Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.651/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_651/2008/bri

Urteil vom 2. Dezember 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
Gerichtsschreiber Borner.

Parteien
D.S.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Christian von Wartburg,

gegen

H.S.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Dr. Stefan Schmiedlin,

Gegenstand
Ehrverletzung,

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt,
Ausschuss, vom 17. März 2008.

Sachverhalt:

A.
D.S.________, als Junge geboren und aufgewachsen, später mit einer Frau
verheiratet und Vater zweier Kinder, bekannte sich ab Herbst 2004 gegenüber
seinem Umfeld offen zu seiner bereits seit langem bestehenden Transsexualität
und liess rund eineinhalb Jahre später eine operative Geschlechtsumwandlung
vornehmen. Dieser Schritt sowie gleichzeitig erhobene Vorwürfe D.S.________s,
sie sei von ihrem Vater H.S.________ in der Kindheit sexuell missbraucht
worden, führte zum Bruch sowohl mit der Herkunftsfamilie als auch mit der
Ehefrau und den Kindern.
Nach einer Eskalation der Situation im Winter 2004/2005 sowie aufgrund von
Aussagen seiner Schwiegertochter befürchtete der Vater eine Selbst- und
Fremdgefährdung von D.S.________. Er wandte sich an verschiedene psychiatrische
Dienste und schliesslich mit Schreiben vom 6. April 2005 an den Kantonsarzt des
Kantons Tessin, wo D.S.________ nunmehr als A.________ lebte und als Ärztin
praktizierte. Darin legte der Vater seine Befürchtungen dar und stellte einen
Eventualantrag auf fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE). In der Folge wurde
D.S.________ die Freiheit fürsorgerisch und die Bewilligung zur Führung einer
Arztpraxis entzogen. In Berichten und Gegendarstellungen in diversen Medien
wurde der familiäre Zwist an die Öffentlichkeit gezogen.

B.
Am 14. Juni 2005 und 29. November 2006 reichte D.S.________ Strafklagen ein
gegen ihren Vater wegen Ehrverletzung.
Am 18. Juli 2007 wies der Strafgerichtspräsident Basel-Stadt die beiden Klagen
- wie auch weitere Klagen der beiden Kontrahenten - ab und sprach H.S.________
vom Vorwurf der Ehrverletzung frei.
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid wies das Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt am 17. März 2008 ab.

C.
D.S.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt zur Hauptsache, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und H.S.________ sei der Ehrverletzung
schuldig zu sprechen.

Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz kommt zum Schluss, das Schreiben des Beschwerdegegners vom 6.
April 2005 enthalte ehrverletzende Äusserungen. Doch habe dieser in
rechtfertigendem Notstand (Art. 17 StGB) respektive Putativnotstand (Art. 34
aStGB) gehandelt.

1.1 Die Beschwerdeführerin rügt einen Verstoss gegen das Willkürverbot. Die
Vorinstanz habe die Frage offen gelassen, ob das "Paniktelefon" stattgefunden
habe. Danach habe die Schwiegertochter dem Beschwerdegegner mitgeteilt, im
Estrich seien verdächtige metallisch-mechanische Geräusche zu hören gewesen,
was Anlass für den ehrverletzenden Brief an den Kantonsarzt gewesen sei.
Die Vorinstanz hätte die Frage nicht offen lassen dürfen, weil sich je nach
Antwort die Gefährdungssituation, wie sie sich dem Beschwerdegegner
präsentierte, als er das inkriminierte Schreiben verfasste und abschickte,
völlig anders darstelle. Entsprechend unterschiedlich wäre auch zu beurteilen,
ob der Beschwerdegegner die erforderlichen und geeigneten Massnahmen zur
Gefahrenabwehr getroffen habe.

