Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1040/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_1040/2008

Urteil vom 31. März 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, Ferrari, Mathys,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Parteien
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau,
Beschwerdeführerin,

gegen

Y.________, Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Conrad.

Gegenstand
Verzicht auf Mitteilung an das Strafregister-Informationssystem VOSTRA,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,
3. Kammer, vom 3. Dezember 2008.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 3. Dezember 2008 bestätigte das Obergericht des Kantons Aargau
zweitinstanzlich den Schuldspruch des Gerichtspräsidiums Lenzburg gegen
Y.________ wegen Überholens über eine Sicherheitslinie respektive Sperrfläche
sowie Rechtsüberholens durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen. Es verurteilte
den Angeklagten zu einer Busse von Fr. 7'500.--, ersatzweise zu drei Tagen
Freiheitsstrafe. In Ergänzung des erstinstanzlichen Entscheides ordnete das
Obergericht an, auf die Mitteilung der Busse an das VOSTRA nach Eintritt der
Rechtskraft des Urteils sei zu verzichten.

B.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führt mit Eingabe vom 18. Dezember
2008 Beschwerde in Strafsachen. Sie ficht einzig den Verzicht auf eine
VOSTRA-Mitteilung an.

C.
Das Obergericht des Kantons Aargau hat am 30. Januar 2009 auf eine
Vernehmlassung verzichtet. Y.________ beantragt am 19. Februar 2009 Abweisung
der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Der sechste Titel des dritten Buches des Schweizerischen Strafgesetzbuches
enthält in den Art. 365 bis 371 die Bestimmungen über das automatisierte
Strafregister. Art. 367 StGB regelt die Bearbeitung der Daten und die
diesbezügliche Einsicht. Gestützt auf die Abs. 3 und 6 dieser Vorschrift sowie
auf Art. 46a des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März
1997 (SR 172.010) hat der Bundesrat die Verordnung über das Strafregister
(VOSTRA-Verordnung) vom 29. September 2006 (SR 331; in Kraft seit 1. Januar
2007) erlassen. Art. 3 der Verordnung hält in Ausführung von Art. 366 Abs. 2
StGB fest, welche Urteile in VOSTRA einzutragen sind. Gemäss Art. 3 Abs. 1 lit.
c VOSTRA-Verordnung sind dies alle Verurteilungen wegen Übertretungen des StGB,
des MStG oder anderer Bundesgesetze, wenn eine Busse von mehr als 5'000 Franken
oder gemeinnützige Arbeit von mehr als 180 Stunden verhängt wird.

2.
Die Vorinstanz führt aus, der in Anwendung von Art. 106 StGB festgesetzte
Bussenbetrag schlüssle die Komponenten des Verschuldens und der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Gegensatz zur Geldstrafe nicht auf. Weil
indessen die Strafe unter anderem nach dem Verschulden bemessen werde, seien
die im konkreten Fall auszufällende Busse, Ersatzfreiheitsstrafe oder die
gemeinnützige Arbeit, welche an die Stelle der ausgesprochenen Busse treten
könne, bezüglich des Verschuldens äquivalent. Diese Äquivalenz müsse auch für
die beiden Obergrenzen nach Art. 3 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 VOSTRA-Verordnung
gelten. Weil das Verschulden bei einer mit Busse zu ahndenden Übertretung in
der gleichzeitig mit der Busse auszufällenden Ersatzfreiheitsstrafe (Art. 106
Abs. 2 StGB) zum Ausdruck komme und aufgrund der Ersatzfreiheitsstrafe die
gemeinnützige Arbeit zu berechnen sei, könne die in der VOSTRA-Verordnung
bestimmte Bussenobergrenze nicht für sich alleine, sondern nur in Relation zu
der in derselben Bestimmung aufgeführten maximal möglichen gemeinnützigen
Arbeit für die Eintragung der Busse ausschlaggebend sein. Eine Freiheitsstrafe
von drei Tagen entspreche zwölf Stunden gemeinnütziger Arbeit. Der absurden
Konsequenz, dass die Busse im VOSTRA einzutragen wäre, die gemeinnützige Arbeit
jedoch nicht, sei damit abzuhelfen, dass für die Eintragung nicht die
Bussensumme, sondern die Ersatzfreiheitsstrafe ausschlaggebend sei, welche
multipliziert mit dem Faktor 4 die Anzahl Stunden gemeinnütziger Arbeit ergebe.
Ein Eintrag sei nur möglich, wenn sowohl die Bussensumme wie auch die Anzahl
Stunden gemeinnütziger Arbeit die in der VOSTRA-Verordnung festgelegten
Obergrenzen überschritten (vgl. angefochtenen Entscheid, S. 13 f. E. 6.4).

