Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.869/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_869/2008/sst

Urteil vom 21. Januar 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Mathys,
Gerichtsschreiberin Koch.

Parteien
X.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Bettoni,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Aufschub der Freiheitsstrafe zu Gunsten einer ambulanten Behandlung (Art. 63
Abs. 2 StGB),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 5. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Das Bezirksgericht Winterthur verurteilte X.________ am 12. September 2007
wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer unbedingten
Freiheitsstrafe von 16 Monaten und einer Busse von Fr. 1'000.--. Es ordnete
zudem eine ambulante Behandlung an und schob den Vollzug der Freiheitsstrafe zu
diesem Zweck auf. Auf Berufung der Staatsanwaltschaft entschied das Obergericht
des Kantons Zürich am 5. September 2008, die ambulante Behandlung von
X.________ sei während des Strafvollzugs und im Anschluss daran durchzuführen.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, die entsprechende Ziffer
des Urteils des Obergerichtes des Kantons Zürich sei aufzuheben und es sei der
Strafvollzug zugunsten der ambulanten Behandlung aufzuschieben. Eventualiter
sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz setze sich willkürlich
über die Tatsache hinweg, dass die vom Gutachter empfohlene ambulante Massnahme
im Strafvollzug bei Frauen gar nicht durchgeführt werden könne. Dies sei ein
Mangel auf Vollzugsebene und dürfe sich insofern nicht zu ihrem Nachteil
auswirken, als ihr die vom Gutachter konkret empfohlene (richtige) Massnahme
verweigert, diese auf unbestimmte Zeit verschoben oder für die Dauer des
Strafvollzugs unterbrochen werde. Mit der ersten Instanz sei vielmehr davon
auszugehen, dass der sofortige Vollzug der ausgefällten Freiheitsstrafe die
erfolgreiche Behandlung verhindern und damit die Rückfallgefahr erhöhen würde.
Mit der Feststellung, wonach "bei Unmöglichkeit der kontrollierten Heroinabgabe
während des Strafvollzugs eine andere Suchtbehandlung Platz greifen müsse",
unterstelle die Vorinstanz überdies, dass es eine solche Alternative gebe, ohne
dies durch ein psychiatrisches Ergänzungsgutachten abgeklärt zu haben. Dies
stelle ein unzulässige antizipierte Beweiswürdigung und damit eine Verletzung
des Willkürverbotes und des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Die
Beschwerdeführerin hält fest, im Ergebnis werde ihr eine Massnahme verweigert,
welche sich angesichts des chronischen Suchtverlaufs nachgerade aufdränge.

1.2 Die Vorinstanz hält im wesentlichen und zusammenfassend fest, dass die
Aussichten auf einen erfolgreichen Verlauf der in Angriff genommenen Behandlung
keinesfalls als so günstig erscheinen, dass es sich rechtfertigen würde, der
Beschwerdeführerin nach fast zehn Jahren erfolgloser Therapieversuche und sechs
aufgeschobener Freiheitsstrafen erneut einen Vollzugsaufschub zu gewähren.
Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Strafvollzug eine Chance bringe,
während einer gewissen Zeit Distanz zum Drogenmilieu zu gewinnen und sich an
eine geregelte Tagesstruktur zu gewöhnen. Damit dürfte der Strafvollzug die
Aussichten einer nachfolgenden Therapie eher verbessern als verschlechtern. Bei
dieser Sachlage sei die ambulante Suchtbehandlung vollzugsbegleitend und -
soweit während des Strafvollzugs nicht praktikabel - im Anschluss an den
Strafvollzug durchzuführen.

