Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.698/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_698/2008 /hum

Urteil vom 4. Dezember 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Favre, Zünd,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Roger Gebhard,

gegen

A.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Ulrich Sommerhalder,
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Herrenacker 26, 8200 Schaffhausen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Einfache Körperverletzung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 15.
Mai 2008.

Sachverhalt:

A.
Der Untersuchungsrichter des Kantons Schaffhausen stellte am 26. April 2005 das
Strafverfahren gegen A.________ wegen einfacher Körperverletzung ein. Zur
Begründung führte er an, es sei angesichts der zumeist parteiischen und wenig
zuverlässigen Aussagen der Auskunftspersonen nicht nachgewiesen, dass
A.________ am 22. Mai 2004 im Fussballstadion Breite in Schaffhausen X.________
mit einem Stein ins Gesicht geschlagen habe.

Auf Einsprache des Geschädigten X.________ hin hob die Staatsanwaltschaft des
Kantons Schaffhausen diese Einstellungsverfügung am 9. August 2005 auf.

Mit Strafbefehl vom 15. Februar 2006 verurteilte der Untersuchungsrichter des
Kantons Schaffhausen A.________ wegen einfacher Körperverletzung zu einer
bedingten Gefängnisstrafe von 14 Tagen.

A.________ erhob Einsprache gegen den Strafbefehl und wurde vom Einzelrichter
des Kantonsgerichts Schaffhausen am 16. November 2006 wegen einfacher
Körperverletzung zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 14 Tagen verurteilt.
Die Genugtuungs- und Schadenersatzforderung von X.________ verwies er auf den
Zivilweg.

Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hiess am 15. Mai 2008 die Berufung von
A.________ gut, sprach ihn frei und trat auf die Genugtuungs- und
Schadenersatzforderung des Geschädigten nicht ein.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das obergerichtliche Urteil
aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zu neuem Entscheid zurückzuweisen.
Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
Erwägungen:

1.
Dem Beschwerdeführer wurden beim umstrittenen Vorfall vom Beschwerdegegner
(angeblich) verschiedene Verletzungen zugefügt (Hirnerschütterung,
Nasenbeinprellung, Schürfwunden, Prellungen und Hämatome im Gesicht). Er ist
damit Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG und, da er Zivilforderungen geltend
macht, befugt, den Freispruch in der Sache anzufechten (Art. 8 Abs. 1 OHG).

2.
Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht willkürliche Beweiswürdigung vor.

2.1 Art. 9 BV gewährleistet den Anspruch darauf, von den staatlichen Organen
ohne Willkür behandelt zu werden. Auf dem Gebiet der Beweiswürdigung steht den
kantonalen Instanzen ein weiter Ermessensspielraum zu. Willkür in der
Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen
ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder
auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dabei genügt es nicht, wenn sich der
angefochtene Entscheid lediglich in der Begründung als unhaltbar erweist; eine
Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig
ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41; 124 IV 86 E. 2a S. 88, je mit Hinweisen).

2.2 Beide kantonalen Instanzen sind sich insoweit einig, als sie auf die
Aussagen der verschiedenen Auskunftspersonen und Zeugen, welche sich nahe beim
Tatort befanden, nicht abstellen, da diese widersprüchlich und parteiisch
seien. Für die erste Instanz ist der Anklagevorwurf, der Beschwerdegegner habe
den Beschwerdeführer mit der Faust ins Gesicht geschlagen, aufgrund des
Rapports und der Zeugenaussage des Schiedsrichters S.________, der Aussage des
Zeugen Z.________ und dem Verletzungsbild - einem sogenannten Monokelhämatom,
welches nur durch einen Schlag, nicht aber durch den anschliessenden Sturz
erklärbar sei - erwiesen.

