Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.209/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_209/2008 /hum

Urteil vom 17. Juni 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Zünd,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Niels Möller,

gegen

A.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Daniel Küng,
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Staubeggstrasse 8, 8510 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Kosten,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 11.
Februar 2008.

Sachverhalt:

A.
Am 6. September 2004 reichte X.________ Strafanzeige gegen Unbekannt wegen
einfacher Körperverletzung, Freiheitsberaubung sowie eventuell Drohung ein.
Gleichzeitig meldete er einen Genugtuungsanspruch in der Höhe von Fr. 2'000.--
an. Mit Urteil vom 30. Mai/27. August 2007 sprach die bezirksgerichtliche
Kommission Arbon A.________ u.a. der Freiheitsberaubung und einfachen
Körperverletzung schuldig, bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe und
verpflichtete ihn, X.________ eine Genugtuung von Fr. 1'500.-- zuzüglich Zins
auszurichten. Über die Zusprechung der geltend gemachten Parteientschädigung
wurde trotz ausdrücklichen Antrags nicht befunden. X.________ reichte deshalb
am 8. Januar 2008 beim Obergericht des Kantons Thurgau Beschwerde ein mit dem
Antrag, es sei ihm für das Strafuntersuchungsverfahren und das Verfahren vor
erster Instanz eine Parteientschädigung von Fr. 6'399.75 zuzusprechen.

B.
Das Obergericht des Kantons Thurgau hiess die Beschwerde am 11. Februar 2008
teilweise gut und verpflichtete A.________, X.________ für die
Strafuntersuchung und das Hauptverfahren mit Fr. 2'000.-- einschliesslich
Barauslagen und zuzüglich Mehrwertsteuer zu entschädigen (Dispositivziffer 1).
Die Verfahrensgebühr von Fr. 800.-- auferlegte das Obergericht X.________,
wobei es ihm im Umfang von einem Drittel den Rückgriff auf A.________ einräumte
(Dispositivziffer 2).

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, der angefochtene
Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 11. Februar 2008 sei
aufzuheben, die Parteientschädigung an das Opfer auf Fr. 6'399.75 festzusetzen
und auf die Erhebung von Verfahrenskosten zu verzichten. Eventualiter sei der
angefochtene Entscheid aufzuheben und unter Verzicht auf eine
Verfahrensgebührenerhebung eine angemessene Parteientschädigung festzusetzen.
Subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

D.
Das Obergericht des Kantons Thurgau beantragt in seiner Vernehmlassung vom 4.
Juni 2008 die Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft des Kantons
Thurgau teilt mit, dass ihr der angefochtene Entscheid nicht eröffnet worden
sei. Da sie daher weder straf- noch opferrechtlich in der Sache involviert sei,
habe sie auch keine Vernehmlassung abzugeben. Der Beschwerdeführer hat mit
Schreiben vom 10. Juni 2008 unaufgefordert Stellung zur Vernehmlassung des
Obergerichts des Kantons Thurgau genommen.

Erwägungen:

1.
Beschwerde in Strafsachen kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG
erhoben werden. Ausserhalb des Anwendungsbereichs von Art. 95 lit. c bis e BGG
bilden Verletzungen des kantonalen Rechts einen zulässigen Beschwerdegrund,
wenn sie einen Verstoss gegen Bundesrecht einschliesslich des Verfassungsrechts
oder gegen Völkerrecht darstellen (Art. 95 lit. a und b BGG; vgl. BGE 133 II
249 E. 1.2.1). Die Anwendung des kantonalen Rechts prüft das Bundesgericht nur
auf Willkür hin (Art. 9 BV). Es hebt einen Entscheid auf, wenn er
schlechterdings unhaltbar ist, d.h. mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, auf einem offenkundigen Versehen beruht oder sich sachlich
in keiner Weise rechtfertigen lässt (BGE 133 III 589 E. 4.1; 131 I 217 E. 2.1,
467 E. 3.1).

