Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.60/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_60/2008/bri

Urteil vom 23. April 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Favre, Zünd,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Martin Ramisberger,

gegen

A.A.________,
B.A.________,
Beschwerdegegner,
beide vertreten durch Rechtsanwältin Gabi Kink,
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus,
5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Fahrlässige Tötung; Gutachten, Strafzumessung, Haftungsquote,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau,
Strafgericht, 3. Kammer, vom 7. November 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 12. Dezember 2002 ereignete sich in Merenschwand um ca. 07:40 Uhr folgender
Unfall: X.________ fuhr mit seinem Lastwagen auf der Zürichstrasse in Richtung
Merenschwand. Im Bereich der Einmündung Hagnauerstrasse/Siebeneichenstrasse
prallte er von hinten auf den in gleicher Richtung vor ihm fahrenden
Lieferwagen von C.A.________. Nach dieser Auffahrtskollision setzte der
Lieferwagen die Fahrt unkontrolliert fort, kam nach rechts von der Strasse ab
und kollidierte nach 102 m frontal mit dem Betonpfeiler einer stillgelegten
Tankstelle. C.A.________ wurde dabei schwer verletzt und starb gleichentags an
den Unfallfolgen.

Das Bezirksgericht Muri verurteilte X.________ am 27. Juni 2006 wegen
fahrlässiger Tötung zu 2 Monaten Gefängnis bedingt und einer Busse von 1'000
Franken. Es stellte zudem fest, dass er gegenüber der Zivilklägerin
A.A.________ und dem Zivikläger B.A.________ für den durch den Unfall
verursachten Schaden vollumfänglich ersatzpflichtig sei und verpflichtete ihn,
der Zivilklägerin eine Genugtuung von Fr. 44'000.-- und dem Zivilkläger eine
solche von Fr. 27'500.--, je zuzüglich 5 % Zins seit dem 12. Dezember 2002, zu
bezahlen.

X.________ erhob gegen dieses Urteil Berufung und beantragte in prozessualer
Hinsicht, ein biomechanisches Gutachten einzuholen. Materiell beantragte er die
Aussprechung einer bedingten Geldstrafe, die Herabsetzung der Haftungsquote auf
75 % und die entsprechende Reduktion der Genugtuung an die Hinterbliebenen.

Das Obergericht des Kantons Aargau hiess die Berufung von X.________ am 7.
November 2007 teilweise gut und passte die Strafe dem neuen Recht an, indem es
ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 110 Franken und einer
Busse von 1'000 Franken verurteilte. Im Zivilpunkt bestätigte es das
erstinstanzliche Urteil.

B.
Mit Beschwerde in Zivilsachen sowie subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragt
X.________ in prozessualer Hinsicht, ein biomechanisches Gutachten einzuholen.
In der Sache beantragt er, die Haftungsquote und die Genugtuung um mindestens
20 % herabzusetzen.

Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Erwägungen:

1.
Im Berufungsverfahren vor Obergericht waren sowohl die straf- als auch die
zivilrechtlichen Unfallfolgen strittig, vor Bundesgericht sind es nur noch
letztere. In dieser Konstellation ist, wie sich aus BGE 133 III 701 E. 2.1
ergibt, die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Die Beschwerde ist somit als
solche entgegenzunehmen. Damit bleibt kein Raum für die subsidiäre
Verfassungsbeschwerde, auf welche nicht einzutreten ist.

2.
2.1 Das Obergericht hat den Beschwerdeführer zu vollen Schadenersatz- und
Genugtuungsleistungen verpflichtet. Der Beschwerdeführer bringt vor, es sei zu
Unrecht davon ausgegangen, dass keine vom Geschädigten zu vertretenden Umstände
vorlägen, die nach Art. 44 Abs. 1 OR seine Ersatzpflicht vermindern würden.

Einmal sei erstellt, dass der Geschädigte wegen seiner epileptischen Anfälle
für den Zeitraum vom 10. Oktober 2002 bis zum 10. Januar 2003 mit einem
ärztlichen Fahrverbot belegt gewesen sei. Hätte er sich an dieses Fahrverbot
gehalten, wäre es nicht zum Unfall gekommen. Die Missachtung des ärztlichen
Fahrverbots sei deshalb im Sinne von Art. 44 Abs. 1 OR als
haftungsreduzierender Faktor zu berücksichtigen, was zu einer Senkung der
Haftungsquote um mindestens 10 % führen müsse.

Zum anderen sei davon auszugehen, dass der Geschädigte beim Unfall die
Sicherheitsgurte nicht getragen habe, was nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung (BGE 117 II 617 ff.) eine Senkung der Haftungsquote um
mindestens 10 % nach sich ziehen müsse.