3.
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin verkennt die Vorinstanz den Charakter
der Busse gemäss Art. 106 StGB als blosse Geldsummensanktion, die im Gegensatz
zur Geldstrafe nicht klar in eine Verschuldenskomponente und eine persönliche
Finanzkomponente aufgeschlüsselt werden könne. Der Verordnungsgeber habe die
beiden Eintragungskriterien gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. c Ziff. 1
VOSTRA-Verordnung alternativ und unabhängig voneinander ausgestaltet. Die
Übertretungssanktion müsse entweder betragsmässig oder aber bezüglich der Höhe
der alternativen Sanktion der gemeinnützigen Arbeit in der oberen Hälfte des
gesetzlichen Strafrahmens ausgefällt werden. Die Überlegungen der Vorinstanz
hätten zur Konsequenz, dass bei Straftätern, die in so günstigen finanziellen
Verhältnissen lebten, dass für sie analog Art. 34 Abs. 2 StGB für die
Festsetzung der Ersatzfreiheitsstrafe gemäss Art. 106 Abs. 2 StGB ein
Umwandlungssatz von mehr als 222 Franken anzuwenden wäre, im Regelfall wegen
der gesetzlichen Obergrenze von Fr. 10'000.-- gar keine verschuldensadäquate
Busse ausgefällt werden könnte, oder aber, dass es unter Berücksichtigung der
Obergrenze bei Bussen für bessersituierte Täter gar nie zu einem
Strafregistereintrag kommen könnte (Beschwerde, S. 4 f. Ziff. 3 und 4).

4.
4.1 Die Vorschriften von Art. 365 ff. StGB zum Strafregister entsprechen -
abgesehen von den durch das neue Sanktionensystem bedingten Änderungen - den
Bestimmungen von Art. 359 ff. aStGB, wie es bis zum 31. Dezember 2006 gültig
war. Auch die "Verordnung über das automatisierte Strafregister" vom 1.
Dezember 1999 wurde durch die VOSTRA-Verordnung weitergeführt. Ein wesentlicher
Unterschied ergibt sich durch den Wegfall der Haftstrafe für die Eintragung von
Übertretungssanktionen. Dem Zweck und dem Inhalt des Strafregisters sowie der
betreffenden Verordnung liegen aber nach wie vor die gleichen Überlegungen
zugrunde.

