Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.654/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_654/2008 /hum

Urteil vom 2. Dezember 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Zünd,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Linus Jaeggi,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der
Ausländer,

Beschwerde gegen die Urteile des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, vom 21. März 2007,
und des Kassationsgerichts vom 18. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
Die Bezirksanwaltschaft Zürich erhob am 29. August 2003 Anklage gegen
X.________ wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und
Niederlassung der Ausländer (ANAG) im Sinne von dessen Art. 23 Abs. 1 al. 5 und
Art. 23 Abs. 4. Sie warf ihm vor, zwischen dem 10. Mai 2001 und dem 27. Juli
2001 die Slowakin S.________ bei sich zuhause, an der A.________-Strasse 30 in
B.________, beherbergt und sie gegen eine monatliche Entschädigung von 800
Franken mit Arbeiten im Haushalt betraut zu haben, obwohl er gewusst oder in
Kauf genommen habe, dass diese zwecks Arbeitsaufnahme in die Schweiz eingereist
war, ohne im Besitz der hierfür erforderlichen fremdenpolizeilichen Arbeits-
und Aufenthaltsbewilligung zu sein.

Der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich trat am 30. Oktober 2003 auf die
Anklage betreffend die Übertretung des ANAG im Sinne von dessen Art. 23 Abs. 4
nicht ein und verurteilte X.________ wegen Widerhandlung gegen Art. 23 Abs. 1
al. 5 ANAG zu 21 Tagen Gefängnis bedingt.

In der Folge entspann sich ein langwieriger Rechtsstreit, in dessen Verlauf
X.________ zweimal mit Erfolg das Bundesgericht anrief (Urteile 1P.591/2005 vom
2. November 2005 und 1P.676/2004 vom 22. März 2005). Zur Prozessgeschichte wird
darauf verwiesen.

B.
Am 21. März 2007 verurteilte das Obergericht X.________ wegen Vergehens gegen
Art. 23 Abs. 1 al. 5 des zwischenzeitlich ausser Kraft gesetzten ANAG zu einer
Busse von 5'000 Franken.

Das Kassationsgericht wies die Nichtigkeitsbeschwerde X.________s am 18. Juni
2008 ab, soweit es darauf eintrat.

Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, die Urteile des
Kassationsgerichts und des Obergerichts aufzuheben und ihn freizusprechen oder
die Sache eventuell an eine der Vorinstanzen zur Neubeurteilung zurückzuweisen.

Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Erwägungen:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer rügt (S. 11 ff.), laut Anklageschrift habe er
S.________ in seiner Wohnung an der A.________-Strasse 30 Logis gewährt und
dadurch einer Ausländerin das rechtswidrige Verweilen in der Schweiz
erleichtert. Aufgrund der späteren Aussagen von S.________ sei das Obergericht
in seinem Urteil vom 21. März 2007 zum Schluss gekommen, er habe diese nicht in
seiner eigenen, sondern in einer von seiner Ehefrau an der C.________strasse
gemieteten Wohnung untergebracht. Dies sei ein völlig anderer Sachverhalt, als
ihm in der Anklageschrift vorgeworfen werde. Das Obergericht habe daher mit
seiner Verurteilung das Anklageprinzip verletzt, ebenso das Kassationsgericht,
das die Nichtigkeitsbeschwerde abgewiesen habe.

1.2 Der Anklagegrundsatz verteilt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
die Aufgaben zwischen den Untersuchungs- bzw. Anklagebehörden einerseits und
den Gerichten andererseits. Er bestimmt den Gegenstand des Gerichtsverfahrens.
Die Anklage hat die dem Angeklagten zur Last gelegten Delikte in ihrem
Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe genügend konkretisiert
sind. Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte
des Angeschuldigten und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (BGE 120 IV
348 E. 2b S. 353 f. mit Hinweisen). Nach Art. 6 Ziff. 3 lit. a EMRK hat der
Angeschuldigte Anspruch darauf, in möglichst kurzer Frist über die Art und den
Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden. Das
Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht
aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (BGE 126 I 19 E.
2a).

