Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.18/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_18/2008 /hum

Urteil vom 15. Mai 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Briw.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Storrer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Herrenacker 26, 8200 Schaffhausen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Bedingter oder teilbedingter Strafvollzug; Verrechnung der freigewordenen
Sicherheitsleistung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 16.
November 2007 (50/2006/14).

Sachverhalt:

A.
X.________ wurde vorgeworfen, er habe von 1995 bis 1999 eine grössere Menge
Kokain verkauft bzw. abgegeben, sich im März 2003 an einem Kokaintransport über
400 Gramm beteiligt und sich in dieser Zeit wegen Zuwiderhandlungen mit Hanf
und Hanfprodukten strafbar gemacht. Ausserdem sei er mehrmals
Pfändungsaufforderungen des Betreibungsamts nicht nachgekommen.

B.
Das Obergericht des Kantons Schaffhausen erkannte am 16. November 2007 auf
seine Berufung hin:

1.
[...]

2.
Der Angeklagte ist schuldig der mehrfachen qualifizierten Widerhandlung gegen
das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Ziff. 1 i.V.m. Ziff. 2 lit. a BetmG) sowie
des Ungehorsams im Betreibungsverfahren (Art. 323 Ziff. 1 StGB).

3.
Der Angeklagte wird zu 24 Monaten Freiheitsstrafe [unter Anrechnung von] 150
Tagen Untersuchungshaft verurteilt. Diese Strafe gilt als Zusatzstrafe zum
Strafbefehl des Verkehrsstrafamts des Kantons Schaffhausen vom 26. Sept. 1996,
zum Strafbefehl der Bezirksanwaltschaft Winterthur vom 18. März 1999 sowie zu
den Strafverfügungen des Untersuchungsrichteramts des Kantons Schaffhausen vom
22. Okt. 2001, 11. März 2002, 19. Aug. 2002 und 25. Juli 2003. [...]

6.
Der mit Strafbefehl der Bezirksanwaltschaft Winterthur vom 18. März 1999
gewährte bedingte Strafvollzug für eine Gefängnisstrafe von 2 Monaten wird
nicht widerrufen (Art. 41 Ziff. 3 Abs. 5 aStGB). [...]

8.
a) Die hinterlegte Sicherheit von Fr. 5'000.- wird mit dem Beginn des Vollzugs
freigegeben und mit den dem Angeklagten auferlegten Gerichtskosten verrechnet.
b) Der hinterlegte Schweizer Pass wird mit Beginn des Vollzugs dem Angeklagten
herausgegeben. [...]

C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, (1) den Vollzug
der Freiheitsstrafe von 24 Monaten (unter Anrechnung von 150 Hafttagen)
aufzuschieben bei einer Probezeit von 4 Jahren, (2) in Aufhebung von Ziff. 8
des Dispositivs die hinterlegte Sicherheit von Fr. 5'000.- an deren Eigentümer
E.________ und den hinterlegten Schweizer Pass an den Beschwerdeführer
herauszugeben, (3) die Sache zur Neufestsetzung der Kosten, eventuell zum
gesamthaften Neuentscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen und (4) der
Beschwerdegegnerin die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens sowie eine
angemessene Parteientschädigung zu seinen Gunsten aufzuerlegen.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem
Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Rüge muss präzise (BGE 133 III
439 E. 3.2) und damit entsprechend den Anforderungen der früheren Bestimmung
von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG begründet werden (BGE 133 IV 286 E. 1.4). Die
Anwendung des kantonalen Rechts prüft das Bundesgericht auf Willkür hin (Art. 9
BV). Es hebt einen Entscheid wegen Willkür auf, wenn er schlechterdings
unhaltbar ist, d.h. mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch
steht, auf einem offenkundigen Versehen beruht oder sich sachlich in keiner
Weise rechtfertigen lässt (BGE 133 III 589 E. 4.1; 131 I 217 E. 2.1, 467 E.
3.1).

In tatsächlicher Hinsicht wird das Urteil nicht in dieser Weise angefochten,
weshalb das Bundesgericht den Sachverhalt zugrunde legt, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG).

