Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.407/2008
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2008
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2008


Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_407/2008 /hum

Urteil vom 21. Juli 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Ferrari,
Gerichtsschreiber Briw.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Boris Züst,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh., Rathaus, 9043 Trogen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 90 Ziff. 2 SVG),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts von Appenzell Ausserrhoden, 1.
Abteilung, vom 18. September 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 21. September 2005 wurde um 11.14 Uhr auf der Umfahrungsstrasse Teufen ein
Motorrad mit einer Geschwindigkeit von 133 km/h geblitzt. Damit hatte der
Lenker die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um massgebliche 49 km/h
überschritten. Am 23. September 2005 wurde X.________ als Halter des Motorrads
telefonisch von einem Polizeibeamten befragt. Dabei soll er zugegeben haben,
selber gefahren zu sein. Zwei Wochen später verlangte er Einsicht in die
polizeilichen Akten und wollte das Radarbild sehen. Dabei soll er wiederum
gesagt haben, dass er selber gefahren sei.

Gegen die Strafverfügung des Verhöramts vom 21. Oktober 2005 (bedingte
Gefängnisstrafe von 3 Tagen und Fr. 2'160.-- Busse wegen grober Verletzung von
Verkehrsregeln) erhob der inzwischen beigezogene Verteidiger Einsprache. Am 15.
Dezember 2005 fand eine verhörrichterliche Einvernahme in Anwesenheit des
Verteidigers statt. Am 11. Januar 2006 führte die Kantonspolizei auf Anordnung
des Verhörrichters eine Hausdurchsuchung in der Werkstatt und Wohnung von
X.________ durch. Gleichentags wurden sein Vater und ein Angestellter befragt.
Am 20. Juli 2006 wurde eine Verwaltungsangestellte beim Polizeikommando als
Zeugin verhörrichterlich einvernommen. Der darüber nicht in Kenntnis gesetzte
Verteidiger verzichtete auf eine Wiederholung dieser Zeugeneinvernahme. Das
Kantonsgericht sprach ihn am 29. Januar 2007 frei.

B.
Das Obergericht von Appenzell Ausserrhoden fand ihn am 18. September 2007 in
Gutheissung der Appellation der Staatsanwaltschaft der groben Verletzung von
Verkehrsregeln (Art. 90 Ziff. 2 SVG) schuldig und verurteilte ihn zu einer
Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 85.-- sowie einer Busse von Fr. 3'000.--.
Es schob den Vollzug der Geldstrafe mit einer Probezeit von 3 Jahren auf und
setzte für den Fall der schuldhaften Nichtbezahlung eine Ersatzfreiheitsstrafe
von 30 Tagen fest.

C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, ihn freizusprechen,
eventualiter das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer
Beurteilung an die Vorinstanz oder das Verhöramt zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem
Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht
und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 III 439 E. 3.2; 133 IV
286 E. 1.4). Dieses Rügeprinzip verlangt, dass in der Beschwerdeschrift
dargelegt wird, welche verfassungsmässigen Rechte inwiefern durch den
angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht prüft nur
rechtsgenügend vorgebrachte, klar erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen.
Auf rein appellatorische Kritik tritt es nicht ein. Die blosse Verweisung auf
Ausführungen in anderen Rechtsschriften oder auf die Akten genügt nicht (BGE
133 II 396 E. 3.1; 123 IV 42 E. 3a).

Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des
Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 BGG). Dabei bedeutet "offensichtlich unrichtig" willkürlich (BGE 133
II 249 E. 1.2.2). Es gilt eine qualifizierte Rügepflicht (BGE 133 II 249 E.
1.4.2), d.h. der Beschwerdeführer muss in der Beschwerdeschrift klar und
deutlich anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darlegen, inwiefern
verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 134 I 83 E. 3.2).

1.2 Der Beschwerdeführer verkennt diese Verfahrensordnung, wenn er geltend
macht, die Darstellungen von Staatsanwaltschaft und Vorinstanz gälten insgesamt
wie auch im Detail als bestritten, sofern sie nicht ausdrücklich als richtig
anerkannt würden, und gegen gemeinsame Rechtsmittel werde protestiert. Er
behauptet eine Vielzahl von Verletzungen des Völkerrechts, der Bundesverfassung
sowie des kantonalen Rechts und wirft einem Polizeibeamten ein "mutmasslich
strafbares Verhalten in Form der Unterdrückung von Urkunden, der
Falschbeurkundung im Amt sowie des Amtsmissbrauchs" vor. Er habe Fotos
"verschwinden" lassen, und es bestünden Geheimakten. In diesem Zusammenhang
stellt er beim Bundesgericht ein Editionsbegehren. Auf diese appellatorische
Kritik ist nicht einzutreten.

