Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.937/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_937/2008/sst

Urteil vom 16. Februar 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Mathys,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Josephsohn,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Überprüfung der Verwahrung,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, vom 10. Oktober 2008.

Sachverhalt:

A.
X.________ wurde am 25. November 1999 vom Obergericht des Kantons Zürich
zweitinstanzlich der fahrlässigen schweren Körperverletzung, der Unterlassung
der Nothilfe, des mehrfachen Raubs, der mehrfachen Erpressung, der mehrfachen
Sachbeschädigung, des mehrfachen Hausfriedensbruchs, des mehrfachen Diebstahls,
der mehrfachen falschen Anschuldigung, der mehrfachen Entwendung zum Gebrauch
sowie des mehrfachen Missbrauchs von Ausweisen und Schildern schuldig
gesprochen und mit zehn Jahren Zuchthaus bestraft. Anstelle des Vollzugs der
ausgesprochenen Zuchthausstrafe wurde die Verwahrung des Verurteilten als
Gewohnheitsverbrecher im Sinne von Art. 42 Ziff. 1 aStGB angeordnet.

B.
Mit Schreiben vom 12. April 2007 überwies der Sonderdienst des Amts für
Justizvollzug des Kantons Zürich die Vollzugsakten in Sachen X.________ in
Anwendung von Ziff. 2 Abs. 2 der Schlussbestimmungen des revidierten
Strafgesetzbuches (SchlBestStGB) dem Obergericht des Kantons Zürich mit der
Empfehlung, die altrechtliche Verwahrung nach neuem Recht weiterzuführen. Das
beantragte auch die Oberstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 26. Juni
2007. X.________ verlangte demgegenüber am 1. November 2007 die Einholung eines
aktuellen Gutachtens.

C.
Mit Beschluss vom 12. November 2007 gab das Obergericht des Kantons Zürich ein
Gutachten über die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer Behandlung,
über die Art und die Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten sowie
über die Möglichkeiten des Vollzugs einer stationären Massnahme bzw. der
Fortführung der Verwahrung von X.________ in Auftrag. Als Gutachter wurde Dr.
A.________ bestellt, durch welchen sich X.________ aufgrund von Zweifeln an
dessen Fachkompetenz indes nicht begutachten lassen wollte. Er schlug dem
Obergericht deshalb vor, Dr. B.________ mit der Begutachtung zu beauftragen.
Nachdem das Obergericht die gegen Dr. A.________ erhobenen Vorbehalte zur
fachlichen Kompetenz als forensischer Gutachter abgeklärt und für unbegründet
befunden hatte, X.________ eine Begutachtung durch Dr. A.________ auf Anfrage
des Obergerichts weiterhin verweigerte und auf einer solchen durch Dr.
B.________ beharrte, schritt das Obergericht androhungsgemäss ohne Begutachtung
zur Fallentscheidung, nachdem sich Dr. A.________ auf Anfrage hin ausser Stande
gesehen hatte, ein Aktengutachten zu erstellen. Mit Beschluss vom 10. Oktober
2008 befand es gestützt auf Art. 2 Abs. 2 SchlBestStGB, es werde keine
therapeutische Massnahme im Sinne von Art. 59-61 oder 63 StGB angeordnet, und
die nach Art. 42 Ziff. 1 aStGB angeordnete Verwahrung werde nach neuem Recht
weitergeführt (Dispositiv-Ziffer 1).

D.
Dagegen reicht X.________ Beschwerde an das Bundesgericht ein. Er beantragt,
Dispositiv-Ziff. 1 des angefochtenen Beschlusses des Obergerichts sei
aufzuheben, und es sei die Angelegenheit zwecks Durchführung einer
psychiatrischen Begutachtung an dieses zurückzuweisen. Ausserdem sei ihm die
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.

E.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Weiterführung der altrechtlichen
Verwahrung nach neuem Recht. Er macht im Wesentlichen geltend, dass sich die
Vorinstanz bei ihrem Entscheid zu Unrecht nicht auf ein Gutachten abstützt. Ein
solches, mindestens aber ein Aktengutachten, hätte vorliegend erstellt werden
müssen, um den bundesrechtlichen Anforderungen an die Grundlagen einer
Überprüfung der altrechtlichen Verwahrung nachzukommen. Seine Weigerung, mit
dem gerichtlich bestimmten Sachverständigen zusammenzuarbeiten, dürfe ihm nicht
zum Nachteil gereichen. Der angefochtene Entscheid sei deshalb aufzuheben und
die Vorinstanz anzuweisen, einen anderen Gutachter zu bestellen, der das
notwendige psychiatrische Gutachten zu erstellen habe.

