Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.326/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_326/2008 /hum

Urteil vom 8. Oktober 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Favre, Zünd,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin
Dr. Elisabeth Roth,
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Aufhebung des Strafverfahrens,

Beschwerde gegen den Entscheid des Vizepräsidenten der Anklagekammer des
Kantons St. Gallen vom 7. April 2008.

Sachverhalt:

A.
X.________ verfasste am 12. November 2004 "als Klassensprecherin" einen an die
Lehrerin eines ihrer Kinder adressierten Brief, welcher in Kopie auch an einen
anderen Lehrer des Schulhauses S.________, die Schulleitung und die Visitatorin
geschickt werden sollte. In diesem von einem zweiten "Klassensprecher"
mitunterzeichneten Schreiben werden der Lehrerin Handgreiflichkeiten gegenüber
den Schulkindern vorgeworfen und - auch im Namen der Eltern, darunter der
namentlich erwähnten A.________ - für den Fall weiteren "Fehlverhaltens" eine
"Klage resp. Aufsichtsbeschwerde" an den Schulrat angedroht. A.________ machte
X.________ gleichentags darauf aufmerksam, dass die Eltern von einem derartigen
Brief in Kenntnis gesetzt werden müssten und teilte ihr nach Gesprächen mit der
Lehrerin und weiteren Eltern mit, dass sie selber und die von ihr kontaktierten
Eltern keine Notwendigkeit sähen für einen derartigen Brief. Am Abend stellte
A.________ fest, dass X.________ den Brief ohne Zustimmung der Eltern bereits
abgeschickt hatte. A.________ entschloss sich zu verhindern, dass der auch in
ihrem Namen, aber ohne ihre Zustimmung bzw. gegen ihren ausdrücklichen Willen
verfasste Brief die genannten Adressaten erreiche. Sie rief auf der Hauptpost
St. Gallen an und konnte den Postbeamten überzeugen, zwei der Briefe an sie -
und nicht an die Adressaten - zustellen zu lassen. Die beiden anderen Briefe
waren bereits im Schulhaus S.________ angekommen und vom Schulabwart behändigt
worden. A.________ suchte ihn mit einer anderen Mutter auf und überzeugte ihn,
dass es besser sei, ihnen die Briefe auszuhändigen, um "Schaden abzuwenden".

Am 16. November 2004 reichte X.________ gegen A.________ und einen unbekannten
Postangestellten Strafanzeige ein wegen Verletzung des Schriftgeheimnisses im
Sinne von Art. 179 StGB und des Post- und Fernmeldegeheimnisses im Sinne von
Art. 321ter StGB.

Am 6. Februar 2007 hob das Untersuchungsamt St. Gallen das Strafverfahren gegen
A.________ auf.

Am 12. April 2007 hiess der Vizepräsident der Anklagekammer des Kantons St.
Gallen die Beschwerde von X.________ gegen die Aufhebungsverfügung teilweise
gut und hob diese hinsichtlich des Tatbestandes der Verletzung des Post- und
Fernmeldegeheimnisses auf und wies das Untersuchungsamt an, auch den Tatbestand
der unrechtmässigen Aneignung (Art. 137 StGB) zu prüfen.

Am 22. Januar 2008 hob das Untersuchungsamt das Strafverfahren gegen A.________
betreffend Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses und unrechtmässige
Aneignung auf.

Am 7. April 2008 wies der Vizepräsident der Anklagekammer die Beschwerde von
X.________ gegen diese Aufhebungsverfügung kostenfällig ab, soweit er darauf
eintrat.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, diesen Entscheid aufzuheben
und den Fall an den Vizepräsidenten der Anklagekammer zurückzuweisen, um
ergänzende Untersuchungshandlungen vorzunehmen und einen neuen Entscheid im
Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen zu fällen. Ausserdem ersucht sie um
unentgeltliche Rechtspflege.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Erwägungen:

1.
1.1 Der Strafanspruch steht nach ständiger Praxis des Bundesgerichts dem Staat
zu (BGE 128 I 218 E. 1.1 mit Hinweisen), weshalb die Beschwerdeführerin als
Geschädigte kein rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 81 Abs. 1
lit. b BGG hat, die Einstellung des Strafverfahrens in der Sache anzufechten
(BGE 133 IV 228 E. 2). Hingegen ist sie befugt, beim Bundesgericht eine
Verletzung derjenigen Parteirechte geltend zu machen, deren Missachtung auf
eine formelle Rechtsverweigerung hinausläuft (BGE 133 I 185 E. 6.2 S. 198).

