Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.548/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_548/2008/bri

Urteil vom 29. Oktober 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Favre, Zünd,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Roger Burges,

gegen

A.________,
Beschwerdegegner,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Eröffnung einer Untersuchung gegen Behördenmitglieder und Beamte;
unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, vom 2. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
Am 11. Dezember 2007 reichte X.________ bei der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Körperverletzung und Nötigung ein.
Zur Begründung führte sie an, sie befinde sich zurzeit im Burghölzli im
Fürsorgerischen Freiheitsentzug und sei heute - u.a. von Oberarzt Dr.
A.________ - gegen ihren Willen gezwungen worden, Haldol und Temesta zu
schlucken.

Am 14. Februar 2008 trat die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Zürich
auf die Strafanzeige nicht ein und eröffnete gegen Dr. A.________ keine
Strafuntersuchung. Sie erwog, nach den glaubhaften Aussagen von Dr. A.________
sei X.________ am 22. November 2007 im Sinne von § 27 des Patientinnen- und
Patientengesetzes vom 5. April 2004 rechtsgenügend über die geplante
Zwangsmedikation unterrichtet worden, und diese Anordnung sei unangefochten
geblieben. Es sei unter diesen Umständen nicht zu beanstanden, dass Dr.
A.________ davon ausgegangen sei, die Zwangsmedikation sei rechtens und könne
ausgeführt werden. Jedenfalls würden Anhaltspunkte für ein vorsätzliches
Handeln bzw. ein strafbares Verhalten von Dr. A.________ fehlen, weshalb keine
Untersuchung zu eröffnen sei.

Am 2. Juni 2008 wies die II. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich
den Rekurs von X.________ gegen diesen Entscheid der Anklagekammer ab.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen, welche gegebenenfalls als subsidiäre
Verfassungsbeschwerde zu behandeln sei, beantragt X.________, diesen Entscheid
der II. Zivilkammer des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Eröffnung
einer Strafuntersuchung gegen Dr. A.________ an die Strafverfolgungsbehörden
zurückzuweisen und festzustellen, dass Art. 3, Art. 6 Ziff. 1, Art. 8, Art. 10
und Art. 13 EMRK verletzt worden seien. Zudem ersucht sie um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung.

Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Erwägungen:

1.
1.1 Nach § 22 Abs. 1 Ziff. 1 i.V.m. Abs. 5 der Zürcher Strafprozessordnung vom
4. Mai 1919 (StPO) ist auf eine Strafanzeige nicht einzutreten und kein
Strafverfahren zu eröffnen, wenn kein Anfangsverdacht für ein strafbares
Verhalten vorliegt. Darüber befindet nach § 22 Abs. 5 StPO in der Regel die
Untersuchungsbehörde. Steht hingegen die Eröffnung einer Strafuntersuchung oder
das Nichteintreten auf eine Strafanzeige gegen einen Beamten in Frage, der im
Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit einer strafbaren Handlung
verdächtigt wird, befindet darüber die Anklagekammer des Obergerichts (§ 22
Abs. 6 StPO). Im Falle von Dr. A.________ hat die Anklagekammer die Eröffnung
einer Strafuntersuchung mangels Tatverdachts abgelehnt, und die Zivilkammer hat
diesen Entscheid geschützt. Damit steht fest, dass gegen Dr. A.________ kein
Strafverfahren durchgeführt wird; insofern handelt es sich um einen
Endentscheid in Strafsachen. Da kantonale Beamte keine
Strafverfolgungsprivilegien geniessen, dürfen dabei ausschliesslich straf- bzw.
strafprozessrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Der einzige
Unterschied zu "gewöhnlichen" Verfahren ist, dass ein Gericht, nicht die
normalerweise zuständige Untersuchungsbehörde darüber befindet, ob eine
Strafuntersuchung zu eröffnen sei oder nicht. Damit ist die Beschwerde in
Strafsachen zulässig. Da mit ihr alle Rügen vorgebracht werden können, die in
der subsidiären Verfassungsbeschwerde zulässig sind, verbleibt für letztere
kein Raum.

1.2 In einem Strafverfahren wegen Körperverletzung und Amtsmissbrauchs gegen
den Arzt, der ihr nach ihrer Darstellung ohne zureichende Rechtfertigung gegen
ihren Willen zwangsweise Psychopharmaka verabreichen liess, käme der
Beschwerdeführerin Opferstellung zu (Art. 2 Abs. 2 OHG). Dies würde sie zur
Erhebung einer Beschwerde in Strafsachen berechtigen, wenn sich der
angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann.
Dies ist vorliegend nicht der Fall, da der Kanton Zürich für den Schaden, den
die in ihrem Dienst stehenden Personen - darunter Dr. A.________ - in Ausübung
ihrer dienstlichen Verpflichtungen bewirken, nach seinem Haftungsgesetz vom 14.
September 1969 (HG), mithin nach öffentlichem Recht haftet (BGE 125 IV 161 E.
3). Zivilforderungen gegen die ins Recht gefassten Personen sind ausgeschlossen
(§ 6 Abs. 4 HG). Der angefochtene Entscheid kann sich somit nicht auf
allfällige Zivilforderungen der Beschwerdeführerin auswirken, weshalb sie nicht
nach Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG beschwerdebefugt ist.

