Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.50/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_50/2008/bri
6B_72/2008

Urteil vom 20. Juni 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Favre, Zünd,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
1. X.________,
Beschwerdeführer 1, vertreten durch Fürsprecher André Vogelsang,

und

2. Y.________,
Beschwerdeführer 2, vertreten durch Fürsprecher Peter-René Wyder,
gegen

Generalprokurator des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Geldwäscherei,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer,
vom 21. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Das Kreisgericht VIII Bern-Laupen verurteilte Y.________ am 19. November 2004
wegen qualifizierten Drogenhandels, Geldwäscherei und Verstössen gegen das ANAG
zu 69 Monaten Zuchthaus und einer Busse von Fr. 10'000.--. Ausserdem
verpflichtete es ihn, den unrechtmässigen Gewinn in Höhe von Fr. 20'000.-- dem
Staat abzuliefern. Am 26. August 2005 verurteilte es X.________ wegen
qualifizierten Drogenhandels und Geldwäscherei zu 75 Monaten Zuchthaus, einer
Busse von Fr. 2'500.-- und 20 Jahren Landesverweisung.

Das Obergericht des Kantons Bern, an welches Y.________ und X.________
appellierten, passte am 21. August 2007 die erstinstanzlichen Urteile dem neuen
Recht an und bestätigte sie im Übrigen vollumfänglich. Es hält folgenden
Sachverhalt für erwiesen:

Ab dem Frühjahr 2002 führte ein aus Nigerianern bestehender, über ein
internationales Netzwerk verfügender Drogenhändlerring mehrmals Drogen - in
erster Linie Kokain, teilweise auch Heroin - aus dem Ausland in den Raum Bern
ein, um diese hier zu verkaufen. Der Transport erfolgte durch Kuriere, welche
mehrere 100 Gramm in Fingerlinge abgepacktes Drogengemisch schluckten und im
Körper mit sich führten ("Bodypacking"). Y.________ nahm jeweils den Geldbetrag
entgegen, den ihm X.________ für die Bezahlung der Drogenlieferung zukommen
liess, wechselte ihn in Euro, nahm den Kurier in Empfang und fuhr mit ihm zu
A.________, wo der Kurier die Drogen ausschied und direkt bezahlt wurde. Die
Drogen wurden an Zwischen- und Unterhändler weitergegeben. Der über eine
bürgerliche Existenz als Taxifahrer und einen Schweizer Pass verfügende
Y.________ fungierte nach der Überzeugung des Obergerichts als "Bank",
Geldwechsler, Berater und ruhender Pol vor Ort. In dieser Funktion war er
zwischen dem Frühjahr 2002 und dem 4. Oktober 2002 am Kauf und an der Einfuhr
von mindestens 3,6 kg Kokaingemisch und 153 g Heroingemisch beteiligt und hat
aus dem Drogenhandel stammende Gelder in Höhe von über 330'000 Franken in einem
gemieteten Bankschliessfach aufbewahrt, in Höhe von über 10'000 Franken ins
Ausland überweisen lassen und in Höhe von über 210'000 Franken und 20'000 USD
in grössere Schweizer Banknoten gewechselt. X.________ war - jedenfalls unter
den ermittelten Mitgliedern - der Kopf der Bande und als solcher verantwortlich
für die Organisation der Lieferungen und damit auch für die Y.________
vorgeworfenen Tathandlungen.

B.
Gegen dieses obergerichtliche Urteil erheben sowohl Y.________ (Verfahren 6B_72
/2008) als auch X.________ (Verfahren 6B_50/2008) Beschwerde in Strafsachen mit
dem Antrag, es aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung ans Obergericht
zurückzuweisen. X.________ ersucht zudem um unentgeltliche Prozessführung und
Verbeiständung.

