Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.393/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_393/2008, 6B_395/2008/sst

Urteil vom 8. November 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Zünd, Mathys,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
6B_393/2008
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Fritz Tanner, und

6B_395/2008
Y.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Fritz
Tanner,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus,
5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Hinderung einer Amtshandlung,

Beschwerden gegen die Urteile des Obergerichts des Kantons Aargau,
Strafgericht, 2. Kammer, vom 31. März 2008.

Sachverhalt:

A.
Am Abend des 24. Juni 2006 fand in einem Partyraum des Allmendhofs in
Beinwil-Freiamt ein Anlass von Rechtsradikalen statt. Um ca. 21:45 Uhr begaben
sich 7 Beamte der Kantonspolizei Aargau und der Regionalpolizei Muri zum
Allmendhof, um zu kontrollieren, ob dort strafbare Handlungen stattfänden.
Dabei wurde ihnen der Zutritt durch rund 20 Personen, darunter X.________ und
Y.________, die sich in zwei bis drei Gliedern vor der Polizei aufstellten,
während rund 15 - 20 Minuten verwehrt. Erst als die Polizei den Vermieter des
Lokals herbeiführte und dieser die Kontrolle billigte, liess die Gruppe nach
insgesamt rund 35 Minuten zwei Polizeibeamte in den Partyraum. Als die Polizei
anschliessend den Partyraum räumte, weigerte sich ein Teil der Festbesucher,
unter ihnen Y.________, den Raum freiwillig zu verlassen, worauf sie von
Polizeibeamten in den darunter liegenden Raum getragen wurden. Die Aktion wurde
von einem der Beamten gefilmt. Dieser wurde, als er die Kamera auf Y.________
richtete, von diesem mit den Worten bedroht "ich mache Dich kaputt".
A.a 6B_393/2008
Mit Strafbefehl vom 25. Oktober 2006 verurteilte das Bezirksamt Muri X.________
wegen Hinderung einer Amtshandlung im Sinne von Art. 286 StGB zu einer Busse
von 500 Franken.
A.b 6B_395/2008
Mit Strafbefehl vom 30. November 2006 verurteilte das Bezirksamt Muri
Y.________ wegen Hinderung einer Amtshandlung im Sinne von Art. 286 StGB sowie
Gewalt und Drohung gegen Beamte im Sinne von Art. 285 Ziff. 1 StGB zu drei
Tagen Gefängnis bedingt und einer Busse von 500 Franken.

B.
Nachdem X.________ und Y.________ sowie weitere wegen des Vorfalls vom 24. Juni
2006 ebenfalls bestrafte Mitbeteiligte die Strafbefehle nicht akzeptiert
hatten, führte der Gerichtspräsident Muri am 18. April 2007 gegen X.________,
Y.________ und fünf Mitangeklagte gemeinsam die Hauptverhandlung durch.
B.a 6B_393/2008
Mit Urteil vom 18. April 2007 verurteilte der Gerichtspräsident Muri X.________
wegen Hinderung einer Amtshandlung zu einer Geldstrafe von 2 Tagessätzen à 80
Franken.
Mit Urteil vom 31. März 2008 wies das Obergericht des Kantons Aargau die
Berufung von X.________ ab.
B.b 6B_395/2008
Mit Urteil vom 18. April 2007 sprach der Gerichtspräsident Muri Y.________ von
den Vorwürfen der Hinderung einer Amtshandlung und der Gewalt und Drohung gegen
Behörden und Beamte frei.
Mit Urteil vom 31. März 2008 hiess das Obergericht des Kantons Aargau die
Berufung der Staatsanwaltschaft teilweise gut. Es sprach ihn vom Vorwurf der
Gewalt und Drohung gegen Beamte frei und verurteilte ihn wegen Hinderung einer
Amtshandlung im Sinne von Art. 286 StGB zu einer Geldstrafe von 3 Tagessätzen à
100 Franken.

