Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.585/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_585/2008

Urteil vom 19. Juni 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, Ferrari, Mathys,
Gerichtsschreiber Faga.

Parteien
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 8090 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Pascal Veuve.

Gegenstand
Strafzumessung (vorsätzliche Tötung und Widerruf),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 7. März 2008.

Sachverhalt:

A.
Im Rahmen eines Streites stach A.________ am 5. September 2005 in Zürich ihrem
Ehemann mit einem Taschenmesser zweimal in die Brust. Dabei verletzte ein Stich
das Herz, was zum Tod des Opfers führte.

B.
Das Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, verurteilte A.________ am
7. März 2008 wegen vorsätzlicher Tötung zu 3 Jahren und 9 Monaten
Freiheitsstrafe. Das Gericht billigte ihr dabei zu, in Überschreitung der
Grenzen der Notwehr gehandelt zu haben.

C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons
Zürich, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Ausfällung
einer markant höheren Strafe zurückzuweisen. Während die Vorinstanz auf eine
Vernehmlassung verzichtet hat, beantragt die Beschwerdegegnerin, die Beschwerde
sei abzuweisen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe die verminderte
Schuldfähigkeit und die entschuldbare Notwehr falsch gewichtet, was zu einer
überaus milden Strafe geführt habe.

2.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist das neue Recht nicht milder (Art. 2
Abs. 2 StGB). Dass der Begriff "Zuchthaus" im neuen Recht nicht mehr enthalten
ist, hat keine Bedeutung. Die Strafdrohungen im Besonderen Teil des
Strafgesetzbuches (zweites Buch) wurden an das revidierte Sanktionensystem
angepasst. Von einer Ausnahme abgesehen (Art. 294 StGB) hat sie der Gesetzgeber
lediglich neu umschrieben, ohne dass der damit verbundene Vorwurf erschwert
bzw. der Strafrahmen erweitert worden wäre (BGE 134 IV 82 E. 5 S. 86 mit
Hinweisen). Freiheitsentziehende Strafen des bisherigen Rechts (Gefängnis oder
Zuchthaus) und des neuen Rechts (Freiheitsstrafe) sind gleichwertig, soweit sie
unbedingt ausgesprochen werden (a.a.O. E. 7.2.1 S. 89). Ob das neue im
Vergleich zum alten Recht milder ist, beurteilt sich im Übrigen nicht nach
einer abstrakten Betrachtungsweise, sondern in Bezug auf den konkreten Fall
(Grundsatz der konkreten Vergleichsmethode). Der Richter hat die Tat sowohl
nach altem als auch nach neuem Recht (hypothetisch) zu prüfen und durch
Vergleich der Ergebnisse festzustellen, nach welchem der beiden Rechte der
Täter besser wegkommt (a.a.O. E. 6.2.1 S. 86 mit Hinweisen). Aus dem
angefochtenen Urteil geht nicht hervor, inwiefern das im neuen Recht (Art. 47
StGB) ausdrücklich genannte Strafzumessungselement der Wirkung der Strafe auf
das Leben des Täters im konkreten Fall weitergehend als nach dem alten Recht
zum Tragen käme. Der Hinweis der Vorinstanz, dass damit eine niedrigere Strafe
möglich sei, als sie das Verschulden des Täters gebieten würde, ist insoweit
unbehelflich. Auch nach der Praxis zum alten Recht konnte eine vom
Tatverschulden unabhängige strafmindernde Komponente zu einer Strafe führen,
die unter der dem Verschulden angemessenen Strafe lag. Die Vorinstanz hält
zutreffend fest, dass die im neuen Recht ausdrücklich genannten zusätzlichen
Strafzumessungselemente der Praxis zum alten Recht entsprechen (Urteil 6B_401/
2007 vom 8. November 2007 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 134 IV 132). Dies gilt
auch in Bezug auf die Auswirkungen der Verminderung der Schuldfähigkeit (Art.
19 StGB) und der entschuldbaren Notwehr (Art. 16 StGB) auf das Strafmass. Dem
angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die Vorinstanz bei Anwendung
des zur Zeit der Tat geltenden alten Rechts eine höhere Strafe ausgefällt
hätte. In Anbetracht der im vorliegenden Fall massgebenden und im Wesentlichen
unveränderten Strafzumessungsgrundsätze wäre die Strafe nach altem Recht gleich
ausgefallen. Das neue Recht ist somit im konkreten Fall nicht das mildere.
Demnach ist das alte Recht anwendbar.

