Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.76/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_76/2008 /hum

Urteil vom 18. März 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Zünd,
Gerichtsschreiber Willisegger.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher
Serge Flury,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Rechtsüberholen auf der Autobahn,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,
3. Kammer, vom 4. Dezember 2007.

Sachverhalt:
A.
Am 8. März 2006 um 13.15 Uhr überholte X.________ auf der Autobahn A1 in
Fahrtrichtung Zürich ein sich auf der linken Fahrspur befindliches
Dienstfahrzeug der Polizei rechts und schwenkte vor ihm auf die Überholspur
ein.
B.
Mit Strafbefehl vom 10. Juli 2006 verurteilte ihn das Bezirksamt Aarau in
Anwendung von Art. 90 Ziff. 2 SVG zu einer Busse von Fr. 500.--.
C.
Auf Einsprache hin erklärte das Gerichtspräsidium Aarau am 20. April 2007
X.________ des Rechtsüberholens auf der Autobahn gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG
(einfache Verletzung von Verkehrsregeln) schuldig und verurteilte ihn zu einer
Busse von Fr. 500.--.
D.
In Gutheissung einer Berufung der Staatsanwaltschaft erklärte das Obergericht
des Kantons Aargau am 4. Dezember 2007 X.________ des Rechtsüberholens auf der
Autobahn gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG (grobe Verletzung von Verkehrsregeln)
schuldig und bestrafte ihn mit eine Busse von Fr. 500.--.
E.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil des Obergerichts
vom 4. Dezember 2007 mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, er
sei des Rechtsüberholens auf der Autobahn gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig
zu sprechen und mit einer Busse von Fr. 300.-- zu bestrafen.

Vernehmlassungen wurden nicht eingeholt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die tatsächlichen
Feststellungen durch die Vorinstanz können nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich sind oder auf einer Verletzung von
schweizerischem Recht im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 BGG).
Unter den gleichen Voraussetzungen kann das Bundesgericht die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz ausnahmsweise von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen (Art. 105 Abs. 2 BGG), ist aber zur
Sachverhaltsergänzung nicht verpflichtet (BGE 133 IV 293 E. 3.4.2 S. 295).

Soweit der Beschwerdeführer sich an verschiedenen Stellen seiner Beschwerde
gegen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz richtet und diese ergänzt
haben will - etwa dahin gehend, dass er den "Spurwechsel mit Blinkzeichen noch
angekündigt habe", der überholte Polizeibeamte "nicht überrascht worden" und
ein "geübter Lenker" sei (Beschwerde, S. 4 und 6) - ist er nicht zu hören. Denn
dass die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung willkürlich wäre, wird vom
Beschwerdeführer nicht einmal behauptet, geschweige denn begründet. Auf seine
Beschwerde ist insoweit nicht einzutreten.
2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verurteilung wegen grober Verletzung
von Verkehrsregeln nach Art. 90 Ziff. 2 SVG verletze Bundesrecht.
2.1 Gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG wird bestraft, wer durch grobe Verletzung der
Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft
oder in Kauf nimmt.

Der Tatbestand ist nach der Rechtsprechung objektiv erfüllt, wenn der Täter
eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die
Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die
Sicherheit anderer im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG ist bereits beim Vorliegen
einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Die erhöhte abstrakte Gefahr
setzt die nahe liegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung
voraus.

Subjektiv erfordert der Tatbestand ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend
regelwidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, mindestens grobe
Fahrlässigkeit. Dies ist immer zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen
Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist (BGE 131 IV 133 E.
3.2 S. 136 mit zahlreichen Hinweisen).
2.2 Nach zutreffender Auffassung der Vorinstanz ist das Verbot des
Rechtsüberholens, das aus Art. 35 Abs. 1 SVG folgt, eine wichtige
Verkehrsvorschrift. Wer auf der Autobahn fährt, muss sich darauf verlassen
können, dass er nicht plötzlich rechts überholt wird. Das Rechtsüberholen auf
der Autobahn, wo hohe Geschwindigkeiten gefahren werden, stellt eine erhöht
abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer dar (BGE 126 IV 192 E. 2a und
3, mit Hinweisen).

