Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.344/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_344/2008/sst

Urteil vom 6. März 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Mathys,
Gerichtsschreiberin Koch.

Parteien
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Korolnik.

Gegenstand
Vorsätzliche Tötung; direkter Vorsatz, Eventualvorsatz,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, vom 21. Januar 2008.

Sachverhalt:

A.
Am 22. Juni 2006 schoss Y.________ aus einer Distanz von drei Metern sieben Mal
auf seinen Nachbarn A.________. Dieser erlitt zwei Schussverletzungen im Bauch
sowie je eine am rechten Unterarm, am rechten Unterschenkel, am rechten Knie,
am linken Unterschenkel, an der linken Kniekehle und an der linken Hüfte.
Aufgrund der Schussverletzungen verstarb A.________ am 5. September 2006
infolge eines septischen Kreislaufversagens.

B.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach Y.________ am 21. Januar 2008 wegen
vorsätzlicher Tötung nach Art. 111 StGB schuldig und verurteilte ihn - unter
Zubilligung einer Verminderung der Zurechnungsfähigkeit im mittleren Grade - zu
einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren. Das Obergericht ging davon aus, dass
Y.________ eventualvorsätzlich handelte.

C.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhob gegen dieses Urteil am 2.
Mai 2008 gleichzeitig kantonale Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht
des Kantons Zürich und Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Mit der
letzteren beantragt sie, das Urteil des Obergerichts wegen Verletzung von
Bundesrecht bezüglich der Rechtsfrage des direkten Vorsatzes und wegen
unrichtiger Feststellung des Sachverhalts aufzuheben und die Strafsache zur
neuen Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen.

D.
Mit Beschluss vom 20. November 2008 trat das Kassationsgericht des Kantons
Zürich auf die Nichtigkeitsbeschwerde der Oberstaatsanwaltschaft nicht ein.
Erwägungen:

1.
1.1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Obergericht des Kantons Zürich
(nachfolgend Vorinstanz genannt) habe die Beweise im Zusammenhang mit dem
Vorsatz nach Art. 12 Abs. 2 StGB willkürlich gewürdigt. Die Vorinstanz habe zu
Unrecht erwogen, dem Beschwerdegegner könne ein Tötungswille und damit ein
direkter Tötungsvorsatz aufgrund des erstellten Sachverhaltes nicht
rechtsgenüglich nachgewiesen werden. Dadurch habe sie Bundesrecht verletzt. Der
Beschwerdegegner habe seinen Tötungswillen in der ersten polizeilichen
Einvernahme wenige Stunden nach der Tat bejaht. Er habe dies in derselben
Einvernahme mehrfach wiederholt. Bereits beim Alarmieren der Einsatzzentrale
habe er erklärt, er habe seinen Nachbarn erschossen. Die Abgabe von sieben
Schüssen aus einer Distanz von wenigen Metern auf das 81-jährige Opfer, dessen
Gesundheit beeinträchtigt gewesen sei, spreche für einen direkten Vorsatz der
Tötung, ebenso die Tatsache, dass der Beschwerdegegner das Opfer mit jedem
Schuss getroffen habe, unter anderem auch zweifach in den Bauch.

1.2 Das Kassationsgericht des Kantons Zürich trat auf die von der
Beschwerdeführerin erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nicht ein. Es begründet
seinen Entscheid damit, dass die Beschwerde ungenügend substanziiert sei,
soweit sie die Tatfrage des Tötungswillens betreffe. Ob das Obergericht
gestützt auf die äusseren Tatumstände zu Recht davon ausgegangen sei, dass ein
direkter Vorsatz nicht gegeben sei, sei eine Frage des eidgenössischen
Gesetzesrechts, zu deren Überprüfung das Kassationsgericht nicht zuständig sei.

2.
2.1 Gemäss Art. 80 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig gegen
Entscheide letzter kantonaler Instanzen. Nach der Strafprozessordnung des
Kantons Zürich (StPO/ZH, LS 321) kann die Nichtigkeitsbeschwerde an das
Kassationsgericht erhoben werden gegen Urteile und Erledigungsbeschlüsse des
Geschworenengerichts und des Obergerichts als erste Instanz (§ 428 StPO/ZH).
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist gegeben wegen Verletzung gesetzlicher
Prozessformen zum Nachteil des Nichtigkeitsklägers (§ 430 Abs. 1 Ziff. 4 StPO/
ZH). Dabei können unter anderem die Rügen der willkürlichen Beweiswürdigung und
Tatsachenfeststellungen erhoben werden (Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4.
Aufl. 2004, N. 1072). Die Nichtigkeitsbeschwerde steht auch wegen Verletzung
materieller Gesetzesvorschriften (§ 430 Abs. 1 Ziff. 6 StPO/ZH) offen,
allerdings nur, soweit gegen eine Entscheidung nicht die Beschwerde an das
Bundesgericht wegen Verletzung materiellen Gesetzes- oder Verordnungsrechts des
Bundes gegeben ist (§ 430b Abs. 1 StPO/ZH).

