Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.146/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_146/2008/sst

Urteil vom 27. August 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Mathys,
Gerichtsschreiber Borner.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten
durch Fürsprecher Beat Müller-Roulet,

gegen

Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern, Beschwerdedienst, Kramgasse 20,
3011 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege; Versetzung in eine offene
Vollzugsanstalt,

Beschwerde gegen die Verfügung der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des
Kantons Bern, vom 21. Dezember 2007.

Sachverhalt:
-
Das Kreisgericht VIII Bern-Laupen verurteilte X.________ am 8. Februar 2007
wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlung gegen das BetmG und
Widerhandlungen gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von 45 Monaten.
Der Verurteilte appellierte gegen diesen Entscheid.
-
Nachdem das Kreisgericht einem Gesuch um vorzeitigen Strafantritt zugestimmt
hatte, wurde X.________ am 27. März 2007 vom Regionalgefängnis Thun in die
Anstalten Thorberg verlegt.
Die Abteilung Straf- und Massnahmevollzug (ASMV) des Amts für Freiheitsentzug
und Betreuung verweigerte am 4. Juni 2007 die Versetzung von X.________ in eine
offene Vollzugsanstalt, weil dieser als fluchtgefährdet gelte.
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid sowie ein Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung wies die Polizei- und Militärdirektion des
Kantons Bern am 9. Oktober 2007 ab.
-
In einem Zwischenentscheid vom 21. Dezember 2007 wies die Justiz-, Gemeinde-
und Kirchendirektion des Kantons Bern das Gesuch von X.________ ab, ihm für das
laufende und das vorherige Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung zu gewähren.
X.________ führt Beschwerde und beantragt, das angefochtene Urteil sei
aufzuheben, und es sei ihm für das kantonale Verfahren die unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.
-
Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 25. Januar 2008 das
erstinstanzliche Strafurteil. X.________ wurde nach Verbüssung von 2/3 der
Freiheitsstrafe am 28. Februar 2008 bedingt entlassen.

