Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.693/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_693/2008

Urteil vom 28. Mai 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, Ferrari, Mathys,
Gerichtsschreiber Borner.

Parteien
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, 4410 Liestal,
Beschwerdeführerin,

gegen

S.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Alain Joset,

Gegenstand
Bandenmässiger Diebstahl, Strafzumessung,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Zivil- und Strafrecht, vom 1. Juli 2008.

Sachverhalt:

A.
Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft verurteilte S.________ am 16.
August 2007 wegen gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls sowie mehrerer anderer
Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren.

Auf Appellation des Verurteilten sprach ihn das Kantonsgericht Basel-Landschaft
am 1. Juli 2008 vom Vorwurf des bandenmässigen Diebstahls frei, bestätigte
jedoch die übrigen Schuldsprüche und setzte die Freiheitsstrafe auf 3 ½ Jahre
fest.

B.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führt Beschwerde in
Strafsachen und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, und
S.________ sei zusätzlich zu den anderen Straftaten auch wegen bandenmässigen
Diebstahls zu vier Jahren Freiheitsstrafe zu verurteilen; eventualiter sei die
Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Vorinstanz und der Beschwerdegegner beantragen die Abweisung der Beschwerde
(act. 4 und 10).

Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz sprach den Beschwerdegegner vom Vorwurf des bandenmässigen
Diebstahls frei, weil er die fraglichen Diebstähle nur mit je einem Komplizen
ausgeführt hatte. Um Bandenmässigkeit annehmen zu können, hätten mindestens
drei Personen daran beteiligt sein müssen.

2.
Das Strafgesetzbuch bestimmt in Art. 139 Ziff. 3 keine Mindestzahl, ab der ein
Zusammenschluss von Personen als Bande anzusehen ist. Nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist Bandenmässigkeit gegeben, wenn zwei oder
mehrere Täter sich mit dem ausdrücklich oder konkludent geäusserten Willen
zusammenfinden, inskünftig zur Verübung mehrerer selbständiger, im Einzelnen
möglicherweise noch unbestimmter Straftaten zusammenzuwirken. Dieser
Zusammenschluss (auch nur zweier Personen) ist es, der den Einzelnen psychisch
und physisch stärkt, ihn deshalb besonders gefährlich macht und die Begehung
von weiteren solchen Straftaten voraussehen lässt.

Das Bundesgericht hat zur Kritik in der Literatur mehrmals Stellung genommen
(vgl. Hinweis in BGE 120 IV 318). Im Urteil vom 25. April 1997 (6S.734/1996)
hat es sich gefragt, ob für den Begriff der Bande weniger auf die Zahl der
Beteiligten und stattdessen mehr auf den Organisationsgrad und die Intensität
der Zusammenarbeit der Täter abgestellt werden sollte. Bei dieser
Betrachtungsweise würde der Umstand, dass sich "nur" zwei Personen zur
fortgesetzten Begehung von Straftaten zusammengefunden haben, eine
bandenmässige Tatbegehung nicht ausschliessen, wenn nur gewisse Mindestansätze
einer Organisation (etwa einer Rollen- oder Arbeitsteilung) oder die Intensität
des Zusammenwirkens ein derartiges Ausmass erreichten, dass von einem bis zu
einem gewissen Grade fest verbundenen und stabilen Team gesprochen werden kann,
auch wenn dieses allenfalls nur kurzlebig war. Ist demgegenüber schon die
Zusammenarbeit derart locker, dass von Anfang an nur ein loser und damit völlig
unbeständiger Zusammenhalt besteht, läge keine Bande vor (zum Ganzen BGE 124 IV
86 E. 2b mit Hinweisen; BGE 124 IV 286 E. 2a; BGE 132 IV 132 E. 5.2 und Urteil
6S.312/2004 vom 24. März 2005; zustimmend: Stratenwerth/Jenny, Schweizerisches
Strafrecht, Besonderer Teil I, 6. Aufl., § 13 N. 100; BERNARD CORBOZ, Les
infractions en droit suisse, Band I, Bern 2002, Art. 139 N 16; ablehnend:
Niggli/Riedo, Basler Kommentar, Strafrecht II, 2. Aufl., Art. 139 N. 117;
Schubarth/Albrecht, Kommentar zum Schweizerischen Strafrecht, Bern 1990, Art.
137 N. 129 ff.; OLIVIER PECORINI, Le brigandage et l'extorsion par brigandage
d'une chose mobilière en droit pénal suisse, Diss. Lausanne 1995, S. 147 f.).

