Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.245/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_245/2008/sst

Urteil vom 4. September 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Ferrari, Favre, Mathys,
Gerichtsschreiberin Binz.

Parteien
X.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Hug,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Bemessung des vollziehbaren Teils der Strafe,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, vom 24. Januar 2008.

Sachverhalt:

A.
X.________ wurde mit Urteil vom 3. Juli 2007 des Bezirksgerichts Bülach des
mehrfachen Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz (BetmG) schuldig
gesprochen und mit 3 ½ Jahren Freiheitsstrafe bestraft, wovon 156 Tage durch
Polizeiverhaft und Untersuchungshaft erstanden waren. Das Obergericht des
Kantons Zürich, I. Strafkammer, reduzierte mit Urteil vom 24. Januar 2008 in
teilweiser Gutheissung der von X.________ erhobenen Berufung die
Freiheitsstrafe auf 3 Jahre. Im Umfang von 18 Monaten wurde der Vollzug der
Freiheitsstrafe gestützt auf Art. 43 Abs. 1 StGB aufgeschoben, unter Ansetzung
einer Probezeit von 2 Jahren.

B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, Ziff. 3 des Urteil
des Obergerichts sei aufzuheben, soweit der vollziehbare Teil der Strafe auf 18
Monate festgelegt wurde. Das Verfahren sei zur Neufestsetzung des vollziehbaren
Teils der Strafe an die Vorinstanz zurückzuweisen, eventualiter sei der
vollziehbare Teil auf maximal 11 Monate festzusetzen. Zudem ersucht X.________
um unentgeltliche Rechtspflege.

Erwägungen:

1.
Am 1. Januar 2007 ist der revidierte Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches in
Kraft getreten. Dieses neue Recht gelangt jedoch auf Taten, welche noch unter
Geltung des alten Rechts begangen wurden, nur zur Anwendung, wenn es für den
Täter das mildere ist (Art. 2 Abs. 2 StGB). Dies ist hier der Fall (vgl.
angefochtenes Urteil S. 8).

2.
Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG)
bei der Bemessung des vollziehbaren Teils der Strafe nach Art. 43 Abs. 1 StGB.
Wenn ihr die Vorinstanz eine gute Legalprognose attestiere und die gesetzlich
minimale Probezeit ansetze, erweise sich die Festlegung des vollziehbaren Teils
auf das Maximum von 18 Monaten von vornherein als nicht vertretbar.

2.1 Die Vorinstanz führt im Rahmen der Strafzumessung aus, die
Beschwerdeführerin sei am Import von insgesamt 4,6 Kilogramm reinem Kokain als
Mittäterin beteiligt gewesen. Gemäss dem Berechnungsmodell von Fingerhut/
Tschurr (Kommentar Betäubungsmittelgesetz, Zürich 2007) sei demnach von einer
Einsatzstrafe von rund 6 Jahren und 3 Monaten auszugehen. Die Tat wiege
objektiv schwer. Zum Verschulden hält die Vorinstanz fest, die
Beschwerdeführerin sei von einer grösseren Drogenmenge im mehrfachen
Kilobereich ausgegangen und habe um die Gefährlichkeit der importierten Drogen
gewusst. Zudem habe sie einzig in Bereicherungsabsicht zwecks
Schuldenbegleichung gehandelt. Die von der ersten Instanz ausgefällte
Freiheitsstrafe von 3 ½ Jahren sei der Tat und dem Verschulden der
Beschwerdeführerin durchaus angemessen. Allerdings sei angesichts ihrer
Geständnisbereitschaft, ihrem positiven Nachtatverhalten sowie ihrer aktuellen
Lebens- und Arbeitssituation die Strafe auf 3 Jahre und somit auf ein Mass
herabzusetzen, welches noch einen teilbedingten Vollzug erlaube, auch wenn dies
letztendlich eine Unterschuldsanktion darstelle. Die Beschwerdeführerin weise
einen makellosen Leumund aus, und ihre Zukunftsprognosen seien gut, so dass
kein Grund bestehe, ihr eine negative Prognose zu stellen. Auch ihr Verschulden
stehe der Ausfällung einer teilbedingten Strafe nicht entgegen. Angesichts der
gesamten Tatumstände und des Verschuldens der Beschwerdeführerin rechtfertige
es sich, 18 Monate der ausgefällten Freiheitsstrafe bedingt aufzuschieben. Es
bestehe keine Veranlassung, die Probezeit über das gesetzliche Minimum von zwei
Jahren anzusetzen.