2.2 Auf die Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil der Vorinstanz ist daher
nicht einzutreten, soweit darin eine unrichtige bzw. willkürliche
Sachverhaltsfeststellung, insbesondere zur Tatfrage des Tötungswillens, gerügt
wird. Zwar ist eine solche Rüge in der Beschwerde in Strafsachen an sich
zulässig (Art. 97 Abs. 1 BGG), doch ist das Urteil der Vorinstanz, die als
erste Instanz entschieden hat, insoweit kein letztinstanzlicher Entscheid. Den
Nichteintretensentscheid des Kassationsgerichts hat die Beschwerdeführerin
nicht angefochten.

3.
3.1 In tatsächlicher Hinsicht stellt die Vorinstanz fest, dass der
Beschwerdegegner in der ersten Einvernahme den Tötungswillen bejaht, in den
weiteren Einvernahmen hingegen konstant verneint habe. Der Hintergrund für die
Tat habe in einer langjährigen Auseinandersetzung des Beschwerdegegners mit dem
Opfer bezüglich der gemeinsamen Wohnliegenschaft gelegen, welche sie zunächst
als Mieter bewohnt und später als Miteigentümer je zur Hälfte erworben hätten.
Sie hätten nur noch schriftlich miteinander verkehrt. Zu den Ereignissen am Tag
der Tat stellt die Vorinstanz folgenden Sachverhalt fest: Es kam wiederum zu
einem Konflikt, bei welchem das Opfer dem Beschwerdegegner Rechnungen in den
Briefkasten legte, welche er als unvollständig erachtete. Der Beschwerdegegner
ging auf den Rat der Tochter des Opfers mit den Rechnungen zum Opfer, welches
ihn als "Lügner" bezeichnete. Dies demütigte ihn und machte ihn wütend
(vorinstanzliches Urteil S. 8 f.). Er gab an, er sei nach der Rückkehr in seine
Wohnung in ein Tief gefallen und habe an Selbstmord gedacht. Deshalb habe er
seine Pistole aus dem Schrank geholt und sei in den Wald gegangen, wo er einmal
in die Luft geschossen habe, was wie eine Erlösung gewirkt habe
(vorinstanzliches Urteil S. 5). Die Vorinstanz hält fest, es habe keine
Vorbereitungshandlungen zum Tötungsdelikt gegeben. Zwar sei es nicht
ausgeschlossen, dass sich der Beschwerdegegner in den Wald begeben habe, um die
Schussfähigkeit der Tatwaffe zu testen, indessen könne ihm seine Darstellung,
wonach er sich dort selbst habe richten wollte, nicht widerlegt werden
(vorinstanzliches Urteil S. 12). Der Beschwerdegegner war vor der Tat in
verschiedenen Restaurants in Dübendorf, wobei der genaue Zeitpunkt der
Restaurantbesuche bzw. des ersten Aufsuchens des Opfers am Tattag unklar ist
(vorinstanzliches Urteil S. 23). Er war zur Tatzeit alkoholisiert und wies
einen Blutalkoholgehalt zwischen 1.29 und 1.88 Gewichtspromille auf
(vorinstanzliches Urteil S. 25). Nach der Rückkehr aus dem Wald begab sich der
Beschwerdegegner mit geladener Pistole zum Opfer, in der Absicht, "ihm weh zu
machen und es zu schockieren bzw. zu bestrafen". Er gab sieben Schüsse aus
einer Distanz von drei Metern in Richtung des Unterkörpers des vor dem
Fernsehgerät sitzenden Opfers ab, bis das Magazin der Waffe leer war. Er war
sich gemäss seinen Angaben des Unrechts seiner Handlungen bewusst und wusste,
dass durch sein Schiessen der Tod des Opfers eintreten konnte (vorinstanzliches
Urteil S. 8 f.). Daraus schliesst die Vorinstanz, dass der Beschwerdegegner die
tödlichen Folgen seiner Schussabgabe mindestens in Kauf genommen habe. Sie
führt aus, die Schussabgabe wäre eher in den Kopf- und Brustbereich erfolgt,
wenn der Beschwerdegegner das Ziel gehabt hätte, sein Opfer direkt zu töten
(vorinstanzliches Urteil S. 12).