4.2 Die Abschaffung der Haft als kurze Freiheitsstrafe hat nicht zu einem
Verzicht auf die Eintragung von Übertretungssanktionen in VOSTRA geführt. Für
den Wegfall der Haft als Eintragungsvoraussetzung musste indessen ein
angemessenes Äquivalent gefunden werden. Ein solches existiert letztlich nicht,
da nach altem Recht eine Eintragung schon ab 1 Tag Haft erfolgte und man daher
nicht einfach auf den alten Umwandlungssatz abstellen konnte (PATRICK GRUBER,
Basler Kommentar, StGB II, 2. Aufl., 2007, Art. 366 N. 27). Mit der Festsetzung
der Eintragungspflicht bei Bussen über Fr. 5'000.-- und gemeinnütziger Arbeit
über 180 Stunden erfolgt die Eintragung von Übertretungen in VOSTRA bei 50% des
jeweiligen Strafmaximums (vgl. Art. 106 Abs. 1 und Art. 107 Abs. 1 StGB). Die
Grenze von Fr. 5'000.-- bildet gleichzeitig die Limite für die vereinfachte
Zumessung der Busse nach Art. 8 Verwaltungsstrafrecht. Sie ist klar höher als
die Obergrenze der Ordnungsbussen im Strassenverkehr von Fr. 300.--. Da die
gemeinnützige Arbeit im neuen Sanktionensystem nicht mehr nur eine Vollzugsform
der Freiheitsstrafe darstellt, sondern als eigenständige Sanktion ausgestaltet
ist, war auch die Festlegung einer bestimmten Mindesthöhe bei Verurteilungen zu
gemeinnütziger Arbeit zwingend notwendig (GRUBER, a.a.O., Art. 366 N. 29). Die
mit der neuen Bemessungsregel verbundenen Nachteile müssen im Interesse einer
schlanken Regelung in Kauf genommen werden (GRUBER, a.a.O., Art. 366 N. 30 -
34). Das gilt insbesondere für die Schlechterstellung reicher Täter, da bei
diesen die Bussen bei gleichem Verschulden in der Regel höher ausfallen als bei
armen Delinquenten. Diese Konsequenz liesse sich nur verhindern, wenn man auch
bei Übertretungen die Strafen nach dem Tagessatzsystem berechnen würde. Dann
könnte man als Eintragungsvoraussetzung auf eine bestimmte Anzahl Tagessätze
abstellen (GRUBER, a.a.O., Art. 366 N. 33). Wie die Beschwerdeführerin zu Recht
geltend macht, ist aber die Busse gemäss Art. 106 StGB eine Geldsummensanktion.

4.3 Die Vorinstanz stellt für die Eintragung in VOSTRA nicht auf die
Bussensumme, sondern auf die Ersatzfreiheitsstrafe und die ihr äquivalente
gemeinnützige Arbeit ab. Damit verletzt sie Bundesrecht.
Die Ersatzfreiheitsstrafe ist aus verschiedenen Gründen kein taugliches
Eintragungskriterium. Vorab kann weder dem Wortlaut noch der
Entstehungsgeschichte der VOSTRA-Verordnung irgendein Anhaltspunkt entnommen
werden, dass die Ersatzfreiheitsstrafe, welche ja nur bei Nichtbezahlung der
Busse zum Tragen kommt, für die Eintragung ausschlaggebend sein könnte.
Abgesehen von den Schwierigkeiten bei der Berechnung der Ersatzfreiheitsstrafe
anstelle der Busse (vgl. zu dieser Problematik STEFAN HEIMGARTNER, Basler
Kommentar, StGB I, 2. Aufl., 2007, Art. 106 N. 8 ff.), ist nicht ersichtlich,
wo die Grenze zu ziehen wäre, das heisst ab welcher Anzahl Tage
Ersatzfreiheitsstrafe der Eintrag erfolgen sollte. Für den von der Vorinstanz
vorgenommenen Beizug der oberen Grenze für die gemeinnützige Arbeit mit der
Umrechnung gemäss Art. 39 StGB sind wiederum keine Argumente ersichtlich. Von
Bedeutung ist schliesslich der Umstand, dass im Nebenstrafrecht die Bussen von
Verwaltungsbehörden ausgesprochen werden. Diese können indessen keine
Ersatzfreiheitsstrafe verhängen. Wohl entscheidet gemäss Art. 36 Abs. 2 StGB
über die Ersatzfreiheitsstrafe das Gericht, wenn eine Geldstrafe durch eine
Verwaltungsbehörde ausgesprochen wurde. Die Freiheitsstrafe tritt aber nur an
die Stelle der Geldstrafe, soweit der Verurteilte diese nicht bezahlt und sie
auf dem Betreibungsweg uneinbringlich ist (Art. 36 Abs. 1 StGB). Selbst wenn
man diese Bestimmung in Anwendung von Art. 104 StGB auf die Bussen anwenden
wollte, müsste vor der Festsetzung der Ersatzfreiheitsstrafe einer
Verwaltungsbusse durch den ordentlichen Richter vorerst die Nichtbezahlung
respektive die Uneinbringlichkeit des Geldbetrages abgewartet werden. Damit
hinge die Eintragung in VOSTRA in der Schwebe. Bezahlt aber der Verurteilte die
durch eine Verwaltungsbehörde verhängte Busse, so könnte diese - folgt man den
Erwägungen der Vorinstanz - auch bei einem Höchstbetrag (z.B. Fr. 500'000.--
nach Art. 56 Spielbankengesetz, SR 935.52) nicht eingetragen werden.