2.2 Die Beschwerdeführerin macht im Einzelnen geltend, die Festsetzung der
Strafteile lasse sich unter Berücksichtigung ihrer günstigen Legalprognose und
dem verhältnismässig tiefen Verschulden nicht rechtfertigen, zumal die
summarische Begründung Art. 50 StGB widerspreche. Bei einem Strafmaximum von 20
Jahren (siehe Art. 19 Ziff. 1 BetmG) und einer ausgefällten Freiheitsstrafe von
drei Jahren könne nicht von einem sehr schweren Verschulden ausgegangen werden.
Deshalb müsste der zu vollziehende Strafteil der Freiheitsstrafe deutlich näher
bei 6 als bei 18 Monaten liegen. Bei einem zu vollziehenden Teil von nicht mehr
als 11 Monaten würde nach Anrechnung der Untersuchungshaft eine Reststrafe von
weniger als sechs Monaten verbleiben, für welche gemäss Art. 79 Abs. 1 StGB
Halbgefangenschaft angeordnet werden könnte. Gemäss der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung sei bei der Bemessung der Freiheitsstrafe der Grenzwert von
einem Jahr, welcher noch gestützt auf Art. 77b StGB den Vollzug in
Halbgefangenschaft erlaube, zu berücksichtigen, wenn eine Strafe, welche diesen
Grenzwert nicht überschreitet, noch vertretbar ist. Es sei nicht einzusehen,
weshalb bei der Bemessung des zu vollziehenden Teils einer teilbedingten Strafe
mit Blick auf die Anwendbarkeit der Regelung von Art. 79 Abs. 1 StGB nicht
ebenfalls folgenorientierte Überlegungen anzustellen wären.

2.3 Das Gericht kann den Vollzug einer Geldstrafe, von gemeinnütziger Arbeit
oder einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren
nur teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des
Täters genügend Rechnung zu tragen (Art. 43 Abs. 1 StGB). Der unbedingt
vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht übersteigen (Abs. 2). Bei
der teilbedingten Freiheitsstrafe muss sowohl der aufgeschobene als auch der zu
vollziehende Teil mindestens sechs Monate betragen (Abs. 3 Satz 1).
Das Gericht hat im Zeitpunkt des Urteils den aufgeschobenen und den zu
vollziehenden Strafteil festzusetzen und die beiden Teile in ein angemessenes
Verhältnis zu bringen. Innerhalb des gesetzlichen Rahmens liegt die Festsetzung
im pflichtgemässen Ermessen des Gerichts. Als Bemessungsregel ist das
"Verschulden" zu beachten, dem in genügender Weise Rechnung zu tragen ist (Art.
43 Abs. 1 StGB). Das Verhältnis der Strafteile ist so festzusetzen, dass darin
die Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung des Täters einerseits und dessen
Einzeltatschuld anderseits hinreichend zum Ausdruck kommen. Je günstiger die
Prognose und je kleiner die Vorwerfbarkeit der Tat, desto grösser muss der auf
Bewährung ausgesetzte Strafteil sein. Der unbedingte Strafteil darf dabei das
unter Verschuldensgesichtspunkten (Art. 47 StGB) gebotene Mass nicht
unterschreiten (BGE 134 IV 1 E. 5.6 S. 15).
Unter dem Begriff des Verschuldens ist das Mass der Vorwerfbarkeit des
Rechtsbruchs zu verstehen, er umfasst den gesamten Unrechts- und Schuldgehalt
der konkreten Straftat. Der Begriffsinhalt richtet sich nach der
Legaldefinition von Art. 47 Abs. 2 StGB. Gemeint ist die Strafzumessungsschuld.
Das Verschulden ist daher zunächst und vor allem ein Bemessungskriterium bei
der Strafzumessung. Für die Beurteilung, ob eine teilbedingte Strafe wegen des
Verschuldens des Täters und unter Berücksichtigung seiner Bewährungsaussichten
als notwendig erscheint, kann es indessen auf die Strafzumessungsschuld nicht
mehr in gleicher Weise ankommen. Denn im Zeitpunkt, in dem das Gericht über die
Gewährung des Strafaufschubes befindet, muss die Strafhöhe bereits feststehen,
und es geht nur noch um die angemessene Vollzugsform. Allerdings verknüpft das
Gesetz die Frage nach der schuldangemessenen Strafe und jene nach deren
Aufschub insoweit, als es den bedingten Strafvollzug für Strafen ausschliesst,
die zwei Jahre übersteigen. Die Notwendigkeit einer teilbedingten
Freiheitsstrafe ergibt sich dann als Folge der Schwere des Verschuldens, das
sich in einer Strafhöhe zwischen zwei und drei Jahren niederschlägt. Darin
liegt ein Anhaltspunkt für die Bedeutung der Verschuldensklausel (BGE 134 IV 1
E. 5.3.3 S. 11, mit Hinweis).