1.2 Die Vorinstanz führt unter anderem aus, bei einem akut drohenden Blutbad
wäre ein Schreiben an den Kantonsarzt tatsächlich ungeeignet gewesen, die
Gefahr abzuwenden. Eine derartige Gefahr habe der Beschwerdegegner zumindest im
inkriminierten Schreiben gar nicht behauptet (angefochtener Entscheid S. 7
Ziff. 2.4.2).
Dass und inwiefern letztere Feststellung willkürlich sein sollte, legt die
Beschwerdeführerin nicht dar. Mit ihrer Argumentation möchte sie weismachen,
das "Paniktelefon" sei der Hauptgrund des Schreibens an den Kantonsarzt
gewesen. Nach dem verbindlichen Sachverhalt (Art. 105 Abs. 1 BGG) war der
Beschwerdegegner schon seit längerer Zeit von einer latenten Eigen- und
Fremdgefährdung der Beschwerdeführerin ausgegangen - unabhängig von und schon
einige Zeit vor dem erwähnten "Paniktelefon". Dies gehe klar aus den diversen
Schreiben des Beschwerdegegners an die Ärzte in der psychiatrischen Klinik
hervor, welche die Beschwerdeführerin im Winter 2004/2005 behandelten. Da die
Gefahr seiner Meinung nach von den Ärzten zu wenig ernst genommen worden sei,
habe er die latente Eigen- und Fremdgefährdung von neutraler Seite beurteilen
lassen wollen (angefochtener Entscheid, a.a.O.).
Bildete somit das Verhalten der behandelnden Ärzte den Hauptgrund für das
Schreiben an den Kantonsarzt, durfte die Vorinstanz die Frage des
"Paniktelefons" offen lassen, ohne in Willkür zu verfallen. Damit erweist sich
die Rüge als unbegründet.

2.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe bei der Beurteilung
des Schreibens vom 6. April 2005 auch Bundesrecht verletzt. Sie habe zu Unrecht
eine unmittelbare Gefahr angenommen und auch den Grundsatz der Subsidiarität
missachtet.
In tatsächlicher Hinsicht kommt die Vorinstanz zum Schluss, dass der
Beschwerdegegner auf jeden Fall von einer Gefahrenlage ausgehen durfte
(angefochtener Entscheid S. 6 Ziff. 2.3.3 am Ende). Sie beurteilt das Schreiben
an den Kantonsarzt als geeignetes und - weil die Gefahr von den behandelnden
Ärzten nach Meinung des Beschwerdegegners zu wenig ernst genommen wurde -
erforderliches Mittel, um die latent bestehende Eigen- und Fremdgefährdung der
Beschwerdeführerin von neutraler Seite beurteilen zu lassen und damit auch
abwenden zu können (a.a.O., S. 7 Ziff. 2.4.2). Diese Beurteilung steht im
Einklang mit Bundesrecht.

2.1 Der Einwand der Beschwerdeführerin, die behandelnden Ärzte seien bereits
über die angespannte familiäre Situation informiert gewesen, geht an der Sache
vorbei. Denn es war ja der Beschwerdegegner, der sich in diversen Schreiben an
die behandelnden Ärzte gewandt und auf die Eigen- und Fremdgefährdung der
Beschwerdeführerin hingewiesen hatte. Nachdem diese keine besonderen
Schutzmassnahmen trafen, durfte er weiterhin von einer drohenden Gefahrenlage
ausgehen.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie sei bereits in einer Klinik
untergebracht gewesen, weshalb von ihr keine unmittelbare Gefahr ausgegangen
sei. Damit widerspricht sie dem verbindlichen Sachverhalt, wonach der
Aufenthalt nur teilstationär war (a.a.O., S. 7 unten).
Bei den allgemeinen Erörterungen zur unmittelbaren Gefahr erwähnt die
Beschwerdeführerin selbst, dass auch eine Dauergefahr darunter fallen könne.
Wenn sie nun geltend macht, es habe keinerlei konkrete Anzeichen für eine
bevorstehende Eskalation gegeben, verliert sie ihre eigenen Ausführungen aus
den Augen.