2.3 Das Obergericht hat erwogen (angefochtener Entscheid E. 4 S. 8 ff.), sowohl
die Schilderung des Beschwerdeführers, wonach er vom Beschwerdegegner während
der unbestrittenen Auseinandersetzung absichtlich ins Gesicht geschlagen worden
sei, als auch die Aussage des Beschwerdegegners, die Verletzungen des
Beschwerdeführers seien ohne sein Zutun entstanden, seien grundsätzlich
vorstellbar. Wie sich aus den ergänzenden Ausführungen des Gutachters ergebe,
sei das Verletzungsbild entgegen der Annahme der Vorinstanz mit beiden
Versionen vereinbar. Fehle es somit an einer "objektiven Beweisgrundlage" für
die Herkunft der Verletzungen, komme der Aussage von S.________ besonderes
Gewicht zu, da er mit keiner der Streitparteien bekannt sei und als
unabhängiger Spielleiter und Autoritätsperson über eine erhöhte Glaubwürdigkeit
verfüge. Nach dem obligatorischen Schiedsrichterrapport hätten sich der
Beschwerdeführer und der Beschwerdegegner zunächst auf der Haupttribüne
gestritten. In der 82. Spielminute habe sich der Beschwerdegegner dem
Beschwerdeführer auf der Stehrampe genähert und ihn mit einem Stein in der Hand
oberhalb des linken Auges geschlagen. In der untersuchungsrichterlichen
Einvernahme habe er dann als Zeuge ausgesagt, der Beschwerdegegner habe den
Beschwerdeführer mit der Hand geschlagen, erst beim Spielunterbruch mit
Tatortbesichtigung habe er auf dem Boden den Stein gesehen, er könne aber nicht
sicher sagen, ob der Schlag mit dem Stein ausgeführt worden sei. Entgegen der
Auffassung der Vorinstanz seien damit die Darlegungen des Schiedsrichters
keineswegs widerspruchsfrei. In seiner Zeugenaussage habe er den Rapport
relativiert, was die Aussagekraft sowohl des Rapports als auch der
Zeugenaussage erheblich vermindere. Fest stehe nur, dass der Schiedsrichter auf
die Auseinandersetzung des Beschwerdeführers mit dem Beschwerdegegner
aufmerksam geworden sei, da er aus diesem Grund das Spiel unterbrochen habe. Es
sei indessen nicht erstellt, dass er den ganzen Ablauf der Auseinandersetzung
mit hinreichender Genauigkeit habe verfolgen können, da er doch seine
Aufmerksamkeit primär dem sich ständig in Bewegung befindenden Ball habe widmen
müssen. Er habe daher das Geschehen auf den Tribünen realistischerweise nur
fragmentarisch beobachten können, weshalb nicht auszuschliessen sei, dass er
beim Verfassen des Rapports unbewusst lückenhafte Wahrnehmungen durch
Interpretationen geschlossen habe, was zu einem Zerrbild hätte führen können.
Ebenso sei nicht auszuschliessen, dass er sich bei der Beobachtung des
Streitgeschehens schlicht getäuscht haben könnte. Ohne die Seriosität und die
Glaubwürdigkeit des Schiedsrichters grundsätzlich in Frage zu stellen, kommt
das Obergericht, gestützt auf diese Überlegungen, zum Schluss, dessen nicht
übereinstimmende Darlegungen in Rapport und Aussage würden für eine
anklagegemässe Verurteilung nicht ausreichen. Mit der Vorinstanz sei indessen
davon auszugehen, dass die Aussagen der weiteren Auskunftspersonen und Zeugen,
die sich in der Nähe des Tatorts aufgehalten hätten, wenig ergiebig oder
widersprüchlich und unzuverlässig seien, sodass darauf nicht abgestellt werden
könne. Dies gelte auch für die aus einer Distanz von 70-80 m gemachten
Beobachtungen von Z.________, welcher mit dem Beschwerdeführer eng bekannt sei
und nach den unbestrittenen Angaben des Beschwerdegegners über ein
beeinträchtigtes Sehvermögen verfüge. Zudem habe keiner der Zeugen die
Verletzungen des Beschwerdeführers so geschildert, wie sie im Polizeirapport
wiedergegeben würden. So habe ein Zeuge eine blutende Kopfwunde gesehen,
während im Polizeirapport Schürfungen, eine Schwellung und ein Hämatom oberhalb
der linken Augenbraue, aber keine blutende Wunde oder ein "blaues Auge"
(Monokelhämatom) festgestellt wurden. Ein solches sei auch erst im späteren
Bericht vom 16. März 2005, nicht schon bei der Eintrittsuntersuchung vom 22.
Mai 2004 erwähnt worden. Im Übrigen habe sich der Vorfall zwischen ca. 18:00
und 18:30 Uhr ereignet. Die Polizei sei aber erst um 20:54 Uhr darüber
unterrichtet worden. Es sei unklar, was in der Zwischenzeit geschehen sei.
Insgesamt sei die Beweislage gegen den Beschwerdegegner für eine Verurteilung
zu dürftig, weshalb er nach dem Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten
freizusprechen sei.