In ihren Vernehmlassungen zum Verfahren 6B_50/2008 beantragen die
Staatsanwaltschaft und das Obergericht, die Beschwerde von X.________
abzuweisen. Im Verfahren 6B_72/2008 wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Verurteilung der beiden Beschwerdeführer beruht massgeblich auf den
Ergebnissen der Telefonkontrolle, welche am 8. Juli 2002 gegen den
Beschwerdeführer 2 und unbekannte Täterschaft angeordnet wurde und die bis zum
4. Oktober 2002 andauerte. Dabei wurden rund 4'600 in Igbo (der Sprache der am
Drogenhandel beteiligten Nigerianer vom Stamme der Ibo) und Pidgin-Englisch
geführte Gespräche abgehört. Diese wurden von einem externen Übersetzer
übersetzt und, soweit sie als wesentlich beurteilt wurden, von Polizeibeamten
niedergeschrieben. Die Identität des Übersetzers ist dem Obergericht bekannt,
wurde indessen den Beschwerdeführern zu dessen Schutz nicht mitgeteilt. Dies
ist nach der Darstellung des Obergerichts ein regelmässig praktiziertes Mittel,
um den Übersetzer vor Repressalien zu schützen und habe bis anhin nie zu
Diskussionen Anlass gegeben. Anders als der Zeuge sei der Übersetzer kein
Beweismittel, sondern ein Sachverständiger, der dem Gericht Beweise
erschliesse, welche es nicht selber verstehen könne. Die Korrektheit der
Übersetzung könne zudem durch Vergleich der gespeicherten Gesprächsaufnahmen
mit dem transkribierten Ergebnis überprüft werden. Es sei zur Wahrung der
Verteidigungsrechte daher nicht zwingend, die Personalien des Übersetzers zu
kennen, da sich aus diesen Angaben nichts über die Richtigkeit der Übersetzung
im Einzelfall ableiten lasse. Es wäre den Beschwerdeführern zudem jederzeit
unbenommen gewesen, die Herausgabe der gespeicherten Gesprächsaufnahmen zu
verlangen oder die Einvernahme des Übersetzers an der obergerichtlichen
Hauptverhandlung zu beantragen. Auf die ausdrückliche Aufforderung des
Obergerichts, mangelhaft übersetzte Passagen zu benennen, um diese gerichtlich
überprüfen zu lassen, hätten die Beschwerdeführer bzw. deren Verteidiger nicht
reagiert. Aus diesem prozessualen Verhalten sei zu schliessen, dass sie die
Qualität der Übersetzung gar nie ernsthaft in Zweifel gezogen hätten. Auf den
Einwand, es stehe nicht fest, dass der Übersetzer im Sinne von Art. 307 StGB
belehrt worden sei, hat das Obergericht den polizeilichen Mitarbeiter
B.________ als Zeugen befragt. Dieser bestätigte den Polizeibericht, wonach er
gemeinsam mit dem Übersetzer von Untersuchungsrichter C.________ auf die
Übersetzerpflichten aufmerksam gemacht worden sei. Was den Beschwerdeführer 1
betreffe, so handle es sich bei ihm nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts
(6P.109/2003, E. 2.2) nicht um einen personellen Zufallsfund. Da Drogenhandel
begriffsnotwendig von mehr als einer Person betrieben werde, umfasse die
Genehmigung der Telefonkontrolle gegen ein Mitglied eines Drogenhändlerrings
auch die übrigen Mitglieder. Zudem würde bei schwerwiegenden Delikten wie
schwerem Drogenhandel das öffentliche Interesse an der Aufklärung der Straftat
die entgegenstehenden privaten Interessen des Beschuldigten überwiegen, sodass
unter Umständen auch rechtswidrig erlangte Beweise verwertbar seien (BGE 131 I
272 E. 4.1). Gestützt auf diese Ausführungen kam das Obergericht zum Schluss,
die Ergebnisse der Telefonkontrollen seien uneingeschränkt verwertbar.