1.3 Ergibt das gerichtliche Beweisverfahren, dass sich das Tatgeschehen in
einzelnen Punkten anders abgespielt hat, als im Anklagesachverhalt dargestellt,
so hindert der Anklagegrundsatz das Gericht nicht, den Angeklagten aufgrund des
abgeänderten Sachverhaltes zu verurteilen. Voraussetzung ist, dass die
Änderungen untergeordnete, für die rechtliche Qualifikation des Sachverhalts
nicht ausschlaggebende Punkte betreffen, und dass der Angeklagte Gelegenheit
hatte, dazu Stellung zu nehmen (6P.99/2006 vom 18. Juli 2007 E. 3.2, 1P.494/
2002 vom 11. November 2002 E. 3 ). Die Frage, wo der Beschwerdeführer
S.________ untergebracht und ihr dadurch das rechtswidrige Verweilen im Lande
erleichtert hatte, ist für die rechtliche Qualifikation des Sachverhalts ohne
und für die Beurteilung der Tat kaum von Bedeutung. Es konnte für den
Beschwerdeführer auch nie ein Zweifel bestehen, welcher historische Vorgang ihm
vorgeworfen wird, und er hatte Gelegenheit, sich zu allen Aussagen S.________s
zu äussern. Die Rüge, der Anklagegrundsatz sei verletzt, ist unbegründet.

2.
2.1 Das Bundesgericht hat die Verurteilung des Beschwerdeführers in seinem
ersten in dieser Sache ergangenen Entscheid aufgehoben, weil dessen Anspruch,
mit der einzigen Belastungszeugin konfrontiert zu werden, verletzt worden war.
In seinem zweiten Entscheid hat das Bundesgericht befunden, dass die
Oberrichter, die an der ersten, aufgehobenen Verurteilung des Beschwerdeführers
beteiligt waren, das Verfahren nicht mehr unbefangen weiterführen könnten, da
sie mit ihrem ersten Entscheid implizit zum Ausdruck gebracht hätten, sie seien
von der Schuld des Beschwerdeführers ungeachtet der Ergebnisse einer
allfälligen Konfrontationseinvernahme überzeugt. Der Beschwerdeführer macht
geltend, auch die neu mit dem Fall befassten Oberrichter seien befangen, da sie
im angefochtenen Entscheid weitgehend auf die Beweiswürdigung des ersten
obergerichtlichen Entscheids verwiesen und diese sogar wörtlich in den
angefochtenen Entscheid übernommen hätten. Das Kassationsgericht habe seine
Befangenheitsrüge zu Unrecht verworfen.

2.2 Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid (S. 40 ff.) erwogen, der
Beschwerdeführer habe mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde gegen den ersten
obergerichtlichen Entscheid einzig die Verletzung seines Konfrontationsrechts
gerügt. Nach § 104a Abs. 2 des Zürcher Gerichtsverfassungsgesetz vom 13. Juni
1976 (GVG) in der hier anwendbaren Fassung trete die Kassationsinstanz auf
Rügen nicht ein, die in einem früheren Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren nicht
erhoben worden seien. Nach der ratio legis des Gesetzes müsse die für die
Kassationsinstanz geltende thematische Beschränkung des Prozessstoffes auch für
die untere Instanz gelten, es gelte eine "Teilrechtskraft" für die im früheren
Nichtigkeitsverfahren unangefochten gebliebenen Punkte. Hinzuweisen sei
allerdings auf den Vorbehalt von § 104a Abs. 3 GVG, wonach bei geändertem
Sachverhalt eine erneute umfassende Prüfung vorzunehmen sei. In Bezug auf den
konkreten Fall hat das Obergericht (S. 44 Ziff. 16) ausgeführt, es gelte
nunmehr zu prüfen, ob die erste obergerichtliche Beweiswürdigung nach der
erneuten Befragung der Belastungszeugin Bestand habe oder nicht. Da man sich
"theoretisch" auch auf den Standpunkt stellen könnte, die Ablehnung der
antizipierten Beweiswürdigung durch das Bundesgericht müsse zu einer
nochmaligen umfassenden Beweiswürdigung führen, sei dies im Eventualstandpunkt
ebenfalls zu prüfen. Anschliessend kam es nach beiden Methoden
("Hauptstandpunkt" S. 47 ff., "Eventualstandpunkt" S. 57 ff.) übereinstimmend
zum Schluss, dass der Beschwerdeführer im fraglichen Zeitraum S.________ in
einer von seiner Frau gemieteten Wohnung untergebracht hatte.

