Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.879/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_879/2008

Urteil vom 9. April 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
Gerichtsschreiber Borner.

Parteien
M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch
Rechtsanwalt Thomas Gattlen,

gegen

Generalprokurator des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Nachträgliches Verfahren betreffend Überprüfung der altrechtlich
ausgesprochenen Verwahrung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 3. Strafkammer,
vom 27. August 2008.

Sachverhalt:

A.
Das Kreisgericht II Biel-Nidau verurteilte M.________ am 29. Januar 1999 wegen
Sexualdelikten und ordnete dessen Verwahrung an.

B.
Am 10. Dezember 2007 entschied das Kreisgericht, dass die altrechtliche
Verwahrung als neurechtliche im Sinne von Art. 64 StGB weitergeführt wird.
Auf Appellation von M.________ bestätigte das Obergericht des Kantons Bern am
27. August 2008 den erstinstanzlichen Entscheid.

C.
M.________ führt Beschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei
aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie ein neues Gutachten
einhole.
Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Gutachten erfülle die formellen
Anforderungen an ein Gutachten nicht. Der Gutachter habe eine Frau mit einem
lic.-phil.-Abschluss beigezogen, über deren Ausbildung weder dem angefochtenen
Entscheid noch den Akten etwas zu entnehmen sei. Diese Frau habe als
Erstunterzeichnerin des Gutachtens fungiert und zwei von den insgesamt vier
Besprechungen mit dem Beschwerdeführer durchgeführt. Zudem sei das Gutachten in
der Wir-Form erstattet worden. Indem die Vorinstanz ihr Urteil auf ein
derartiges Gutachten abgestützt habe, habe sie Bundesrecht (Art. 56 Abs. 3 und
4 StGB) verletzt.

2.
Art. 56 StGB lautet:
Das Gericht stützt sich beim Entscheid über die Anordnung einer Massnahme nach
den Artikeln 59-61, 63 und 64 sowie bei der Änderung der Sanktion nach Artikel
65 auf eine sachverständige Begutachtung. Diese äussert sich über:
a. die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer Behandlung des Täters;
b. die Art und die Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten; und
c. die Möglichkeiten des Vollzugs der Massnahme (Abs. 3).
Hat der Täter eine Tat im Sinne von Artikel 64 Absatz 1 begangen, so ist die
Begutachtung durch einen Sachverständigen vorzunehmen, der den Täter weder
behandelt noch in anderer Weise betreut hat (Abs. 4).
Diese (neue) Regelung bestimmt, in welchen Fällen der Richter einen
Sachverständigen beiziehen und über welche Fragen sich das Gutachten
aussprechen muss. Hinsichtlich der Qualifikation eines Gutachters besagt die
Bestimmung lediglich, dass es sich um einen Sachverständigen handeln muss.

3.
Dass der Gutachter kein Sachverständiger sei, behauptet der Beschwerdeführer
nicht. Folglich ist nur zu beurteilen, ob die andere Person einen unzulässigen
Beitrag zum Gutachten beisteuerte.
Am Vortag der Verhandlung erkundigte sich die Vorinstanz telefonisch beim
Gutachter. Dieser gab an, die fragliche Person sei Psychologin und habe beim
Beschwerdeführer eine (Vor-)Untersuchung durchgeführt betreffend persönliche
Verhältnisse, Gesundheitszustand etc. Er selbst habe den Beschwerdeführer
zweimal untersucht und die forensische Anamnese erstellt. Die Befragung zum
Delikt und die Sexualanamnese habe auch er durchgeführt. Die Beurteilung habe
er mit der Psychologin diskutiert, sie stamme aber von ihm (act. 392).
Entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers ergibt sich somit aus den
Akten, dass die Mitunterzeichnerin des Gutachtens diplomierte Psychologin ist.
Dass sie die Hälfte der Befragungen durchgeführt haben soll, trifft auch nicht
zu. Denn für das Gutachten wurde der Beschwerdeführer insgesamt dreimal
exploriert (act. 129 ff.). Die Psychologin führte die erste Exploration durch,
die sich im Gutachten in wenig mehr als zwei Seiten niederschlug (act.
130-132). Die beiden anderen des Gutachters umfassen demgegenüber beinahe 14
Seiten (act. 132- 145). Die Psychologin war im Zeitpunkt, als das Gutachten
erstellt wurde, Mitarbeiterin des Instituts für forensische Psychiatrie und
Psychotherapie in Langenthal und figurierte als solche auch auf dem Briefkopf
des Gutachtens (act. 90).
Die interne Aktennotiz (act. 392) ist in dem Sinne nicht klar, als an die von
der Psychologin durchgeführte Untersuchung betreffend persönliche Verhältnisse
und Gesundheitszustand ein etc. angefügt ist. Dass der Gutachter die
forensische Anamnese, die Befragung zum Delikt, die Sexualanamnese und
insbesondere die Beurteilung selbst erarbeitet hat, wird jedoch deutlich. Das
Argument des Beschwerdeführers, eine Psychologin sei nicht dazu ausgebildet,
den Gesundheitszustand eines Exploranden zu beurteilen, geht an der Sache
vorbei. Die Psychologin musste nämlich nicht irgendwelche Diagnosen stellen,
sondern lediglich beim Beschwerdeführer Daten über seine Vorgeschichte, seine
Krankengeschichte, sein Umfeld usw. erheben (sog. Eigenanamnese).
Dass die eigentliche Beurteilung des Beschwerdeführers - und zwar auch bloss
teilweise - von der Psychologin stammen sollte, hat die Vorinstanz verneint
(angefochtener Entscheid S. 22 lit. b). Die gegenteilige Behauptung des
Beschwerdeführers stützt sich auf reine Mutmassungen. Bezeichnenderweise
erachtete er es nicht für notwendig, an Schranken Beweisanträge zu stellen, um
allenfalls vorhandene Zweifel auszuräumen.
Insgesamt ist festzustellen, dass die konkrete Mitarbeit der Psychologin beim
Erstellen des Gutachtens nicht gegen Art. 56 Abs. 3 und 4 StGB verstösst. Der
Vorwurf an die Vorinstanz, sie habe Bundesrecht verletzt, ist unbegründet.

4.
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da seine
Begehren von vornherein aussichtslos erschienen, ist das Gesuch abzuweisen
(Art. 64 Abs. 1 BGG). Folglich wird er kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Bei der Bemessung der Kosten ist jedoch seinen finanziellen Verhältnissen
Rechnung zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 3.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. April 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Favre Borner