2.
2.1 Die Vorinstanz hat nicht verkannt, dass eine sachverständige Begutachtung
vorliegen muss, wenn in Anwendung von Art. 56 Abs. 3 StGB i.V.m. Art. 2 Abs. 2
SchlBestStGB darüber zu befinden ist, ob gegenüber einem altrechtlich
verwahrten Täter eine therapeutische Massnahme anzuordnen oder die
altrechtliche Verwahrung nach neuem Recht weiterzuführen ist. Im Hinblick auf
die Überprüfung dieser Fragen hat sie denn auch die Erstellung eines aktuellen
psychiatrischen Gutachtens in Auftrag gegeben. Der Beschwerdeführer hat sich
jedoch geweigert, sich vom gerichtlich bestellten Sachverständigen begutachten
zu lassen, weil er Zweifel an dessen Fachkompetenz als forensischer Gutachter
hegte. Darüberhinaus hat er generell sein Misstrauen und seine Skepsis
gegenüber Psychiatern und einer Begutachtung zum Ausdruck gebracht. Wie die
Vorinstanz im angefochtenen Entscheid indessen zutreffend darlegt, liegen keine
Gründe dafür vor, die fachliche Qualität des gerichtlich bestellten
Sachverständigen in Frage zu stellen und ihn als Gutachter abzulehnen. Dies
macht der Beschwerdeführer vor Bundesgericht denn auch nicht mehr geltend. Er
tritt indes dafür ein, dass das zuständige Gericht einen anderen
Sachverständigen ernennen muss, mit dem er zu kooperieren bereit ist, falls er
sich vom gerichtlich bestellten Gutachter nicht begutachten lassen will, weil
er gegen diesen "gewisse Vorbehalte" hat. Ein Anspruch auf Bestellung eines
bestimmten Sachverständigen ergibt sich entgegen der in der Beschwerde
vertretenen Meinung jedoch weder aus dem materiellen Bundesrecht noch aus der
EMRK oder der BV (siehe auch HAUSER/SCHWERI/HARTMANn, Schweizerisches
Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 64 N. 6; NIKLAUS SCHMID,
Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004, S. 231 N. 666; ANDREAS DONATSCH, in:
Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, § 110 Rz 4). Zwar kann
der Betroffene dem zuständigen Gericht - was der Beschwerdeführer faktisch denn
ja auch getan hat - einen entsprechenden Vorschlag zur Personenauswahl des
Sachverständigen machen. Daran ist das Gericht allerdings nicht gebunden.
Insofern ist weder Gesetzes- noch Verfassungsrecht verletzt, wenn wie hier eine
Person zum Sachverständigen ernannt wird, gegen den der Betroffene Einwendungen
erhoben hat, die nicht einen eigentlichen Ausstandsgrund (wie etwa
Befangenheit) begründen (vgl. MARC HELFENSTEIN, Der Sachverständigenbeweis im
schweizerischen Strafprozess, Diss. Zürich 1978, S. 65).

2.2 Wenn der zu begutachtende Betroffene sich - wie im zu beurteilenden Fall -
einer persönlichen Untersuchung verweigert, ist zu prüfen, ob nicht wenigstens
ein Aktengutachten Aufschluss über die Fragen der Massnahmenfähigkeit und
-bedürftigkeit zu geben vermag. Ob sich ein solches verantworten lässt, hat
primär der angefragte Sachverständige zu beurteilen (BGE 127 I 54 E. 2f.; vgl.
auch MARIANNE HEER, Basler Kommentar, Strafrecht I, Basel 2007, 2. Aufl., Art.
56 N. 61). Dieser sah sich im vorliegenden Fall auf entsprechende Anfrage der
Vorinstanz hin ausser Stande, eine fachgerechte psychiatrische Begutachtung
ohne persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers vorzunehmen, was in
Anbetracht dessen, dass das letzte Gutachten der psychiatrischen
Universitätsklinik Zürich vom 19. Mai 1998 datiert und sich keine weiteren
fachspezifischen Abklärungen bzw. Erkenntnisse neueren Datums bei den Akten
befinden, weil sich der Beschwerdeführer gegenüber sozialpädagogischen oder
therapeutischen Hilfestellungen nicht zugänglich zeigte und auch eine
deliktorientierte Behandlung nicht stattfand (angefochtener Entscheid, S. 10
mit Hinweis auf den abschliessenden Führungsbericht der Strafanstalt Pöschwies
vom 3. April 2007), keineswegs erstaunt. Dass die Vorinstanz die Erklärung des
gerichtlich bestellten Sachverständigen, kein Aktengutachten erstellen zu
können, deshalb als überzeugend bezeichnet, beruht somit auf sachlich
vertretbaren Gründen. Von Willkür oder einer Verletzung des Gehörsanspruchs
wegen unzureichender Begründung kann insoweit entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers keine Rede sein. Dies gilt umso mehr, als dieser im Rahmen
seiner Korrespondenz mit der Vorinstanz ursprünglich selber davon ausging, dass
"es unrealistisch und unprofessionell gewesen wäre, unter den gegebenen
Umständen ein Aktengutachten erstellen zu wollen" (kantonale Akten, Urkunde
44).