2.
Im Streit stehen die Festsetzung der Parteientschädigung (unter Einschluss der
Barauslagen) und die Verlegung der Verfahrenskosten durch die Vorinstanz. Der
Beschwerdeführer rügt dabei eine willkürliche Anwendung von kantonalem
Verfahrensrecht, namentlich von § 58 Abs. 2, § 60 sowie § 103 Abs. 1 der
Strafprozessordnung des Kantons Thurgau (StPO/TG) sowie von § 5 und 14 der
Verordnung des Obergerichts über den Anwaltstarif für Zivil- und Strafsachen
(AnwT/TG).
§ 58 Abs. 2 StPO/TG sieht vor, dass der Angeschuldigte die notwendigen Kosten
des Geschädigten in angemessenem Umfang zu ersetzen hat, sofern er einer
strafbaren Handlung schuldig erklärt wird. § 60 StPO/TG befasst sich mit der
Kostenregelung im Rechtsmittelverfahren. Danach sind die Kosten und
Parteientschädigungen der unterliegenden Partei zu belasten, sofern nicht
besondere Umstände eine Abweichung rechtfertigen.

3.
Wie die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid ausführt, werden
Parteientschädigungen für Opfer und Geschädigte im Adhäsionsprozess gemäss
Thurgauischer Praxis nach dem Aufwand festgelegt. Entschädigungsberechtigt sei
dabei nicht der tatsächlich betriebene, sondern nur der notwendige Aufwand. Der
Beschwerdeführer mache einen Aufwand seines Vertreters von insgesamt 21,95
Stunden geltend. Dieser Aufwand sei deutlich zu hoch. Zunächst einmal müsse die
Teilnahme des Opfervertreters am Augenschein als nicht notwendig qualifiziert
werden, nachdem nicht einmal der Angeschuldigte und sein Verteidiger anwesend
gewesen seien. Erkenntnisse rund um die Tat, die über das hinausgegangen wären,
was der Opfervertreter schon aufgrund der Instruktion seiner Mandantschaft
gewusst habe, seien deswegen von vornherein ausgeschlossen gewesen. Ebenso gehe
der Aufwand von 4,5 Stunden für die Abklärung rechtlicher Fragen und das
Aktenstudium über das Notwendige hinaus; wahrscheinlich sei, dass sich in
dieser Position der Mehraufwand aufgrund des Anwaltswechsels niederschlage.
Generell als zu hoch erscheine ferner der Aufwand von insgesamt 7,5 Stunden für
Korrespondenz, Besprechungen und Telefonate, zumal noch weitere 1,6 Stunden für
die Prüfung und Besprechung des Urteils geltend gemacht würden. Mangels
weiterer Detaillierung des behaupteten Aufwands könne eine weitergehende
Trennung in betriebenen und notwendigen Aufwand nicht vorgenommen werden.
Ermessensweise sei daher insgesamt von einem anwaltlichen Gesamtaufwand von
etwa zwölf Stunden auszugehen. Bei einem reduzierten Ansatz von Fr. 200.-- pro
Stunde ergebe dies eine Parteientschädigung von Fr. 2'400.--. Da die
Barauslagen auch nicht ansatzweise substantiiert worden seien, komme anstelle
der geltend gemachten Fr. 250.-- lediglich ein Betrag von Fr. 100.-- in
Betracht. Mit Blick auf das Unterliegen bei der verlangten Genugtuung
rechtfertige sich schliesslich eine massvolle Reduktion der Parteientschädigung
auf Fr. 2'000.-- (einschliesslich Barauslagen und zuzüglich Mehrwertsteuer).
Die Verfahrensgebühr auferlegt die Vorinstanz dem Beschwerdeführer. Sie führt
dazu aus, dieser sei zu einem Drittel durchgedrungen. Entsprechend sei ihm für
die Verfahrensgebühr von Fr. 800.-- der Rückgriff auf den Beschwerdegegner im
Umfang von einem Drittel einzuräumen.