1.3 So behauptet er, die Vorinstanz habe sich mit der Tragweite des Grundsatzes
des fairen Verfahrens und des Verbots von Geheimakten in keiner Weise
auseinander gesetzt (Beschwerde S. 10). Das trifft nicht zu. Die Vorinstanz
prüft dies unter dem Titel "Nichtbeachtung entlastender Momente durch die
Strafbehörden - Verletzung der Dokumentationspflicht" auf den S. 14 ff. des
angefochtenen Urteils. Sie hat dazu insbesondere den verantwortlichen
Polizeibeamten hinsichtlich des bei der Hausdurchsuchung zu Vergleichszwecken
mit dem Radarbild gemachten Fotos als Zeugen einvernommen. Dieser erklärte, das
Foto sei wahrscheinlich noch bei der Verkehrspolizei. Bezüglich der bei der
Hausdurchsuchung gefundenen Ordner habe er den Verhörrichter angefragt, ob er
diese benötige. Dieser habe das verneint und gemeint, sie könnten dem
Beschwerdeführer zurückgegeben werden. Die Vorinstanz nimmt zwar einen Verstoss
gegen die Dokumentationspflicht an, kommt aber zum Ergebnis, der
Beschwerdeführer habe die Unterlagen einsehen können und die Schriftstücke, die
seinen Standpunkt stützten, bei der Erstinstanz eingereicht. Zur fraglichen
Foto hält die Vorinstanz fest, dass sie den Beweis dafür, dass der
Beschwerdeführer das Motorrad selbst gesteuert habe, unabhängig von einer
Ähnlichkeit mit dem Radarbild als erbracht sehe. Zusammengefasst nimmt sie an,
aus der Verletzung der Dokumentationspflicht könne eine Verletzung der
Verteidigungsrechte (Verunmöglichung des Entlastungsbeweises) resultieren.
Unter den vorliegenden Umständen könne aber davon nicht gesprochen werden. Es
ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Würdigung willkürlich sein sollte.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, die telefonische Befragung durch die Polizei
stehe im Widerspruch zu Art. 46 StPO/AR.

Die Vorinstanz räumt dem Beschwerdeführer ein, dass eine telefonische Befragung
durchaus problematisch sei und bei Vergehen oder Verbrechen für einen
Schuldspruch sicher nicht ausreiche, nimmt aber an, dass dieser Mangel infolge
der verhörrichterlichen Einvernahme als geheilt zu betrachten sei
(angefochtenes Urteil S. 13 f.). Die Frage kann offen bleiben, weil für den
Schuldspruch nicht einzig auf diese Befragung abgestellt wird (unten E. 2.4).

2.2 Der Beschwerdeführer macht ein Verwertungsverbot wegen fehlenden Hinweises
auf das Aussageverweigerungsrecht geltend.

Die Vorinstanz prüft unter dem Gesichtspunkt des Aussageverweigerungsrechts, ob
auf das vom Beschwerdeführer der Polizei gegenüber abgelegte Geständnis
abgestellt werden darf. Sie befragt dazu den Polizeibeamten an der Verhandlung.
Dieser erklärte, er habe den Beschwerdeführer am Telefon nach einem
Standard-Formular befragt und ihn darauf aufmerksam gemacht, dass er keine
Aussagen machen müsse. Der Beschwerdeführer habe gesagt, "das sei er gewesen".
Einige Zeit später sei er in das Polizeibüro gekommen, um das Radarfoto
anzuschauen, und habe gesagt, er sei der Lenker gewesen (angefochtenes Urteil
S. 10). Die Vorinstanz stellt fest, der Beschwerdeführer sei auf sein Recht,
die Aussage zu verweigern, hingewiesen worden. Demzufolge könne auf sein
Geständnis abgestellt werden (angefochtenes Urteil S. 13). Diese Würdigung ist
nicht willkürlich.

Die Vorinstanz führt weiter aus, die Aussage eines Zeugen (des Angestellten
Gasser) bei der Hausdurchsuchung sei wegen fehlenden Hinweises auf das
Aussageverweigerungsrecht nicht verwertbar. Hinsichtlich des Vaters des
Beschwerdeführers könne diese Frage nicht eindeutig geklärt werden. Wie es sich
damit verhalte, spiele indessen keine Rolle, da sie ohne dieses Beweismittel zu
einem eindeutigen Schluss gelange (angefochtenes Urteil S. 18 f.).

Indem die Vorinstanz beide Einvernahmen nicht verwertet, folgt sie dem
Standpunkt des Beschwerdeführers. Die Kritik erweist sich als unbegründet.

