Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.602/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_602/2008/sst

Urteil vom 19. November 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Zünd, Mathys,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Qualifizierte Freiheitsberaubung (Art. 183 Ziff. 1 i.V.m. Art. 184 Abs. 2
StGB),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom
2. Juli 2008.

Sachverhalt:

A.
Das Kreisgericht St. Gallen verurteilte Y.________ am 12. September 2007 wegen
verschiedenen Vermögens-, Gewalt- und Betäubungsmitteldelikten - darunter
Freiheitsberaubung im Sinne von Art. 183 Ziff. 1 StGB - zu vier Jahren
Freiheitsstrafe. Ausserdem verpflichtete es ihn u.a., A.________ eine
Genugtuung von 4'000 Franken zu bezahlen.
Dieses Urteil wurde von der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen sowie von
A.________ angefochten. Beide beantragten, Y.________ statt der einfachen der
qualifizierten Freiheitsberaubung (Art. 183 Ziff. 1 i.V.m. Art. 184 StGB)
schuldig zu sprechen und die Freiheitsstrafe auf 4 ½ Jahre zu erhöhen.
A.________ verlangte zudem, ihm eine Genugtuung von 9'500 Franken zuzusprechen.
Mit Urteil vom 2. Juli 2008 sprach das Kantonsgericht St. Gallen A.________
eine Genugtuung von 6'500 Franken zu und bestätigte im Übrigen das
erstinstanzliche Urteil.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die Staatsanwaltschaft, diesen
kantonsgerichtlichen Entscheid insoweit aufzuheben, als Y.________ wegen
(einfacher) Freiheitsberaubung verurteilt worden sei, und die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen, um ihn wegen qualifizierter Freiheitsberaubung zu
verurteilen und die Strafe angemessen zu erhöhen.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
Erwägungen:

1.
Der Freiheitsberaubung macht sich schuldig, wer jemanden unrechtässig festnimmt
oder gefangen hält oder jemandem in anderer Weise unrechtmässig die Freiheit
entzieht (Art. 183 Ziff. 1 StGB). Behandelt der Täter das Opfer grausam, gilt
die Freiheitsberaubung als qualifiziert (Art. 184 Abs. 3 StGB). Umstritten ist
einzig, ob der Beschwerdegegner zu Recht wegen einfacher Freiheitsberaubung
verurteilt wurde, oder ob er sein Opfer grausam behandelte und damit den
qualifizierten Tatbestand erfüllte.

1.1 Bei der Auslegung von qualifizierten Tatbeständen ist der angedrohten
Strafe Rechnung zu tragen (vgl. BGE 121 IV 178 E. 2b, mit Hinweisen). Die
einfache Freiheitsberaubung wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren
bedroht, die qualifizierte mit einer solchen von mindestens einem und höchstens
20 Jahren.
Die grausame Behandlung nach Art. 184 Abs. 3 StGB setzt das Zufügen besonderer
Leiden, d.h. anderer oder mehr Leiden voraus, als diejenigen, welche die
betreffende Person allein schon deswegen erduldet, weil sie ihrer
Bewegungsfreiheit beraubt ist und keinen Kontakt zu weiteren Personen mehr
unterhalten kann (vgl. BGE 119 IV 49 E. 3d, 224 E. 3). Nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt Grausamkeit im Sinne von Art. 184 Abs.
3 StGB vor, wenn der Täter dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung
besonders schwere Leiden aufgrund der Stärke, der Dauer oder der Wiederholung
zufügt. So ist eine zwecklose Bosheit, die zur Verwirklichung des Plans des
Täters ganz unnötig war und nur mit einem sadistischen Vergnügen oder doch
mindestens der ausdrücklichen Absicht, Schmerz zuzufügen, erklärt werden kann,
als grausam zu bezeichnen (BGE 106 IV 363 E. 4d; vgl. auch BGE 119 IV 49 E.
3d). Das Qualifikationsmerkmal der Grausamkeit muss sich unmittelbar auf die
Umstände der Tatbegehung beziehen, das heisst die Freiheitsberaubung selber
muss in besonderem Masse belastend, unerträglich oder quälerisch ausgestaltet
sein. Dass die dem Opfer zugefügten Leiden Tatbestandselemente einer anderen
strafbaren Handlung erfüllen, ist für die Annahme von Grausamkeit nicht
notwendig. Umgekehrt ist eine Freiheitsberaubung nicht automatisch als grausam
zu qualifizieren, wenn dabei weitere schwere Gewaltdelikte begangen werden,
ansonsten es unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenz fragwürdig wäre,
qualifizierte Freiheitsberaubung und beispielsweise schwere Körperverletzung
oder Vergewaltigung zugleich anzuwenden (Entscheid 6S. 81/2005 E. 2.5; 6S.198/
2001 vom 5. April 2001, E. 2a).

