Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.109/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_109/2008/sst

Urteil vom 13. Juni 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
Gerichtsschreiber Thommen.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher LL.M. Philippe Landtwing,

gegen

Generalprokurator des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln; Strafzumessung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer,
vom 9. November 2007.

Sachverhalt:

A.
Wegen andauernd zu hoher Feinstaubwerte galt für den Zeitraum vom 3. bis zum 8.
Februar 2006 auf den Autobahnen im Kanton Bern vorübergehend eine
Maximalgeschwindigkeit von 80 km/h (vgl. Medienmitteilung des Kantons Bern vom
3. Februar 2006; kant. act. 32). X.________ fuhr am 7. Februar 2006 um 21.26
Uhr auf dem Autobahnabschnitt zwischen Bern/Brünnen und Kerzers mit 137 km/h,
was bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h eine
toleranzbereinigte Überschreitung von 51 km/h ergab.

B.
Mit Urteil vom 17. Oktober 2006 sprach die Gerichtspräsidentin des
Gerichtskreises VIII Bern-Laupen X.________ der groben Verkehrsregelverletzung
(Art. 90 Ziff. 2 SVG) schuldig und verurteilte ihn zu 20 Tagen Gefängnis
bedingt sowie zu einer Busse von Fr. 9'000.--.

C.
Auf Appellation von X.________ bestätigte das Obergericht des Kantons Bern den
kreisgerichtlichen Schuldspruch am 9. November 2007. Es verurteilte ihn zu
einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen à Fr. 600.-- sowie zu einer Busse
von Fr. 6'000.--.

D.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt die Aufhebung des
Strafmandats sowie eine Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsübertretung
von 11km/h. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

E.
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern haben auf eine
Vernehmlassung zur Beschwerde verzichtet.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer macht wie bereits vor Vorinstanz zusammengefasst geltend,
dass es für seine Verurteilung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung an einer
genügenden gesetzlichen Grundlage fehle (Beschwerde S. 7- 22).

2.
2.1 Geschwindigkeitsbeschränkungen werden verwaltungsrechtlich als
Allgemeinverfügungen qualifiziert (BGE 98 IV 164 E. 2). Solche können im
strafrechtlichen Verfahren wegen Zuwiderhandlung gegen eine
Geschwindigkeitsbegrenzung nur unter eingeschränkten Voraussetzungen auf ihre
Rechtmässigkeit überprüft werden: Wurde die Verfügung bereits (verwaltungs-)
gerichtlich überprüft, ist der Strafrichter daran gebunden. Hätte eine
Verfügung an ein Verwaltungsgericht weiter gezogen werden können, wurde von
dieser Möglichkeit aber kein Gebrauch gemacht, oder steht ein entsprechender
Entscheid noch aus, so ist die strafrichterliche Überprüfungsbefugnis auf
offensichtliche Rechtsfehler und offensichtliche Ermessensüberschreitungen
beschränkt. Konnte die Verfügung an kein Verwaltungsgericht weitergezogen
werden, kann sie der Strafrichter - vorbehältlich der Angemessenheit - frei
überprüfen (BGE 129 IV 246, E. 2; 121 IV 29, E. 2a; 98 IV 106 E. 3;
offengelassen: BGE 125 I 313 E. 2b; vgl. auch Häfelin/Müller/Uhlmann,
Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Auflage, Zürich 2006, N 77 f. und 923 ff.).

2.2 Der angefochtene Entscheid lässt offen, ob die vom Regierungsrat
angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung vor kantonalen Verwaltungsgerichten
hätte angefochten werden können. Die Vorinstanz stützt sich jedoch zu Recht auf
BGE 128 IV 184. Nach dieser Rechtsprechung gilt die Pflicht zur Befolgung von
Signalen und Markierungen nach Art. 27 Abs. 1 SVG grundsätzlich unabhängig von
der Anfechtbarkeit und allenfalls erfolgten Anfechtung der zugrunde liegenden
Verfügung. Signale und Markierungen richten sich an eine Vielzahl von
Strassenbenutzern. Diese müssen sich auf die Verkehrszeichen verlassen können.
Eine allfällige Rechtswidrigkeit eines solchen Zeichens ist meist nicht
erkennbar. Auch nicht gesetzeskonforme Geschwindigkeitsbeschränkungen sind
daher in der Regel zu beachten. Die Verbindlichkeit vertrauensbegründender
Verkehrszeichen findet ihre Grenze bei nichtigen Anordnungen. Nichtigkeit wird
angenommen bei Anordnungen, deren Mangelhaftigkeit besonders schwer wiegt und
offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist (BGE 128 IV 184 E. 4; 113 IV
123 E. 2b).