4.4 Die Ausführungen des Bundesgerichtes im Entscheid 134 IV 60 E. 7.3.3, auf
welche sich die Vorinstanz stützt (angefochtener Entscheid, E. 6.4.2) helfen
bei der Suche nach einem geeigneten Kriterium für die Eintragung der Busse in
VOSTRA nicht weiter. Es bleibt bei der Problematik, dass der Bussenbetrag die
Komponenten des Verschuldens und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht
aufschlüsselt. Die im Gesamtsummensystem gebildete Busse erschwert die
Quantifizierung des Verschuldens. Zudem steht dem Gericht bei der Bemessung der
Ersatzfreiheitsstrafe ein weiter Ermessensspielraum zu. Schliesslich löst die
Tatsache, dass die Ersatzfreiheitsstrafe gemäss Art. 106 Abs. 2 StGB
gleichzeitig mit der Busse auszusprechen ist, wie aufgezeigt, das Problem beim
Vorliegen einer durch eine Verwaltungsbehörde gefällten Busse gerade nicht.

4.5 Nur wenn sowohl die Bussensumme als auch die Anzahl Stunden gemeinnütziger
Arbeit die in der VOSTRA-Verordnung enthaltenen Obergrenzen überschreiten, ist
nach Auffassung der Vorinstanz die Gleichbehandlung im Sinne von Art. 8 BV des
Angeklagten, der über ein ausserordentlich hohes Einkommen verfügt, dem aber
nur ein geringes Verschulden vorzuwerfen ist, mit einem Angeklagten mit
geringem oder durchschnittlichen Einkommen gewährleistet (angefochtener
Entscheid, S. 14 E. 6.4.5). Eine gewisse Ungleichbehandlung bei der Eintragung
ist angesichts der gesetzlichen Regelung in der Tat nicht zu umgehen. Da aber
nicht allein die Busse, sondern auch die im Urteil durch das Gericht verhängte
Ersatzfreiheitsstrafe in VOSTRA eingetragen wird, ist die
Verschuldenskomponente für die Behörde, welche in einem späteren Verfahren den
Registerauszug verlangt, - wie gerade der vorliegende Fall zeigt -
nachvollziehbar. Für Strafregisterauszüge zu Handen von Privatpersonen stellt
sich die Problematik ohnehin nicht, weil Urteile wegen Übertretungen im Auszug
nicht erscheinen, ausser wenn ein Berufsverbot nach Art. 67 verhängt wurde
(Art. 371 StGB). Davon, dass die VOSTRA-Verordnung die hier beurteilte
Situation nicht erfasst, mithin eine echte Gesetzeslücke vorliegt, kann
entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners keine Rede sein.

5.
Zusammenfassend steht fest, dass massgebliches Kriterium für die Eintragung in
VOSTRA gemäss dem Gesetzestext von Art. 3 Abs. 1 lit. c VOSTRA entweder ein
Bussenbetrag von mehr als 5'000 Franken oder die Dauer einer gemeinnützigen
Arbeit von mehr als 180 Stunden ist. Der angefochtene Entscheid ist deshalb im
umstrittenen Punkt in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben.

6.
Es rechtfertigt sich, vorliegend im Sinne von Art. 107 Abs. 2 BGG in der Sache
selbst zu entscheiden. Die von der Vorinstanz vorgenommene Ergänzung des
Urteils des Gerichtspräsidiums Lenzburg vom 21. Mai 2008, welche lautet: "5.
Auf die Mitteilung an das VOSTRA nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils wird
verzichtet" ist zu streichen.

7.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdegegner zu überbinden (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2.
Die in Ziff. 1.1 des Urteils des Obergerichts des Kantons Aargau vom 3.
Dezember 2008 angeordnete Ergänzung des erstinstanzlichen Urteils: "5. Auf die
Mitteilung an das VOSTRA nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils wird
verzichtet." wird gestrichen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 31. März 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Favre Arquint Hill