Erwägungen:
-
Der Beschwerde in Strafsachen unterliegen auch Entscheide über den Vollzug von
Strafen und Massnahmen (Art. 78 Abs. 2 lit. B BGG). Da der Entscheid über die
Versetzung in eine andere Vollzugsanstalt eine derartige Frage betrifft, sind
selbständige Zwischenentscheide im Verfahren mit Beschwerde anfechtbar, wenn
sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 93 Abs. 1
lit. b BBG).
Zwischenentscheide über die Verweigerung der Beigabe eines unentgeltlichen
Rechtsbeistandes können einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken und
sind daher sofort gesondert anfechtbar (Urteile 2C_143/2008 vom 10. März 2008,
E. 2; 5A_108/2007 vom 11. Mai 2007, E. 1.2; zum bisherigen Recht: BGE 129 I 129
E. 1.1 S. 131, 126 I 207 E. 2a S. 210 mit Hinweisen).
Die Kantone setzen als letzte kantonale Instanzen obere Gerichte ein (Art. 80
Abs. 2 BGG). Die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern
erfüllt diese Voraussetzung zwar nicht. Die erwähnte Zuständigkeitsvorschrift
ist jedoch erst ab dem Zeitpunkt zu beachten, in welchem die schweizerische
Strafprozessordnung in Kraft getreten sein wird (Art. 130 Abs. 1 BGG).
Da auch die übrigen Eintretensvoraussetzungen gegeben sind, ist auf die
Beschwerde grundsätzlich einzutreten.
-
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz hätte beim Entscheid über
die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung nicht nur
Art. 111 ff. des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sondern auch Art.
50 ff. des kantonalen Gesetzes über das Strafverfahren (StrV/BE) anwenden
müssen. Zudem verlangt er vom Bundesgericht, dass es seine Praxis zur
Aussichtslosigkeit einer Beschwerde (BGE 129 I 129 und 105 Ia 113) ändere, und
wirft der Vorinstanz vor, indem sie auf seine diesbezüglichen Vorbringen nicht
eingegangen sei, habe sie seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 BV)
verletzt. Schliesslich sei letztere Verfassungsbestimmung auch verletzt, weil
die Vorinstanz bloss hypothetisch - ohne ein ordentliches Beweisverfahren
durchzuführen - Fluchtgefahr angenommen habe.
- Rechtsschriften haben nach Art. 42 Abs. 1 BGG unter anderem die Begehren und
deren Begründung mit Angabe der Beweismittel zu enthalten. In der Begründung
ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht
verletzt (Art. 42 Abs. 2 Satz 1 BGG).
Eine qualifizierte Rügepflicht gilt hinsichtlich der Verletzung von
Grundrechten sowie von kantonalem und interkantonalem Recht. Diese Rügen sind
präzise vorzubringen und zu begründen (Art. 106 Abs. 2 BGG). Führt der
Beschwerdeführer nicht zumindest in erkennbarer Weise an, welches Grundrecht
seiner Meinung nach verletzt sei, und legt er nicht dar, worin die behauptete
Verletzung bestehe, unterbleibt die Prüfung durch das Bundesgericht (vgl.
Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl
2001 4344 f.). Im Anwendungsbereich von Art. 106 Abs. 2 BGG ist demnach die
Praxis zum Rügeprinzip gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG (vgl. dazu BGE 130 I 258
E. 1.3 S. 261 f.; 129 I 113 E. 2.1 S. 120) weiterzuführen (BGE 133 IV 286).
Dazu gehört auch, dass Verweise auf andere Rechtsschriften unzulässig sind (BGE
130 I 290 E. 4.10, S. 302).
Nach Art. 105 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Abs. 1). Es kann diese
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Abs. 2). Die Voraussetzungen für eine Sachverhaltsrüge nach Art.
97 Abs. 1 BGG und für eine Berichtigung des Sachverhalts von Amtes wegen nach
Art. 105 Abs. 2 BGG stimmen im Wesentlichen überein. Soweit es um die Frage
geht, ob der Sachverhalt willkürlich oder unter verfassungswidriger Verletzung
einer kantonalen Verfahrensregel ermittelt worden ist, gelten die
Anforderungen, wie sie im vorstehenden Absatz dargelegt sind. Demzufolge genügt
es nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
abweichenden Sachverhalt zu behaupten. Vielmehr ist in der Beschwerdeschrift
nach den erwähnten gesetzlichen Erfordernissen darzulegen, inwiefern diese
Feststellungen dem Willkürverbot widersprechen oder unter Verletzung einer
anderen Verfassungsvorschrift zustande gekommen sind. Andernfalls können
Vorbringen mit Bezug auf einen Sachverhalt, der von den Feststellungen im
angefochtenen Entscheid abweicht, nicht berücksichtigt werden (vgl. BGE 130 III
136 E. 1.4 S. 140). Vorbehalten bleiben offensichtliche Sachverhaltsmängel im
Sinne von Art. 105 Abs. 2 BGG, die dem Richter geradezu in die Augen springen
(BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.).
- Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz hätte beim Entscheid über die
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung auch Art. 50 ff.
StrV/BE anwenden müssen.
Diese Rüge genügt den Begründungsanforderungen an eine Willkürrüge nicht. So
nennt der Beschwerdeführer weder den Begriff der Willkür noch, dass Art. 9 BV
verletzt sei. Ebensowenig legt er dar, welche bestimmten Artikel des Bernischen
Strafverfahrens und inwiefern sie willkürlich nicht angewandt worden sein
sollen. Auf die Vorbringen ist somit nicht einzutreten.
Sein Verweis in diesem Zusammenhang auf seine Beschwerde an die Vorinstanz ist
