Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.96/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_96/2008/sst

Urteil vom 19. Juni 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
Gerichtsschreiber Thommen.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Marc Weber,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Sennhofstrasse 17, 7001 Chur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden,
Kantonsgerichtsausschuss, vom 15. Oktober 2007.

Sachverhalt:

A.
Am Sonntag, 19. März 2006, um ca. 17.00 Uhr, fuhr J.N.________ mit seiner
Ehefrau R.N.________, seiner Tochter C.B.________ und seinem Schwiegersohn
G.B.________ auf der Überholspur der A13 von Chur in Richtung Sargans. Auf dem
Autobahnabschnitt zwischen Zizers und Landquart herrschte reger Verkehr.
Unmittelbar nach der Umfahrung Zizers soll sich X.________ (Jahrgang 1982) mit
seinem BMW (SG XXX) auf der Überholspur rasant genähert und das Fahrzeug von
J.N.________ in der Folge rechts überholt haben. Unmittelbar nach dem
Überholmanöver soll X.________ sein Fahrzeug wieder auf die Überholspur
"eingeschwenkt" und J.N.________ so zu starkem Abbremsen gezwungen haben.

B.
Mit Berufungsurteil vom 15. Oktober 2007 wurde X.________ vom Kantonsgericht
von Graubünden wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 35 Abs. 1, Art.
44 Abs. 1 und Art. 90 Ziffer 2 SVG) schuldig gesprochen und mit Fr. 1'200.--
gebüsst.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt die Aufhebung des
kantonsgerichtlichen Urteils sowie seine Freisprechung. Der Beschwerde sei
aufschiebende Wirkung zu erteilen.

D.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer wendet sich ausschliesslich gegen die vorinstanzlichen
Tatsachenfeststellungen. Zur Hauptsache macht er Willkür sowie Verletzungen der
Unschuldsvermutung und des rechtlichen Gehörs geltend.
1.1
1.1.1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem
Recht sowie behauptete Mängel in der Sachverhaltsfeststellung prüft das
Bundesgericht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht
und substantiiert begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 IV 286 E.
1).
1.1.2 Art. 9 BV gewährleistet den Anspruch darauf, von den staatlichen Organen
ohne Willkür behandelt zu werden. Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor,
wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der
tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem
offenkundigen Fehler beruhen (BGE 127 I 38 E. 2a; 124 IV 86 E. 2a).
1.1.3 Aus der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten
Unschuldsvermutung wird die Rechtsregel "in dubio pro reo" abgeleitet. Als
Beweiswürdigungsregel besagt sie, dass sich der Strafrichter nicht von einem
für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt überzeugt erklären darf, wenn bei
objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so
verwirklicht hat. Als Beweislastregel besagt der Grundsatz, dass es Sache des
Staates ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und nicht dieser seine
Unschuld nachweisen muss (vgl. BGE 127 I 38 E. 2a).
1.1.4 Art. 29 Abs. 2 BV gewährleistet den Anspruch auf rechtliches Gehör.
Daraus ergibt sich der Anspruch der Parteien, mit rechtzeitig und formgültig
angebotenen Beweisanträgen und Vorbringen gehört zu werden, soweit diese
erhebliche Tatsachen betreffen und nicht offensichtlich beweisuntauglich sind
(BGE 129 II 396 E. 2.1; 120 Ib 379 E. 3b, m.H.).
1.2
1.2.1 Der Beschwerdeführer verkennt, dass die Beschwerde in Strafsachen kein
appellatorisches Rechtsmittel ist. Das Bundesgericht ist keine dritte
Tatsacheninstanz, welche die im kantonalen Verfahren bereits vorgebrachten und
abgehandelten Rügen nochmals mit voller Kognition in tatsächlicher Hinsicht
überprüfen kann. Vielmehr ist aufzuzeigen, inwiefern die
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz qualifiziert fehlerhaft sind. Diesen
Begründungsanforderungen genügen die Ausführungen zur Fahrzeugbeschreibung
(Beschwerde S. 6-7), zum Erkennen des Fahrzeuglenkers, zur Tatzeit und zum
Tatort (Beschwerde S. 7-12 und 18) sowie zur angeblichen Befangenheit der
Zeugen (Urteil S. 24) nicht. Das gleiche gilt für die wiederholten Vorbringen
zur Identifikation der Fahrzeugnummer und zu den Verkehrsmeldungen der
ViaSuisse AG ("stockender Verkehr"; vgl. Beschwerde S. 12-15 und 18-20; vgl.
Urteil S. 17 ff.). Reine Spekulation ist auch, dass die Familie N.________ den
Beschwerdeführer geraume Zeit nach dem Überholmanöver fälschlicherweise und zu
Unrecht als Täter eruiert und seine Autonummer aufgenommen haben soll
(Beschwerde S. 15).
1.2.2 Im Detail macht der Beschwerdeführer geltend, die vorinstanzliche
"Methode der Beweiswürdigung" verletze die Unschuldsvermutung (Art. 6 Ziff. 2
EMRK, Art. 32 Abs. 1 BV) sowie Art. 249 BStP und Art. 125 Abs. 2 StPO/GR.