2.
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz verletze mit der Ablehnung des
bedingten Vollzugs der Freiheitsstrafe Art. 42 Abs. 1 StGB.

2.1 Unter bisherigem Recht (Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 aStGB) war im zu
beurteilenden Fall der bedingte Vollzug objektiv ausgeschlossen. Gemäss Art. 42
Abs. 1 StGB sind hingegen Freiheitsstrafen von mindestens sechs Monaten und
höchstens zwei Jahren in der Regel aufzuschieben. Auch die Anforderungen an die
Prognose der Legalbewährung liegen unter neuem Recht etwas tiefer (BGE 134 IV 1
E. 4.2.2). Das neue Recht ist somit milder.
Die Vorinstanz lehnt in einer Eventualerwägung den bedingten Vollzug der
Freiheitsstrafe auch unter dem Titel von Art. 42 StGB ab, weil das Fehlen einer
ungünstigen Prognose verneint werden müsse (angefochtenes Urteil S. 19). Sie
nimmt damit an, dass es an einer ungünstigen Prognose gerade nicht fehlt.
Während nämlich nach bisherigem Recht eine günstige Prognose erforderlich war,
genügt nunmehr das Fehlen einer ungünstigen Prognose (BGE 134 IV 1 E. 4.2.2).

Schliesslich prüft sie in einer weiteren Eventualerwägung den teilbedingten
Strafvollzug gemäss Art. 43 Abs. 1 StGB und kommt zum Ergebnis, auch dieser sei
nicht möglich (angefochtenes Urteil S. 20).

2.2 Nach der Rechtsprechung zu Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 aStGB und Art. 68 Ziff. 2
aStGB war die Gewährung des bedingten Vollzugs ausgeschlossen, wenn die
Strafdauer der früher verhängten Grundstrafe und der neuen Zusatzstrafe
insgesamt 18 Monate überstieg (BGE 109 IV 68 E. 1). Diese Rechtsprechung ist
auch unter neuem Recht weiterzuführen. Im neuen Recht wurden die Obergrenzen
hinaufgesetzt und können nunmehr Freiheitsstrafen von 6 bis 24 Monaten bedingt
sowie Freiheitsstrafen von 12 bis 36 Monaten teilbedingt ausgesprochen werden.
Damit können Freiheitsstrafen von mehr als 24 Monaten bis zu 36 Monaten nur
noch teilbedingt festgesetzt werden (vgl. BGE 134 IV 17 E. 3.3). Fällt die
Gesamtstrafe in diesen Anwendungsbereich teilbedingter Strafen, spricht nichts
dagegen, im Rahmen von Art. 43 StGB den teilbedingten Strafvollzug zu gewähren
(Markus Hug, in: Andreas Donatsch [Hrsg.], Schweizerisches Strafgesetzbuch, 17.
Auflage, Zürich 2006, Art. 49 Abs. 2).

2.3 Vorliegend wurde die Freiheitsstrafe von 24 Monaten als Zusatzstrafe
ausgesprochen (oben Bst. B), und zwar zum Strafbefehl des Verkehrsstrafamts des
Kantons Schaffhausen vom 26. Sept. 1996 (5 Monate Gefängnis), zum Strafbefehl
der Bezirksanwaltschaft Winterthur vom 18. März 1999 (2 Monate Gefängnis) sowie
zu den Strafverfügungen des Untersuchungsrichteramts des Kantons Schaffhausen
vom 22. Okt. 2001 (3 Tage Haft), 11. März 2002 (5 Tage Haft), 19. Aug. 2002 (2
Tage Haft) und 25. Juli 2003 (5 Tage Haft; Strafregisterauszug, kantonale
Akten, act. 520, 716 und 717).
Damit ist ein bedingter Vollzug gemäss Art. 42 StGB objektiv ausgeschlossen, da
die Gesamtstrafe 24 Monate übersteigt. Wegen des Sachzusammenhangs ist aber der
teilbedingte Vollzug zu prüfen.

