Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.884/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_884/2008/sst

Urteil vom 27. Januar 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Krishna Müller,

gegen

Generalprokurator des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Einstellen und Beschäftigen von Ausländern ohne Bewilligung, Erleichtern des
rechtswidrigen Aufenthaltes in der Schweiz etc.,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer,
vom 10. April 2008.

Sachverhalt:

A.
Die Gerichtspräsidentin 1 des Gerichtskreises IX Schwarzenburg-Seftigen
verurteilte X.________ am 6. August 2007 wegen mehrfacher und wiederholter
vorsätzlicher und fahrlässiger Widerhandlungen gegen das ANAG zu einer
unbedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 140 Franken und einer Busse von
4'000 Franken. Sie hielt für erwiesen, dass er zwischen dem Herbst 2004 und dem
1. Juni 2006 mehrere Ausländerinnen ohne Arbeitsbewilligung im A.________-Pub
in Uttigen und in seiner Bar am Bar- und Pubfestival Uetendorf beschäftigte
sowie mehrere Ausländerinnen ohne Aufenthaltsbewilligungen beherbergte und
ihnen dadurch den rechtswidrigen Aufenthalt in der Schweiz erleichterte.
Auf Berufung von X.________ hin sprach ihn das Obergericht am 10. April 2008 in
einem der Anklagepunkte frei, bestätigte im Übrigen den erstinstanzlichen
Schuldspruch und verurteilte ihn zu einer unbedingten Geldstrafe von 47
Tagessätzen à 140 Franken und einer Busse von 4'000 Franken.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das obergerichtliche Urteil
aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen mit der Anweisung,
ihn vollumfänglich freizusprechen.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
Erwägungen:

1.
Art. 42 Abs. 2 BGG schreibt vor, dass in der Beschwerdeschrift in gedrängter
Form darzulegen ist, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt. Dies
setzt voraus, dass sich der Beschwerdeführer wenigstens kurz mit den Erwägungen
des angefochtenen Entscheids auseinandersetzt und darlegt, inwiefern sie
fehlerhaft sind. Genügt die Beschwerdeschrift diesen minimalen Voraussetzungen
von Art. 42 Abs. 2 BGG nicht, so ist darauf nicht einzutreten. Erhöhte
Begründungsanforderungen gelten für Verfassungsrügen (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das
Bundesgericht prüft solche nur, wenn in der Beschwerdeschrift die wesentlichen
Tatsachen dargelegt werden und kurz ausgeführt wird, inwiefern der angefochtene
Entscheid bestimmte verfassungsmässige Rechte verletzt. Sie müssen klar und
detailliert erhoben und, soweit möglich, belegt sein; auf rein appellatorische
Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (Zusammenfassung der
Rechtsprechung in BGE 134 II 244 E. 2 mit Hinweisen).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nur teilweise. So gibt etwa der
Beschwerdeführer unter "B. Sachverhalt" (Beschwerde S. 4 ff.) lediglich seine
Sicht der Dinge wieder - etwa B.________ und C.________ hätten entgegen den
polizeilichen Feststellungen am 25. November 2005 im A.________-Pub nicht
gearbeitet, sondern lediglich freiwillig, ohne Entlöhnung "mitangepackt"-, ohne
darzutun, inwiefern die dem entgegenstehenden obergerichtlichen Feststellungen
unhaltbar bzw. willkürlich (Art. 105 Abs. 2 BGG) sein sollen. In Art. 5
(Beschwerde S. 13 ff.) erhebt er wild durcheinander eine ganze Reihe
tatsächlicher und rechtlicher Einwände, ohne diese konkret zu begründen. So
führt er etwa aus, das Obergericht habe in Bezug auf das Beweisergebnis auf das
erstinstanzliche Urteil verwiesen und dieses mit Ausführungen zu den Einwänden
der Verteidigung ergänzt, und macht geltend, dieses Vorgehen sei bereits unter
dem Gesichtspunkt von Art. 30 BV fragwürdig, verstosse aber sicher gegen das
Willkürverbot und weitere grundlegende Bestimmungen der geltenden
Rechtsordnung. Das sind offensichtlich keine gehörig begründeten
Verfassungsrügen. Soweit im Folgenden auf Ausführungen in der Beschwerdeschrift
nicht eingegangen wird, entsprechen sie den gesetzlichen
Begründungsanforderungen nicht.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, seine Verurteilung verletze das
Anklageprinzip, weil die Deliktsdaten nachträglich abgeändert bzw. die
Deliktszeiträume erweitert worden seien.