3.
Die Vorinstanz stellt diese Rechtsprechung insbesondere unter Hinweis auf die
Rechtsprechung des Deutschen Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 22. März 2001 -
GSSt 1/00) und die Kritik in der Schweizer Lehre in Frage.

3.1 Sie macht geltend, die besondere Gefährlichkeit einer Bande liege doch in
der Absicht der Beteiligten, künftig eine Mehrzahl von Delikten zu begehen, was
die Mitglieder gegenseitig psychisch stärke und den Ausstieg aus der
deliktischen Tätigkeit aufgrund des Gruppendrucks erschwere. Bei zwei Personen
sei dieser Druck nicht derart gross, stehe doch jeweils ein Wille bzw. eine
Meinung nur einem anderen Willen gegenüber. So sei der Ausstieg aus der
Delinquenz bei einem Zweierteam deutlich einfacher, als wenn ein Täter seinen
Willen gegenüber einer Mehrzahl von Personen und somit einer Stimmenmehrheit
durchzusetzen habe. Bei einem Zweierteam seien der Gruppendruck und die
psychische Stärkung nicht genügend ausgeprägt.

Diese Auffassung ist insoweit zutreffend, als der Gruppendruck und die
gegenseitige psychische Stärkung in der Regel bei mehr als zwei Tätern höher
sein wird. Umgekehrt wird es aber auch immer wieder vorkommen, dass dieser
Druck und die psychische Stärkung bei zwei Tätern, die sich z.B.
freundschaftlich oder familiär besonders verbunden sind, grösser sein wird als
bei einem Trio ohne besonderen Zusammenhalt. Einzuräumen ist, dass es im
Einzelfall schwierig sein kann, solche graduelle Unterschiede festzustellen.
Das Anheben der Mindestzahl auf drei Täter wäre aber insoweit bloss eine
Scheinlösung, als bei drei und mehr Tätern dieselben Schwierigkeiten auftreten
können. Auch hier wird nicht immer klar sein, ob sich die Täter zusammenfanden,
um künftig eine Mehrzahl von Delikten zu begehen.

3.2 Die Vorinstanz hält ferner dafür, dass bei einer Zweierbande das
Mindestmass an Organisation und Zusammenarbeit als Abgrenzungskriterium
ungeeignet sei, weil bei zwei Tatbeteiligten weniger Organisation und
Absprachen nötig seien als bei einer Vielzahl Beteiligter. Anderseits werde die
Zusammenarbeit von zwei Tätern wohl stets intensiver sein als bei mehreren und
die Annahme eines stabilen Teams liege bei zwei gemeinsamen Tätern näher. Je
mehr Personen beteiligt seien, umso mehr Organisation und Absprachen seien
erforderlich.

Dass sich Organisation und Absprachen bei zwei Tatbeteiligten in der Regel
einfacher gestalten als bei einer Vielzahl von Tätern, ist unbestritten. Doch
ist dies nicht der entscheidende Punkt. Von Bedeutung ist vielmehr, dass auch
bei nur zwei Tätern von einem fest verbundenen und stabilen Team gesprochen
werden kann, was über die Mittäterschaft hinausgeht. Dass es im Einzelfall
schwierig ist, derartige Feststellungen zu treffen, liegt auf der Hand. Doch
liefern gerade Absprachen und auch gewisse Mindestansätze einer Organisation
(z.B. einer Rollen- oder Arbeitsteilung) Hinweise dazu.