ebenfalls unzulässig (BGE 130 I 290 E. 4.10, S. 302).
- Um das Bundesgericht zu einer Änderung der Rechtsprechung beim Begriff der
Aussichtslosigkeit zu bewegen, zitiert der Beschwerdeführer aus den Kommentaren
Merkli/Aeschlimann/Herzog zu Art. 111 ff. VRPG und Leuch/Marbach zu Art. 77 ZPO
(!). Dabei hebt er in Fettschrift hervor, dass jede Partei Zugang zu den
Behörden und Gerichten und Anspruch auf die Vertretung durch einen
Rechtskundigen habe.
An gleicher Stelle halten die Kommentatoren auch fest, dass dieser Zugang und
Anspruch "unter den gesetzlichen bzw. verfassungsrechtlichen Grundsätzen" resp.
"unter den durch die Rechtsprechung festgelegten Voraussetzungen" gilt. Unter
diesen Umständen erweist sich die Behauptung des Beschwerdeführers als haltlos,
die Meinung der Kommentatoren widerspreche der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung.
- Der Beschwerdeführer stört sich weiter daran, dass der Richter "in
hellseherischer Zukunftsprognostik ... spekulativ" die Aussichtslosigkeit einer
Beschwerde beurteile, was rechtlich unhaltbar sei.
Verschiedentlich weist der Gesetzgeber den Richter an, hypothetische
Überlegungen anzustellen. Dies ist beispielsweise der Fall bei der Gewährung
des bedingten Strafvollzugs, wo der Richter eine Prognose über das zukünftige
Verhalten eines Verurteilten abgeben muss (Art. 42 Abs. 1 StGB). Ebenso verhält
es sich, wenn der Richter beurteilen muss, ob ein Rechtsmittel im vornherein
als aussichtslos erschien. Inwiefern solche gesetzliche Vorgaben "rechtlich
unhaltbar" sein sollen, ist nicht nachvollziehbar.
- Im gleichen Zusammenhang beanstandet der Beschwerdeführer, die Vorinstanz
habe sich mit dieser Problematik nicht auseinandergesetzt und so seinen
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 29 BV).
Die Rüge ist offensichtlich unbegründet. Die Vorinstanz erwägt, sowohl nach
Bundesverfassungsrecht als auch nach kantonalem Verfahrensrecht sei die
unentgeltliche Prozessführung nur zu gewähren, wenn neben der
Prozessbedürftigkeit das Verfahren als nicht aussichtslos erscheine. Dieser
Voraussetzung für die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung stehe weder
das Anwaltsgesetz entgegen noch sei den vom Beschwerdeführer zitierten
Kommentaren zum VRPG und zur ZPO Gegenteiliges zu entnehmen (angefochtener
Entscheid S. 3 Ziff. 3.3). Damit hat die Vorinstanz ihre Begründungspflicht
ausreichend erfüllt.
- Bei der summarischen Beurteilung der Fluchtgefahr des Beschwerdeführers erwog
die Vorinstanz, dass das Kreisgericht von einer Fluchtgefahr ausgegangen sei
und ihn in Haft belassen habe. Mit Blick auf das erstinstanzliche Urteil würden
die vorgeworfenen Taten sehr schwer wiegen, und die ausgesprochene
Freiheitsstrafe sei lang. Auch wenn die Appellationsinstanz das Strafmass
reduzieren sollte, sei die zu erwartende bzw. drohende Freiheitsstrafe lang.
Entscheidwesentlich seien weiter die persönlichen Verhältnisse des
Beschwerdeführers: Ablauf der Kontrollfrist der Niederlassungsbewilligung,
Scheidung der Ehe, neben der Tochter keine Verwandten in der Schweiz, enge
Beziehung zu seiner Familie in Albanien, beruflich keine volle Integration
sowie Reisegewandtheit. Er bringe keine wesentlichen neuen Argumente vor, die
nicht schon im vorherigen Entscheid gebührend mitberücksichtigt worden wären
(angefochtener Entscheid S. 6 f. Ziff. 4.3 und 4.5). Gestützt darauf erachtete
die Vorinstanz die Fluchtgefahr als nach wie vor bestehend und wies das Gesuch
um unentgeltliche Prozessführung wegen Aussichtslosigkeit ab.
Soweit der Beschwerdeführer die Fluchtgefahr als bloss hypothetisch und als
nicht bewiesen bezeichnet, gehen seine Ausführungen an der Sache vorbei (E. 2.4
hievor). Dass sich die Vorinstanz bei der Beurteilung der Fluchtgefahr auf
willkürliche Anhaltspunkte gestützt oder diese willkürlich gewürdigt haben
sollte, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Ebensowenig zeigt er auf,
inwiefern die Vorinstanz angesichts der summarischen Prüfung der
Gewinnaussichten kantonales Recht willkürlich angewandt haben sollte. Aus Art.
29 BV jedenfalls kann der Beschwerdeführer im Rahmen einer summarischen Prüfung
kein Recht auf ein ordentliches Beweisverfahren ableiten. Damit erweist sich
auch diese Rüge als unbegründet, soweit darauf überhaupt eingetreten werden
kann.
-
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung. Da seine Begehren von vornherein aussichtslos erschienen, ist
das Gesuch abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Folglich wird der Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Bei der Bemessung der Gerichtsgebühr ist
jedoch seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:
-
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
-
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
-
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
-
Dieses Urteil wird den Parteien und der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion
des Kantons Bern, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. August 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Borner