2.1 Der Anklagegrundsatz verteilt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
die Aufgaben zwischen den Untersuchungs- bzw. Anklagebehörden einerseits und
den Gerichten andererseits. Er bestimmt den Gegenstand des Gerichtsverfahrens.
Die Anklage hat die dem Angeklagten zur Last gelegten Delikte in ihrem
Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe genügend konkretisiert
sind. Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte
des Angeschuldigten und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (BGE 120 IV
348 E. 2b S. 353 f. mit Hinweisen). Nach Art. 6 Ziff. 3 lit. a EMRK hat der
Angeschuldigte Anspruch darauf, in möglichst kurzer Frist über die Art und den
Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden. Das
Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht
aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (BGE 126 I 19 E.
2a).

2.2 Das Obergericht hat zu dieser bereits in der Berufung vorgebrachten Rüge
ausgeführt (angefochtener Entscheid S. 4 f.), das vorliegende Verfahren sei im
Sinne von Art. 233 Ziff. 3 des Gesetzes vom 15. März 1995 über das
Strafverfahren (StrV) direkt an das Einzelgericht überwiesen worden. Dabei
fasse der Untersuchungsrichter den als Anklage geltenden Überweisungsbeschluss,
indem er auf der Strafanzeige einen entsprechenden Stempel anbringe und diesen
unterzeichne. Die von der erstinstanzlichen Richterin zu beurteilenden
Sachverhalte seien in den polizeilichen Anzeigen vom 19. Dezember 2005, 30.
Dezember 2005, 16. Mai 2006, 8. Juni 206 und vom 21. Juni 2006 detailliert
umschrieben. Das erstinstanzliche Urteil beruhe somit auf einem Art. 257 StrV
entsprechenden, mithin rechtsgültigen Überweisungsbeschluss.

2.3 Ergibt das gerichtliche Beweisverfahren, dass sich das Tatgeschehen in
einzelnen Punkten anders abgespielt hat, als im Anklagesachverhalt dargestellt,
so hindert der Anklagegrundsatz das Gericht nicht, den Angeklagten aufgrund des
abgeänderten Sachverhaltes zu verurteilen. Voraussetzung ist, dass die
Änderungen untergeordnete, für die rechtliche Qualifikation des Sachverhalts
nicht ausschlaggebende Punkte betreffen, und dass der Angeklagte Gelegenheit
hatte, dazu Stellung zu nehmen (6P.99/2006 vom 18. Juli 2007 E. 3.2, 1P.494/
2002 vom 11. November 2002 E. 3 ). Aus den vom Untersuchungsrichter mit Stempel
und Unterschrift zur Anklage erhobenen Polizeirapporten ergibt sich
unzweideutig, welche Sachverhalte dem Beschwerdeführer vorgeworfen werden. Auch
wenn im Verlauf des Verfahrens gewisse Daten dem Ergebnis des Beweisverfahrens
angepasst wurden, konnte für den Beschwerdeführer nie ein Zweifel bestehen,
welche historische Vorgänge ihm vorgeworfen wurden, und er macht zu Recht nicht
geltend, er habe keine Gelegenheit erhalten, sich dazu zu äussern. Die
Änderungen sind zudem für die rechtliche Qualifikation der Sachverhalte ohne
und für die Beurteilung der Taten kaum von Bedeutung. Die Rüge, der
Anklagegrundsatz sei verletzt, ist unbegründet.

3.
Der Beschwerdeführer rügt, das Obergericht habe das für die EU-Bürgerinnen
geltende Freizügigkeitsabkommen (SR 0.142.112.681: FZA) "unsachgemäss
angewendet und letztlich dagegen verstossen".

