Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.332/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_332/2008 /hum

Urteil vom 22. August 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Mathys,
Gerichtsschreiberin Binz.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt René K. Merz,

gegen

A.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Christine Zemp Gsponer,
Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden, Kreuzstrasse 2, 6371 Stans,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Pornographie,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden,
Strafabteilung Grosse Kammer, vom 19. Juni 2007.

Sachverhalt:
-
X.________ wurde mit Urteil vom 12. Dezember 2006 der Grossen Kammer des
Kantonsgerichts Nidwalden wegen sexueller Nötigung (Art. 189 Abs. 1 StGB) sowie
wegen Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1 StGB) zu Lasten von A.________ verurteilt
und mit 30 Monaten Zuchthaus bestraft. Gegen dieses Urteil erklärte er
Appellation, welche das Obergericht des Kantons Nidwalden, Strafabteilung
Grosse Kammer, mit Urteil vom 19. Juni 2007 abwies.
-
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Nidwalden sei aufzuheben und er sei von jeglicher
Schuld und Strafe freizusprechen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung,
insbesondere der Glaubhaftigkeit seiner Aussagen und derjenigen von A.________,
an die Vorinstanz zurückzuweisen.
-
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Erwägungen:
-
Am 1. Januar 2007 ist der revidierte Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches in
Kraft getreten. Dieses neue Recht gelangt auf Taten, welche noch unter Geltung
des alten Rechts begangen wurden, nur zur Anwendung, wenn es für den Täter das
mildere ist (Art. 2 Abs. 2 StGB). Dies ist hier der Fall (vgl. angefochtenes
Urteil S. 7).
-
Betreffend die Sachverhaltsfeststellung verweist die Vorinstanz auf die
Ausführungen des Kantonsgerichts (s. angefochtenes Urteil S. 2). Das
Kantonsgericht hielt folgenden Sachverhalt als erwiesen:
Der Beschwerdeführer zog A.________ am 10. August 2003, nachmittags in
Stansstad, auf einem Wanderweg in den Wald. Zuerst riss er ihre Hose und den
Slip herunter, danach zog er sich selber die Hose hinunter. A.________ musste
sich auf ihn setzen, worauf er - trotz ihrer Aufforderung, aufzuhören, weil es
ihr "weh" mache - anal in sie eindrang. Anschliessend musste sie sich auf sein
T-Shirt legen und er drang mit seinem Penis gewaltsam vaginal in sie ein. Dazu
benützte er kein Kondom. A.________ zog sich Blutungen im Rückenbereich zu.
Zudem berührte der Beschwerdeführer ihre Brüste grob und saugte derart stark an
den Brustwarzen, dass sie an einer Brustwarze Hämatome erlitt. Nach der
Penetration stand er auf und befahl ihr, sich wieder anzuziehen. Schliesslich
brachte er sie nach Rothenburg zurück (s. erstinstanzliches Urteil S. 65 f.).
-
Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Beweiswürdigung (Art. 9 BV). Er
hält sich für unschuldig und sieht sich als Opfer der mit psychischen Problemen
behafteten Geschädigten, welche nicht ertragen konnte, dass er die gewünschten
sexuellen Zuneigungen verweigerte. Er bemängelt, dass er in der
Strafuntersuchung von Anfang an als Täter gesehen wurde und ihm entlastende
Beweisvorkehren, insbesondere die Anordnung von Glaubhaftigkeitsgutachten,
verweigert wurden.
- Die Vorinstanz führt im Rahmen der Beweiswürdigung aus, die Geschädigte leide
an einer leichten Intelligenzverminderung, weshalb sie Schwierigkeiten habe,
vollständige und grammatikalisch korrekte Sätze zu bilden. Ihre Aussagen seien
jedoch in beiden Videobefragungen im verbalen Ausdruck logisch und im
Wesentlichen widerspruchsfrei. Sie würden detailreiche und präzise
Beschreibungen der örtlichen Begebenheiten, des Tatverlaufs und der Tathandlung
enthalten. Die Besonderheiten der Tathandlung (Anal- und Vaginalverkehr) würden
in so charakteristischer Weise geschildert, wie es nur von jemandem zu erwarten
sei, der den geschilderten Vorfall selber erlebt habe. Auch gebe die
Geschädigte die Tathandlung emotionskarg und ohne dramatische Übertreibung
wieder, wie sich dies typischerweise in glaubwürdigen
Vergewaltigungsbekundungen wiederfinde. Für die Glaubhaftigkeit der Aussagen
der Geschädigten spreche überdies, dass sie sich unmittelbar im Anschluss an
das Geschehen mehreren Personen anvertraute, diese aber zum Stillschweigen
verpflichtete. Die ärztliche Untersuchung sei vier Tage nach dem sexuellen
Übergriff erfolgt, und es sei aktenkundig, dass die Geschädigte unmittelbar
nach dem Vorfall zu Hause geduscht und in den darauffolgenden Tagen die
tägliche Hygiene nicht vernachlässigt habe. Zwar habe anlässlich der
gynäkologischen Untersuchung keine Penetration nachgewiesen werden können. Die
festgestellten Befunde seien aber grundsätzlich mit den Angaben der
Geschädigten stimmig. Ein weiteres Indiz für den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen
sei ihre von Dritten wahrgenommene Wesensveränderung seit jenem Vorfall. Ihre
psychische Verfassung habe sich zunehmend verschlechtert, so dass sie in einer
Situation ernster Suizidgefahr im Oktober 2003 in die psychiatrische Klinik St.