C.
In getrennten, aber wörtlich gleichlautenden Eingaben erheben X.________ und
Y.________ Beschwerden gegen die sie betreffenden Urteile und beantragen, sie
freizusprechen.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführer anerkennen, die Polizeibeamten am Betreten des Partyraums
gehindert zu haben. Sie machen geltend, dies erfülle den objektiven Tatbestand
von Art. 286 StGB nicht, da die Polizeibeamten nicht über einen
Hausdurchsuchungsbefehl verfügt hätten und damit nicht befugt gewesen seien,
den privaten Partyraum zu kontrollieren. Der Versuch der Polizei, sich Zutritt
zu verschaffen, sei daher offensichtlich rechtswidrig gewesen. Indem sie dieses
Ansinnen mit passivem Widerstand verhindert hätten, hätten sie den
rechtmässigen Zustand bewahrt, was nicht strafbar sei. Der subjektive
Tatbestand sei auch nicht erfüllt, da sie gewusst hätten, dass es sich beim
Begehren der Polizei, sich Einlass in den Partyraum zu verschaffen, um eine
offensichtlich nichtige Amtshandlung gehandelt habe. Falls diese
Rechtsauffassung nicht zutreffen sollte, so hätten sie sich jedenfalls in einem
Rechtsirrtum befunden, da sie sich beim Eintreffen der Polizei telefonisch bei
einem Rechtsanwalt erkundigt hätten, welcher ihnen bestätigt habe, dass sie
nicht verpflichtet seien, die Polizei ohne schriftlichen
Hausdurchsuchungsbefehl einzulassen.

2.
2.1 Nach Art. 286 StGB macht sich strafbar, wer einen Beamten an einer Handlung
hindert, die innerhalb seiner Amtsbefugnisse liegt. Der Tatbestand der
Hinderung einer Amtshandlung ist ein Erfolgsdelikt. Es macht sich strafbar, wer
eine Amtshandlung verhindert, erschwert, verzögert oder behindert, ohne gegen
die Amtsträger Gewalt anzuwenden oder sie zu bedrohen (BGE 133 IV 97 E. 4.2;
120 IV 136 E. 2a, je mit Hinweisen). Die Anordnung einer Amtshandlung ist
einzig unbeachtlich, wenn diese nichtig ist (BGE 98 IV 41 E. 4b; Entscheid
6B_113/2007 vom 16. August 2007, E. 2.5). Nichtigkeit ist allenfalls
anzunehmen, wenn der Mangel besonders schwer wiegt, ohne weiteres erkennbar ist
und die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft
gefährdet wird. Als Nichtigkeitsgründe fallen vorab Verfahrens- und Formfehler
- namentlich Unzuständigkeit - in Betracht, kaum je inhaltliche Mängel (BGE 132
II 342 E. 2.1 mit zahlreichen Hinweisen).
Die gerichtliche Polizei - die Aufdeckung von Straftaten, die Fahndung nach den
Tätern und die Ermittlung und Sicherung von Spuren und Beweismitteln - wird
unter der Leitung der Staatsanwaltschaft durch die Kantonspolizei ausgeübt (§ 1
Abs. 2 der Aargauer Strafprozessordnung vom 11. November 1958, StPO). Für die
Vornahme einer Hausdurchsuchung, sofern sie nicht vom Staatsanwalt oder vom
Untersuchungsrichter geleitet wird, muss ein schriftlicher Durchsuchungsbefehl
vorliegen (§ 89 Abs. 4 StPO). In dringenden Fällen ist die Polizei allerdings
berechtigt, eine solche von sich aus durchzuführen (§ 95 Abs. 2 StPO).

2.2 Unbestrittenermassen ging am fraglichen Samstag um 20:49 Uhr bei der
Einsatzzentrale der Kantonspolizei die Meldung ein, dass in einem für eine
Geburtstagsfeier angemieteten Raum des Allmendhofes in Beinwil-Freiamt ein
Treffen von 80 - 100 Rechtsradikalen stattfinde, wobei Eintritt erhoben werde,
eine Musikgruppe spiele und CD's verkauft würden. Auf Grund dieser Meldung kam
die Kantonspolizei zum Schluss, dass im Allmendhof möglicherweise strafbare
Handlungen - etwa Verstösse gegen das Verbot der Rassendiskriminierung (Art.
261bis StGB) - im Gange sein könnten. Es lag innerhalb ihrer Amtsbefugnisse,
diesen Anfangsverdacht vor Ort abzuklären und gegebenenfalls weitere
Ermittlungen einzuleiten.
Die Anordnung der Hausdurchsuchung durch die ausgerückten Polizeibeamten
erfolgte somit im Rahmen ihrer allgemeinen polizeilichen Befugnisse und lag -
für die Beschwerdeführer erkennbar - nicht ausserhalb ihrer sachlichen oder
örtlichen Zuständigkeit. Sie war damit von vornherein nicht nichtig und von den
Beschwerdeführern zu befolgen, und zwar unabhängig davon, ob die von den
Beamten festgestellten Verdachtsmomente die Anordnung der Hausdurchsuchung
rechtfertigten und die zeitliche Dringlichkeit die Einholung eines
schriftlichen Durchsuchungsbefehls oder den Beizug des Untersuchungsrichters
ausschlossen. Der objektive Tatbestand von Art. 286 StGB ist erfüllt.

