Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.418/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_418/2008/sst

Urteil vom 26. August 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Stohner.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten
durch Rechtsanwalt Matthias Leonhardt,
gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Mehrfache Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz etc.,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, vom 26. März 2008.

Sachverhalt:
-
Mit Urteil vom 11. Juni 2007 sprach das Bezirksgericht Zürich, 3. Abteilung,
X.________ in 21 von 23 Anklagepunkten wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das
BetmG und wegen mehrfacher Übertretung des BetmG schuldig und verurteilte ihn
zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren.
-
Mit Eingabe vom 12. Juli 2007 meldete X.________ fristgerecht Berufung beim
Obergericht des Kantons Zürich an. Nach Zustellung des begründeten
erstinstanzlichen Entscheids am 12. November 2007 nannte X.________ mit Eingabe
vom 29. November 2007 innerhalb der gesetzlichen Frist von 20 Tagen seine
Beanstandungen. Diese richteten sich gegen zwei der 21 Teilsachverhalte
(Anklageziffern I.1 und I.4.2) sowie insbesondere gegen die Strafzumessung.
Zusammenfassend machte X.________a geltend, er sei in vier von 23
Teilsachverhalten freizusprechen, und sein Geständnis und seine Kooperation bei
der Untersuchung seien angemessen strafmindernd zu berücksichtigen. Im Ergebnis
sei er zu einer Freiheitsstrafe von maximal drei Jahren zu verurteilen. Am 13.
Dezember 2007 erhob die Staatsanwaltschaft Anschlussberufung mit dem Antrag,
X.________ sei zu einer Freiheitsstrafe von 8½ Jahren und zu einer Busse von
Fr. 500.-- zu verurteilen. Mit zwei Eingaben vom 4. März 2008 brachte
X.________ zusätzliche Beanstandungen gegen das erstinstanzliche Urteil vor,
und anlässlich der Berufungsverhandlung vom 26. März 2008 bestritt er nebst den
mit Eingabe vom 29. November 2007 gerügten Anklagepunkten weitere
Teilsachverhalte.
-
Das Obergericht des Kantons Zürich erachtete die von X.________ mit den
Schreiben vom 4. März 2008 und an der Berufungsverhandlung vorgebrachten
zusätzlichen Beanstandungen für verspätet. Es befand X.________ mit Urteil vom
26. März 2008 der Widerhandlung gegen das BetmG und der mehrfachen Übertretung
desselbigen schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von acht
Jahren.
-
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 26. März 2008 sei aufzuheben, und die Sache
sei zur richtigen Feststellung des Sachverhalts an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Des Weiteren ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Erwägungen:
-
Auf die Beschwerde ist einzutreten, da sie unter Einhaltung der gesetzlichen
Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von der mit ihren Anträgen
unterliegenden beschuldigten Person (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 BGG)
eingereicht wurde und sich gegen einen von einer letzten kantonalen Instanz
(Art. 80 BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90 und 95 BGG) in Strafsachen (Art.
78 Abs. 1 BGG) richtet.
-
- Die Vorinstanz hat in ihrer Urteilsbegründung ausgeführt, der
Beschwerdeführer habe mit seiner Berufungseingabe vom 29. November 2007 einzig
zwei der insgesamt 21 Teilsachverhalte bestritten. § 414 Abs. 4 StPO/ZH
statuiere, dass der Berufungskläger binnen 20 Tagen nach Zustellung des
begründeten Entscheids schriftlich seine Beanstandungen zu benennen habe. Mit
dieser Beanstandungspflicht sei ein gemässigtes Rügeprinzip eingeführt worden,
welches ähnlichen Zielen diene wie die Berufungsbeschränkung gemäss § 413 StPO/
ZH. Mit beiden Instituten habe der Gesetzgeber den Streitgegenstand in einem
frühen Stadium grob eingrenzen wollen. Aufgrund der erhobenen Beanstandungen
solle das Berufungsgericht in die Lage versetzt werden, das Verfahren
sachgerecht anzugehen und über die Wahl der Verfahrensart zu entscheiden.
Würden mit der Beanstandungsschrift nur noch einzelne Schuldpunkte gerügt, so
sei darin eine Beschränkung der Berufung im Sinne von § 413 Abs. 1 StPO zu
erkennen, könne doch gemäss dieser Vorschrift die Berufung auf einzelne
Schuldpunkte eingegrenzt werden. Da der Beschwerdeführer mithin innert der
Frist von § 414 Abs. 4 StPO/ZH nur zwei Anklagepunkte bestritten habe, seien
die übrigen 19 Schuldsprüche nicht mehr angefochten und in Rechtskraft
erwachsen (angefochtenes Urteil S. 9 ff.).
- Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz eine willkürliche Auslegung und
Anwendung von § 414 Abs. 4 StPO/ZH und damit eine Verletzung von Art. 9 BV vor.