4.
4.1 Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die Vorinstanz wende § 58 Abs. 2
und § 103 Abs. 1 StPO sowie § 5 AnwT willkürlich an, indem sie die Teilnahme
des Opfervertreters am Augenschein als nicht notwendigen und damit als nicht
entschädigungspflichtigen anwaltlichen Aufwand qualifiziere, erweist sich sein
Vorbringen, soweit es überhaupt hinreichend begründet ist (Art. 106 Abs. 2
BGG), als nicht stichhaltig. Vorliegend hat das Bezirksamt Arbon eine
Fotorekonstruktion zur Feststellung des Sachverhalts im Sinne von Art. 103 Abs.
1 StPO/TG angeordnet. Der Beschwerdegegner A.________ hat sich von einer
Teilnahme daran dispensieren lassen; ebenso wenig war dessen Vertreter
anwesend. Damit ging es beim fraglichen Tatortaugenschein ausschliesslich um
die fotografische Dokumentation des Tatablaufs aus Sicht des Beschwerdeführers
(und seiner Ehefrau), wobei keine Rechtsfragen zur Sprache kamen (siehe dazu
BGE 112 Ia 5). Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich und wird in der
Beschwerde im Übrigen auch nicht hinreichend dargelegt, dass und inwieweit die
Vorinstanz mit ihrer Argumentation zur Notwendigkeit der Teilnahme des
Opfervertreters an der Fotorekonstruktion kantonales Recht willkürlich
angewendet haben sollte.

4.2 Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz § 58 Abs. 2
StPO/TG auch dadurch nicht willkürlich angewendet, dass sie den für die
Abklärung rechtlicher Fragen sowie das Aktenstudium eingesetzten Aufwand von
4,5 Stunden als zu hoch erachtete und diesen auf 2,5 Stunden reduzierte. Wie
sich aus dem angefochtenen Entscheid ergibt, hat die Vorinstanz den über das
Notwendige hinausgehenden eingesetzten Aufwand von 4,5 Stunden auf den
erfolgten Anwaltswechsel während des Verfahrens zurückgeführt. Dieser Schluss
ist sachlich ohne weiteres haltbar, da der vorliegende Fall gemäss der nicht in
Frage gestellten Einschätzung der Vorinstanz in rechtlicher Hinsicht sehr
einfach war und er darüber hinaus auch ein sehr bescheidenes Aktenvolumen
aufweist.

4.3 Ebenfalls kein Erfolg ist der Beschwerde beschieden, soweit der
Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe in willkürlicher Anwendung von § 58
Abs. 2 StPO/TG anstelle des vereinbarten Honoraransatzes von Fr. 260.-- pro
Stunde lediglich den Ansatz gemäss Offizialanwaltstarif von Fr. 200.-- pro
Stunde zugelassen. Die als verletzt gerügte Bestimmung, wonach die notwendigen
Kosten des Geschädigten in angemessenem Umfang zu ersetzen sind, eröffnet der
rechtsanwendenden Behörde bei der Bemessung der Entschädigung auch im Rahmen
des festzusetzenden Stundenansatzes einen weiten Ermessensspielraum. Die
Vorinstanz erachtet vorliegend einen Stundenansatz von Fr. 200.-- für
angemessen, was angesichts des als in rechtlicher Hinsicht sehr einfach
qualifizierten Falls nicht zu beanstanden ist.

4.4 Auch die von der Vorinstanz vorgenommene Kürzung der Barauslagen von Fr.
250.-- auf Fr. 100.-- beruht entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
nicht auf einer willkürlichen Anwendung des kantonales Rechts (§ 14 AnwT/TG).
Da der Beschwerdeführer - worauf im angefochtenen Entscheid zu Recht
hingewiesen wird - die von ihm geltend gemachten Barauslagen auch nicht
annähernd spezifizierte, durfte die Vorinstanz die Auslagen auf den ihr
angemessen erscheinenden Betrag festsetzen. Was dagegen in der Beschwerde
vorgebracht wird, ist nicht geeignet, Willkür darzutun, zumal der
Beschwerdeführer der Vorinstanz in dieser Hinsicht lediglich seine eigene
abweichende Sicht der Dinge gegenüberstellt (Art. 106 Abs. 2 BGG). Darauf ist
nicht einzutreten.