2.3 In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich. Die Beschwerdeführer
anerkennen, die Polizeibeamten bewusst an einer Amtshandlung gehindert zu
haben. Sie berufen sich indessen auf Rechtsirrtum. Der Beschwerdeführer
X.________ habe sich telefonisch bei seinem Vater, Rechtsanwalt A.X.________,
erkundigt, ob sie die Polizei einlassen müssten. Dieser habe ihm gesagt, sie
müssten dies nicht tun, wenn die Polizei keinen Hausdurchsuchungsbefehl
vorweisen könne. Sie hätten auf diese rechtskundige Auskunft vertrauen dürfen.
Ein Rechtsirrtum gemäss Art. 20 der bis Ende 2006 geltenden Fassung des
Strafgesetzbuches bzw. ein Verbotsirrtum nach Art. 21 StGB, in welchem die
Praxis zum alten Recht kodifiziert und keine wesentlichen begrifflichen
Änderungen vorgenommen wurden (BBl 1999 2008), liegt vor, wenn der Täter aus
zureichenden Gründen angenommen hat, er sei zur Tat berechtigt. Vermeidbar ist
ein Verbotsirrtum regelmässig, wenn der Täter selbst an der Rechtmässigkeit
seines Verhaltens zweifelte oder hätte Zweifel haben müssen. Dasselbe gilt,
wenn er durch die zuständige Behörde ausdrücklich auf die Rechtslage
hingewiesen worden ist oder sich über behördliche Anordnungen hinwegsetzt.
Falls Anlass zu Zweifeln an der Rechtmässigkeit des Verhaltens besteht, hat
sich der Täter grundsätzlich bei der zuständigen Behörde zuvor näher zu
informieren. Soweit die Entschuldbarkeit des geltend gemachten Verbotsirrtums
zu verneinen ist, kann die Frage offen bleiben, ob der Täter sein Verhalten
überhaupt für rechtmässig hielt (BGE 129 IV 6 E. 4.1 S. 18 mit zahlreichen
Hinweisen).

2.4 Die Beschwerdeführer hielten sich nach ihren Vorbringen für berechtigt, die
Polizeibeamten abzuweisen in der irrigen Annahme, die von diesen angeordnete
Hausdurchsuchung sei nichtig. Sie machen damit einen Rechts- bzw. Verbots-,
nicht einen Sachverhaltsirrtum geltend (zur Abgrenzung: BGE 129 IV 238 E. 3).
Ein solcher kann ihnen indessen nicht zugute gehalten werden. Nach den
obergerichtlichen Feststellungen, die keineswegs offensichtlich falsch und
damit für das Bundesgericht verbindlich sind (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG),
wussten beide Beschwerdeführer, dass die Polizei unter gewissen Umständen
befugt ist, eine Hausdurchsuchung ohne schriftlichen Befehl vorzunehmen. Sie
hatten daher keinen vernünftigen, nachvollziehbaren Grund zur Annahme, sie
seien berechtigt, sich über die Anordnung der Polizeibeamten, ihnen Zutritt zum
Partyraum zu gewähren, hinwegzusetzen. Sie waren davon auch keineswegs
überzeugt, sonst hätten sie nicht - notabene nachdem den Polizisten der Zutritt
verweigert worden war - bei Rechtsanwalt A.X.________ nachgefragt, ob sie dies
dürften, und sie hätten sich unter diesen Umständen auch nicht blind auf dessen
(fragwürdige) Rechtsauskünfte verlassen und sich über die (anderslautenden)
Erklärungen der zuständigen Polizeibeamten vor Ort hinwegsetzen dürfen. Die
Beschwerdeführer mussten somit von Anfang an ernsthafte Zweifel daran gehabt
haben, ob sie zum Widerstand gegen die Hausdurchsuchung befugt waren, und das
Telefonat mit Rechtsanwalt A.X.________ war nicht geeignet, diese völlig zu
zerstreuen. Dies schliesst die Annahme eines Rechtsirrtums aus.

3.
Damit hat sich erwiesen, dass die Verurteilung der Beschwerdeführer kein
Bundesrecht verletzt. Die Beschwerden sind unbegründet. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens werden sie kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerden 6B_393/2008 und 6B_395/2008 von X.________ und Y.________
werden abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten der Verfahren 6B_393/2008 und 6B_395/2008 von insgesamt Fr.
4'000.-- werden den Beschwerdeführern je zur Hälfte, unter solidarischer
Haftung für den ganzen Betrag, auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. November 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Störi