1.2 Die Verurteilung des Beschwerdegegners beruht auf folgendem Sachverhalt:
B.________, C.________, +D.________ und E.________ verabredeten sich Ende März
2004 mit A.________ an einer 24h-Tankstelle in St. Gallen. Als A.________ im VW
Passat seines Vaters am verabredeten Ort erschien, setzte sich B.________ auf
den Beifahrersitz und forderte ihn auf, stadtauswärts zu fahren und ausgangs
Mörschwil anzuhalten. Dort wurde A.________ von C.________, +D.________ und
E.________, die ihnen in ihrem Audi nachgefahren waren, umzingelt, angeschrien
und immer wieder gefragt, wo die Mobiltelefone seien, die er ihnen gestohlen
habe. Nachdem er ins Gesicht und den Magen geschlagen worden war, gab
A.________ den Diebstahl zu. Daraufhin wurde er auf den Rücksitz des Audi
gestossen, zum Laden F.________ gefahren und im oberen Stockwerk
eingeschlossen. Dort stiess der telefonisch avisierte Beschwerdegegner dazu.
Nachdem A.________ sein "Geständnis" widerrufen hatte, wurde er gefesselt,
geschlagen und mit Fusstritten traktiert, um aus ihm "die Wahrheit"
herauszupressen. Er musste auf einen Industrieabfallsack aus Plastic knien,
wobei ihm angedroht wurde, dieser Sack werde ihm über den Kopf gestülpt, wenn
er nicht die Wahrheit sage. Anschliessend wurde der Sack hochgezogen und, als
A.________ vollständig darin steckte, zugezogen und zusammengeklebt. Dabei
wurde er immer wieder geschlagen und getreten, und es wurde ihm gedroht, in
dieser Verpackung in den Bodensee geworfen zu werden, wenn er das Versteck der
gestohlenen Telefone nicht nenne. Nachdem man ihn aus dem Plasticsack befreit
hatte, steckte man ihm einen Lippenstift in den Mund mit dem Befehl "Friss!".
Anschliessend wurde mit einem Messer vor seinen Augen herumgefuchtelt mit der
Drohung, ihm ein Auge auszustechen. Nachdem ihm noch demonstriert worden war,
wie man ihn - wie in türkischen Gefängnissen üblich - aufhängen würde, erklärte
A.________, er habe 3'000 Franken bei sich zu Hause. Er wurde daraufhin vom
Beschwerdegegner und einem seiner Komplizen dorthin gefahren, wobei ihm die
Flucht gelang.

1.3 Der Beschwerdegegner und seine Komplizen verdächtigten A.________, ihnen
Handys gestohlen zu haben, und sie haben ihn einer eigentlichen Folter
unterzogen, um aus ihm herauszubringen, wo er die angebliche Beute versteckt
habe. Das Kantonsgericht ist offensichtlich zu Recht davon ausgegangen, dass
der Beschwerdegegner und seine Komplizen A.________ grausam behandelten. Es ist
jedoch der Auffassung, dass diese Gewalttätigkeiten und Drohungen nicht dazu
dienten, die Gefangenschaft A.________s möglichst unerträglich zu gestalten,
sondern ausschliesslich im Zusammenhang mit den "Abklärungen" in Bezug auf den
Lagerort der angeblich gestohlenen Mobiltelefone standen. Es lehnte es aus
diesem Grund ab, den Qualifikationsgrund der grausamen Behandlung in Bezug auf
die Freiheitsberaubung anzunehmen.