2.2 Dass sich C.A.________ über das ärztliche Fahrverbot hinwegsetzte, ist
selbstverständlich natürlich kausal dafür, dass er am 12. Dezember 2002, um ca.
07:40 Uhr, am Steuer seines Lieferwagens am Unfallort war. Haftpflichtrechtlich
relevant ist die Kausalität aber nur dann, wenn ein Verhalten als adäquate
Ursache eines Erfolgs gelten kann (BGE 123 III 110 E. 3a mit Hinweisen), also
ein Zusammenhang mit dem Schutzzweck der übertretenen Sorgfaltsnorm besteht
(Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, AT I, 3. A. Bern 2005, N. 42
zu § 9). Das Obergericht hat gestützt auf die insoweit eindeutigen
medizinischen Gutachten zu Recht ausgeschlossen, dass die epileptische
Erkrankung des Geschädigten das Unfallgeschehen oder dessen Folgen beeinflusst
haben könnte, womit es insofern am Schutzzweckzusammenhang fehlt. Auch wenn
sodann das Autofahren per se eine risikoreiche Tätigkeit darstellt, kann das
korrekte Führen eines Automobils - es gibt keine Hinweise auf ein
strassenverkehrsrechtliches Fehlverhalten des Geschädigten - nicht als adäquate
Mitursache des Unfalls betrachtet werden, ansonsten der schuldlose
Unfallbeteiligte vom Unfallverursacher nie vollen Schadenersatz verlangen
könnte. Das Obergericht hat daher keineswegs Bundesrecht verletzt, indem es die
Übertretung des ärztlichen Fahrverbots durch den Geschädigten nicht als
adäquate Mitursache des Unfalls anerkannte und damit im Ergebnis ausschloss,
die Haftung des Beschwerdeführers unter diesem Titel wegen Selbstverschuldens
im Sinne von Art. 44 Abs. 1 OR zu mindern.

2.3 Adäquat kausal, zumindest die Unfallfolgen zu verschlimmern und damit
geeignet, als Selbstverschulden die Haftung des Beschwerdeführers zu mindern,
wäre dagegen der vom Geschädigten zu vertretende Umstand, den Sicherheitsgurt
nicht getragen zu haben.
2.3.1 Nach den Aussagen des Beschwerdeführers und des zuerst am Unfallort
eingetroffenen Polizeibeamten trug der Geschädigte, als sie ihn nach dem Unfall
eingeklemmt in seinem Fahrzeug auffanden, keine Sicherheitsgurte. Demgegenüber
geht das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich
"klar" davon aus, dass der Sicherheitsgurt bei der Kollision getragen wurde.
Die medizinischen Gutachter können aus der Gesamtschau der Verletzungsbefunde
weder bestätigen noch ausschliessen, dass der Geschädigte den Sicherheitsgurt
getragen hat.
2.3.2 Sowohl das Bezirks- als auch das Obergericht haben die Beweislage als
unklar beurteilt und sind der Auffassung, dass ein biomechanisches Gutachten
jedenfalls nicht den strikten Beweis dafür erbringen könnte, dass der
Geschädigte den Sicherheitsgurt nicht getragen habe, nachdem der
Wissenschaftliche Dienst auf Grund der festgestellten "Tragspuren" zum
eindeutigen Schluss gekommen ist, dass der Sicherheitsgurt bei der Kollision
getragen wurde. In Bezug auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit ist das
Bezirksgericht - die Frage war im Berufungsverfahren nicht mehr strittig - zur
Auffassung gelangt, es sei "in dubio pro reo" davon auszugehen, der Geschädigte
habe den Gurt nicht getragen. In Bezug auf die zivilrechtliche
Verantwortlichkeit sind beide Instanzen davon ausgegangen, der Beschwerdeführer
habe den Beweis für die haftungsmindernde Tatsache zu erbringen; da dies
vorliegend nicht möglich sei, trage er die Folgen der Beweislosigkeit.
2.3.3 Das Bundesgericht geht grundsätzlich vom Sachverhalt des angefochtenen
Entscheids aus, sofern die letzte kantonale Instanz diesen nicht offensichtlich
unrichtig bzw. willkürlich oder unter Verletzung von Bundesrecht festgestellt
hat. Der Schluss, die Beweislage sei unklar, ist zutreffend und wird vom
Beschwerdeführer auch nicht substanziiert bestritten. Er macht vielmehr
geltend, ein biomechanisches Gutachten sei geeignet, die Frage abschliessend zu
klären, weshalb das Obergericht ein solches hätte anordnen müssen. Allerdings
erhebt er in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich eine
Gehörsverweigerungsrüge, auch wenn seine Ausführungen auf eine solche
hinauslaufen. Eine solche wäre indessen unbegründet. Da nach der
gerichtsmedizinischen Expertise das Verletzungsbild des Geschädigten keine
Schlüsse darauf zulässt, ob er den Sicherheitsgurt trug oder nicht, konnte das
Obergericht in willkürfreier antizipierter Beweiswürdigung davon ausgehen, dass
auch von einem biomechanischen Gutachten von vornherein kein derart eindeutiges
Ergebnis erwartet werden kann, das erlauben würde, entgegen dem insoweit klaren
Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes als gesichert anzunehmen, dass der
Geschädigte den Gurt nicht trug.

Es ist damit nicht zu beanstanden, dass das Obergericht davon ausgegangen ist,
dass die Frage, ob der Geschädigte den Sicherheitsgurt trug oder nicht,
ungeklärt ist und durch weitere Beweiserhebungen nicht geklärt werden könnte.
Es ist ebenfalls zu Recht davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer für
einen vom Geschädigten zu vertretenden haftungsmindernden Umstand
beweispflichtig ist, sodass er die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen hat. Es
hat damit zu Recht entschieden, dass der Beschwerdeführer vollumfänglich für
die Unfallfolgen haftet. Aus diesen Ausführungen ergibt sich zwangsläufig, dass
der vom Beschwerdeführer auch vor Bundesgericht gestellte Antrag abzuweisen
ist, ein biomechanisches Gutachten einzuholen.

3.
Die Beschwerde in Strafsachen ist somit abzuweisen, und auf die subsidiäre
Verfassungsbeschwerde ist nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens
trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in Strafsachen wird abgewiesen. Auf die subsidiäre
Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. April 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Störi