Für den vorliegenden Fall stellt die Vorinstanz Folgendes fest: Im fraglichen
Zeitpunkt herrschte ein erhöhtes Verkehrsaufkommen nur auf der linken Fahrspur.
Ein Lastwagen war im Begriff, einen anderen, sich auf der Normalspur
befindlichen Lastwagen zu überholen, konnte allerdings nur verlangsamt an ihm
vorbeifahren. Es bildete sich deshalb auf der Überholspur eine Kolonne,
bestehend aus dem überholenden Lastwagen, zwei Personenwagen und dem zivilen
Polizeifahrzeug. Der Beschwerdeführer fuhr mit einer Geschwindigkeit von mehr
als 85 km/h am Polizeifahrzeug rechts vorbei und schwenkte auf die linke
Fahrspur ein, so dass der lenkende Polizeibeamte zwecks Reduktion der
Geschwindigkeit den Fuss kurz vom Gaspedal wegnehmen musste (angefochtenes
Urteil, S. 4).

Die Vorinstanz nimmt an, das gefährliche Manöver des Beschwerdeführers hätte
ohne weiteres eine Fehlreaktion des Überholten oder auch weiterer
Verkehrsteilnehmer verursachen können, vor allem deshalb, weil der Spurwechsel
zu einem Zeitpunkt erfolgte, als mehrere Fahrzeuge gleichzeitig im Begriff
waren, den Lastwagen zu überholen. Hinzu komme, dass das verkehrsregelwidrige
Rechtsüberholmanöver rund sechs Sekunden dauerte. Ein Manöver solcher Dauer
bedeute eine zusätzliche Ablenkungsgefahr des Fahrzeuglenkers auf der
Überholspur, der nicht verpflichtet war, auf ihn rechts überholende Fahrzeuge
Rücksicht zu nehmen. Das Verhalten des Beschwerdeführers sei daher geeignet
gewesen, den Lenker des überholten Fahrzeugs zu einem abrupten Abbremsmanöver
zu veranlassen. Dies wiederum hätte zu einer massiven Gefährdung der
nachfolgenden Verkehrsteilnehmer (Gefahr von Auffahrkollisionen) und,
insbesondere auf der Autobahn, zu Unfällen mit unabsehbaren Folgen führen
können. Die Missachtung des Rechtsüberholverbotes habe im konkreten Fall somit
eine erhebliche, mindestens abstrakte Gefährdung der Verkehrssicherheit mit
beträchtlicher Unfallgefahr nach sich gezogen (angefochtenes Urteil, S. 5 f.).

Die vorinstanzlichen Erwägungen stehen - entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers - mit BGE 126 IV 192 im Einklang. Die Annahme, der objektive
Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG sei vorliegend erfüllt, verletzt kein
Bundesrecht.
2.3 In subjektiver Hinsicht nimmt die Vorinstanz in Bezug auf die Gefährdung
bewusste Fahrlässigkeit an. Sie stellt dazu fest, dass der Beschwerdeführer als
langjähriger Polizeibeamte im Streifendienst das Rechtsüberholverbot und die
möglichen Gefahren eines entsprechend verkehrsregelwidrigen Verhaltens kannte.
Indem er sich dennoch über das Verbot hinwegsetzte und pflichtwidrig davon
ausging, es werde keine Gefahr eintreten, habe er bewusst fahrlässig im Sinne
von Art. 90 Ziff. 2 SVG gehandelt. Auch insoweit verletzt der angefochtene
Entscheid Bundesrecht nicht.
3.
Die Beschwerde ist als unbegründet abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden
kann. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 18. März 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Willisegger