1.2 Der Beschwerdeführer 1 rügt, da die Telefonkontrolle nicht gegen ihn
persönlich angeordnet und genehmigt worden sei, handle es sich bei der
Entdeckung seiner Beteiligung an den Drogengeschäften um einen sogenannten
personellen Zufallsfund, der nach Art. 9 Abs. 2 des Bundesgesetzes betreffend
die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF, SR 780.1) hätte
genehmigt werden müssen. Da dies unterblieben sei, hätten die Ergebnisse der
Telefonkontrolle nicht gegen ihn verwertet werden dürfen. Der Beschwerdeführer
2 räumt ein, dass in seinem Fall die Zwangsmassnahmenbehörde die erforderlichen
Bewilligungen erteilte und die Regeln des BÜPF eingehalten wurden. Beide machen
indessen geltend, die Ergebnisse der Telefonkontrolle seien nicht verwertbar,
weil die Person des Übersetzers nicht bekannt gegeben worden sei und es ihnen
deshalb nicht möglich gewesen sei zu prüfen, ob dieser fachlich ausgewiesen und
auf seine Wahrheitspflicht aufmerksam gemacht worden sei. Das kantonale
Verfahrensrecht biete keine Grundlage für eine Geheimhaltung der Personalien
des Übersetzers. Das Obergericht gehe zudem zu Unrecht davon aus, dass der
Übersetzer auf seine Pflichten nach Art. 307 StGB hingewiesen worden sei und
diese Erklärung auch verstanden habe. Zusammenfassend beruhe die Verwertung der
Ergebnisse der Telefonkontrolle auf einer willkürlichen Anwendung des
kantonalen Strafverfahrensrechts und verletze Art. 29 Abs. 2 sowie Art. 32 Abs.
2 BV in gravierender Weise.

2.
2.1 Die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs im Rahmen eines
Strafverfahrens richtet sich seit dem 1. Januar 2002 nach dem BÜPF, welches
deren Voraussetzungen eingehend geregelt und teilweise verschärft hat. Durch
die veränderte Rechtslage ist die vom Obergericht angeführte Rechtsprechung
namentlich in Bezug auf den Begriff und die Verwertbarkeit des Zufallsfundes
überholt. Das Bundesgericht hat in seinem (nach dem angefochtenen Entscheid
ergangenen) Leitentscheid BGE 133 IV 329 zur Auslegung von Art. 9 BÜPF insoweit
Klarheit geschaffen, als es sich bei der Identifizierung eines bisher
unbekannten Drogenhändlers durch die rechtmässige Abhörung des Telefons eines
Komplizen um einen personellen Zufallsfund handelt. Weitere Ermittlungen gegen
diesen sind ohne vorgängige Zustimmung der Genehmigungsbehörde unzulässig (Art.
9 Abs. 2 BÜPF). Sind die Voraussetzungen für die Verwendung des Zufallsfundes
nicht gegeben, sind die betreffenden Dokumente und Datenträger umgehend zu
vernichten (Art. 9 Abs. 3 BÜPF). Für eine unter altem Recht zulässige
Interessenabwägung zwischen dem bei schweren Verbrechen naturgemäss grossen
öffentlichen Interesse an der Aufklärung der Straftat und dem privaten
Interesse des Angeklagten an einem Verwertungsverbot bleibt angesichts der
klaren gesetzlichen Regelung kein Raum mehr. Wird gegen eine Person, die sich
im Rahmen einer gegen eine andere Person rechtmässig durchgeführten
Telefonkontrolle verdächtig gemacht hat, unter Missachtung der Vorschriften von
Art. 9 Abs. 2 BÜPF ohne Zustimmung der Genehmigungsbehörde weiter ermittelt, so
sind die dabei erlangten Beweise nicht verwertbar.

Im vorliegenden Fall wurde gegen den Beschwerdeführer 1 keine Telefonkontrolle
angeordnet, die Strafverfolgungsbehörden stiessen vielmehr erst durch die
Auswertung der Abhörung des Telefonanschlusses des Beschwerdeführers 2 auf ihn.
Damit hätten sie nach Art. 9 Abs. 2 BÜPF vor der Einleitung weiterer
Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer 1 die Zustimmung der
Genehmigungsbehörde einholen müssen. Daran ändert entgegen der Auffassung des
Obergerichts nichts, dass sie das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer 2
und Unbekannt eröffneten. Nach dem dargelegten Leitentscheid werden die
Komplizen des abgehörten Verdächtigen vom Genehmigungsentscheid nicht
mitumfasst. Werden solche im Laufe der Abhörung ermittelt, handelt es sich um
personelle Zufallsfunde, gegen die nach dem klaren Wortlaut von Art. 9 Abs. 2
BÜPF nur nach vorgängiger Zustimmung der Genehmigungsbehörde weiter ermittelt
werden darf. Die Abhörungsprotokolle sind damit gegen den Beschwerdeführer 1
nicht verwertbar, die Rüge ist begründet.