2.2 Im Rahmen der Subsidiarität des Notstandeingriffs rügt die
Beschwerdeführerin, der Beschwerdegegner hätte die Polizei oder die Tessiner
Vormundschaftsbehörde einschalten können anstatt den Kantonsarzt. Dann wäre die
Beschwerdeführerin nicht gleichzeitig Gefahr gelaufen, dass ihr die
Praxisbewilligung vorsorglich entzogen würde.
Nachdem der Beschwerdegegner die behandelnden Ärzte mehrmals vergeblich auf die
Selbst- und Fremdgefährdung der Beschwerdeführerin aufmerksam gemacht hatte,
durfte er sich an die den Ärzten übergeordnete Stelle, den Kantonsarzt, wenden.
Insoweit hat er den "Dienstweg" eingehalten. Hätte er sich an die Polizei oder
die zuständige Vormundschaftsbehörde gewandt, hätten diese ihrerseits zunächst
einen Arzt beiziehen müssen, was die zu treffenden Massnahmen hinausgezögert
hätte. Insoweit hat die Vorinstanz den Beizug des Kantonsarztes zu Recht als
erforderliches Mittel beurteilt. Im Übrigen hätte der Kantonsarzt der
Beschwerdeführerin die Praxisbewilligung auch vorsorglich entziehen können,
wenn er von dritter Seite (Vormundschaftsbehörde/Polizei/einweisender Arzt) von
einem fürsorgerischen Freiheitsentzug Kenntnis erhalten hätte.

3.
Die Beschwerdeführerin hatte mit Privatklage vom 29. November 2006 dem
Beschwerdegegner vorgeworfen, sein Brief vom 28. August 2005 an den Tessiner
Kantonsarzt enthalte ehrverletzende Äusserungen (Art. 173 Ziff. 1 StGB). Das
Strafgericht Basel-Stadt wies diese Klage ab mit der Begründung, das objektive
Tatbestandsmerkmal der Äusserung gegenüber einem Dritten sei nicht erfüllt.
Die Vorinstanz erkannte, die Strafklage sei verspätet eingereicht worden,
weshalb bereits der erstinstanzliche Richter das Verfahren hätte einstellen
müssen.

3.1 Die Beschwerdeführerin rügt eine willkürliche Anwendung von § 188 der
Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt (StPO/BS). Danach sei beim
Weiterzug nicht appelabler Entscheide die Überprüfung auf den geltend gemachten
gesetzlichen Beschwerdegrund beschränkt. Weil der erstinstanzliche Richter die
Eintretensvoraussetzungen als gegeben erachtet habe, und diese nicht Gegenstand
der Beschwerde gewesen seien, hätte die Vorinstanz lediglich die in der
Beschwerde aufgeworfenen Fragen behandeln dürfen.

3.2 Die Rüge ist unbegründet. § 188 StPO/BS richtet sich offensichtlich an den
Beschwerdeführer, damit er weiss, dass ihn in nicht appelablen Fällen eine
besondere Rügepflicht trifft und dass in allen anderen Fällen die
Überprüfungsbefugnis des Appellationsgerichts nicht eingeschränkt ist. Hingegen
handelt diese Bestimmung nicht von Prozessvoraussetzungen.
Die Erfüllung der Prozessvoraussetzungen und das Fehlen von Prozesshindernissen
sind zwingendes Erfordernis für die Anhandnahme und Durchführung eines
Verfahrens. Sie sind von Amtes wegen zu prüfen und in jedem Stadium des
Verfahrens zu berücksichtigen (HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches
Strafprozessrecht, 6. Auflage, S. 179 N13). Der Strafantrag gehört zu den
Prozessvoraussetzungen (a.a.O., S. 178 N 10), was in § 20 StPO/BS ausdrücklich
geregelt ist: "Bei Antragsdelikten setzt die Bestrafung einen gültigen
Strafantrag voraus." Damit erweist sich die Rüge als offensichtlich
unbegründet.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die
bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG)

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. Dezember 2008

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Borner