3.
3.1 Es liegt im Ermessen des Sachrichters, in welchem Umfang er die
verschiedenen Strafzumessungsfaktoren berücksichtigt. Die Strafrechtliche
Abteilung des Bundesgerichts greift auf Beschwerde in Strafsachen hin nur in
die Strafzumessung ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über-
oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien
ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen
beziehungsweise in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch
gewichtet hat (vgl. BGE 129 IV 6 E. 6.1 S. 21; 127 IV 101 E. 2c S. 104; 124 IV
286 E. 4a S. 295). Nach Art. 50 StGB hat der Richter, sofern er sein Urteil zu
begründen hat, die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren
Gewichtung festzuhalten. Diese im neuen Recht gesetzlich festgeschriebene
Begründungspflicht entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum alten
Recht, wonach der Richter die Überlegungen, die er bei der Bemessung der Strafe
vorgenommen hat, in den Grundzügen wiedergeben muss, so dass die Strafzumessung
nachvollziehbar ist. Besonders hohe Anforderungen an die Begründung der
Strafzumessung werden unter anderem gestellt, wenn die ausgesprochene Strafe
ungewöhnlich hoch oder auffallend milde ist (BGE 127 IV 101 E. 2c S. 104 f.;
121 IV 49 E. 2a/aa S. 56; 120 IV 136 E. 3a S. 143; 118 IV 337 E. 2a S. 338 f.).

3.2 Die Vorinstanz hält fest, dass ohne Notwehrsituation und Verminderung der
Schuldfähigkeit für das Tötungsdelikt eine Freiheitsstrafe von rund 15 Jahren
angemessen wäre. In Anbetracht der in mittlerem Grade verminderten
Schuldfähigkeit sei diese Strafe auf 7 ½ Jahre zu reduzieren, womit
gleichzeitig auch dem vom Gutachter attestierten "schweren Angstzustand"
vollumfänglich Rechnung getragen werde. Sodann sei für den zugestandenen,
qualitativ gravierenden Notwehrexzess eine zusätzliche Milderung im Umfang von
einem Fünftel der Einsatzstrafe bzw. von 3 Jahren vorzunehmen. Die Vorinstanz
reduziert schliesslich die daraus resultierende Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren
wegen der überwiegend positiven Täterkomponenten um 9 Monate auf die
angefochtene Strafe von 3 Jahren und 9 Monaten.

3.3 Die Beschwerdeführerin macht insbesondere geltend, es sei nicht
nachvollziehbar und jedenfalls der vorinstanzlichen Begründung nicht
ansatzweise zu entnehmen, wieso die Strafe allein unter dem Titel der
überschreitenden entschuldbaren Notwehr um nicht weniger als 1/5 bzw. 3 Jahre
zu reduzieren sei. Wenn trotz der im Urteil angeführten Zweifel (insbesondere
der Annahme, dass die Beschwerdegegnerin ihrem Ehemann den Stich mit dem Messer
"rein prophylaktisch und vorschnell" zufügte) eine solche Strafreduktion
vorgenommen werde, so liege darin ein Ermessensmissbrauch und gleichzeitig auch
eine Verletzung der Begründungspflicht. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin
hätte die Vorinstanz die Strafe zunächst wegen der entschuldbaren Notwehr und
erst dann wegen der Verminderung der Schuldfähigkeit reduzieren dürfen. Denn
der Notwehrexzess gehöre zu den Tat- und nicht zu den Täterkomponenten. Selbst
wenn man die Strafe um 3 Jahre reduzierte, müsste daher die tatbezogene
Einsatzstrafe auf 12 Jahre festgesetzt werden. Diese Strafe wäre wegen der
verminderten Schuldfähigkeit dann auf höchstens 6 Jahre herabzusetzen. Würde
man diese Strafe um die 9 Monate herabsetzen, käme man insgesamt auf 5 ¼ Jahre.
Die Vorinstanz sei somit aufgrund eines falschen Berechnungsmodus zu einer
Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten gelangt.