2.3 In ausführlichen Erwägungen stellt die Vorinstanz weiter fest, dass die
Verfahrensgarantien nach dem übergeordneten wie dem kantonalen Recht nicht
verletzt sind, wenn bei der ersten polizeilichen Einvernahme nicht auf das
Recht, jederzeit einen Verteidiger beizuziehen, hingewiesen wird. Jedenfalls
mache der fehlende Hinweis die telefonische Befragung nicht unverwertbar. Sie
verweist dafür zutreffend insbesondere auf BGE 104 Ia 17 E. 4 und das Urteil
1P.556/2006 vom 25. Jan. 2007, E. 3.3). Das kantonale Recht kennt demnach keine
Art. 158 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 der noch nicht in Kraft gesetzten
schweizerischen Strafprozessordnung vergleichbare Regelung, wonach Polizei und
Staatsanwaltschaft bei der ersten Einvernahme die beschuldigte Person darauf
hinweisen, dass sie berechtigt ist, eine Verteidigung zu bestellen, mit der
Rechtsfolge, dass Einvernahmen ohne diesen Hinweis nicht verwertbar sind. Die
Beschwerde ist auch in diesem Punkt unbegründet.

2.4 Die Vorinstanz weist weitere Beweisanträge in vorweggenommener
Beweiswürdigung ab (angefochtenes Urteil S. 19). Das ist zulässig und verletzt
das rechtliche Gehör nicht. Das Gericht kann auf die Abnahme von Beweisen
verzichten, wenn es aufgrund bereits abgenommener Beweise seine Überzeugung
gebildet hat und ohne Willkür annehmen kann, seine Überzeugung werde durch
weitere Beweiserhebungen nicht geändert (BGE 134 I 140 E. 5.3).

Die Vorinstanz geht willkürfrei von einer zweimaligen Anerkennung seiner
Täterschaft durch den Beschwerdeführer aus, nämlich einerseits bei der
telefonischen Befragung sowie andererseits bei der Akteneinsicht, wobei diese
Anerkennung auch von der polizeilichen Verwaltungsangestellten bestätigt wurde
(angefochtenes Urteil S. 22). Unabhängig von der telefonischen Befragung lässt
sich die Anerkennung der Täterschaft auch mit den letzteren zwei Zeugenaussagen
beweisen. Bei dieser klaren Sachlage konnte willkürfrei auf weitere oder
erneute Beweismassnahmen verzichtet werden.

3.
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 90 Ziff. 2 SVG.
Er habe sich aufgrund der gezeigten Umstände nicht gemäss dieser Bestimmung
schuldig gemacht. Es sei nicht klar, ob vorsätzliche oder fahrlässige
Tatbegehung (beides werde bestritten) vorliegen solle. Dies stelle eine
Verletzung des Anklageprinzips dar. Es sei in höchstem Masse willkürlich und
verstosse gegen das Fairnessgebot und den Grundsatz in dubio pro reo, wenn die
Vorinstanz bei dieser Ausgangslage einen Schuldspruch fälle.

3.1 Die vierseitige Überweisungsverfügung vom 25. September 2006 und deren
staatsanwaltschaftliche Bestätigung (act. 34 und 35) verwenden die
Rechtsbegriffe "vorsätzlich" oder "fahrlässig" nicht. Die Anklage hat die dem
Angeklagten zur Last gelegte Straftat in ihrem Sachverhalt so präzise zu
umschreiben, dass die Vorwürfe genügend konkretisiert sind. Das Gericht ist an
den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an dessen
rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (BGE 126 I 19 E. 2a).

In der Überweisungsverfügung ist der Sachverhalt genügend präzise umschrieben.
Dessen vorinstanzliche Würdigung verletzt den Grundsatz in dubio pro reo nicht
(BGE 127 I 38 E. 2a; 120 Ia 31). Die Vorinstanz hat Mängel in der
Strafuntersuchung eingeräumt. Diese vermögen aber den Vorwurf einer fehlenden
Verfahrensfairness mit der anbegehrten Rechtsfolge der Unverwertbarkeit der
Beweismittel nicht zu begründen.

3.2 Der Beschwerdeführer überschritt die signalisierte Höchstgeschwindigkeit
zumindest eventualvorsätzlich (angefochtenes Urteil S. 24) um 49 km/h und damit
um deutlich mehr als 30 km/h, so dass eine grobe Verkehrsregelverletzung gemäss
Art. 90 Ziff. 2 SVG vorliegt und der Schuldspruch zu Recht erfolgte (BGE 132 II
234 E. 3.1 und 123 II 37; zum Begriff der groben Verkehrsregelverletzung BGE
131 IV 133 E. 3.2).

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Der unterliegende
Beschwerdeführer trägt die Kosten vor Bundesgericht (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und der Obergericht von Appenzell Ausserrhoden,
1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. Juli 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Briw