Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.782/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_782/2008

Urteil vom 12. Mai 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Ferrari, Favre, Zünd, Mathys,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
6B_782/2008
Y.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Fingerhuth,

gegen

S.________,
T.________,
Beschwerdegegner,
beide vertreten durch
Rechtsanwältin Renate Vitelli-Jucker,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Eröffnung einer Untersuchung gegen Behördenmitglieder und Beamte,

Beschwerde in Strafsachen gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich, II. Zivilkammer, vom 11. August 2008.

Sachverhalt:

A.
Z.________ versuchte am 28. November 2002, im Zustand völliger
Unzurechnungsfähigkeit, mit einem Messer einen Polizeibeamten zu töten. Am 12.
Juni 2004 wurde er deswegen vom Obergericht des Kantons Zürich letztinstanzlich
mit einer stationären Massnahme belegt. Im Mai 2005 wurde er bedingt entlassen.
Ein Jahr später wurde die Entlassung widerrufen. Am 23. August 2007 ordnete
Oberrichter A.________, gestützt auf ein neues psychiatrisches Gutachten,
Sicherheitshaft gegen Z.________ an, welche in der Folge nicht vollzogen wurde.
Am 1. September 2007 wurde Z.________ von der Stadtpolizei Uster zwangsweise in
die Psychiatrische Klinik M.________ eingeliefert, wobei die Amtsärztin
B.________, welche die Fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE) anordnete, von
einer Fremdgefährdung ausging. Am 3. September 2007 stellte Z.________ ein
Entlassungsgesuch. Der zuständige Einzelrichter am Bezirksgericht N.________,
X.________, setzte die Hauptverhandlung auf den 7. September 2007 an und
bestellte bei Dr. Y.________ ein psychiatrisches Gutachten. Z.________ wurde,
insbesondere gestützt auf dieses an der Hauptverhandlung vorgetragene
Gutachten, am 7. September aus der FFE entlassen.
Am 16. September 2007 erstach Z.________ in P.________ den Taxichauffeur
C.________.

B.
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich hegte den Verdacht, verschiedene
mit Z.________ beruflich befasste Beamte und Richter seien durch strafrechtlich
relevantes Fehlverhalten dafür verantwortlich, dass sich dieser am 16.
September 2007 auf freiem Fuss befand, und hätten sich daher möglicherweise der
fahrlässigen Tötung schuldig gemacht. Sie tätigte entsprechende Vorabklärungen
und beantragte am 15. Januar 2008 der Anklagekammer des Zürcher Obergerichts,
gegen verschiedene Personen, darunter Dr. Y.________, eine Strafuntersuchung zu
eröffnen.
Die Anklagekammer kam in ihrem Entscheid vom 29. Februar 2008 zum Schluss, Dr.
Y.________ sei kein Beamter im Sinne von Art. 110 Abs. 3 StGB und trat auf das
Gesuch, gegen ihn eine Strafuntersuchung zu eröffnen, nicht ein.
Gegen diesen Beschluss der Anklagekammer rekurrierten die Staatsanwaltschaft
IV, die Mutter des Opfers und ihr Lebenspartner sowie Dr. Y.________. Die II.
Zivilkammer des Obergerichts trat am 11. August 2008 auf den Rekurs der
Geschädigten nicht ein, hiess aber den Rekurs der Staatsanwaltschaft gut und
eröffnete gegen Dr. Y.________ eine Strafuntersuchung.

C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt Dr. Y.________, den Entscheid der
Zivilkammer, gegen ihn eine Strafuntersuchung zu eröffnen, aufzuheben und die
Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, oder eventualiter diesen Entscheid
aufzuheben und reformatorisch zu entscheiden, gegen ihn keine Strafuntersuchung
zu eröffnen.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Erwägungen:

1.
1.1 Nach § 22 Abs. 1 Ziff. 1 i.V.m. Abs. 5 der Zürcher Strafprozessordnung vom
4. Mai 1919 (StPO) ist auf eine Strafanzeige nicht einzutreten und kein
Strafverfahren zu eröffnen, wenn kein Anfangsverdacht für ein strafbares
Verhalten vorliegt. Darüber befindet nach § 22 Abs. 5 StPO in der Regel die
Untersuchungsbehörde. Steht hingegen die Eröffnung einer Strafuntersuchung oder
das Nichteintreten auf eine Strafanzeige gegen einen Beamten in Frage, der im
Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit einer strafbaren Handlung
verdächtigt wird, entscheidet darüber die Anklagekammer des Obergerichts (§ 22
Abs. 6 StPO). Da kantonale Beamte (anders als Oberrichter A.________, vgl.
6B_413/2008) keine Strafverfolgungsprivilegien geniessen, dürfen dabei
ausschliesslich straf- bzw. strafprozessrechtliche Gesichtspunkte
berücksichtigt werden. Der einzige Unterschied zu "gewöhnlichen" Verfahren
besteht darin, dass ein Gericht, nicht die normalerweise zuständige
Untersuchungsbehörde darüber entscheidet, ob eine Strafuntersuchung zu eröffnen
sei oder nicht. Damit ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig.

1.2 Der angefochtene Entscheid schliesst das Verfahren gegen den
Beschwerdeführer nicht ab, sondern ordnet im Gegenteil die Eröffnung eines
Strafverfahrens gegen ihn an. Es handelt sich somit nicht um einen End-,
sondern um einen Zwischenentscheid. Als solcher ist er nach Art. 93 Abs. 1 BGG
nur anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher
Natur (BGE 133 IV 139 E. 4) bewirken könnte (lit. a), oder wenn die Gutheissung
der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen
bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren
ersparen würde (lit. b).

