Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1023/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_1023/2008

Urteil vom 7. Mai 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, Ferrari, Mathys,
Gerichtsschreiberin Koch.

Parteien
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt
Ronald Jenal,

Gegenstand
Anrechnung der Untersuchungshaft an Busse,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, vom 15. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X.________ auf Berufung der
Staatsanwaltschaft See/Oberland gegen den erstinstanzlichen Freispruch am 15.
September 2008 des vorsätzlichen Fahrens in fahrunfähigem Zustand mit
qualifizierter Blutalkoholkonzentration sowie des Nichtbeherrschens des
Fahrzeugs schuldig. Es bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 45
Tagessätzen zu Fr. 160.-- bei einer Probezeit von zwei Jahren und mit einer
Busse von Fr. 1'500.-- bzw. mit acht Tagen Haft im Falle der schuldhaften
Nichtbezahlung der Busse. Die Untersuchungshaft von einem Tag rechnete es mit
Fr. 160.-- an die Busse an.

B.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt gegen dieses Urteil
Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil
aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht des Kantons
Zürich zurückzuweisen, damit es die Untersuchungshaft an die Geldstrafe anstatt
an die Busse anrechne.

C.
Das Obergericht des Kantons Zürich reichte mit Eingabe vom 9. Januar 2009 seine
Vernehmlassung ein. Der Beschwerdegegner verzichtete auf eine Vernehmlassung
zur Beschwerde.

Erwägungen:

1.
1.1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Anrechnung der ausgestandenen
Untersuchungshaft von einem Tag an die Busse verletze Bundesrecht. Die
Untersuchungshaft sei an die Geldstrafe als Hauptstrafe anzurechnen. Bei der
Busse handle es sich um eine Kombination von Verbindungsbusse nach Art. 42 Abs.
4 StGB und Übertretungsbusse nach Art. 103 ff. StGB.
Bei Übertretungen werde kaum je Untersuchungshaft angeordnet. Der
Beschwerdeführer sei im vorliegenden Fall nicht wegen der Verletzung der
Verkehrsregeln, sondern wegen des Verdachts des Fahrens in angetrunkenem
Zustand in Untersuchungshaft versetzt worden. Bei der Anrechnung der
Untersuchungshaft an die Übertretungsbusse fehle der Zusammenhang zwischen der
Tat und der Haft. Eine Anrechnung an die Übertretungsbusse falle deshalb ausser
Betracht.
Die Hauptstrafe sei im vorliegenden Fall auf die Geldstrafe anzurechnen, der
Verbindungsbusse nach Art. 42 Abs. 4 StGB komme nur untergeordnete Bedeutung
zu. Die Verbindungsbusse sei eingeführt worden, um durch den "spürbaren
Denkzettel" eine generalpräventive Wirkung zu erzielen. Die Anrechnung der
Untersuchungshaft an die Busse stehe der Zielsetzung der "Denkzettelfunktion"
entgegen, bestehe diese doch gerade darin, dass die Busse bezahlt werden müsse.
In der Botschaft zum neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches werde zudem
davon ausgegangen, dass die Untersuchungshaft grundsätzlich an eine
Freiheitsstrafe angerechnet werde. Gemäss Art. 51 StGB werde die
Untersuchungshaft an die Strafe angerechnet, wobei ein Tag Haft einem Tagessatz
Geldstrafe oder vier Stunden gemeinnütziger Arbeit entspreche. Nicht erwähnt
werde die Anrechnung der Untersuchungshaft an eine Verbindungsbusse, weshalb
davon auszugehen sei, dass der Gesetzgeber diese Möglichkeit ausschliessen
wollte.
Die Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Hauptstrafe sei auch deswegen
vorzuziehen, weil in Fällen, in welchen keine Geldstrafe ausgesprochen werde,
unklar sei, zu welchem Umwandlungssatz sie an eine Busse anzurechnen sei.

