entsprechende Beanstandungen sind vergleichbar mit den in Art. 106 Abs. 2 BGG
genannten Rügen. Demzufolge genügt es nicht, einen von den tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten. Vielmehr
ist in der Beschwerdeschrift nach den erwähnten gesetzlichen Erfordernissen
darzulegen, inwiefern diese Feststellungen willkürlich bzw. unter Verletzung
einer verfahrensrechtlichen Verfassungsvorschrift zustande gekommen sind.
Andernfalls können Vorbringen mit Bezug auf einen Sachverhalt, der von den
Feststellungen im angefochtenen Entscheid abweicht, nicht berücksichtigt werden
(BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f., mit Hinweis).
Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor,
wenn der angefochtene Entscheid auf einer schlechterdings unhaltbaren oder
widersprüchlichen Beweiswürdigung beruht bzw. im Ergebnis offensichtlich
unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht,
eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in
stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 133 I 149 E. 3.1
S. 153, mit Hinweisen).

2.4 Die Vorinstanz hat im Rahmen der Beweiswürdigung vom Schlussbericht der
ambulanten Behandlung und vom amtlichen Gutachten auf die fehlende Kooperation
des Beschwerdeführers geschlossen. Dieser legt nicht substantiiert dar,
inwiefern die frühere ambulante Therapie nicht sachgemäss durchgeführt worden
sein soll. Entgegen seinem Einwand hat die Vorinstanz zudem nicht die fehlende
Qualifikation des Therapeuten bestritten, sondern diese Frage offen gelassen.
Wie sie zutreffend ausführt, würde selbst eine unsachgemäss durchgeführte
frühere ambulante Massnahme nichts an der Tatsache ändern, dass gemäss dem
amtlichen Gutachten die vom Beschwerdeführer beantragte Anordnung einer
ambulanten Massnahme nicht erfolgversprechend erscheint. Inwiefern die
Qualifikation des damaligen Therapeuten entscheidrelevant ist, wird vom
Beschwerdeführer auch nicht aufgezeigt. Seine Vorbringen genügen den
Begründungsanforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG (vgl. BGE 134 I 83 E. 3.2 S.
88, mit Hinweisen) nicht. Demgemäss ist auf die Rüge nicht einzutreten.

3.
Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, die Vorinstanz habe seinen Anspruch auf
das rechtliche Gehör verletzt, indem sie seinen Antrag auf Anordnung eines
Zweit- oder Ergänzungsgutachtens abgelehnt habe.

3.1 Ist ein Gutachten unvollständig, ungenau oder undeutlich oder weichen die
Sachverständigen in ihren Ansichten voneinander ab oder ergeben sich erhebliche
Zweifel in die Richtigkeit des Gutachtens, so kann die Untersuchungsbehörde den
Bericht durch die gleichen Sachverständigen verbessern lassen oder neue
Sachverständige ernennen (§ 127 StPO-ZH). Erscheint die Berufung zulässig,
setzt der Präsident des Berufungsgerichts den Verfahrensbeteiligten eine Frist
zur Einreichung begründeter Beweisanträge (§ 420 Abs. 1 StPO-ZH).

3.2 Die Vorinstanz hält fest, zur Frage der Notwendigkeit und Erfolgsaussichten
einer Behandlung, der Art und Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten
sowie der konkreten ambulanten Behandlungsmöglichkeiten liege eine umfassende
sachverständige Begutachtung vor (vgl. Art. 56 Abs. 3 StGB). Der
Beschwerdeführer kritisiere das amtliche Gutachten und habe einen Bericht
seines aktuellen Therapeuten eingereicht, wonach eine ambulante Behandlung
unter Aufschub des Strafvollzugs angebracht sei. Zwar müsse der Richter von
einem eingereichten Privatgutachten Kenntnis nehmen, ein solches sei jedoch im
Gegensatz zu einem Sachverständigengutachten zurückhaltend zu würdigen. Die
Bestimmung von § 127 StPO-ZH beziehe sich deshalb nur auf die Differenzen unter
amtlichen Sachverständigen. Das vorliegende amtliche Gutachten sei umfassend,
vollständig, nachvollziehbar und schlüssig, weshalb die beantragte
Beweisergänzung obsolet sei (angefochtenes Urteil III. E. 3.2 S. 21 ff.).