1.3 Die Durchführung eines Strafverfahrens begründet keinen Nachteil
rechtlicher Natur, der mit einem für den Angeschuldigten günstigen Entscheid
nicht behoben werden könnte. Das Bundesgericht hat in BGE 133 IV 139 E. 4 seine
jahrzehntealte, konstante Rechtsprechung (BGE 115 Ia 311 E. 2c; 98 Ia 239; 63 I
313 E. 2) ausdrücklich ins neue Recht überführt. Seither haben sich weder die
Sach- noch die Rechtslage in einer Weise verändert, die zu einer erneuten
Überprüfung dieser Praxis Anlass geben könnte.

1.4 Fraglich kann daher nur sein, ob auf die Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1
lit. b BGG eingetreten werden kann.
1.4.1 Die Regelung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG stammt aus dem
Zivilprozessrecht (Art. 50 Abs. 1 OG) und wurde zwecks "willkommener"
Rechtsvereinheitlichung in die Einheitsbeschwerde übernommen (Botschaft vom 28.
Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4333 f.). Sie
ist auf Zivilprozesse zugeschnitten und soll die Parteien vor unnötig hohen
Kosten bewahren. So kann es durchaus sinnvoll sein, zunächst über den Bestand
einer Zivilforderung zu befinden, um umfangreiche und teure Beweiserhebungen
zum Quantitativ vorerst zu vermeiden. Wird die Forderung im Grundsatz
anerkannt, liegt ein Zwischenentscheid vor, dessen Anfechtung Art. 93 Abs. 1
lit. b BGG aus prozessökonomischen Gründen zulässt. Dies ist indessen nur
sinnvoll, weil die Parteien über den Verfahrensgegenstand frei verfügen und vom
Prozess nach diesem Zwischenentscheid Abstand nehmen können, um sich etwa über
die Höhe der Forderung vergleichsweise zu einigen.
1.4.2 Im Strafprozess, der dem Legalitätsprinzip unterworfen ist, stellt Art.
93 Abs. 1 lit. b BGG hingegen einen Fremdkörper dar. Besteht ein hinreichender
Tatverdacht und sind die Prozessvoraussetzungen gegeben, muss das
Strafverfahren ungeachtet zu erwartender hoher Kosten durchgeführt werden. Zwar
würde die Gutheissung einer Beschwerde gegen die Eröffnung eines
Strafverfahrens dessen Durchführung unterbinden und damit Kosten sparen.
Allerdings trägt die Kosten eines ungerechtfertigten Strafverfahrens ohnehin
der Staat, nicht der unzulässigerweise in ein solches Verfahren einbezogene
Angeschuldigte. Da für ihn selber durch die fehlerhafte Eröffnung eines
Strafverfahrens gegen ihn somit keine Kosten anfallen, ist er nicht
legitimiert, diese zwecks Kostenvermeidung im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. b
BGG anzufechten. Dies gilt in gleicher Weise auch für die Anfechtung weiterer
Zwischenentscheide, die das Strafverfahren weiterführen, wie Überweisungs- und
Anklagezulassungsbeschlüsse.
1.4.3 Dazu kommt, dass Strafprozesse beförderlich geführt werden müssen. Sie
unterliegen dem verfassungs- und konventionsrechtlichen Beschleunigungsgebot
(dazu BGE 133 IV 158 E. 8 S. 170, 130 IV 54 E. 3.3 mit Hinweisen). Damit ist
schlechterdings nicht vereinbar, dass verfahrensleitende Zwischenentscheide im
Strafverfahren nach Massgabe von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG anfechtbar sind.
Jeder von ihnen kann, wenn er auf Weiterführung des Strafverfahrens lautet,
unter Umständen grosse Kosten verursachen, die bei einer Einstellung des
Verfahrens nicht anfielen, und müsste daher vom Bundesgericht auf Beschwerde
materiell geprüft werden. Könnte der Angeschuldigte mit dem Argument der
Kostenvermeidung alle diese Eröffnungs-, Überweisungs- und
Anklagezulassungsbeschlüsse anfechten, hätte er es in der Hand, durch Anhäufung
von Rechtsmitteln die Strafjustiz faktisch lahmzulegen oder sie zumindest in
unhaltbarer Weise zu behindern. Das Bundesgericht hat daher wiederholt erkannt,
Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG müsse bei Strafverfahren besonders restriktiv
angewandt werden, um zu verhindern, dass solche Zwischenentscheide anfechtbar
würden (BGE 133 IV 288 E. 3.2; Entscheide 6B_382/2008 vom 5. August 2008 E.
2.2.1; 6B_261/2007 vom 4. September 2007 E. 1.2; 6B_23/2007 vom 2. April 2007
E. 1.2.1). Dies gilt umso mehr, als die Kantone nach dem Ablauf der
Übergangsfrist von Art. 130 Abs. 1 BGG verpflichtet wären, gegen diese
Entscheide ein kantonales Rechtsmittel zu gewährleisten (Art. 80 Abs. 2 BGG),
womit alle diese Zwischenentscheide einer zweistufigen Überprüfung zugänglich
wären. Folgerichtig sind nach der Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5.
Oktober 2007 (BBl 2007 6977 ff.), die allerdings noch nicht in Kraft steht,
derartige Zwischenentscheide nicht anfechtbar: Entscheid über die Einleitung
des Vorverfahrens (Art. 300 Abs. 2), Entscheid über die Eröffnung der
Untersuchung (Art. 309 Abs. 3), die Mitteilung des Abschlusses der Untersuchung
(Art. 318 Abs. 3) und die Anklageerhebung (Art. 324 Abs. 2).

2.
Auf die Beschwerde ist somit nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Der Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 2'000.-- zu
bezahlen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Mai 2009

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Störi