1.2 Die Beschwerdeführerin erhebt eine Reihe von Rügen, die auf eine
materiellrechtliche Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen und damit
unzulässig sind. Als Verletzung ihrer Parteirechte rügt sie einzig (Beschwerde
S. 10 ff.), man habe sie nicht zur Konfrontationseinvernahme zwischen der
Beschwerdegegnerin und dem Postbeamten P.________ eingeladen und dadurch ihren
Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV verletzt. Dazu
ist sie legitimiert. Soweit sie in diesem Zusammenhang weitere Rügen erhebt -
das Untersuchungsamt habe gegen das Willkürverbot verstossen, den Grundsatz der
Waffengleichheit verletzt und treuwidrig gehandelt - sind diese nicht
einschlägig oder haben neben der Gehörsverweigerungsrüge keine selbständige
Bedeutung.

1.3 Der Vizepräsident der Anklagekammer hat dazu im angefochtenen Entscheid
ausgeführt (S. 3 E. 2), auf das Vorbringen, nicht über die
Konfrontationseinvernahme informiert worden zu sein, sei nicht einzutreten. Es
habe der Beschwerdeführerein offen gestanden, nach dem Erhalt der
Parteimitteilung vom 5. Juli 2007 einen Beweisergänzungsantrag zu stellen. Dies
habe sie unterlassen und könne dieses Versäumnis nicht im Rahmen des
Rechtsmittelverfahrens als Verweigerung des rechtlichen Gehörs rügen.

1.4 Es trifft zu, dass die Beschwerdeführerin zur Konfrontationseinvernahme
zwischen der Beschwerdegegnerin und dem Postbeamten P.________ vom 4. Juli 2007
nicht eingeladen wurde. Die Untersuchungsrichterin stellte indessen
Rechtsanwalt R.________ am 5. Juli 2007 eine Kopie der
Konfrontationseinvernahme zu, verbunden mit der Mitteilung, dass der Erlass
einer Aufhebungsverfügung vorgesehen sei, und der Aufforderung, innert 10 Tagen
"neue Tatsachen und Beweisanträge sowie Einwendungen gegen die vorgesehene
Erledigung des Strafverfahrens" zu machen. Der Beschwerdeführerin wurde
Gelegenheit gegeben, Ergänzungsfragen an den Zeugen und die Beschwerdegegnerin
zu stellen oder zu beantragen, die Konfrontationseinvernahme in ihrer
Anwesenheit zu wiederholen. Damit hat die Untersuchungsrichterin ihren Anspruch
auf rechtliches Gehör gewahrt. Die Beschwerdeführerin wendet zwar sinngemäss
ein, diese Parteimitteilung vom 5. Juli 2007 sei unerheblich, da Rechtsanwalt
R.________ in diesem Zeitpunkt nicht ihr Rechtsvertreter gewesen sei. Aus den
Akten ergibt sich indessen, dass dieser am 24. November 2004 der
Untersuchungsrichterin bekannt gegeben hatte, die Interessen der
Beschwerdeführerin zu vertreten und diese in der Folge auch wahrnahm. Die
Beschwerdeführerin behauptet nicht, der Untersuchungsrichterin je mitgeteilt zu
haben, Rechtsanwalt R.________ vertrete sie nicht mehr, und in den Akten findet
sich keine Erklärung über eine Niederlegung bzw. einen Entzug dieses Mandats.
Unter diesen Umständen muss die Beschwerdeführerin die von der
Untersuchungsrichterin an Dr. R.________ zugestellte, fristauslösende
Parteimitteilung vom 5. Juli 2007 gegen sich gelten lassen. Ob sie sich in den
Rechtsmittelverfahren vor der Anklagekammer ebenfalls vertreten liess oder
diese selber führte, und ob und wann sie den Vizepräsidenten der Anklagekammer
wie darüber informierte, ist eine andere, in diesem Zusammenhang unerhebliche
Frage. Die Gehörsverweigerungsrüge ist unbegründet.

2.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66
Abs. 1 BGG). Sie hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt,
welches jedoch abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs.
1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Vizepräsidenten der Anklagekammer des
Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. Oktober 2008

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Störi