2.4 Das Bundesgericht hat die Anwendungsvoraussetzungen von Art. 43 StGB in BGE
134 IV 1 E. 5 dargelegt. Danach bildet Grundvoraussetzung für die teilbedingte
Strafe, dass eine begründete Aussicht auf Bewährung besteht. Wenn und soweit
die Legalprognose nicht schlecht ausfällt, verlangt die Bestimmung, dass
zumindest ein Teil der Strafe auf Bewährung ausgesetzt wird. Umgekehrt gilt,
dass bei einer Schlechtprognose auch ein bloss teilweiser Aufschub der Strafe
nicht gerechtfertigt ist. Denn wo keinerlei Aussicht besteht, der Täter werde
sich in irgendeiner Weise durch den ganz oder teilweise gewährten Strafaufschub
beeinflussen lassen, muss die Strafe in voller Länge vollzogen werden (BGE 134
IV 1 E. 5.3.1).
2.4.1 Die Vorinstanz übernimmt die Erwägungen des Kantonsgerichts. Dieses hielt
fest, es könne dem Beschwerdeführer auch keine günstige Prognose gestellt
werden. Er sei mehrfach vorbestraft, jedoch scheine ihm dies keinen Eindruck
gemacht zu haben. Zudem habe er während der laufenden Strafuntersuchung weiter
delinquiert, und er sei zur ersten Hauptverhandlung am 16. Februar 2006
unentschuldigt nicht erschienen (angefochtenes Urteil S. 18; act. 659 f.). In
ihrer Eventualerwägung zu Art. 42 Abs. 1 StGB führt die Vorinstanz weiter aus,
die zu beurteilenden Delikte habe der Beschwerdeführer teilweise in der
Probezeit der bedingten Vorstrafen begangen. Diese hätten ihn offensichtlich
unbeeindruckt gelassen. Aufgrund seiner gezeigten Unfähigkeit bzw. seines
Unwillens, sich gesetzeskonform zu verhalten, müsse ihm eine ungünstige
Prognose gestellt werden. Aus diesen Gründen verneint sie schliesslich auch die
Möglichkeit eines teilbedingten Vollzugs.
2.4.2 Soweit der Beschwerdeführers geltend macht, die Vorinstanz habe auf den
Widerruf der Vorstrafe vom 18. März 1999 "verzichtet", ist festzustellen, dass
das Kantonsgericht diese bedingte Vorstrafe widerrufen und für vollstreckbar
erklärt hatte, während die Vorinstanz annimmt, der Widerruf könne aus
gesetzlichen Gründen nicht mehr angeordnet werden (oben Bst. B, Ziff. 6;
angefochtenes Urteil S. 21). Der Widerruf unterblieb wegen Ablaufs der
Fünfjahresfrist.
2.4.3 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Betäubungsmittelstraftaten seien im
Zeitraum von 1995 bis März 2003 verübt worden. Bei den restlichen
Schuldsprüchen handle es sich lediglich um Übertretungen gemäss Art. 323 Ziff.
1 StGB, die bald vier Jahre zurücklägen und nach neuem Recht (Art. 105 Abs. 1
StGB) bei der Prognose ohnehin nicht zu berücksichtigen seien. Er komme seit
seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft vor viereinhalb Jahren für sich
selbst auf und habe seit Sommer 2006 eine gesicherte Temporär-Stelle im
grenznahen Ausland inne.