3.4 Die Beschwerdegegnerin wendet im Wesentlichen ein, es entspreche einer
gefestigten Gerichtspraxis, dass in aller Regel zunächst die Strafreduktion für
die verminderte Schuldfähigkeit vorgenommen werde, bevor die Reduktion für
weitere Tatkomponenten wie etwa für einen Notwehrexzess berücksichtigt werde.
Die von der Beschwerdeführerin vertretene Rechtsauffassung würde darauf
hinauslaufen, die gesamten Notwehrkomponenten der Tat aus dem Anwendungsbereich
der verminderten Schuldfähigkeit vollständig auszuklammern.

3.5 Die Rüge der Beschwerdeführerin ist insofern berechtigt, als im
vorinstanzlichen Urteil eine unzulässige "Rechnungsmethode" angewendet wird.
Bei der Strafzumessung ist vom Verschulden des Täters auszugehen (Art. 63
aStGB). Das Tatverschulden lässt sich im vorliegenden Fall nur unter Einbezug
des Notwehrexzesses bewerten. Erst das daraus resultierende Verschulden kann
durch die verminderte Zurechnungsfähigkeit (Schuldfähigkeit) beeinflusst
werden. Wer vermindert zurechnungsfähig (schuldfähig) ist, dessen Verschulden
ist geringer, was im Vergleich zu einem voll Zurechnungsfähigen (Schuldfähigen)
zu einer tieferen (milderen) Strafe führt. Im Interesse einer nachvollziehbaren
Strafzumessung ist es sinnvoll, im Urteil in einem ersten Schritt darzutun, wie
gross das Tatverschulden (und allenfalls die sich daraus ergebende
hypothetische Strafe) wäre, wenn keine Verminderung vorläge. In einem zweiten
Schritt ist zu begründen, wie sich die Verminderung auf die
Verschuldenseinschätzung auswirkt und welches die daraus resultierende
angemessene (hypothetische) Strafe ist. Diese Strafe ist dann gegebenenfalls in
einem dritten Schritt aufgrund täterrelevanter bzw. tatunabhängiger
Strafzumessungsfaktoren zu erhöhen bzw. zu reduzieren (vgl. BGE 134 IV 132 E.
6.1 S. 135).