3.1 Das FZA zwischen der Schweiz und der Europäischen Union vom 21. Juni 1999
gilt seit dem 1. April 2006 auch für die Bürger der neuen Mitgliedstaaten,
darunter Tschechien, Slowakei und Polen. Mit der Ausdehnung sind die
Übergangsbestimmungen des Abkommens ergänzt und der Schweiz insbesondere
erlaubt worden, während fünf Jahren Höchstzahlen für den Zugang von Bürgern der
neuen EU-Mitgliedstaaten (ausser Zypern und Malta) zu einer Erwerbstätigkeit
von mehr als viermonatiger Dauer vorzusehen (vgl. Art. 10 Ziff. 1a FZA). Weiter
darf eine Zulassung während dieser Übergangsfrist davon abhängig gemacht
werden, dass den hier "in den regulären Arbeitsmarkt integrierten
Arbeitnehmern" Vorrang gewährt wird und die üblichen Entlöhnungs- und
Arbeitsbedingungen eingehalten werden.
Konkretisiert werden diese staatsvertraglichen Bestimmungen in der
bundesrätlichen Verordnung vom 22. Mai 2002 über die schrittweise Einführung
des freien Personenverkehrs zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und
der Europäischen Gemeinschaft und deren Mitgliedstaaten sowie unter den
Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (VEP; SR 142.203).
Deren Art. 38 Abs. 3 sieht vor, dass für Staatsangehörige der neuen
EU-Mitgliedstaaten, die in der Schweiz einer unselbständigen Erwerbstätigkeit
nachgehen, bis (längstens) zum 30. April 2011 die im Freizügigkeitsabkommen
vereinbarten Beschränkungen - insbesondere bezüglich Vorrang der inländischen
Arbeitskräfte, Kontrolle der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie Höchstzahlen -
gelten. Weiter setzt Art. 4 VEP für eine Erwerbstätigkeit von EU-Bürgern in der
Schweiz die Erteilung besonderer "Aufenthaltsbewilligungen EG/EFTA" voraus,
welche bei der zuständigen kantonalen Behörde verlangt werden müssen (Art. 26
VEP). Bevor die Bewilligung erteilt werden kann, hat die kantonale
Arbeitsmarktbehörde mittels Verfügung darüber zu entscheiden, ob die
arbeitsmarktlichen Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sind, wobei sich
das entsprechende Verfahren nach kantonalem Recht richtet (Art. 27 VEP;
Entscheid des Bundesgerichts 2C_334/2007 vom 14. Januar 2008, E. 2).

3.2 Aus dieser Rechtslage ergibt sich ohne weiteres, dass der Beschwerdeführer
auch nach dem 1. April 2006 nicht befugt war, die aus den neuen
EU-Mitgliedstaaten stammenden D.________, E.________, F.________, G.________
ohne Aufenthalts- bzw. Arbeitsbewilligung zu beschäftigen bzw. zu beherbergen.
Die Rüge, das Obergericht habe das FAZ fehlerhaft angewandt, ist unbegründet.

3.3 Der Beschwerdeführer macht in diesem (und auch anderem) Zusammenhang zwar
noch geltend, die Rechtslage für die Beschäftigung von Ausländerinnen sei
derart kompliziert, dass sie nicht einmal den zuständigen Behörden bekannt sei.
Er habe von diesen denn auch unzutreffende Auskünfte erhalten, auf die er habe
vertrauen dürfen. Er scheint damit sinngemäss geltend machen zu wollen, er habe
sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden.
Es mag zwar durchaus sein, dass es für einen juristischen Laien nicht einfach
ist, seine Verpflichtungen bei der Beschäftigung von ausländischen
Staatsangehörigen zu kennen und zu erfüllen. Der einschlägig vorbestrafte
Beschwerdeführer wusste indessen um die damit verbundenen Schwierigkeiten und
hätte sich vor der Einstellung und Beherbergung von Ausländerinnen entsprechend
erkundigen können und müssen, zumal er in seinen Gastwirtschaftsbetrieben
regelmässig Frauen auch aus Ländern anstellt, die nicht oder erst seit kurzem
zur EU gehören. In Bezug auf die Rechtslage für die Anstellung von Angehörigen
der neuen EU-Staaten nach dem 1. April 2006 wurde er zudem vom beco (Amt der
Berner Volkswirtschaftsdirektion) im Februar 2006 schriftlich informiert. Er
kann daher aus älteren, überholten behördlichen Schreiben und Merkblättern
nichts zu seinen Gunsten ableiten, wie das Obergericht zu Recht ausführt
(angefochtener Entscheid S. 28). Dass er konkret in Bezug auf die in diesem
Verfahren zur Diskussion stehenden Arbeits- und Beherbergungsverhältnisse von
den zuständigen Behörden falsche Auskünfte und Zusicherungen erhalten habe,
macht der Beschwerdeführer nicht geltend. Von einem entschuldbaren Rechtsirrtum
kann unter diesen Umständen nicht die Rede sein.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs.
1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. Januar 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Favre Störi