Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.343/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_343/2008/sst

Urteil vom 15. Juli 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Mathys,
Gerichtsschreiber Willisegger.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch
Rechtsanwalt Serge Flury,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus,
5001 Aarau, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Rechtsüberholen auf der Autobahn,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,
3. Kammer, vom 13. März 2008.

Sachverhalt:

A.
X.________ war am Freitag, 20. Oktober 2006, gegen 14.55 Uhr mit seinem
Personenwagen auf der (dreispurigen) Autobahn A1 in Fahrt-richtung Zürich
unterwegs. Eine Polizeipatrouille beobachtete, wie er einen auf der linken
Fahrspur befindlichen Personenwagen rechts überholte, indem er auf die mittlere
Fahrspur ausschwenkte und anschliessend wieder auf die linke Überholspur
einbog. Gestützt auf diesen Sachverhalt wurde X.________ mit Strafbefehl des
Bezirksamts Brugg in Anwendung von Art. 90 Ziff. 2 SVG zu einer bedingten
Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr. 140.-- verurteilt.

B.
Auf Einsprache von X.________ hin erkannte das Gerichtspräsidium Brugg auf eine
(einfache) Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG und
verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 500.--.

C.
In teilweiser Gutheissung einer Berufung der Staatsanwaltschaft erklärte das
Obergericht des Kantons Aargau X.________ am 13. März 2008 der (schweren)
Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 2 aSVG schuldig und
verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 500.--.

D.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Aargau vom 13. März 2008 sei aufzuheben. Er sei des
Rechtsüberholens auf der Autobahn gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig zu
sprechen und mit einer Busse von Fr. 300.-- zu bestrafen.

Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ist die Beschwerde ans Bundesgericht
hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten (Art. 108
Abs. 1 lit. b BGG). Die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und
interkantonalem Recht prüft das Bundesgericht nur insofern, als eine solche
Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2
BGG). Der Beschwerdeführer hat - entsprechend den altrechtlichen
Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG (BGE 133 IV 286 E. 1.4 S.
287) - klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids
darzulegen, inwiefern dadurch ein verfassungsmässiges Recht verletzt sein soll.
Auf ungenügend begründete Rügen und bloss allgemein gehaltene, rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht
ein (vgl. nur BGE 125 I 492 E. 1b S. 495, mit Hinweisen).

2.
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt im Sinne von
Art. 97 Abs. 1 BGG offensichtlich unrichtig und "wohl auch willkürlich" sowie
unter Verletzung des Grundsatzes von "in dubio pro reo" festgestellt.

2.1 Die Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz kann nur gerügt werden,
wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich ist oder auf einer
Verletzung von schweizerischem Recht im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn
die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens von entscheidender
Bedeutung sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung ist
willkürlich im Sinne von Art. 9 BV, wenn sie offensichtlich unhaltbar ist, zur
tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, auf einem offenkundigen
Versehen beruht oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken
zwiderläuft. Willkür liegt sodann nur vor, wenn nicht bloss die Begründung des
Entscheids, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 129 I 173 E. 3.1 S.
178; 127 I 54 E. 2b S. 56, je mit weiteren Hinweisen).

2.2 Die Vorinstanz führt zur Sachverhaltsfeststellung unter anderem Folgendes
aus: Das Aussageverhalten des Beschwerdeführers sei nicht ganz
widerspruchsfrei. Auf dem ersten Einvernahmerapport habe er eigenhändig
festgehalten, der vor ihm Fahrende habe ziemlich stark gebremst ("a freiné
assez fortement"), er habe auf die rechte Spur gewechselt und sei auf seine
Höhe aufgeschlossen, da er sehr langsam gefahren sei. Danach sei er
weitergefahren und habe wieder auf die linke Spur zurückgewechselt, ohne die
übrigen Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Vor der ersten kantonalen Instanz sei
das Bremsmanöver des Vorausfahrenden unerwähnt geblieben und habe der
Beschwerdeführer festgehalten, dieser sei vermutlich daran gewesen, seinem auf
dem Beifahrersitz anwesenden Kind zu Essen zu geben. Als dieser auf die
Lichthupsignale nicht reagiert habe, habe er sich versichert, dass keine
anderen Fahrzeuge herangenaht seien, dann habe er auf die rechte (mittlere)
Fahrspur gewechselt und sei mit ca. 100 km/h langsam am Vorausfahrenden
vorbeigezogen.