Die Vorinstanz stufe seine Aussagen als unglaubhaft ein. Dies werde einzig
damit begründet, dass er nicht der Wahrheitspflicht unterstehe und ein starkes
Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens habe. Sachliche Gründe, weshalb seine
Aussage unglaubhaft sein soll, würden keine vorgebracht. Die Vorinstanz habe
lediglich dargelegt, weshalb die Zeugenaussagen glaubhaft sein sollen. Es dürfe
jedoch nicht von der für Zeugen geltenden Wahrheitspflicht und Strafandrohung
auf die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen geschlossen werden (Beschwerde S. 17).
Die Vorinstanz gehe bei der Aussagenwürdigung nicht von der bundesgerichtlich
vorgegebenen "Nullhypothese" (BGE 129 I 49, E. 5) aus.

1.3 Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil hält vor Bundesrecht stand.
Zwar ist richtig, dass die Vorinstanz im Rahmen ihrer Aussagewürdigung darauf
verweist, dass die Zeugen unter der Strafandrohung von Art. 307 StGB aussagten
und keine Gründe ersichtlich seien, weshalb vier Personen die mit einer Anzeige
einhergehenden Umtriebe (polizeiliche und untersuchugsrichterliche
Einvernahmen) ohne konkrete Veranlassung auf sich nehmen sollten (Urteil S. 20
f.). Ausschlaggebend sind für die Vorinstanz indes nicht diese allgemeinen
Erwägungen, sondern ihr konkreter Gesamteindruck, dass die Aussagen der Zeugen
in den Kernpunkten übereinstimmten (Urteil S. 15 und 19 oben). Alle führten
aus, dass es sich um einen dunklen Personenwagen, wohl um einen BMW, handelte,
der sich ihnen am 19. März 2006 um ca. 17.00h auf dem Autobahnabschnitt bei
Zirzers mit hoher Geschwindigkeit ("wie eine Kugel") von hinten näherte, sie
rechts überholte und sich unmittelbar danach wieder vor ihr Fahrzeug drängte,
was sie zu starkem Abbremsen zwang. Zumindest in örtlicher und zeitlicher
Hinsicht stehen diese Aussagen auch im Einklang mit dem Geständnis des
Beschwerdeführers, am 19. März 2006, um ca. 17.00 Uhr, alleine in seinem
dunkelgrauen BMW auf der A13 in Richtung Landquart mit ca. 70 km/h bis 80 km/h
unterwegs gewesen zu sein (Urteil S. 15 f.). Entgegen den Vorbringen des
Beschwerdeführers stuft die Vorinstanz seine Aussagen nicht einzig aufgrund der
abstrakten Erwägung als unglaubhaft ein, dass er nicht der Wahrheitspflicht
unterstehe und ein starkes Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens habe.
Vielmehr geht aus dem angefochtenen Urteil hervor, dass die Vorinstanz den
Beteuerungen des Beschwerdeführers, auf besagtem Autobahnabschnitt keine
Überholmanöver durchgeführt zu haben, im Ergebnis keinen Glauben schenkte.
Diese Beweiswürdigung ist weder willkürlich noch verletzt sie Art. 249 BstP,
Art. 125 Abs. 2 StPO/GR oder das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers. Etwas
Abweichendes ergibt sich auch nicht aus den angerufenen Präjudizien (BGE 129 I
49 E. 5 und 128 I 81 E. 2). Diese Entscheide betreffen die methodischen
Grundlagen der aussagepsychologischen Begutachtung.

2.
Mit dem Entscheid in der Sache erübrigt es sich, zum Antrag auf aufschiebende
Wirkung Stellung zu nehmen. Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die Kosten
des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden,
Kantonsgerichtsausschuss, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 19. Juni 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Thommen