3.2 Nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz ist im vorliegenden Fall
das alte Recht anwendbar. Eine Freiheitsstrafe von höchstens drei Jahren, bei
welcher nach dem neuen Recht noch ein teilbedingter Vollzug möglich wäre, fällt
ausser Betracht. Somit ist das neue Recht nicht das mildere (Art. 2 Abs. 2
StGB, vgl. vorinstanzliches Urteil S. 10).
Gemäss Art. 18 Abs. 2 aStGB verübt ein Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich,
wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Diese Bestimmung erfasst auch den
Eventualvorsatz, welcher vorliegt, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs
beziehungsweise die Verwirklichung des Tatbestands für möglich hält, aber
dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf
nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (BGE 133 IV 1 E.
4.1 S. 3 mit Hinweisen). Das neue Recht regelt den Eventualvorsatz
ausdrücklich. Gemäss Art. 12 Abs. 2 StGB begeht ein Verbrechen oder Vergehen
vorsätzlich, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt (Satz 1). Vorsätzlich
handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf
nimmt (Satz 2). In der Sache hat sich damit nichts geändert.
Was der Täter weiss, will und in Kauf nimmt, betrifft nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine innere Tatsache und ist Tatfrage.
Rechtsfrage ist hingegen, nach welchen tatsächlichen Voraussetzungen bewusste
Fahrlässigkeit, Eventualvorsatz oder direkter Vorsatz gegeben ist (vgl. BGE 133
IV 9 E. 4.1. S. 17; 130 IV 58 E. 8.5 S. 62). Vorliegend ist streitig, ob der
Beschwerdegegner in Bezug auf den eingetretenen Tötungserfolg mit
Eventualvorsatz oder aber mit direktem Vorsatz handelte.
Der direkte Vorsatz verlangt neben dem Wissen um die reale Möglichkeit der
Tatbestandserfüllung auch den Willen, den Tatbestand zu verwirklichen. Der
Täter muss sich gegen das rechtlich geschützte Gut entscheiden. Dieser Wille
ist gegeben, wenn die Verwirklichung des Tatbestandes das eigentliche
Handlungsziel des Täters ist oder ihm als eine notwendige Voraussetzung zur
Erreichung seines Zieles erscheint. Dasselbe gilt, wenn die Verwirklichung des
Tatbestandes für den Täter eine notwendige Nebenfolge darstellt, mag sie ihm
auch gleichgültig oder gar unerwünscht sein. Neben diesem direkten Vorsatz
erfasst Art. 18 Abs. 2 aStGB auch den Eventualvorsatz. Hier strebt der Täter
den Erfolg nicht an, sondern weiss lediglich, dass dieser möglicherweise mit
der willentlich vollzogenen Handlung verbunden ist. Die Rechtsprechung bejaht
Eventualvorsatz, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs bzw. die
Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den
Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag
er ihm auch unerwünscht sein (BGE 130 IV 58 E. 8.2 S. 60 f. mit Hinweisen).

3.3 Die Vorinstanz stellt fest, der Beschwerdegegner habe gewusst, dass durch
sein Schiessen der Tod seines Opfers eintreten könne. Sie hält im Weiteren
fest, dass der Wille des Beschwerdegegners nicht auf ein Töten, sondern auf ein
Weh machen, Bestrafen oder Schockieren des Opfers gerichtet war. Diese
Feststellungen sind tatsächlicher Natur. Sie können im vorliegenden Fall mit
Beschwerde in Strafsachen nicht angefochten werden, weil das angefochtene
Urteil insoweit kein letztinstanzlicher Entscheid ist (siehe E. 2.2. hiervor).
Das Bundesgericht kann daher nicht prüfen, ob die Vorinstanz in Anbetracht der
konkreten Tatausführung (Schussdistanz, Anzahl Schüsse, Ort der Treffer)
richtigerweise auf einen Tötungswillen des Beschwerdegegners hätte schliessen
müssen. Es hat vielmehr von der tatsächlichen Feststellung der Vorinstanz
auszugehen, dass der Beschwerdegegner nicht mit Tötungswillen gehandelt hat.
Bei dieser Sachlage ist aber ein direkter Tötungsvorsatz nicht gegeben und
verstösst die Verurteilung des Beschwerdegegners wegen eventualvorsätzlicher
Tötung nicht gegen Bundesrecht. Die Beschwerde ist folglich abzuweisen soweit
darauf einzutreten ist.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66
Abs. 4 BGG). Dem Beschwerdegegner wird keine Parteientschädigung zugesprochen,
da er sich am Verfahren vor Bundesgericht nicht beteiligt hat und ihm keine
Umtriebe entstanden sind.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. März 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Favre Koch