2.3 Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, lässt keine Willkür erkennen.
Er rügt, das Bremsmanöver des Vorausfahrenden habe in das erstinstanzliche
Plädoyer Eingang gefunden, weshalb der Schluss der Vorinstanz auf ein
widersprüchliches Aussageverhalten "wohl willkürlich" sei. Es trifft zwar zu,
dass der Verteidiger in einem einzigen Satz und eher beiläufig behauptete, der
vorausfahrende Lenker habe stark gebremst. Die Vorinstanz nimmt jedoch
offensichtlich Bezug auf die Aussagen des Beschwerdeführers bei der
persönlichen Befragung, wo er aufgefordert wurde, die damalige Situation aus
seiner Sicht zu schildern. Das hat er ausführlich getan, doch nicht mit einem
Wort erwähnt, der Vorausfahrende habe gebremst. Inwiefern die Würdigung des
Aussageverhaltens bei dieser Sachlage offensichtlich unhaltbar sein sollte, ist
nicht ersichtlich und wird in der Beschwerde auch nicht näher dargetan.

Weiter rügt der Beschwerdeführer den Grundsatz von "in dubio pro reo" als
verletzt. Zur Begründung wiederholt er seine Ausführungen im kantonalen
Verfahren und verweist auf die "Minderheitsmeinung" der Vorinstanz. Die
Vorbringen erschöpfen sich in unzulässiger appellatorischer Kritik, womit er
lediglich seine eigene Sicht der Dinge darlegt. Dies ist jedoch nicht geeignet,
den angefochtenen Entscheid als willkürlich erscheinen zu lassen. Denn für die
Begründung von Willkür, unter welchem Gesichtspunkt das Bundesgericht prüft, ob
der Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel verletzt ist, genügt
praxisgemäss nicht, dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar
erscheint oder gar vorzuziehen wäre (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56 mit Hinweisen).
Der Beschwerdeführer hätte substantiiert darlegen müssen, inwiefern die
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz offensichtlich unhaltbar und (auch)
im Ergebnis verfassungswidrig sind. Das hat er nicht getan. Auf seine
Beschwerde ist insoweit nicht einzutreten.

3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, seine Verurteilung nach Art. 90 Ziff. 2 SVG
verletze Bundesrecht.

3.1 Der Tatbestand der groben Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art.
90 Ziff. 2 SVG setzt objektiv voraus, dass der Täter eine wichtige
Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die
Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die
Sicherheit anderer ist nicht erst bei einer konkreten, sondern bereits bei
einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Ob eine konkrete, eine erhöhte
abstrakte oder nur eine abstrakte Gefahr geschaffen wird, hängt von der
Situation ab, in welcher die Verkehrsregelverletzung begangen wird.
Wesentliches Kriterium für die Annahme einer erhöhten abstrakten Gefahr ist die
Nähe der Verwirklichung. Die allgemeine Möglichkeit der Verwirklichung einer
Gefahr genügt demnach nur zur Erfüllung des Tatbestands von Art. 90 Ziff. 2
SVG, wenn in Anbetracht der Umstände der Eintritt einer konkreten Gefährdung
oder gar einer Verletzung nahe liegt (BGE 131 IV 133 E. 3.2 mit Hinweisen).