2.3 Weigert sich der Betroffene, am Verfahren bzw. an der Begutachtung
teilzunehmen, trägt er trotz des im Gesetz verankerten
Begutachtungsobligatoriums somit letztlich die Konsequenzen seiner fehlenden
Mitwirkung, zumal er gegen seinen Willen nicht zur Teilnahme an der
Begutachtung gezwungen werden kann (vgl. BGE 116 II 406 für die fürsorgerische
Freiheitsentziehung). Der Hinweis des Beschwerdeführers auf das unter anderem
in Art. 14 Ziff. 3 lit. g UNO-Pakt II verbürgte Recht zur Aussageverweigerung,
wonach ihm aus dessen Gebrauch, d.h. vorliegend aus der Weigerung mit dem
gerichtlich ernannten Gutachter zusammenzuarbeiten, kein Nachteil erwachsen
dürfe, geht in diesem Zusammenhang an der Sache vorbei. Wollte man hier anders
entscheiden, hiesse das, dem Betroffenen indirekt doch ein Recht auf Bestimmung
der Person des Sachverständigen einzuräumen. Ein solches steht ihm nach dem
Gesagten jedoch nicht zu. Aus den gleichen Gründen ist auch seine Rüge
unbegründet, der Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, weil er mangels
Gutachtens keine Stellungnahme zur Frage, ob eine therapeutische Massnahme
anzuordnen sei, habe abgeben können.

2.4 Die Vorinstanz hat daher, ohne Bundesrecht zu verletzen, von der
Begutachtung des Beschwerdeführers abgesehen und die Anordnung einer
therapeutischen Massnahme ohne Begutachtung ausgeschlossen. Der Einwand des
Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe eine Verwahrung im Sinne von Art. 64
StGB angeordnet, ohne über die hierfür notwendigen Beurteilungskriterien zu
verfügen, zielt an der Sache vorbei. Der Beschwerdeführer übersieht, dass es
vorliegend nicht um die Anordnung einer neurechtlichen Verwahrung geht, sondern
darum, die altrechtliche Verwahrung allenfalls durch eine therapeutische
Massnahme im Sinne der Art. 59 - 61 oder 63 StGB abzulösen. Festzuhalten bleibt
in diesem Zusammenhang aber immerhin, dass auch die Weiterführung der
altrechtlichen Verwahrung einen (ziemlich) schwerwiegenden Eingriff in die
persönliche Freiheit des Beschwerdeführers darstellt. Dieser kann jedoch im
Prinzip jederzeit ein Gesuch um bedingte Entlassung aus der weiterzuführenden
Verwahrung stellen, das gutzuheissen ist, wenn keine Gefahr von Delikten im
Sinne von Art. 64 StGB mehr besteht. Ob eine solche Gefahr gegeben ist, muss
nach Art. 64 Abs. 2 lit. b StGB ein unabhängiger Gutachter im Sinne von Art. 56
Abs. 4 StGB entscheiden.

2.5 Damit ist die Beschwerde abzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung ist gutzuheissen. Es sind keine Kosten zu
erheben. Der Vertreter des Beschwerdeführers ist für das Verfahren vor
Bundesgericht aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Andreas Josephsohn, wird für
das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- aus der
Bundesgerichtskasse ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Februar 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Favre Arquint Hill