Er macht geltend, nach dem Verständnis der Vorinstanz entfalte § 414 Abs. 4
StPO/ZH die gleichen Wirkungen wie eine Beschränkung der Berufung nach § 413
StPO/ZH. Bei der Berufungsbeschränkung und der Beanstandungspflicht aber handle
es sich um zwei unterschiedliche Institute, werde doch durch § 414 Abs. 4 StPO/
ZH insbesondere die Zulässigkeit einer allfälligen Anschlussberufung nicht
beschränkt. Die von der Vorinstanz vertretene definitive Beschränkung der
Berufung auf die schriftlich vorgebrachten Beanstandungen - und damit die
Nichtzulassung neuer Rügen an der Berufungsverhandlung - sei schlechthin
unhaltbar. Nach richtiger Auffassung diene § 414 Abs. 4 StPO/ZH nämlich
lediglich einer ersten Orientierung des Gerichts, wo der Berufungskläger die
Kernprobleme des erstinstanzlichen Urteils orte, und lasse die Möglichkeit
unberührt, die erhobenen Beanstandungen anlässlich der Berufungsverhandlung zu
ergänzen (Beschwerde S. 4 f.).
- Gemäss § 413 StPO/ZH kann die Berufung beschränkt werden auf einzelne
Schuldsprüche, auf die Strafzumessung, die Anordnung von Massnahmen, den
Entscheid über die Zivilforderung sowie die besonderen Anordnungen (Abs. 1).
Die Berufung kann bis zum Abschluss der Berufungsverhandlung weiter
eingeschränkt oder zurückgezogen werden (Abs. 2). Die Rechtskraft des
angefochtenen Urteils wird im Umfang der Anfechtung gehemmt (Abs. 3).
Gestützt auf § 414 StPO/ZH ist die Berufung binnen zehn Tagen ab Eröffnung des
Dispositivs beim Gericht erster Instanz anzumelden (Abs. 1). Sie kann
schriftlich oder bei Eröffnung des Entscheides mündlich zu Protokoll erklärt
werden (Abs. 2). Will der Berufungskläger die Berufung einschränken, so muss er
angeben, welche Teile des Entscheids er anfechten will (Abs. 3). Der
Berufungskläger hat binnen 20 Tagen nach Zustellung des begründeten Entscheids
schriftlich seine Beanstandungen zu benennen (Abs. 4).
- Konsequenz der Berufungsbeschränkung gemäss § 413 und § 414 Abs. 3 StPO/ZH
ist, dass sich die Berufungsinstanz nur noch mit den angefochtenen
Urteilspunkten zu befassen hat und die nicht angefochtenen Schuldsprüche sofort
in Rechtskraft erwachsen, eine spätere Ausdehnung der Berufung mithin
unzulässig ist. Ratio legis der Berufungsbeschränkung ist die
Verfahrensvereinfachung. Dem gleichen Zweck dient die Beanstandungspflicht
gemäss § 414 Abs. 4 StPO/ZH (vgl. zum Ganzen Andreas Donatsch/Ulrich Weder/
Cornelia Hürlimann, Die Revision des Zürcher Strafverfahrensrechts vom 27. März
2003, 2005, S. 57 ff.; Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4. Aufl., 2005, Rz.
1030; siehe auch den Antrag, die Weisung und den Entwurf des Regierungsrats des
Kantons Zürich vom 4. April 2001 zur Änderung der Kantonsverfassung und zum
Gesetz über die Teilrevision der Strafprozessordnung; in: Amtsblatt des Kantons
Zürich 2001, S. 635 f.; vgl. zur Auslegung von § 414 Abs. 4 StPO/ZH ferner auch
die Urteile des Bundesgerichts 1P. 850/2005 vom 8. Mai 2006; in: Praxis 2007
Nr. 22 S. 125; 1P.195/2006 vom 27. Juni 2006 und 1P.69/2007 vom 12. April
2007).
Wie die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, hat der Beschwerdeführer mit
seiner innert der Frist von § 414 Abs. 4 StPO/ZH eingereichten
Beanstandungsschrift nur zwei von 21 Anklagepunkten, in denen er verurteilt
wurde, beanstandet. Das interpretierte die Vorinstanz als Beschränkung der
Berufung im Sinne von § 413 Abs. 1 StPO/ZH. Unter dem Gesichtspunkt der Willkür
lässt sich dies nicht beanstanden. Würde man der Argumentation des
Beschwerdeführers folgen, wonach es dem Berufungskläger unbenommen bliebe, in
einer späteren Verfahrensphase, d.h. insbesondere anlässlich der
Berufungsverhandlung, die selbst gewählte Eingrenzung des Streitgegenstands
wieder aufzuheben und weitere Urteilspunkte der vorinstanzlichen Beurteilung zu
unterstellen, würde die mit den § 413 und 414 StPO/ZH verfolgte
Informationsfunktion ihres Gehalts entleert und das Ziel der
Verfahrensvereinfachung untergraben, da es der Berufungsinstanz hierdurch
entgegen dem gesetzgeberischen Ansinnen verunmöglicht würde, das
Berufungsverfahren sachgerecht anzugehen und namentlich bereits in einem frühen
Verfahrensstadium über die Wahl der Verfahrensart zu befinden (vgl. auch Urteil
1P.69/2007 vom 12. April 2007, E. 3).
-
Die Beschwerde ist daher vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann. Der Beschwerdeführer ersucht um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege. Da das Rechtsmittel von vornherein aussichtslos war, kann dem
Gesuch nicht entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG).
Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Bei der Festsetzung der
Gerichtsgebühr ist seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:
-
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
-
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
-
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
-
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 26. August 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Stohner