Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.871/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_871/2008/sst

Urteil vom 17. Februar 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Mathys,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
A.X.________, Beschwerdeführer,

gegen

Y.________,
Z.________, Beschwerdegegner,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Eröffnung einer Untersuchung gegen Behördenmitglieder und Beamte
(Körperverletzung, Tätlichkeiten, Amtsmissbrauch),

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, vom 12. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Auf einen Anruf von B.X.________ hin, wonach sie von ihrem Vater
zusammengeschlagen worden sei, rückten am 11. August 2006 vier Beamte der
Stadtpolizei Zürich an die Neunbrunnenstrasse 140 in Zürich aus. Sie
verhafteten dort A.X.________. Nach Darstellung der Polizei versetzte dieser
dabei einem der Beamten einen Fusstritt gegen den Magen, nach Darstellung
A.X.________s wandten diese unnötige Gewalt gegen ihn an, auch dann noch, als
er bereits gefesselt und widerstandsunfähig gewesen sei. Bei der
erkennungsdienstlichen Behandlung durch zwei Zivilangestellte der
Kantonspolizei - Y.________ und Z.________ - vom 12. August 2006 sei es zu
weiteren Übergriffen gekommen, insbesondere habe ihm der grauhaarige Beamte
einen Fusstritt in die Hoden und rund 20 Faustschläge ins Gesicht versetzt.
Am 8. November 2006 erstattete A.X.________ durch seinen Anwalt Strafanzeige
wegen Tätlichkeiten und/oder Körperverletzung sowie eventuell Amtsmissbrauchs
gegen die vier Stadtpolizisten sowie gegen Y.________ und Z.________.
Mit Beschluss vom 28. Februar 2007 [act. 2/5] erwog die Anklagekammer des
Obergerichts des Kantons Zürich, welche über die Eröffnung einer
Strafuntersuchung gegen Behördemitglieder und Beamte zu befinden hat, gegen die
vier Stadtpolizisten keine Strafuntersuchung zu eröffnen, da kein hinreichender
Anfangsverdacht gegen sie bestehe. Bezüglich des zweiten Vorfalls erwog die
Anklagekammer, es läge weder ein Arztbericht vor, noch sei die
Kantonspolizistin, welche angeblich die aufgerissene Lippe A.X.________ gesehen
habe, befragt worden, und wies die Sache an die Staatsanwaltschaft zurück mit
dem Auftrag, die für die Beurteilung des hinreichenden Tatverdachts
erforderlichen Vorabklärungen zu tätigen.
Am 7. Mai 2007 trat die II. Zivilkammer des Obergerichts auf den Rekurs von
A.X.________ gegen den Beschluss der Anklagekammer vom 28. Februar 2007 nicht
ein, weil sein Anwalt die ihm für die Unterzeichnung der Rechtsschrift
angesetzte Nachfrist versäumt hatte. Das Bundesgericht trat am 12. Juni 2007
auf eine Beschwerde von A.X.________ gegen diesen obergerichtlichen Beschluss
nicht ein.

B.
Am 5. Mai 2008 beschloss die Anklagekammer, gegen Y.________ und Z.________
keine Strafuntersuchung zu eröffnen. Sie erwog, A.X.________ habe sich als
Anzeigeerstatter äusserst unkooperativ verhalten und sich sowohl geweigert, der
Vorladung für eine polizeiliche Befragung Folge zu leisten, als auch den
Gefängnisarzt Dr. C.________, der ihn am 14. August 2006 untersucht hatte, vom
Arztgeheimnis zu befreien. Aus den übereinstimmenden Aussagen von Y.________,
Z.________, D.________ und E.________ ergäben sich keine Hinweise darauf, dass
es bei der erkennungsdienstlichen Behandlung zu polizeilichen Übergriffen
gekommen sei.
Am 12. September 2008 wies die II. Zivilkammer den Rekurs von A.X.________
gegen diesen Beschluss der Anklagekammer ab.