2.
2.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Strafe zugunsten der
ambulanten Massnahme aufzuschieben, wenn eine tatsächliche Aussicht auf
erfolgreiche Behandlung durch den sofortigen Vollzug der ausgefällten
Freiheitsstrafe erheblich beeinträchtigt würde. Die Therapie geht vor, falls
eine sofortige Behandlung gute Resozialisierungschancen bietet, welche der
Strafvollzug klarerweise verhindern oder vermindern würde. Dabei sind
einerseits die Auswirkungen des Strafvollzugs, die Erfolgsaussichten der
ambulanten Behandlung und die bisherigen Therapiebemühungen zu berücksichtigen,
andererseits aber auch das kriminalpolitische Erfordernis, Straftaten
schuldangemessen zu ahnden bzw. rechtskräftige Strafen grundsätzlich zu
vollziehen.
Wo ein Therapieerfolg wahrscheinlich ist, sollte nach der Praxis des
Bundesgerichts - tendenziell - zunächst ärztlich behandelt werden. Ein Aufschub
rechtfertigt sich aber nur, wenn die ambulante Therapie (ausserhalb des
Strafvollzugs) im konkreten Einzelfall aktuelle und günstige
Bewährungsaussichten eröffnet, die durch den Strafvollzug zunichte gemacht oder
erheblich vermindert würden. Unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgebotes
muss der Behandlungsbedarf um so ausgeprägter sein, je länger die zugunsten der
ambulanten Therapie aufzuschiebende Freiheitsstrafe ist. Die ambulante
Massnahme darf im Übrigen nicht dazu missbraucht werden, den Vollzug der Strafe
zu umgehen oder auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben. Ein Aufschub muss sich
aus Gründen der Heilbehandlung hinreichend rechtfertigen (vgl. zum Ganzen BGE
129 IV 161 E. 4.1 - 4.4).

2.2 Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, wenn sie den Vollzug der
Freiheitsstrafe nicht aufschiebt. Es kann keine Rede davon sein, dass die in
der Form von Heroinabgabe angeordnete ambulante Massnahme eine günstige
Bewährungsaussicht bietet, die durch den sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe
erheblich vermindert würde. Um die Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten zu
reduzieren, empfiehlt der Gutachter, die Beschwerdeführerin - die seit über 20
Jahren erheblich heroinabhängig ist - sei an die Stelle für kontrollierte
Drogenabgabe (IKARUS) anzubinden. Hierdurch könne sichergestellt werden, dass
sie ihren Beikonsum von Heroin erhalte und nicht auf dem Drogenmarkt einkaufen
müsse, wodurch weitere Drogendelikte mit allergrösster Wahrscheinlichkeit
verhindert werden könnten. Nach Auffassung des Gutachters kann diese Massnahme
auch bei vorherigem Strafvollzug durchgeführt werden. Die kontrollierte
Heroinabgabe mag ein drogenfreies Leben als Fernziel haben. In erster Linie
geht es jedoch um die Verbesserung der Lebensbedingungen des Süchtigen.
Vordringliches Thema der Betreuung ist eine intensive Mithilfe bei der
Schaffung einer Tagesstruktur, etwa ein geregeltes Wohnen und eine sinnvolle
Arbeitstätigkeit (Heer, Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl. 2007, N. 10 zu
Art. 63 StGB mit Hinweisen). Wie die Vorinstanz zu Recht festhält, sind diese
Bedingungen namentlich auch während eines Strafvollzugs erfüllt. Ganz allgemein
macht die Einnahme von abgegebenem Heroin während des Vollzugs wenig Sinn, da
der Betroffene kaum der Versuchung ausgesetzt ist, im Hinblick auf seine Sucht
deliktisch tätig zu sein. In solchen Fällen erscheint es sachgerecht, mit der
Abgabe dieser Mittel erst kurz vor oder gar bei der Entlassung zu beginnen
(a.a.O. N. 23 mit Hinweisen). Es spricht grundsätzlich auch nichts dagegen, die
bereits laufende Heroinabgabe für die Dauer einer Strafverbüssung zu
unterbrechen. Ob es aus organisatorischen oder anderen Gründen überhaupt
möglich ist, Heroin im Strafvollzug abzugeben, ist deshalb nicht von Bedeutung.
Auf die entsprechenden Ausführungen der Beschwerdeführerin ist nicht
einzugehen.

3.
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind
die bundesgerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Januar 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Favre Koch