1.2 Die Vorinstanz führt im Rahmen der Strafzumessung aus, die
Untersuchungshaft von einem Tag sei gemäss Art. 51 StGB in der Höhe eines
Tagessatzes von Fr. 160.-- an die Busse anzurechnen, da die Busse sofort
vollziehbar sei. In ihrer Vernehmlassung vom 9. Januar 2009 weist sie darauf
hin, dass sie in der Zwischenzeit ihre Praxis geändert habe und die erstandene
Untersuchungshaft nunmehr an die Hauptstrafe bzw. in der vorliegenden
Konstellation nicht mehr an die Busse anrechne.
1.3
1.3.1 Unter dem alten vor dem 1. Januar 2007 geltenden Recht war die Anrechnung
von Untersuchungshaft an Bussen in aArt. 69 StGB ausdrücklich geregelt. Darin
hielt der Gesetzgeber fest, dass "der Richter dem Verurteilten die
Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe anrechnet, soweit der Täter die
Untersuchungshaft nicht durch sein Verhalten nach der Tat herbeigeführt oder
verlängert hat. Lautet das Urteil nur auf Busse, so kann er die Dauer der
Untersuchungshaft in angemessener Weise berücksichtigen." Gestützt auf den
Wortlaut von aArt. 69 StGB war die Untersuchungshaft somit prioritär an die
Freiheitsstrafe als Hauptstrafe anzurechnen.
1.3.2 Gemäss dem neuen Art. 51 Satz 1 StGB rechnet das Gericht die
Untersuchungshaft, die der Täter während dieses oder eines anderen Verfahrens
ausgestanden hat, auf die "Strafe" an. Ein Tag Untersuchungshaft entspricht
einem Tagessatz Geldstrafe oder vier Stunden gemeinnütziger Arbeit (Satz 2).
Das Übertretungsstrafrecht in Artikel 103 ff. StGB regelt die Anrechnung von
Untersuchungshaft an Bussen nicht, weshalb gestützt auf die Verweisung in Art.
104 StGB die Bestimmungen des ersten Teils des Strafgesetzbuches - wozu auch
Art. 51 StGB zählt - anzuwenden sind.
Art. 51 StGB spricht sich nicht darüber aus, auf welche "Strafen" die
Untersuchungshaft anzurechnen ist, ob diese auch an eine Verbindungsbusse nach
Art. 42 Abs. 4 StGB oder an eine Übertretungsbusse nach Art. 106 StGB
angerechnet werden kann bzw. welche Prioritätenordnung bei der Anrechnung an
mehrere gleichzeitig ausgesprochene Strafarten gilt.
1.3.3 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach
Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis
einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Auszurichten ist die
Auslegung auf die ratio legis, die nicht nach den subjektiven Wertvorstellungen
der Richter, sondern nach den Vorgaben des Gesetzgebers zu ermitteln ist (BGE
134 IV 297 E. 4.3.1 S. 302 mit Hinweisen).
1.3.4 Die Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Strafgesetzbuches
(BBl 1999 1979 ff., 2063) führt zu Art. 51 StGB aus, "für Fälle, in denen keine
Freiheitsstrafe ausgefällt wird, regelt Artikel 51 E die Anrechnung der
Untersuchungshaft genauer als das geltende Recht. Die Regelung bezieht sich
nicht nur auf die Geldstrafe, sondern auch auf die gemeinnützige Arbeit."
Weder in der Botschaft noch den parlamentarischen Beratungen zum neuen
allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches finden sich Hinweise, dass mit der neuen
Fassung von Art. 51 StGB eine Änderung in der Reihenfolge der Anrechnung von
aArt. 69 StGB - wonach die Untersuchungshaft zunächst auf die Hauptstrafe
anzurechnen ist - beabsichtigt gewesen wäre.
1.3.5 Die Literatur äussert sich - soweit ersichtlich - grösstenteils nicht zur
Frage der Reihenfolge der Anrechnung von Untersuchungshaft an verschiedene
gleichzeitig ausgesprochene Strafarten. Jeanneret spricht sich für eine
Anrechnung der Untersuchungshaft an eine Busse als alleine ausgesprochene
Strafe aus, wobei er vorschlägt, als Umrechnungssatz den Satz für die
Umrechnung in die Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung
anzuwenden. Bei den nach Art. 42 Abs. 4 StGB kombiniert ausgesprochenen Strafen
hält er eine Anrechnung auf die unbedingte Strafe dort als "akzeptierbar", wo
die Strafen "gleicher Natur" sind, ohne sich darüber zu äussern, was er unter
"gleicher Natur" versteht (Yvan Jeanneret, Les peines selon le nouveau code
pénal, in: Partie générale du code pénal, 2007, S. 59 ff.). Stehen sich
hingegen eine bedingte Freiheitsstrafe und eine unbedingte Geldstrafe oder
Busse gegenüber, so befürwortet er eine Anrechnung an die Freiheitsstrafe. Zum
Verhältnis der Anrechnung von Untersuchungshaft bei gleichzeitig
ausgesprochener Geldstrafe und Übertretungsbusse äussert sich Jeanneret nicht
(a.a.O.).
1.3.6 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum neuen Allgemeinen Teil
des Strafgesetzbuches muss zu entziehende Freiheit wenn immer möglich mit
bereits entzogener kompensiert werden (BGE 133 IV 150 E. 5.1 S. 155 mit
Hinweisen). Sowohl die Freiheitsstrafe als auch die Untersuchungshaft stellen
einen Eingriff in die persönliche Freiheit dar. Die Untersuchungshaft als
freiheitsentziehende Massnahme während des Strafverfahrens ist daher immer
zuerst an eine Freiheitsstrafe anzurechnen, wie dies bereits unter dem alten
Recht nach aArt. 69 StGB der Fall war, und zwar unabhängig davon, ob die Strafe
bedingt oder unbedingt ausfällt. Dasselbe ergibt sich aus den Ausführungen in
der Botschaft (vgl. E. 1.3.4, a.a.O.).
1.3.7 Bei gleichzeitiger Aussprechung einer Geldstrafe für ein Vergehen und
einer Übertretungsbusse ist die Anrechnung der Untersuchungshaft an die
Geldstrafe als Hauptstrafe vorzuziehen. Dies folgt aus dem Gesetzeswortlaut von
Art. 51 StGB, wonach der Gesetzgeber die Anrechnung von Untersuchungshaft an
eine Geldstrafe im Gegensatz zur Anrechnung an eine Busse ausdrücklich vorsieht
sowie aus der vorrangigen Anrechnung der Untersuchungshaft an die
Freiheitsstrafe als Hauptstrafe (vgl. E. 1.3.6).
1.3.8 Zu klären bleibt die Frage der Priorität der Anrechnung von
Untersuchungshaft an eine bedingten Geldstrafe in Kombination mit einer Busse
nach Art. 42 Abs. 4 StGB.
In systematischer Hinsicht sind Art. 51 StGB und Art. 42 Abs. 4 StGB im Teil
des Strafgesetzbuches eingereiht, welcher "Verbrechen und Vergehen" betrifft.
Der Gesetzgeber hat in Art. 51 StGB den Anrechnungsfaktor von Untersuchungshaft
an die Geldstrafe und die gemeinnützige Arbeit geregelt. Hätte der Gesetzgeber
die Anrechnung von Untersuchungshaft an eine sofort vollziehbare Busse nach
Art. 42 Abs. 4 StGB gegenüber der Anrechnung an die Geldstrafe bevorzugt, hätte
diese Regelung in Artikel 51 StGB Eingang finden müssen, zumal die Anrechnung
an die anderen nicht freiheitsentziehenden Strafen für Verbrechen und Vergehen
ausdrücklich geregelt ist. Eine solche Regelung fehlt aber. Hinzu kommt, dass
eine Busse nach Art. 42 Abs. 4 StGB akzessorisch zur Geldstrafe ausgefällt wird
und ihr nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur eine untergeordnete
Bedeutung zukommen darf (BGE 134 IV 60 E. 7.3.2 S. 75). Daher ist die
Untersuchungshaft primär an die Geldstrafe als Hauptstrafe anzurechnen.
1.3.9 Übersteigt die Untersuchungshaft die Dauer der Freiheitsstrafe bzw. die
Anzahl der Tagessätze, ist eine Anrechnung an die Busse grundsätzlich zulässig.
Dies ergibt sich aus dem Verweis von Art. 104 StGB auf Art. 51 StGB in
Verbindung mit Art. 107 Abs. 1 StGB, wonach die Anrechnung von
Untersuchungshaft an die anstelle einer Busse ausgefällte gemeinnützige Arbeit
offen steht. Deshalb muss die Anrechnung auch an eine (Übertretungs-)Busse
zulässig sein. Im Übrigen sieht der Gesetzgeber im Vergleich zum alten Recht
die Anrechnung von Untersuchungshaft an Strafen neu voraussetzungslos vor. Sie
ist gegenüber aArt. 69 StGB nicht mehr davon abhängig, dass die
Untersuchungshaft im selben Verfahren ausgestanden wurde.
Der Anrechnungsfaktor, mit welchem die Untersuchungshaft an eine Busse
anzurechnen ist, entspricht jenem Faktor, nach welchem der Richter die
Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung der Busse gemäss Art. 106
Abs. 3 StGB bestimmt.