C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.X.________, den Entscheid der
Zivilkammer aufzuheben und die Akten mit verbindlichen Weisungen
zurückzuweisen. Gegen Y.________ und Z.________ sei eine Strafuntersuchung
wegen Körperverletzung, Tätlichkeiten und schweren Amtsmissbrauchs an wehrlosen
Opfern zu eröffnen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
Erwägungen:

1.
Nach § 22 Abs. 1 Ziff. 1 i.V.m. Abs. 5 der Zürcher Strafprozessordnung vom 4.
Mai 1919 (StPO) ist auf eine Strafanzeige nicht einzutreten und kein
Strafverfahren zu eröffnen, wenn kein Anfangsverdacht für ein strafbares
Verhalten besteht. Vorliegend hat die Anklagekammer die Eröffnung einer
Strafuntersuchung gegen die beiden Funktionäre der Kantonspolizei, die den
Beschwerdeführer am 11. August 2006 erkennungsdienstlich behandelten, mangels
Tatverdachts abgelehnt, und die Zivilkammer hat diesen Beschluss geschützt. Zu
prüfen ist einzig, ob sie im angefochtenen Entscheid den Anfangsverdacht gegen
die beiden Funktionäre der Kantonspolizei in unhaltbarer Weise verneint hat.
Nicht zum Gegenstand des Verfahrens gehören die weiteren, vom und gegen den
Beschwerdeführer im Zusammenhang mit seiner umstrittenen Verhaftung
angestrengten Strafverfahren. Die Ausführungen des Beschwerdeführers dazu sind
unbeachtlich. Die Zivilkammer hat im angefochtenen Entscheid daher keineswegs
das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt, indem es seine Frau,
seinen Nachbarn und zwei seiner Kinder nicht als Zeugen befragte. Ganz
abgesehen davon, dass er deren Einvernahme in seinem Rekurs vom 24. Mai 2008
gar nicht beantragte, können diese Personen zum Ablauf der
erkennungsdienstlichen Behandlung offensichtlich keine Angaben machen. Soweit
im Folgenden auf Ausführungen in der Beschwerde nicht eingegangen wird, gehen
sie an der Sache vorbei.

2.
2.1 In der Strafanzeige vom 8. November 2006 [act. 2/1] liess der
Beschwerdeführer geltend machen, anlässlich der erkennungsdienstlichen
Behandlung von den Beschwerdegegnern bedroht worden zu sein. Man würde ihn
schlagen und an die Wand schmeissen, falls er bei der Abnahme der
Fingerabdrücke nicht kooperativ sei. Auf seine Bemerkung, dass dies die Nazis
so gemacht hätten, habe ihm einer der beiden Beamten einen Fusstritt in die
Hoden und mindestens 20 Faustschläge ins Gesicht verpasst. Nase und Lippen
hätten geschmerzt. Er habe der Kantonspolizistin, die ihn in die Zelle
zurückgeführt habe, seine aufgerissene Oberlippe gezeigt.

2.2 Im Vorermittlungsverfahren konnten keine Beweismittel erhoben werden, die
diese Beschuldigungen des Beschwerdeführers stützen könnten. Einer
polizeilichen Vorladung, seine Sicht der Dinge als Geschädigter zu Protokoll zu
geben, leistete er keine Folge, und der Gefängnisarzt, der ihn am 14. August
2006 untersucht hatte, konnte nicht befragt werden, da sich der
Beschwerdeführer entgegen seiner in der Strafanzeige gemachten Ankündigung
weigerte, ihn vom Arztgeheimnis zu entbinden. Er begründete seine Weigerung
zwar damit, dass er von zwei Ärzten untersucht worden sei und nicht wisse, um
welchen es bei der Anfrage um die Entbindung vom Amtsgeheimnis gegangen sei.
Dies erscheint als reine Schutzbehauptung, war es doch der Beschwerdeführer
selber, der sich in seiner Strafanzeige auf die ärztliche Untersuchung vom 14.
August 2006 bezog. Abgesehen davon ergeben sich aus den Akten keine Hinweise,
dass ihn noch ein weiterer Arzt kurz nach dem Vorfall untersucht hätte, und
dies widerspricht auch der Darstellung des Beschwerdeführers selber, beklagt er
sich doch (Beschwerde S. 11), man habe ihm am Samstag-Morgen (d.h. am 12.
August 2006) eine ärztliche Untersuchung in Aussicht gestellt, ihm diese dann
aber erst am 14. August 2006 ermöglicht. Der Bericht des Gefängnisarztes wäre
zudem offensichtlich ein erhebliches Beweismittel, hätten ihm doch die Spuren
der angeblich zwei Tage zuvor erlittenen Misshandlungen (aufgerissene Lippe,
Verletzungen am Auge mit bleibenden Sehstörungen) mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit nicht entgehen können. Sein Bericht wäre daher geeignet, die
Version des Beschwerdeführers zu stützen oder auszuschliessen. Dem bei den
Akten liegenden Bericht des Universitätsspitals Zürich vom 30. August 2006
[act. 2/3] ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer an diesem Tag dort
vorstellig geworden war, da er "aufgrund eines Überfalls von vier Männern"
Schmerzen in der rechten Thoraxhälfte auf der Höhe der zehnten Rippe verspürte.
Über Verletzungen im Unterleib oder im Gesicht klagte er nicht, und solche
werden im Arztbericht auch nicht erwähnt.