2.3 Mit seinem Rückweisungsentscheid 1P.676/2004 hat das Bundesgericht in die
Beweislage eingegriffen, indem es die Erhebung eines neuen Beweismittels
anordnete. Damit hatte das Obergericht im angefochtenen Entscheid darüber zu
befinden, ob das veränderte Beweisfundament als tatsächliche Grundlage für die
Verurteilung des Beschwerdeführers ausreicht oder nicht. Da die einzelnen
Beweismittel in einer Wechselwirkung zueinander stehen, sich gegenseitig
stützen oder entkräften und dementsprechend gesamthaft zu würdigen sind, hängt
die Bewertung eines Beweismittels stets von der Beweislage insgesamt ab (6B_156
/2008 vom 15. Mai 2008, E. 1.4). Das Obergericht war daher - und zwar
keineswegs nur "theoretisch" - verpflichtet, die veränderte Beweislage erneut
umfassend zu prüfen. Das einschlägige Prozessrecht - § 104a Abs. 3 GVG - stand
dem keineswegs entgegen, und das Obergericht hat die erforderliche
Gesamtwürdigung im "Nebenstandpunkt" auch vorgenommen. Die Ausführungen im
"Hauptstandpunkt" sind zwar im Ansatz verfehlt und beruhen auf einer
unhaltbaren Auslegung des einschlägigen Prozessrechts. Verfahrens- oder
Rechtsfehler, die einem Gericht unterlaufen, vermögen den Anschein der
Befangenheit indessen nur zu begründen, wenn sie wiederholt begangen wurden
oder so schwer wiegen, dass sie Amtspflichtverletzungen darstellen (BGE 125 I
119 E. 3e; 116 Ia 14 E. 5; 135 E. 2a). Solches ist den Oberrichtern nicht
vorzuwerfen. Der Vorwurf, sie hätten sich im angefochtenen Entscheid im
Ergebnis mit der unkritischen Übernahme der ersten, aufgehobenen
Beweiswürdigung begnügt und damit den Anschein erweckt, sie seien nicht fähig
oder nicht willens gewesen, die Sache unabhängig neu zu prüfen, ist
unbegründet.

3.
Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, es habe den Sachverhalt
offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG festgestellt, und dem
Kassationsgericht, dieses Vorgehen geschützt zu haben. Es sei unerfindlich, auf
Grund welcher tatsächlicher Annahmen er der Täter sein solle, nachdem nun davon
ausgegangen werde, dass seine Ehefrau S.________ ein Logis an der
C.________strasse zugewiesen habe. Für die angeblichen Handlungen seiner Frau
sei er strafrechtlich nicht verantwortlich, und das Obergericht habe kein Wort
darüber verloren, aufgrund welcher Überlegungen es davon ausgehe, dass er für
die Unterbringung von S.________ verantwortlich gewesen sei.

Das Obergericht hat dazu in seiner "Gesamtwürdigung" erwogen (angefochtener
Entscheid S. 72), es sei erstellt, dass der Beschwerdeführer S.________ über
seine Ehefrau ein Zimmer an der C.________strasse als Logis zur Verfügung
gestellt habe. Mit dieser Feststellung bringt es mit ausreichender Klarheit zum
Ausdruck, dass nach seiner Überzeugung der Beschwerdeführer seine Ehefrau
anwies, S.________ dort unterzubringen und er damit die Tatherrschaft
innehatte. Der Beschwerdeführer bleibt den Nachweis schuldig, dass diese
Annahme willkürlich bzw. offensichtlich unzutreffend ist.

4.
Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, und dem Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 2. Dezember 2008

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Störi