2.2 Beide Beschwerdeführer machen geltend, es stehe weder fest, dass der
Übersetzer auf die Folgen einer falschen Übersetzung nach Art. 307 StGB
hingewiesen worden sei, noch dass er diese Belehrung verstanden habe. Sie legen
indessen nicht dar, inwiefern die gegenteilige, auf einen Polizeibericht und
die Zeugenaussage des Polizeibeamten B.________ gestützte Annahme des
Obergerichts offensichtlich unhaltbar bzw. willkürlich sein soll, und das ist
auch nicht ersichtlich. Auf die Rüge ist nicht einzutreten (Art. 97 Abs. 1
BGG).

2.3 Anders als im in BGE 129 I 85 zu beurteilenden Sachverhalt ist das Vorgehen
der Behörden bei der Übersetzung der abgehörten Telefonate nachvollziehbar und
transparent. Geheim gehalten wurde einzig die Identität des Übersetzers, um
diesen vor allfälligen Repressalien zu schützen. Art. 124 des Bernischen
Gesetzes über das Strafverfahren (StrV) sieht diese Möglichkeit zwar nur für
Zeugen ausdrücklich vor. Danach ist es zulässig, dessen Identität nur dem
Gericht offenzulegen, wenn dieser sonst ernstlich an Leib und Leben bedroht
wäre. Im Gegensatz zum Zeugen, der ein Beweismittel ist, ist der
Sachverständige blosser Vermittler, der einen Beweis für das Gericht erfassbar
macht. Er ist austauschbar, und seine Arbeit überprüfbar. Sieht das kantonale
Strafprozessrecht die Möglichkeit vor, dem Angeschuldigten die Identität von
Zeugen vorzuhalten, so ist es jedenfalls nicht willkürlich, diese Bestimmung
analog auf Sachverständige anzuwenden, da dies unter dem Gesichtspunkt der
Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte weit weniger problematisch ist. Im
vorliegenden Fall bestehen keine ernsthaften Zweifel daran, dass die Telefonate
korrekt übersetzt wurden, auch die Beschwerdeführer haben dies nicht in Frage
gestellt oder die Befragung des Übersetzers als Zeugen beantragt, um dessen
Qualifikationen und allfällige Befangenheiten abzuklären. Unter diesen
Umständen ist die Verwertung der in Deutsch niedergeschriebenen
Telefonprotokolle verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

2.4 Zusammenfassend ist somit die Beschwerde 6B_50/2008 des Beschwerdeführers
1, soweit darauf einzutreten ist, gutzuheissen und die Sache im Sinne der
Erwägungen ans Obergericht zu neuem Entscheid zurückzuweisen. Die Beschwerde
6B_72/2008 des Beschwerdeführers 2 ist hingegen unbegründet.

3.
In Bezug auf die Beschwerde 6B_50/2008 sind somit keine Kosten zu erheben, und
der Beschwerdeführer 1 hat Anspruch auf eine angemessene Parteientschädigung
(Art. 66 Abs. 4 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Damit wird sein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. Die Kosten des Verfahrens 6B_72/
2008 trägt ausgangsgemäss der Beschwerdeführer 2 (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
1.1 Die Beschwerde 6B_50/2008 von X.________ wird, soweit darauf einzutreten
ist, gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 21. August
2007 aufgehoben, soweit es ihn betrifft (Teil B des Urteilsdispositivs) und die
Sache im Sinne der Erwägungen ans Obergericht zu neuem Entscheid
zurückgewiesen.

1.2 Die Beschwerde 6B_72/2008 von Y.________ wird abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

2.
2.1 Im Verfahren 6B_50/2008 werden keine Kosten erhoben.

2.2 Die Kosten des Verfahrens 6B_72/2008 in Höhe von Fr. 2000.-- werden
Y.________ auferlegt.

3.
Der Kanton Bern hat X.________ für das bundesgerichtliche Verfahren eine
Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 20. Juni 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Störi