2.3 Die Beschwerdegegner sagten übereinstimmend aus [act. 2/10 +11], der
Beschwerdeführer habe sich bei der erkennungsdienstlichen Behandlung renitent
verhalten, beim Fotografieren die Augen geschlossen, bei der Abnahme der
Fingerabdrücke die Hand weggezogen und sie als Nazis beschimpft. Sie hätten
daraufhin die erkennungsdienstliche Behandlung abgebrochen und den
Beschwerdeführer in eine Abstandszelle geführt, indem sie ihn in die Mitte
genommen und ihn je am Oberarm und am Handgelenk gefasst hätten. Daraufhin
hätten sie den diensthabenden Vorgesetzten, Korporal D.________, geholt, dem es
durch längeres Zureden gelungen sei, den Beschwerdeführer soweit zu bringen,
die erkennungsdienstliche Behandlung über sich ergehen zu lassen und
anschliessend die Zellentüre, die er mit seinen geschwärzten Händen verschmiert
habe, zu säubern. D.________ bestätigte diese Darstellung [act. 2/12]; er hat
beim Beschwerdeführer keine Verletzungen festgestellt. E.________, die den
Beschwerdeführer nach der erkennungsdienstlichen Behandlung zurück ins
Polizeigefängnis brachte, konnte sich wegen dessen renitenten Verhaltens an ihn
erinnern; Verletzungen habe sie keine feststellen können [act. 2 /14].

2.4 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass der Beschwerdeführer zwar
einerseits schwere Beschuldigungen gegen die Beschwerdegegner erhebt und eine
Strafverfolgung gegen sie fordert, anderseits aber bereits die Vorermittlungen
behindert bzw. verunmöglicht hat, indem er sich weigerte, den Vorfall gegenüber
der Polizei zu Protokoll zu geben und den Gefängnisarzt vom Amtsgeheimnis zu
befreien. Dieses Vorgehen grenzt an verfassungsrechtlich verpöntes treuwidriges
Handeln ("venire contra factum proprium"; Art. 5 Abs. 3 BV). Seine
Anschuldigungen erscheinen daher wenig glaubhaft und sind damit kaum geeignet,
die übereinstimmenden und sich gegenseitigstützenden, plausiblen Aussagen von
Y.________, Z.________, D.________ und E.________ zu widerlegen, nach denen der
Beschwerdeführer bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht geschlagen
wurde bzw. nach dieser keine sichtbaren Verletzungen im Gesicht aufwies. Als
einzige erfolgsversprechende Möglichkeit, den Sachverhalt weiter abzuklären,
böte sich die Befragung des Gefängnisarztes an, der den Beschwerdeführer kurz
nach dem Vorfall untersuchte. Dies scheitert indessen an dessen Weigerung, ihn
vom Arztgeheimnis zu befreien. Die Schlussfolgerung der Zivilkammer im
angefochtenen Entscheid, die vom Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfe liessen
sich nicht erhärten, ist zutreffend. Es ist daher nicht zu beanstanden und
verletzt keine verfassungsmässigen Rechte des Beschwerdeführers, dass sie gegen
die Beschwerdegegner kein Strafverfahren eröffnen liess. Die Beschwerde ist
unbegründet.

3.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs.
1 BGG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt, welches
indessen abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1
BGG). Der finanziellen Situation des Beschwerdeführers wird durch eine
reduzierte Gerichtsgebühr Rechnung getragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von 800.-- Franken werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. Februar 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Favre Störi