1.3 Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst hat die Praxis
zum altrechtlichen Art. 88 OG dem Geschädigten seit langem die Befugnis
zuerkannt, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung von
Verfahrensrechten geltend zu machen, deren Missachtung eine formelle
Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG wie neu nach Art. 81 Abs. 1
lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls
nicht aus einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am
Verfahren teilzunehmen. Ist der Beschwerdeführer in diesem Sinne nach
kantonalem Recht Partei, kann er die Verletzung jener Parteirechte rügen, die
ihm nach dem kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund der
Bundesverfassung zustehen und deren Missachtung auf eine formelle
Rechtsverweigerung hinausläuft (BGE 133 I 185 E. 6.2 S. 198). Der in der Sache
selbst nicht Legitimierte, dem im kantonalen Verfahren jedoch Parteistellung
zukam, kann beispielsweise geltend machen, er sei nicht angehört worden (BGE
128 I 218 E. 1.1; 120 Ia 157 E. 2a/aa und bb).

Unzulässig sind allerdings Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle
Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen, wie etwa die Behauptung,
dass die Begründung des angefochtenen Entscheids unvollständig oder zu wenig
differenziert ausgefallen sei oder sich nicht mit sämtlichen von der Partei
vorgetragenen Argumenten auseinandersetze oder dass die Parteivorbringen
willkürlich gewürdigt worden seien. Ebenso wenig ist der Vorwurf zu hören, der
Sachverhalt sei unvollständig oder sonstwie willkürlich ermittelt worden.
Unzulässig ist auch die Rüge, Beweisanträge seien wegen willkürlicher
antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt worden ("Star-Praxis", vgl. BGE 114 Ia
307 E. 3c S. 313; 126 I 81 E. 7b S. 94). Da die Aufzählung der
beschwerdebefugten Personen in Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG nicht abschliessend
ist und sich am Erfordernis des Rechtsschutzinteresses als Voraussetzung der
Beschwerdelegitimation nichts geändert hat, kann die angeführte Praxis zu Art.
88 OG weiterhin Geltung beanspruchen.

Damit erweisen sich die verschiedenen Rügen der Beschwerdeführerin, mit denen
sie den angefochtenen Entscheid materiell kritisiert, als von vornherein
unzulässig. Darauf ist nicht einzutreten.

1.4 In formeller Hinsicht rügt die Beschwerdeführerin verschiedene
Gehörsverletzungen.
1.4.1 Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sieht die Beschwerdeführerin
darin, dass die Anklagekammer bei ihrem Entscheid vom 14. Februar 2008 eine
nachträgliche Eingabe von Rechtsanwalt B.________ vom 19. Dezember 2007 nicht
berücksichtigt habe und weder sie noch ihr Anwalt Gelegenheit erhalten hätten,
der einzigen polizeilichen Einvernahme von Dr. A.________ beizuwohnen.

Diese Vorwürfe richten sich gegen die Polizei und die Anklagekammer und hätten
damit bereits im kantonalen Rechtsmittelverfahren vorgebracht werden können. In
ihrem Rekurs an die obergerichtliche Zivilkammer erhob die Beschwerdeführerin
indessen keine derartigen Rügen. Diese Gehörsverweigerungsvorwürfe waren somit
nicht Gegenstand des Rekursverfahrens, welches zum angefochtenen Entscheid
führte. Insoweit liegt kein letztinstanzlicher Entscheid im Sinne von Art. 75
Abs. 1 BGG vor, weshalb darauf nicht einzutreten ist.
1.4.2 Die obergerichtliche Zivilkammer hat im angefochtenen Entscheid, wie
bereits zuvor die Anklagekammer, erwogen, der Beschwerdeführerin sei die
Anordnung der Zwangsbehandlung am 22. November 2007 nach den Vorschriften des
Patientengesetzes eröffnet worden. Dabei sei sie unbestrittenermassen auch auf
ihr Recht aufmerksam gemacht worden, diese Anordnung gerichtlich überprüfen zu
lassen. Sie habe von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, worauf die
Zwangsbehandlung durchgeführt worden sei, nachdem der Ablauf der
Rechtsmittelfrist und der erstinstanzliche Entscheid im Verfahren abgewartet
worden waren, welches sie gegen den Fürsorgerischen Freiheitsentzug angestrengt
hatte. In dieser Situation sei die Rechtmässigkeit der Zwangsbehandlung im
vorliegenden Verfahren nicht mehr zu prüfen, da die Beschwerdeführerin das ihr
zu diesem Zweck zur Verfügung stehende Rechtsmittel nicht ergriffen habe.

Die Beschwerdeführerin wirft der obergerichtlichen Zivilkammer sinngemäss eine
formelle Rechtsverweigerung vor, da sie verpflichtet gewesen wäre, die
Rechtmässigkeit der Zwangsmedikation zu prüfen. Die Rüge ist unbegründet.
Nachdem der Beschwerdeführerin nach § 27 Abs. 4 des Patientengesetzes ein
besonderes Verfahren zur Überprüfung der Rechtmässigkeit der Zwangsmedikation
offen gestanden hatte und sie davon, in Kenntnis des ihr zustehenden
Beschwerderechts, keinen Gebrauch machte, durfte jedenfalls Dr. A.________ im
Vertrauen auf die formelle Rechtskraft der angeordneten Zwangsmedikation davon
ausgehen, dass deren Durchführung rechtmässig sei. Insofern bestand für die
obergerichtliche Zivilkammer ohnehin kein Anlass, die angeordnete
Zwangsmedikation ausserhalb des dafür vorgesehenen Verfahrens auf ihre
Rechtmässigkeit zu prüfen. Daran ändert nichts, dass das Bundesgericht am 22.
Januar 2008 (5A_766/2007) die von der Beschwerdeführerin gegen die Anordnung
des Fürsorgerischen Freiheitsentzuges gerichtete Beschwerde gutgeheissen und
ihre unverzügliche Entlassung angeordnet hat.

2.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66
Abs. 1 BGG). Sie hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung gestellt, welches indessen abzuweisen ist, da die Beschwerde
aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Oktober 2008

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Störi