Urban interniert werden musste. Der Austrittsbericht habe ihr eine Reaktion auf
schwere Belastung und der psychologische Bericht vom November 2004 eine
posttraumatische Belastungsstörung sowie eine Anpassungsstörung mit Angst und
depressiver Reaktion gemischt diagnostiziert. Die durch die Vergewaltigung
erzeugte Wut werde von ihr in Suizidgedanken und Selbstverletzungen bewältigt.
Ihr bereits etwas labiles psychisches Gleichgewicht sei völlig ausser Kontrolle
geraten. Auch in den beiden Videoaufnahmen vom Februar 2004 und Dezember 2005
könne man eine Verschlechterung des psychischen Zustands seit der ersten
Befragung beobachten. Wie sich dem Arztbericht vom Juni 2007 entnehmen lasse,
habe sich der psychische Zustand der Geschädigten nach einer gewissen
Stabilisierung anfangs April 2007 im Hinblick auf eine allfällige erneute
Zeugenaussage verschlechtert. Weiter würden die Handnotizen aus dem Tagebuch
der Geschädigten ihren Aussagen über den Tatverlauf entsprechen. In Würdigung
der gesamten Aktenlage kommt die Vorinstanz zum Schluss, dass auf die Aussagen
der Geschädigten, wonach sie vom Beschwerdeführer gegen ihren Willen anal als
auch vaginal penetriert worden sei, abgestellt werden könne (angefochtenes
Urteil S. 12 ff.). Gemäss der Vorinstanz zeigen demgegenüber die Aussagen des
Beschwerdeführers weniger innere Geschlossenheit und Folgerichtigkeit auf. Zum
Teil seien sie auch klar widersprüchlich. Dazu verweist die Vorinstanz auf die
Ausführungen der ersten Instanz. Die Darstellung der Geschädigten als sexuell
ausserordentlich triebhafte Person erweise sich aufgrund der Akten und der
verschiedenen Zeugenaussagen als unglaubwürdig und sei als reine
Schutzbehauptung zu werten (angefochtenes Urteil E. 3.6 S. 20). Nachdem von der
Glaubhaftigkeit der Aussagen der Geschädigten auszugehen sei, könne auf die
Anordnung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens verzichtet werden. Auf
Begutachtungen sei nur bei Vorliegen besonderer Umstände zurückzugreifen
(angefochtenes Urteil E. 3.7 S. 20).
- Der Beschwerdeführer bringt vor, die Beurteilungen der Vorinstanz zum
Aussageverhalten und der Glaubwürdigkeit der Geschädigten würden auf falschen
Sachverhaltsannahmen beruhen. Der Vergleich der beiden Videoaufnahmen würde
zwei verschiedene Tatverläufe aufzeigen. Auch aus den Zeugenaussagen der
Schwester der Geschädigten lasse sich entnehmen, dass die Aussagen der
letzteren nicht im Kerngehalt stets konsistent und im Wesentlichen
widerspruchsfrei seien. Die Vorinstanz habe die Widersprüchlichkeiten ausser
Acht gelassen und sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Ihre
Beurteilung der Glaubwürdigkeit sei willkürlich im Sinne von Art. 9 BV. Die
Vorinstanz habe zu seinen Lasten gewertet, dass vier Tage nach der angeblichen
Vergewaltigung kein gynäkologischer Nachweis einer Penetration mehr möglich
war. Damit verletze sie den Grundsatz "in dubio pro reo", was willkürlich sei.
Weiter stütze sich die Vorinstanz auf den Bericht der Psychologin und werte aus
dem Umstand, dass sich die Geschädigte Schnittverletzungen an den Unterarmen
zufügte, als Indiz für einen sicheren Wahrheitsgehalt in Bezug auf die
gemachten Aussagen. Aufgrund der Tatsache, dass sich die Geschädigte schon
früher Schnittverletzungen beigebracht habe, erweise sich der Therapiebericht
als fehlerhaft. Indem die Vorinstanz entgegen der klaren Aktenlage von einer
Penetration ausgehe, verletze sie zudem Art. 190 StGB. Schliesslich sei es
willkürlich und verletze seinen Anspruch auf das rechtliche Gehör, wenn die
Vorinstanz keine besonderen Umstände für die Einholung eines
Glaubhaftigkeitsgutachtens als gegeben erachte. Bei der Geschädigten handle es
sich um eine Person mit einer akzentuierten geistigen Retardierung und die
Vorinstanz gehe selber von einer Person mit einer geistigen Störung aus. In
ihrer Beurteilung der Notwendigkeit eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stütze
sich die Vorinstanz auf Berichte von Fachpersonen, welchen es infolge ihrer
therapeutischen Tätigkeit an der unabdingbaren Unabhängigkeit fehle.