3.3 Unter Bezugnahme auf die Schweizer Lehre (NIGGLI/RIEDO, a.a.O.) erwägt die
Vorinstanz, da man nicht Mitglied eines Paares oder eines Duos sein könne,
müssten bereits nach dem Gesetzeswortlaut, wo von "Mitglied einer Bande" die
Rede ist, zwingend mindestens drei Personen beteiligt sein. Auch die Etymologie
des Wortes, welches vom französischen Wort "bande" (Truppe, Schar) komme, weise
auf einen Zusammenschluss von drei Personen hin.
Zur Etymologie des Wortes stellt die Beschwerdeführerin berechtigterweise die
Frage, ob drei Mitglieder tatsächlich ausreichten, um eine Bande im
gebräuchlichen Wortsinn zu bilden. Denn selbst bei dreien kann wohl kaum schon
von einer Truppe, Schar, Rotte, Horde oder Meute gesprochen werden.
Das Deutsche Strafgesetzbuch benutzt mit den Worten "als Mitglied einer Bande"
in § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB dieselbe Wortwahl wie das Schweizerische. Der
erwähnte Beschluss des Bundesgerichtshofs änderte die deutsche Rechtsprechung.
Seither bedarf es für die Annahme der Bandenmässigkeit des Zusammenwirkens von
nicht bloss zwei, sondern mindestens drei Personen. Im selben Beschluss wird
aber ausdrücklich festgehalten: "Der Wortlaut des § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB und
der Wortlaut der übrigen Tatbestände der Bandendelikte lassen sowohl die
Annahme einer aus zwei Personen bestehenden Bande als auch die Anhebung der
Mindestzahl der Bandenmitglieder auf drei Personen zu" (Rz. 28).

Im Übrigen kann darauf hingewiesen werden, dass der Begriff "Zweierbande" im
deutschen Sprachgebrauch immerhin vorkommt. So findet sich z.B. in der
Datenbank der Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik
Deutschland e.V. (IJAB) folgender Satz: "Meistens wurden die Straftaten in der
Gruppe begangen, am häufigsten in Zweierbanden" (Ziff. 2.1.3).
Der Diebstahl als Mitglied einer Bande untersteht einer erhöhten
Mindeststrafdrohung, weil darin eine besondere Gefährlichkeit liegt (E. 2). Um
den Wortsinn zu ergründen, muss demnach ausschlaggebend sein, ob diese
Gefährlichkeit bereits beim Zusammenschluss zweier Täter gegeben sein kann.
Dies ist zu bejahen (E. 3.1 und 3.2).

3.4 Nach dem Gesagten ist an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten und der
angefochtene Entscheid aufzuheben.

4.
Die Vorinstanz wird ihrem neuen Entscheid die bundesgerichtliche Rechtsprechung
zugrunde legen und dabei den rechtserheblichen Sachverhalt feststellen.
Schliesslich wird sie beurteilen müssen, ob und in welchem Umfang der
Beschwerdegegner bandenmässig handelte und entsprechend das neue Strafmass
bestimmen.

5.
Der unterlegene Beschwerdegegner stellt ein Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege. Da seine Begehren nicht von vornherein aussichtslos erschienen,
und er offensichtlich nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, ist das
Gesuch gutzuheissen (Art. 64 Abs. 1 BGG).

Der obsiegenden Beschwerdeführerin ist keine Entschädigung zuzusprechen (Art.
68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft vom 1. Juli 2008 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung
an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege wird
gutgeheissen.

3.
Der Rechtsvertreter des Beschwerdegegners wird aus der Bundesgerichtskasse mit
Fr. 1'000.-- entschädigt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. Mai 2009

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Favre Borner