Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.458/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_458/2008 /hum

Urteil vom 5. August 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Zünd, Mathys,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
Xa.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Ulrich Seiler,

gegen

Generalprokurator des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Revisionsverfahren (vorsätzliche Tötung); amtliche Verteidigung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern,
Kassationshof, vom 7. April 2008.

Sachverhalt:

A.
Xa.________ wurde vom Obergericht des Kantons Bern am 18. März 2005 wegen
vorsätzlicher Tötung zu 12 Jahren Zuchthaus und 15 Jahren Landesverweisung
verurteilt. Es hielt für erwiesen, dass er am 23. Dezember 2001 in
Münchenbuchsee seinen Schwager Aa.________ erschossen hat.

Am 1. April 2008 reichte Xa.________ beim Kassationshof des Obergerichts des
Kantons Bern ein Revisionsgesuch ein mit dem Antrag, dieses obergerichtliche
Urteil aufzuheben. Er berief sich auf ein Schreiben von N.________ vom 28.
November 2007 als neues Beweismittel. Nach diesem Schreiben soll die Familie
X.________ einen "Herrn b.________" (Gb.________) an die Polizei verraten
haben, welcher in der Folge des Landes verwiesen worden sei. Gb.________ habe
von der Familie X.________ eine finanzielle Genugtuung von 3'000 Franken
monatlich verlangt und diese Forderung durch Aa.________ eintreiben wollen. Es
sei deswegen zu heiklen Eskalationen zwischen Xa.________ und Aa.________
gekommen. Die Gewaltbereitschaft von Aa.________ und Gb.________ sei gross
gewesen, und beide seien zeitweise scharf bewaffnet gewesen. Er, Neuburger,
kenne die genauen Tatumstände zwar nicht, aber er hätte jedenfalls definitiv
grosse Angst gehabt vor einer Konfrontation mit den beiden. Dieses Schreiben
belegt nach der Auffassung von Xa.________, dass er sich bei der Schussabgabe
in einer Notstands- oder Notwehrsituation befand.

Der Kassationshof trat am 7. April 2008 auf das Revisionsgesuch nicht ein. Er
erwog, das Schreiben enthalte Anhaltspunkte für die Motivation der Straftat und
die Gewaltbereitschaft des Opfers. Es liefere neu eine mögliche Erklärung für
das angespannte Verhältnis zwischen den beiden und mit dem "Verrat" an
Gb.________ einen möglichen Grund, weshalb Aa.________ Xa.________ mit
Blutrache gedroht haben könnte. Zu den Tatumständen ergebe sich aus dem
Schreiben indessen nichts, weshalb es keinen Einfluss auf die konkrete
Beurteilung des Tatgeschehens haben könne. Es lägen damit keine neuen
Anhaltspunkte vor, welche die Beurteilung des Obergerichts, es habe weder eine
Notwehr- noch eine Notstandssituation vorgelegen, in Frage stellen würden. Das
Schreiben N.________s stelle somit zwar ein neues Beweismittel dar, welches
aber nicht geeignet sei, den Freispruch oder eine erheblich geringere
Bestrafung Xa.________s zu erwirken.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt Xa.________, diesen Entscheid des
Kassationshofes aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, auf das
Revisionsgesuch einzutreten. Seiner Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu
erteilen, und er sei aus dem Strafvollzug zu entlassen. Der Kassationshof sei
anzuweisen, ihm für das Revisionsverfahren unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung zu gewähren. Dieses Gesuch stellt er ebenfalls für das
bundesgerichtliche Verfahren.

Der Präsident der Strafrechtlichen Abteilung liess Xa.________ mitteilen, dass
das Bundesgericht für die Beurteilung seines Haftentlassungsgesuchs nicht
zuständig ist.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer wirft dem Kassationshof vor, er habe mit dem angefochtenen
Entscheid Art. 385 StGB verletzt. Danach sind die Kantone verpflichtet, die
Wiederaufnahme des Verfahrens zu Gunsten des Verurteilten zu gestatten, wenn
erhebliche Beweismittel vorgebracht werden, die dem erkennenden Gericht nicht
bekannt waren.