2.4 Im Lichte dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist die Begründung der
Beschwerdeführerin, ihr Verschulden könne angesichts der ausgefällten
Freiheitsstrafe von 3 Jahren nicht schwer wiegen, nicht überzeugend. Zum einen
reicht der Strafrahmen in der Regel sehr weit und legt lediglich die Eckwerte
fest, innerhalb derer der Richter auf der Grundlage der Schuld und unter
Berücksichtigung der spezial- und generalpräventiven Bedürfnisse die Strafe
bestimmt (Hans Wiprächtiger, Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl., 2007,
Art. 47 StGB N. 15). Demgemäss haben die Vorinstanzen die Strafe aufgrund von
täterbezogenen Umständen gemindert (vgl. E. 2.1 hiervor). Zum anderen
entspricht die Beurteilung des Verschuldens bei der teilbedingten
Freiheitsstrafe nicht jener bei der Strafzumessungsschuld (vgl. BGE 134 IV 1
a.a.O.). Aus den genannten Gründen ist für die Festsetzung der Strafteile
unbeachtlich, wie weit der anwendbare Strafrahmen reicht. Ansonsten könnte bei
einer Tat mit hoher abstrakter Strafandrohung, bei welcher die objektiven und
subjektiven Voraussetzungen für den teilbedingten Vollzug erfüllt sind, der zu
vollziehende Teil nie an der obersten Grenze des von Art. 43 Abs. 2 StGB
vorgegebenen Rahmens festgesetzt werden. Die Beschwerdeführerin wendet zu Recht
ein, dass der Entscheid über die Bemessung der Strafteile sowohl vom Grad der
Vorwerfbarkeit der Tat als auch von der Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung
abhängt (vgl. E. 2.3 hiervor). Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine hälftige
Vollzugsaufteilung nur möglich ist, wenn sowohl von einem schweren Verschulden
als auch von einer eher ungünstigen Prognose auszugehen ist (vgl. Urteil des
Bundesgerichts 6B_599/2007 vom 14. Mai 2008, E. 3.5). Im vorliegenden Fall
wiegt der Tatvorwurf an die Beschwerdeführerin schwer, hat sie sich doch in
Bereicherungsabsicht am Import einer grossen Drogenmenge beteiligt. Unter
diesen Umständen durfte die Vorinstanz die Freiheitsstrafe von drei Jahren als
"Unterschuldsanktion" bezeichnen und den zu vollziehenden Teil auf 18 Monate
festlegen, ohne ihr Ermessen zu missbrauchen. Sie hielt sich dabei an die
bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach der unbedingte Strafteil das unter
Verschuldensgesichtspunkt gebotene Mass nicht unterschreiten darf (vgl. E. 2.3
hiervor). Mit der Frage der auf Reststrafen von weniger als sechs Monaten
beschränkten Halbgefangenschaft (Art. 79 Abs. 1 StGB) musste sie sich nicht
weiter auseinandersetzen (vgl. BGE 134 IV 17 E. 3.5 S. 24 f.). Im Übrigen
trifft zwar zu, dass die Vorinstanz das Verhältnis zwischen den beiden
Strafteilen sehr knapp begründet. Da sie aber auf ihre Ausführungen zur
Strafzumessung verweist, sind ihre Überlegungen zur Festlegung der Strafteile
nachvollziehbar, so dass keine Verletzung der Begründungspflicht vorliegt (vgl.
BGE 134 IV 17 E. 2.1 S. 20, mit Hinweisen).

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang wird die
Beschwerdeführerin grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie
beantragt indes unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Ihre Begehren
waren nicht aussichtslos, und ihre Bedürftigkeit ist ausgewiesen (Art. 64 Abs.
1 und 2 BGG), weshalb dem Antrag stattzugeben ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin, Rechtsanwalt Markus Hug, wird mit
Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. September 2008

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Schneider Binz