4.5 Damit ergibt sich zusammenfassend, dass die Vorinstanz das kantonale Recht
hinsichtlich der Höhe der festzusetzenden Parteientschädigung nicht willkürlich
angewendet hat. Die Beschwerde ist insofern unbegründet.

5.
Soweit der Beschwerdeführer die Verlegung der Verfahrenskosten als willkürlich
rügt, ist die Beschwerde hingegen begründet. Die Vorinstanz hat die
Verfahrenskosten im zu beurteilenden Fall ausschliesslich nach Massgabe des
Obsiegens und Unterliegens hinsichtlich der geltend gemachten
Parteientschädigung verlegt. Dabei hat sie nicht berücksichtigt, dass das
Rechtsmittelverfahren alleine deswegen angehoben wurde, weil es die erste
Instanz versäumt hatte, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung
zuzusprechen, wiewohl dieser seinen Antrag unter Kosten- und
Entschädigungsfolge gestellt hatte. Abgesehen davon hätte es - worauf die
Vorinstanz im angefochtenen Entscheid denn auch ausdrücklich verweist - eines
solchen Antrags nicht einmal bedurft, zumal dem Beschwerdeführer gestützt auf §
58 Abs. 2 StPO/TG eine Entschädigung von Amtes wegen hätte zugesprochen werden
müssen (angefochtener Entscheid, S. 4). Wie bereits bemerkt, befasst sich § 60
StPO/TG mit der Kostenregelung im Rechtsmittelverfahren. Die Kosten sind danach
in der Regel der unterliegenden Partei zu belasten, sofern nicht besondere
Umstände eine Abweichung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände sind hier
ohne weiteres zu bejahen, weil das Rechtsmittelverfahren durch behördliches
Fehlverhalten veranlasst wurde (siehe Thomas Zweidler, Die Praxis zur
thurgauischen Strafprozessordnung, Bern 2005, § 60 Rz. 31). Vor diesem
Hintergrund erweist sich die vorinstanzliche Kostenauflage zu Lasten des
Beschwerdeführers nach Massgabe des Unterliegens und Obsiegens bezüglich der
geltend gemachten und zugesprochenen Höhe der Parteientschädigung
offensichtlich als nicht haltbar, zumal er im vorinstanzlichen Verfahren -
zumindest dem Grundsatze nach (Zusprechung einer Parteientschädigung) - auch
obsiegte. Damit hat die Vorinstanz § 60 StPO/TG willkürlich angewendet. Das
führt dazu, dass die Verfahrenskosten vor der Vorinstanz auf die Staatskasse zu
nehmen sind. Die Beschwerde ist damit in diesem Punkt gutzuheissen und
Dispositivziffer 2 des angefochtenen Entscheids insoweit aufzuheben. Der
Vorinstanz bleibt es hierbei unbenommen, ob sie dies in einem neuen Dispositiv
explizit erwähnen oder es dabei bewenden lassen will.

6.
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten teilweise gutzuheissen; im Übrigen ist sie
abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens
wird der Beschwerdeführer im Rahmen seines Unterliegens zwar grundsätzlich
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ausnahmsweise wird indes aufgrund der
besonderen Umstände von einer Kostenauflage abgesehen (Art. 66 Abs. 1 Satz 2
BGG). Soweit der Beschwerdeführer obsiegt, hat er Anspruch auf eine
Parteientschädigung. Der Kanton Thurgau hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und Dispositivziffer 2 des
angefochtenen Urteils des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 11. Februar 2008
(in Bezug auf die Verlegung der Verfahrenskosten) aufgehoben. Im Übrigen wird
die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Thurgau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- auszurichten.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 17. Juni 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Schneider Arquint Hill