Subjektiv erfordert der Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG ein rücksichtsloses
oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, d.h. ein schweres
Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit. Diese
ist immer zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner
verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist (BGE 131 IV 133 E. 3.2 S. 136; 123 IV 88
E. 4a S. 93; Urteil des Kassationshofs 6S.139/2005 vom 24. Juni 2005, E. 1).
3.2
3.2.1 Das sich aus Art. 35 Abs. 1 SVG ergebende Verbot des Rechtsüberholens
stellt eine objektiv wichtige Vorschrift dar, deren Missachtung eine erhebliche
Gefährdung der Verkehrssicherheit mit beträchtlicher Unfallgefahr nach sich
zieht und daher objektiv schwer wiegt. Wer auf der Autobahn fährt, muss sich
darauf verlassen können, dass er nicht plötzlich rechts überholt wird. Das
Rechtsüberholen auf der Autobahn, wo hohe Geschwindigkeiten gefahren werden,
stellt eine erhöht abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer dar (BGE 126
IV 192 E. 3 mit Hinweis).
3.2.2 Für den vorliegenden Fall führt die Vorinstanz in objektiver Hinsicht
aus, das Rechtsüberholen auf der Autobahn stelle auch bei einer Geschwindigkeit
von 100 km/h ein gefährliches Manöver dar. Das Überholmanöver des
Beschwerdeführers sei ohne weiteres geeignet gewesen, eine Fehlreaktion des
Überholten oder weiterer Verkehrsteilnehmer zu verursachen. Dies vor allem
deshalb, weil er vor dem Spurwechsel sich mittels Lichthupe mehrfach bemerkbar
machte und keine Gewähr bestand, dass der Vorausfahrende sich seines eigenen
Fehlverhaltens nicht doch bewusst wurde und - während des bevorstehenden
Überholmanövers - unvermittelt auf den rechten (mittleren) Fahrstreifen
wechseln würde. Es komme hinzu, dass der vor ihm fahrende Lenker vom
Strassenverkehrsgeschehen abgelenkt war, weil er offensichtlich dem auf dem
Beifahrersitz anwesenden Kind zu Essen gab. Der Beschwerdeführer habe somit
nicht mit Sicherheit davon ausgehen dürfen, dass der Vorausfahrende wissentlich
und willentlich die linke Fahrspur besetzte und trotz Lichthupezeichen nicht
freigab. Auch dadurch habe die Gefahr bestanden, dass der Linksfahrer plötzlich
nach rechts ausschere, wenn er sich seines Fehlverhaltens bewusst wurde. Die
Missachtung habe somit im konkreten Fall eine erhebliche, mindestens erhöht
abstrakte Gefährdung der Verkehrssicherheit mit Unfallgefahr nach sich gezogen.
3.2.3 Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, die nahe liegende Möglichkeit
einer Gefährdung sei eigentlich nur vorstellbar, wenn der Überholende mit
erheblicher Geschwindigkeitsdifferenz rechts "vorbeischiesse", was er nicht
getan habe. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Für die Frage, wie nahe die
Verwirklichung der Gefahr war, kann es nicht allein auf die
Geschwindigkeitsdifferenz ankommen, sondern sind die gesamten Umstände in
Betracht zu ziehen. Gestützt auf die Feststellungen der Vorinstanz ist aber
davon auszugehen, dass eine plötzliche Fehlreaktion des überholten
Fahrzeuglenkers keineswegs ausgeschlossen war, womit der Schluss auf eine
erhöhte abstrakte Gefahr vor Bundesrecht standhält.

3.3 In subjektiver Hinsicht nimmt die Vorinstanz an, dem Beschwerdeführer sei
in Bezug auf die Gefahr bewusste Fahrlässigkeit und damit ein schweres
Verschulden im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG vorzuwerfen. Sie stellt dazu fest,
dass er als langjähriger administrativer Leiter des Strassenverkehrsamtes und
Sekretär eines kantonalen Fahrschulverbandes die wichtige Verkehrspflicht, nur
links zu überholen, kannte. Ebenso wusste er um die möglichen Gefahren eines
entsprechend verkehrsregelwidrigen Verhaltens. Indem er sich dennoch über das
Verbot hinwegsetzte und pflichtwidrig davon ausging, es werde keine Gefahr
eintreten, habe er bewusst fahrlässig gehandelt. Auch diese Annahme verletzt
kein Bundesrecht, und etwas anderes wird auch in der Beschwerde nicht dargetan.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. Juli 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Willisegger