2.3 Die vorliegend zu beurteilende Geschwindigkeitsbegrenzung ist nicht
nichtig. Gemäss Art. 108 Abs. 1 der Signalisationsverordnung vom 5. September
1979 (SSV; SR 741.21) kann die 'Behörde' unter anderem zur Reduktion einer
übermässigen Umweltbelastung Abweichungen von den allgemeinen
Höchstgeschwindigkeiten (Art. 4a VRV) anordnen. Als Behörde im Sinne der
Signalisationsverordnung gilt die nach kantonalem Recht für die Anordnung,
Anbringung und Entfernung von Signalen und Markierungen zuständige Behörde
(Art. 1 Abs. 2 lit. c SSV). Gemäss den kantonalen Vorinstanzen ist nach Art. 4
des Polizeigesetzes vom 8. Juni 1997 (PolG; BSG 551.1) die Verkehrspolizei für
die Regelung der kurzfristigen Signalisation zuständig. Die Verkehrspolizei
untersteht der Militär- und Polizeidirektion und damit dem Regierungsrat
(angefochtenes Urteil S. 5; erstinstanzliches Urteil S. 6). Als übergeordnete
Behörde war der Regierungsrat somit für die Anordnung der
Geschwindigkeitsbegrenzung zuständig. Er begründete die vorübergehende
Begrenzung mit der übermässigen Feinstaubbelastung und hat damit im Rahmen
seiner Kompetenzen von Art. 108 Abs. 1 SSV gehandelt. Auch materiell war die
Signalisation nicht erkennbar fehlerhaft. Daran ändert auch die vom
Beschwerdeführer angerufene Pressemitteilung vom 2. Februar 2006 nichts
(Beschwerde S. 5; kant. act. 31). Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die
Feinstaubgrenzwerte zum Zeitpunkt der Geschwindigkeitsmessung nicht mehr
überschritten waren, stellte dies eine nicht erkennbare einfache
Mangelhaftigkeit der Signalisation dar, welche nicht zur Nichtigkeit der
angeordneten Beschränkung führte. Für die weitere Prüfung ist daher davon
auszugehen, dass vom 3. bis zum 8. Februar 2006 auf den Autobahnen im Kanton
Bern eine signalisierte Maximalgeschwindigkeit von 80 km/h galt.

3.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 90 Ziff. 2 SVG.

3.1 Nach Art. 90 Ziff. 2 SVG wird bestraft, wer durch grobe Verletzung der
Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft
oder in Kauf nimmt. Der Tatbestand ist nach der Rechtsprechung objektiv
erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer
Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet (BGE 131 IV 133
E. 3.2.). Subjektiv erfordert der Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG nach der
Rechtsprechung ein rücksichtsloses Verhalten. Ein solches ist unter anderem zu
bejahen, wenn der Täter ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden
Rechtsgütern offenbart (BGE 131 IV 133 E. 3.2; 130 IV 32 E. 5.1 je m.H.). Die
Annahme der subjektiven Rücksichtslosigkeit nach Art. 90 Ziff. 2 SVG muss
streng gehandhabt werden. Will man das Schuldprinzip auch im
Strassenverkehrsstrafrecht ernst nehmen, darf insbesondere nicht unbesehen von
der objektiven auf die subjektive schwere Verkehrsregelverletzung geschlossen
werden.

3.2 Die Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Ziff. 2
SVG hält vor Bundesrecht nicht stand. Wie ausgeführt, galt eine
Geschwindigkeitsbegrenzung von 80km/h. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht,
mit 131 km/h unterwegs gewesen zu sein. Er hat die zulässige
Höchstgeschwindigkeit somit um 51 km/h, und nicht wie von ihm geltend gemacht
um bloss 11 km/h, überschritten. In objektiver Hinsicht ist die Überschreitung
der Maximalgeschwindigkeit um 51 km/h klarerweise als schwerer
Verkehrsregelverstoss einzustufen (BGE 132 II 234 E. 3.1; vgl. Urteil 6P.161/
2004 vom 16. März 2005, E. 4.3.4, Überschreitung um 51 km/h; Urteil 6A.107/
1996 vom 7. Februar 1996, E. 1, Überschreitung um 41 km/h). Subjektiv fehlt es
indes an einem rücksichtslosen Verhalten. Der Beschwerdeführer hat die bloss
während einer Woche geltende und örtlich begrenzte Geschwindigkeitsreduktion
übersehen. Er war mit anderen Worten pflichtwidrig unachtsam. Dies ist zwar als
Fehlverhalten einzustufen, doch zeugt diese Unachtsamkeit weder von
Rücksichtslosigkeit noch offenbart sie ein bedenkenloses Verhalten gegenüber
fremden Rechtsgütern.

3.3 Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und die Sache zur Verurteilung des
Beschwerdeführers wegen einfacher Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90
Ziff. 1 SVG an die Vorinstanz zurückzuweisen. Damit erübrigen sich Ausführungen
zur Strafzumessung. Die Strafe wird neu festzusetzen sein.

4.
Bei diesem Ausgang sind dem Beschwerdeführer keine Kosten zu auferlegen (Art.
66 Abs. 1 BGG). Für das bundesgerichtliche Verfahren ist er vom Kanton Bern
angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Das Bundesgericht erkennt:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern,
vom 9. November 2007 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 13. Juni 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Thommen