1.1 Unbestritten ist, dass das Schreiben N.________s vom 28. November 2007 ein
neues Beweismittel im Sinne von Art. 385 StGB ist. Fraglich kann nur sein, ob
es auch erheblich ist. Dies ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn es
geeignet ist, die Beweisgrundlage des früheren Urteils so zu erschüttern, dass
ein neues Urteil - ausgehend vom veränderten Sachverhalt - wesentlich milder
ausfallen kann oder dass ein Teilfreispruch in Betracht fällt. Dabei ist an die
Voraussetzung des wesentlich milderen Urteils kein strenger Massstab anzulegen.
Möglich ist eine Änderung des früheren Urteils, wenn sie sicher,
höchstwahrscheinlich oder wahrscheinlich ist (BGE 122 IV 66 E. 2a; 120 IV 246
E. 2b; 116 IV 353 E. 2a und 5a, je mit Hinweisen).

1.2 Das Obergericht ist in seinem Urteil vom 18. März 2005 davon ausgegangen,
dass in den betroffenen Kreisen - d.h. insbesondere den Familien A.________ und
X.________ - "ein Klima der Gewalt herrschte, in welchem aber Xa.________ nicht
stärker bedroht gewesen wäre als jeder andere junge Erwachsene aus ebendiesen
Kreisen, wodurch ausgedrückt wird, dass allein aus dieser Situation heraus
jedermann auf die Idee kommen könnte, jedermann umzubringen, um dem
Selber-Umgebrachtwerden zuvorzukommen" (Obergericht a.a.O. S. 45). Das
Obergericht ist somit von einer hohen Gewaltbereitschaft des Opfers
ausgegangen, insofern ergibt sich aus dem Brief N.________s kein wesentlich
neuer Gesichtspunkt.

Aus welchem Grund der Beschwerdeführer Aa.________ erschoss, liess das
Obergericht offen. Ausschlaggebend könnten seiner Auffassung nach Spannungen
zwischen den beiden gewesen sein, weil Aa.________ sich von seiner Ehefrau
getrennt und sie "wegen Mängeln" an die Familie X.________ zurückgegeben und
zudem den Beschwerdeführer erheblich provoziert hatte (Obergericht a.a.O. S. 73
f.). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Tat des Beschwerdeführers in einem
anderen - d.h. wesentlich milderen Licht - erscheinen würde, wenn er sie auch
zur Abwehr von finanziellen Forderungen ausgeführt hätte.

Zum Tatgeschehen selber hat N.________, was er in seinem Schreiben auch
ausdrücklich festhält, nichts beizutragen. Sein Brief ist daher von vornherein
nicht geeignet, die obergerichtliche Beweiswürdigung, welche ausschliesst, dass
der Beschwerdeführer in Notwehr bzw. Putativnotwehr auf sein Opfer schoss -
namentlich weil dieses ausschliesslich von hinten getroffen wurde - in Frage zu
stellen. Inwiefern sich daraus Anhaltspunkte für das Vorliegen einer
Notstandssituation ergeben könnten, ist ohnehin unerfindlich. Der fragliche
Brief ist daher offensichtlich nicht geeignet, die Beweisgrundlage des
obergerichtlichen Urteils zu erschüttern und zu einem wesentlich milderen
Urteil zu führen. Der Kassationshof hat somit Art. 385 StGB nicht verletzt,
indem er auf das Revisionsbegehren nicht eintrat.

1.3 Damit steht auch fest, dass das Revisionsbegehren von Anfang an keine
Erfolgsaussichten hatte. Der Kassationshof hat daher den verfassungsrechtlich
geschützten Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung (Art.
29 Abs. 3 BV) nicht verletzt, indem er das entsprechende Gesuch des
Beschwerdeführers ablehnte.

2.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der
Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat zwar ein Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches indessen
abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergerichts des Kantons Bern,
Kassationshof, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. August 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Favre Störi