Dem hält der Staatsanwalt entgegen, die Freiheitsberaubung als besondere Form
der Nötigung habe von allem Anfang an dem Zweck gedient, A.________ für den
Diebstahl der Mobiltelefone zu bestrafen und ihm allenfalls deren Versteck zu
entlocken. Es sei den Tätern zunächst darum gegangen, die Freiheitsberaubung
möglichst unerträglich zu gestalten, um A.________ zu bestrafen und allenfalls
die Beute zurückzuerhalten; insofern hätten die Gewaltanwendungen einen engen
Bezug zur Freiheitsberaubung. Darin liege auch der Unterschied zum vom
Kantonsgericht angeführten Fall 6S.81/2005, in welchem das Opfer von seiner
Freundin eingesperrt worden war, um es durch Gewalt und Drohungen zur Aufgabe
einer Fremdbeziehung zu zwingen. Dort war die Freiheitsberaubung nach der
Auffassung des Staatsanwaltes von der Gewaltanwendung weitgehend losgelöst,
auch für das Opfer sei der Umstand des "Nicht-Weggehen-Könnens" nicht im
Zentrum des Geschehens gestanden. Anders im vorliegenden Fall, indem es dem
Opfer ausschliesslich darum gegangen sei, sich den Tätern irgendwie zu
entziehen, um den Quälereien und Drohungen zu entgehen. Die grausame Behandlung
weise daher einen engen Bezug zur Freiheitsberaubung auf, weshalb der
Qualifikationsgrund erfüllt sei. Dies rechtfertige sich auch im Hinblick auf
die Strafdrohung: Würde man die grausame Behandlung nur im Zusammenhang mit der
Nötigung sehen, wäre sie mit dafür vorgesehenen Höchststrafe von drei Jahren
abgegolten. Dies könne nicht richtig sein, wenn sie im Zusammenhag mit der
Freiheitsberaubung zu einer Mindeststrafe von einem Jahr und einer Höchststrafe
von 20 Jahren führe. Auch dies sei ein Unterschied zum angeführten
Bundesgerichtsentscheid, weil dort weitere Tatbestände mit hohen Maximalstrafen
erfüllt worden seien.

1.4 Kantonsgericht wie Staatsanwalt gehen in zutreffender Weise von der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung aus, wonach die Erfüllung des qualifizierten
Tatbestands voraussetzt, dass die Grausamkeiten darauf ausgerichtet sein
müssen, die Gefangeschaft des Opfer übermässig belastend auszugestalten. Für
das Kantonsgericht steht fest, dass der Beschwerdegegner (und seine Komplizen)
mit der grausamen Behandlung A.________ einzig bezweckten, diesen zum Reden zu
bringen und verneint damit in haltbarer Weise den für die Annahme des
qualifizierten Tatbestandes erforderlichen engen Zusammenhang zwischen den
Grausamkeiten und der Freiheitsberaubung. Der Staatsanwalt steht dagegen auf
dem Standpunkt, die Misshandlungen hätten in erster Linie dazu gedient,
A.________ durch eine möglichst belastende Ausgestaltung der Gefangenschaft für
den angeblichen Diebstahl der Mobiltelefone zu bestrafen und nur nebenbei
bezweckt, deren Lagerort ausfindig zu machen. Diese Sichtweise liesse zwar die
Annahme eines engen Zusammenhangs der Misshandlungen mit dem Tatbestand von
Art. 183 Ziff. 1 StGB und die Anwendung von Art. 184 StGB zu. Was der Täter
wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft indessen so genannte innere
Tatsachen, ist damit Tatfrage (BGE 127 IV 20 E. 4; 125 IV 242 E. 3c S. 251).
Der Staatsanwalt legt seiner Beschwerde einen anderen Sachverhalt zu Grunde als
das Kantonsgericht, was unzulässig ist, da er nicht dartut, inwiefern dessen
tatsächlichen Feststellungen offensichtlich unzutreffend bzw. willkürlich sind
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine gewisse Ungereimtheit mag zwar darin liegen, dass
die objektiv gleichen Grausamkeiten in Zusammenhang mit der Freiheitsberaubung
mit einer Höchststrafe von 20 Jahren bedroht sind (Art. 183 Ziff. 1 und Art.
184 i.V.m. Art. 40 StGB), im Zusammenhang mit einer Nötigung bloss mit 7 ½
Jahren (Art. 181 und 183 Ziff. 1 i.V.m. Art. 49 Abs. 1 StGB). Dies kann
indessen hingenommen werden, da sich der Strafrahmen erheblich erweitert, wenn
die Grausamkeiten derart sind, dass sie den Tatbestand von Gewaltdelikten
erfüllen.

2.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind
keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. November 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Störi