1.4 Vorliegend wurde der Beschwerdeführer nebst der bedingten Geldstrafe von 45
Tagessätzen zu einer - unbedingt zu bezahlenden - Busse nach Art. 42 Abs. 4 und
Art. 106 StGB verurteilt. Der eine Tag Untersuchungshaft ist gemäss der in Art.
51 StGB festgelegten Rangordnung an die Geldstrafe als Hauptstrafe anzurechnen.
Die Anrechnung der Untersuchungshaft an die Busse durch die Vorinstanz verletzt
insoweit Art. 51 StGB. Es rechtfertigt sich, vorliegend im Sinne von Art. 107
Abs. 2 BGG in der Sache selbst zu entscheiden und das Urteilsdispositiv so
anzupassen, dass die Untersuchungshaft von einem Tag im Umfang von einem
Tagessatz an die Geldstrafe angerechnet wird. Als Folge der Anrechnung der
Untersuchungshaft an die Geldstrafe ist die für die Busse auszufällende
Ersatzfreiheitsstrafe von acht auf neun Tage zu erhöhen.

2.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden keine Kosten erhoben (Art. 66 Abs. 1
BGG). Die obsiegende beschwerdeführende Staatsanwaltschaft hat keinen Anspruch
auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Ziffern 2 und 3 des Urteils des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 15. September 2008 aufgehoben und wie folgt
neu gefasst:
"2.
Der Angeklagte wird bestraft mit einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu Fr.
160.-- sowie mit einer Busse von Fr. 1'500.--. Die Untersuchungshaft von 1 Tag
wird im Umfang von einem Tagessatz an die Geldstrafe angerechet.

3.
Der Vollzug der Geldstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf 2 Jahre
festgesetzt. Die Busse ist zu bezahlen.
Bezahlt der Angeklagte die Busse schuldhaft nicht, so tritt an deren Stelle
eine Ersatzfreiheitsstrafe von 9 Tagen."

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. Mai 2009

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Favre Koch