- Art. 9 BV gewährleistet den Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne
Willkür behandelt zu werden. Dem Sachgericht steht bei der Würdigung der
Beweise ein grosser Ermessensspielraum zu. Willkür ist hier nur zu bejahen,
wenn das Gericht offensichtlich den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels
verkannt, ohne vernünftigen Grund ein wichtiges und erhebliches Beweismittel
unberücksichtigt gelassen oder aus den vorhandenen Elementen offensichtlich
unhaltbare Schlüsse gezogen hat (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9, mit Hinweisen).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV umfasst unter
anderem das Recht des Betroffenen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu
werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich
zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den
Entscheid zu beeinflussen (BGE 126 I 15 E. 2a/aa S. 16; 124 I 241 E. 2 S. 242,
je mit Hinweisen). Der Richter kann jedoch einen Beweisantrag ablehnen, wenn er
willkürfrei annehmen durfte, dass weitere Beweisvorkehren an der Würdigung der
bereits abgenommenen Beweise voraussichtlich nichts mehr ändern würden (BGE 124
I 208 E. 4a S. 211).
Gemäss Art. 105 Abs. 1 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Soweit es um die Frage
geht, ob der Sachverhalt willkürlich oder unter verfassungswidriger Verletzung
einer kantonalen Verfahrensregel ermittelt worden ist, sind strenge
Anforderungen an die Begründungspflicht der Beschwerde gerechtfertigt.
Entsprechende Beanstandungen sind vergleichbar mit den in Art. 106 Abs. 2 BGG
genannten Rügen. Demzufolge genügt es nicht, einen von den tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten. Vielmehr
ist in der Beschwerdeschrift nach den erwähnten gesetzlichen Erfordernissen
darzulegen, inwiefern diese Feststellungen willkürlich bzw. unter Verletzung
einer verfahrensrechtlichen Verfassungsvorschrift zustande gekommen sind.
Andernfalls können Vorbringen mit Bezug auf einen Sachverhalt, der von den
Feststellungen im angefochtenen Entscheid abweicht, nicht berücksichtigt werden
(BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f., mit Hinweis).
- Der Beschwerdeführer stellt grösstenteils der Beweiswürdigung der Vorinstanz
seine eigene Sicht der Dinge gegenüber, ohne zu erörtern, inwiefern der
Entscheid (auch) im Ergebnis verfassungswidrig sein sollte. Seine Vorbringen
erschöpfen sich mithin weitgehend in einer unzulässigen appellatorischen Kritik
am angefochtenen Urteil und genügen folglich den Begründungsanforderungen
gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG nicht. Die vom Beschwerdeführer erwähnten Umstände
der medizinischen Untersuchung, der Wesensveränderung der Geschädigten sowie
des Therapieberichts hat die Vorinstanz lediglich als einzelne Indizien
gewertet, welche in ihrer Gesamtheit und in Verbindung mit den Aussagen der
verschiedenen Beteiligten den Beweis für das Tatgeschehen erbringen. Deshalb
ist beispielsweise irrelevant, dass kein gynäkologischer Nachweis einer
Penetration mehr möglich war und dass sich die Geschädigte schon früher
Schnittverletzungen beigebracht hat. Weiter bezieht sich die Rüge der
Verletzung von Art. 190 StGB nicht auf die rechtliche Würdigung, sondern
wiederholt die gegen den Beweisschluss vorgebrachten Einwände. Betreffend die
Anordnung der Glaubhaftigkeitsgutachten hat die Vorinstanz ausführlich
begründet, wieso die Geschädigte trotz ihrer leichten Intelligenzverminderung
zu konstanten Aussagen fähig ist und inwiefern die Aussagen des
Beschwerdeführers widersprüchlich sind. Sie durfte deshalb in vorweggenommener
Beweiswürdigung den Beweisantrag des Beschwerdeführers auf Anordnung der
Glaubhaftigkeitsgutachten ablehnen. Die Vorinstanz konnte, ohne in Willkür zu
verfallen, den Sachverhalt als erstellt ansehen. Bei diesem Beweisschluss
bestehen keine offensichtlich erheblichen bzw. schlechterdings nicht zu
unterdrückenden Zweifel daran, dass die Geschädigte gegen ihren Willen vom
Beschwerdeführer sowohl anal als auch vaginal penetriert worden war.
-
Demgemäss ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:
-
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
-
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
-
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Nidwalden,
Strafabteilung Grosse Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 22. August 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Schneider Binz