3.6 Die Vorinstanz führt bei der Verschuldensbewertung zunächst aus, die
Beschwerdegegnerin habe dem Opfer lediglich zwei Messerstiche zugefügt, von
denen der eine tödliche Wirkung gehabt habe. Zu ihren Gunsten sei davon
auszugehen, dass sie mit keinem dieser Stiche bewusst gegen das Herz des Opfers
zielte. Sodann sei die Tat nicht das Resultat einer langen Vorbereitung. Sie
habe sich vielmehr im Verlaufe einer vorerst rein verbalen Auseinandersetzung
ereignet, die vom Opfer mit ungerechtfertigten Beschuldigungen hervorgerufen
worden sei. Entscheidend sei dabei, dass es das Opfer nicht bei seinen
Beschuldigungen habe bewenden lassen, sondern massive Drohungen ausgestossen
und diese mit dem Herumfuchteln mit einem Messer noch unterstrichen habe. Es
müsse der Beschwerdegegnerin zugestanden werden, in Notwehr gehandelt zu haben,
jedoch liege ein erheblicher Notwehrexzess vor. In subjektiver Hinsicht falle
ins Gewicht, dass die Beschwerdegegnerin nicht mit direkter Tötungsabsicht
handelte. Offenbar sei es darum gegangen, den für sie belastenden, nicht enden
wollenden Beschuldigungen, gleichzeitig aber auch den verbalen Drohungen ein
Ende zu setzen. Es könne deshalb nur von einem Eventualvorsatz ausgegangen
werden, was das Tatverschulden deutlich relativiere.
Mit Bezug auf den Notwehrexzess erwähnt die Vorinstanz, es sei durchaus
nachvollziehbar, dass sich die Beschwerdegegnerin durch das herumbrüllende, mit
einem Messer bewehrte Opfer in die Enge getrieben fühlte und sich vor ihm
fürchtete. Von einer ausweglosen Situation oder gar einer unmittelbar
drohenden, akuten Lebensgefahr könne aber keine Rede sein, und die Aussagen der
Beschwerdegegnerin selber liessen insgesamt die Annahme nicht zu, sie sei
selber ernsthaft von einer solchen unmittelbaren Lebensgefahr ausgegangen. Der
Stich mit dem Messer sei rein prophylaktisch und vorschnell erfolgt, wenn nicht
gar ganz einfach mit dem Ziel, dem anhaltend lästigen Verhalten des Opfers ein
Ende zu setzen und dieses endgültig aus dem Zimmer zu treiben. Von einer den
Umständen angemessenen Abwehr könne vor diesem Hintergrund keine Rede sein.
Gestützt auf das psychiatrische Gutachten geht die Vorinstanz davon aus, die
Beschwerdegegnerin sei wegen ihrer massiven Alkoholisierung erheblich
beeinträchtigt gewesen, das Verhalten ihres Ehemannes realistisch zu
beurteilen, was bei ihr einerseits eine bei objektiver Betrachtung übertriebene
Angst ausgelöst haben möge, insbesondere aber zu ihrer krassen Überreaktion mit
den massiven Messerstichen geführt habe.

3.7 Aufgrund dieser Feststellungen muss das Verschulden - ohne Berücksichtigung
der verminderten Zurechnungsfähigkeit - unter Einbezug der nur knapp erfüllten
Notwehrlage in einem mittleren Bereich eingestuft werden, was mit der
Einschätzung der Vorinstanz übereinstimmt. Die von ihr wegen des
Notwehrexzesses veranschlagte Reduktion der Strafe im Umfang von drei Jahren
hält sich innerhalb des weiten sachrichterlichen Ermessens und ist
bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Wird in einem zweiten Schritt die
mittelgradig verminderte Zurechnungsfähigkeit der Beschwerdegegnerin im
Tatzeitpunkt berücksichtigt, so ist von einem erheblich geringeren Verschulden
auszugehen. Wenn die Vorinstanz diesem Umstand mit einer hälftigen Reduktion
der Strafe Rechnung trägt, so ist dies ebenfalls nicht zu beanstanden (dazu BGE
134 IV 132). Hingegen ist die verminderte Zurechnungsfähigkeit erst zu
berücksichtigen, nachdem das Tatverschulden unter Einbezug des Notwehrexzesses
bewertet wurde. Die daraus resultierende Strafe ist schliesslich wegen der
überwiegend günstigen täterbezogenen Umstände angemessen zu reduzieren. Es ist
davon auszugehen, dass die Vorinstanz bei richtigem Vorgehen auf eine
wesentlich höhere Strafe erkannt hätte. Die von ihr ausgesprochene
Freiheitsstrafe von 3 ¾ Jahren erscheint auch bei einer Gesamtbetrachtung als
zu milde und liegt nicht mehr innerhalb des vertretbaren Ermessenspielraums.
Die Vorinstanz hat damit Art. 63 aStGB verletzt.

4.
Die Beschwerde ist somit gutzuheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich, II. Strafkammer, vom 7. März 2008 aufzuheben und die Sache zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten der Beschwerdegegnerin
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der obsiegenden Beschwerdeführerin ist
gemäss Art. 68 Abs. 3 BGG keine Entschädigung zuzusprechen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich, II. Strafkammer, vom 7. März 2008 aufgehoben und die Sache zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Juni 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Favre Faga