2.4 Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, die Aussage von S.________
willkürlich gewürdigt zu haben. Dieser habe unter der Strafdrohung von Art. 307
StGB ausgesagt, den Schlag des Beschwerdegegners gegen den Kopf des
Beschwerdeführers gesehen zu haben. Die Annahme der Vorinstanz, dass der
Schiedsrichter sein Hauptaugenmerk auf das Spiel habe richten müssen und das
Geschehen auf der Tribüne nur ausschnittweise mitbekommen habe, könnte
allenfalls erklären, dass seine Wahrnehmung des Geschehens lückenhaft wäre,
nicht aber, dass eine von ihm genau geschilderte Beobachtung - der Schlag gegen
den Beschwerdeführer - unzuverlässig sein könnte. Die Schlussfolgerung des
Obergerichts, der Schiedsrichter habe sich allenfalls den Schlag nur
eingebildet, sei unhaltbar. Da es zudem ausgeschlossen habe, dass dieser
bewusst die Unwahrheit gesagt haben könnte, sei der Freispruch willkürlich.

2.5 Die Kritik des Beschwerdeführers hat zwar einiges für sich. Der Umstand,
dass ein Schiedsrichter in erster Linie das Geschehen auf dem Spielfeld zu
verfolgen hat, könnte erklären, dass er die Vorgänge auf der Tribüne nur
lückenhaft wahrnimmt, nicht aber, weshalb seine Beobachtung der
Auseinandersetzung der beiden isoliert stehenden Kontrahenten unzuverlässig
sein soll. Entscheidend für das Obergericht ist indessen, dass der Rapport des
Schiedsrichters von dessen Zeugenaussage abweicht, indem in ersterem von einem
Schlag mit einem Stein, in letzterer nur noch von einem Schlag mit der Hand die
Rede ist. Der Schiedsrichter erklärt dies zwar nachvollziehbar damit, dass er
bei der Tatortbesichtigung den Stein liegen sah und daraus folgerte, der
Angriff sei damit erfolgt. Hat aber der Zeuge in diesem wichtigen Punkt nicht
genau zwischen seiner Beobachtung und seiner Schlussfolgerung unterschieden, so
ist das Obergericht nicht in Willkür verfallen, indem es nicht vorbehaltlos auf
die Aussage des Schiedsrichters abstellte und den Beschwerdegegner mangels
weiterer schlüssiger Beweise gegen ihn nach dem Grundsatz "in dubio pro reo"
freisprach.

3.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der
Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 BGG). Er hat indessen ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege gestellt, welches gutzuheissen ist, da seine
Bedürftigkeit ausgewiesen ist und die Beschwerde nicht von vornherein
aussichtslos war (Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Roger Gebhard wird für das bundesgerichtliche Verfahren als
unentgeltlicher Rechtsbeistand eingesetzt und mit Fr. 2'000.-- aus der
Bundesgerichtskasse entschädigt,

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Dezember 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Störi