Diese Einwände werden unter dem Gesichtspunkt von Art. 42 Abs. 1 StGB
vorgebracht. Diese Bestimmung findet hier keine Anwendung. Gemäss Art. 43 StGB
muss eine begründete Aussicht auf Bewährung bestehen. In der Kommentierung von
Roland M. Schneider/Roy Garré (Strafrecht I, Basler Kommentar, 2. Auflage,
Basel 2007, Art. 42 N. 42), auf die sich der Beschwerdeführer beruft, wird
betont, dass zukünftige Übertretungen bei der Prognose keine Rolle mehr spielen
sollen. Die Vorinstanz begründet ihre Entscheidung aber nicht mit der
Wahrscheinlichkeit zukünftiger Übertretungen. Sie verweist vielmehr auf den
langen Deliktszeitraum und die Weiterdelinquenz trotz Verurteilungen und
während der Probezeit. Sie stellt zudem fest, der Beschwerdeführer sei
unwillig, sich gesetzeskonform zu verhalten. Dabei handelt es sich um eine
tatsächliche Feststellung zum Willen (Art. 105 Abs. 1 BGG). Unter diesen
Voraussetzungen einer eigentlichen Schlechtprognose ist der teilbedingte
Strafvollzug nicht möglich. Es reicht noch nicht für eine begründete Aussicht
auf Bewährung, dass der Beschwerdeführer sich etwas aufgefangen zu haben
scheint und seit den Straftaten eine gewisse Zeit verstrichen ist. So musste
selbst für die Durchführung dieses Strafverfahrens noch eine Sicherheitshaft
angeordnet werden. Die Entscheidung liegt im Rahmen des vorinstanzlichen
Ermessens.

3.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verrechnung der freigewordenen
"Kaution" mit den Gerichtskosten.

3.1 Das Kantonsgericht hatte in seinem Urteil vom 29. Juni 2006 entschieden,
der Beschwerdeführer werde gegen Hinterlegung und Sperre der Ausweisschriften
aus der Haft entlassen; die Sperre gelte bis zum Antritt des Strafvollzugs. Die
Vorinstanz verfügte am 4. September 2006, gegen eine Sicherstellung in der Höhe
von Fr. 5'000.- werde die sichergestellte Identitätskarte herausgegeben (act.
671). Die Finanzverwaltung des Kantons Schaffhausen (Kasse) stellte am 5.
September 2006 eine Quittung aus, wonach sie vom Vater des Beschwerdeführers
den Betrag von Fr. 5'000.- für die Kaution erhalten hatte (act. 672). Im
angefochtenen Urteil entschied die Vorinstanz, die hinterlegte Sicherheit
freizugeben und mit den Gerichtskosten zu verrechnen (oben Bst. B, Ziff. 8 lit.
a).

3.2 Gemäss Art. 167 Abs. 1 der Strafprozessordnung für den Kanton Schaffhausen
(StPO/SH) kann bei Fluchtgefahr dem Beschuldigten eine Sicherheitsleistung
dafür abgenommen werden, dass er sich jederzeit zu Prozesshandlungen sowie zum
Antritt einer Strafe oder Massnahme stellen werde. Gemäss Art. 169 Abs. 2 StPO/
SH kann die freiwerdende Sicherheit von der Gerichtskasse mit den dem
Beschuldigten im betreffenden Verfahren auferlegten Bussen und Kosten
verrechnet werden.

3.3 Vorliegend ist die vom Vater des Beschwerdeführers geleistete Sicherheit
nicht verfallen. Sie wurde frei und ist mit den Gerichtskosten verrechnet
worden. Der Beschwerdeführer macht deshalb eine Verletzung der
Eigentumsgarantie und der Verrechnungsordnung des Obligationenrechts geltend.
Sein Vater habe die Sicherheit geleistet und nicht damit gerechnet, dass sie
trotz des rechtskonformen Verhaltens des Sohnes "dem Staat anheim fallen werde"
(denn er habe sich nicht durch Flucht dem hängigen Strafverfahren entzogen). In
diesem Punkt ist auf die Beschwerde nicht einzutreten, weil der
Beschwerdeführer zur Geltendmachung von behaupteten Rechtsansprüchen seines
Vaters nicht legitimiert ist (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG; BGE 133 IV 121 E. 1.1;
Urteil 6B_277/2007 vom 8. Januar 2008, E. 7.4; Urteil 6P.133/2005 vom 7. Juni
2006, E. 9.3.3).

3.4 Soweit der Beschwerdeführer beantragt, ihm den hinterlegten Pass
herauszugeben, ist auf Ziff. 8 lit. b des angefochtenen Dispositivs zu
verweisen (oben Bst. B) und im Übrigen mangels Begründung auf die Beschwerde
nicht einzutreten (oben E. 1).

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Der
Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen
schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. Mai 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Briw