3.3 Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, die Vorinstanz hätte den
beantragten Bericht von Amtes wegen einholen können. Diesfalls hätte Dr.
M.________ den Bericht als Sachverständiger unter der Strafandrohung von Art.
307 StGB abgegeben. Auch das amtliche Gutachten halte fest, dass die Massnahme
der Jahre 2000 bis 2002 nicht die Kriterien einer therapeutischen Massnahme im
Sinne des Gesetzgebers erfüllte, was das Privatgutachten bestätige. Deshalb
hätte die Vorinstanz entweder ein neues Sachverständigengutachten oder ein
Ergänzungsgutachten einholen müssen. Die Vorinstanz habe in willkürlicher
Anwendung von § 420 StPO-ZH seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt
(Beschwerde S. 7).

3.4 Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist Teilgehalt des allgemeinen
Grundsatzes des fairen Verfahrens von Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 1
BV. Er wird auch durch Art. 29 Abs. 2 BV geschützt. Zum Anspruch auf
rechtliches Gehör gehört das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in
seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheides zur Sache zu äussern sowie das
Recht auf Abnahme der rechtzeitig und formrichtig angebotenen rechtserheblichen
Beweismittel. Die Verfassungsgarantie steht einer vorweggenommenen
Beweiswürdigung nicht entgegen. Das Gericht kann auf die Abnahme von Beweisen
verzichten, wenn es aufgrund bereits abgenommener Beweise seine Überzeugung
gebildet hat und ohne Willkür annehmen kann, seine Überzeugung werde durch
weitere Beweiserhebungen nicht geändert (BGE 134 I 140 E. 5.2 und 5.3, mit
Hinweisen).

3.5 Im vorliegenden Fall lässt sich dem amtlichen Gutachten klar entnehmen,
dass eine ambulante Massnahme aufgrund der geringen Krankheitseinsicht, des
fehlenden Behandlungswunsches sowie der geringen Verbalisierungs- und
Introspektionsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht erfolgversprechend ist
(vgl. kantonale Akten Urk. 10/3 S. 23). Nach der Praxis des Bundesgerichts darf
von einem Gutachten nur abgewichen werden, wenn wirklich gewichtige,
zuverlässig begründete Tatsachen oder Indizien die Überzeugungskraft der
Feststellungen von Sachverständigen ernstlich erschüttern, was eingehender zu
begründen ist (vgl. BGE 129 I 49 E. 4 S. 57 f.). Die Vorinstanz hat weder ein
Zweitgutachten (Obergutachten) noch ein Ergänzungsgutachten eingeholt, weil das
amtliche Gutachten einen Aufschub des Strafvollzuges zweifellos ausschliesst.
Sie durfte, ohne in Willkür zu verfallen, in vorweggenommener Beweiswürdigung
den Beweisantrag des Beschwerdeführers ablehnen. Die Rüge der Verletzung des
rechtlichen Gehörs erweist sich als unbegründet.

4.
Der Beschwerdeführer rügt schliesslich, die Vorinstanz habe nicht alle
relevanten Tatsachen für die Entscheidung, ob eine ambulante Massnahme
anzuordnen und der Vollzug der Freiheitsstrafe aufzuschieben sei, ermittelt.
Dadurch habe sie Art. 63 Abs. 1 und 2 StGB verletzt. Das amtliche Gutachten
spreche sich zudem nicht über die Wirkung und die Konsequenzen eines
Strafvollzuges aus (Beschwerde S. 9).

4.1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in
anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär,
sondern ambulant behandelt wird, wenn der Täter eine mit Strafe bedrohte Tat
verübt, die mit seinem Zustand in Zusammenhang steht und zu erwarten ist,
dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit dem Zustand des Täters in
Zusammenhang stehender Taten begegnen (Art. 63 Abs. 1 StGB). Gemäss Absatz 2
der Bestimmung kann das Gericht den Vollzug einer zugleich ausgesprochenen
unbedingten Freiheitsstrafe zu Gunsten einer ambulanten Behandlung aufschieben,
um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen.

4.2 Gestützt auf das amtliche Gutachten, wonach eine ambulante Behandlung nicht
erfolgversprechend ist (vgl. E. 2.4 und 3.5 hiervor), hat die Vorinstanz von
der Anordnung einer ambulanten Behandlung abgesehen (angefochtenes Urteil III.
E. 4 S. 30). Inwiefern sie dadurch Bundesrecht verletzt, ist weder ersichtlich
noch dargetan. Mithin stellt sich im zu beurteilenden Fall die Frage des
Aufschubs des Strafvollzuges gar nicht.

5.
Demgemäss ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Juni 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Schneider Binz