Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1002/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_1002/2008

Urteil vom 30. März 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Mathys,
Gerichtsschreiberin Binz.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Hans Rohrer,

gegen

Amt für Straf- und Massnahmenvollzug, An der Aa 6, 6300 Zug,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Strafantritt, Hafterstehungsfähigkeit,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug,
Verwaltungsrechtliche Kammer, vom 31. Oktober 2008.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Zug verurteilte X.________ am 19. Juni 2007 unter
anderem wegen mehrfacher Veruntreuung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe
von 32 Monaten. Eine von X.________ dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen
wies das Bundesgericht mit Urteil vom 18. Januar 2008 ab. Das Amt für Straf-
und Massnahmenvollzug des Kantons Zug (nachfolgend ASMV) forderte X.________
auf, sich am 6. Mai 2008 bei der Polizei in Zug zur Strafverbüssung im
Normalvollzug einzufinden. X.________ teilte dem ASMV unter Beilage eines
ärztlichen Zeugnisses von Dr. med. A.________ vom 19. Februar 2008 mit, er sei
wegen seiner chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) sowie seines
gestörten Schlafs auf unbestimmte Zeit nicht hafterstehungsfähig. Daraufhin
beauftragte das ASMV Frau Dr. med. B.________, Oberärztin Bewachungsstation,
Inselspital Bern, die Hafterstehungsfähigkeit von X.________ zu überprüfen. Das
ASMV gelangte gestützt auf das Gutachten zum Schluss, dass keine medizinischen
Gründe für einen Strafaufschub vorliegen würden. Mit Verfügung vom 2. Juli 2008
legte es den Antritt des Freiheitsentzugs auf den 8. September,2008 in der
Strafanstalt Schöngrün in Solothurn fest.

B.
Gegen die Verfügung erhob X.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde, welche das
Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Verwaltungsrechtliche Kammer, mit Urteil
vom 31. Oktober 2008 abwies.

C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das Urteil des
Verwaltungsgerichts sei aufzuheben, und die Sache sei zur Neubeurteilung seiner
Hafterstehungsfähigkeit an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Bejahung der Hafterstehungsfähigkeit. Der
Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 80 Abs. 1 lit. a StGB und des
Willkürverbots sowie eine unvollständige Feststellung des Sachverhalts unter
Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.

1.1 Die Kantone vollziehen die von ihren Strafgerichten auf Grund dieses
Gesetzes ausgefällten Urteile (Art. 372 Abs. 1 Satz 1 StGB).

Die entsprechende Bestimmung von Art. 86 Ziff. 2 der Strafprozessordnung für
den Kanton Zug vom 3. Oktober 1940 (StPO; BGS 321.1) lautet: "Der Vollzug von
Strafen und Massnahmen darf aus wichtigen Gründen unterbrochen (Art. 92 StGB)
oder verschoben werden. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn wegen
Krankheit das Urteil ohne Gefahr für den Verurteilten nicht vollzogen werden
kann".

1.2 Gegenstand der vorliegenden Beschwerde ist die Prüfung eines
Strafaufschubs. Der vom Beschwerdeführer gerügte Art. 80 StGB bezieht sich
hingegen auf abweichende Vollzugsformen. Darauf ist nicht einzugehen. Im
Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das ASMV den Beschwerdeführer zur
Mitteilung aufgefordert hatte, ob für ihn für den Freiheitsentzug die Form der
Halbgefangenschaft in Frage komme. Der Beschwerdeführer hatte sich dazu nicht
geäussert (s. angefochtenes Urteil E. 3a S. 9).

Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen und
des Bundesstrafgerichts (Art. 80 Abs. 1 BGG). Soweit der Beschwerdeführer das
Vorgehen des ASMV rügt, ist darauf nicht einzutreten.

2.
2.1 Die Vorinstanz setzt sich ausführlich mit dem Gutachten von Frau Dr. med.
B.________ vom 25. Juni 2008 und mit den vom Beschwerdeführer eingereichten
Akten auseinander. Sie führt aus, der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers
sei zweifellos in erheblichem Mass beeinträchtigt. Frau Dr. med. B.________
habe nach Kenntnisnahme des Arztzeugnisses von Dr. med. A.________ vom 19.
Februar 2008 telefonisch mit den drei behandelnden Ärzten Dr. med. A.________,
Dr. med. C.________ und Dr. med. D.________ Rücksprache gehalten. Sie habe den
Beschwerdeführer zur Einreichung von ergänzenden Unterlagen bezüglich seines
Gesundheitszustandes aufgefordert und ihm mitgeteilt, dass die Frage der
Hafterstehungsfähigkeit allenfalls auf dem Aktenweg geklärt werden könne. Der
Beschwerdeführer habe gegen dieses Vorgehen keine Einwände erhoben. Gemäss dem
Gutachten von Frau Dr. med. B.________ habe der Beschwerdeführer keine
bleibenden gesundheitlichen Schäden als Folge des Strafvollzugs zu erwarten.
Auch aus den neusten ärztlichen Zeugnissen von Dr. med. E.________ vom 24. Juli
2008 und Dr. med. C.________ vom 28. Juli 2008 könne keine wesentliche
Veränderung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers im Vergleich zu den
älteren Arztzeugnissen abgeleitet werden. Der Beschwerdeführer habe bisher
seine Krankheit auch zuhause oder im Ausland dank regelmässiger Medikation in
Schach halten können. Zusammenfassend ergebe sich, dass die Stellungnahme der
Gutachterin in klarer und nachvollziehbarer Weise die Hafterstehungsfähigkeit
des Beschwerdeführers bejahe. Die Erstellung eines weiteren Gutachtens sei
deshalb nicht notwendig.

2.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz habe seine
Hafterstehungsfähigkeit ungenügend und deshalb willkürlich abgeklärt. Seine
Krankengeschichte sei derart umfassend, dass sich die beauftragte Ärztin
aufgrund einzelner Telefongespräche kein verlässliches Bild über seinen
aktuellen Gesundheitszustand habe machen können. Wenn die Vorinstanz erwäge, es
gehe weniger um die Krankengeschichte als um seinen aktuellen
Gesundheitszustand, wäre eine persönliche Untersuchung zwingend gewesen. So
könne ihm nicht vorgeworfen werden, dass er auf die Einreichung älterer
Zeugnisse verzichtete. Die diesbezügliche vorinstanzliche Argumentation sei
widersprüchlich und deshalb willkürlich. Zudem habe die Vorinstanz den
Sachverhalt unter Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht
hinreichend abgeklärt und sei deshalb zu einem falschen Ergebnis gelangt. Er
habe die ihn behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden und
angeboten, zu einer Untersuchung ins Inselspital zu kommen. Im Übrigen habe er
in seinem Schreiben, bei welchem er seine Hafterstehungsunfähigkeit geltend
gemacht habe, ein aktuelles Arztzeugnis von Dr. med. A.________ beigelegt. Es
sei unbekannt, aufgrund welcher Akten die beauftragte Ärztin ihren Entscheid
getroffen habe. Bei ihren Telefongesprächen mit den drei Ärzten hätten alle die
Ansicht geteilt, dass er unter keinen Umständen hafterstehungsfähig sei.
Anscheinend habe die Gutachterin nicht die notwendigen Abklärungen getroffen.
Wenn sie schon zu einem gegenteiligen Schluss gelange, so hätte sie ihn auf
jeden Fall körperlich untersuchen müssen. Weil er davon habe ausgehen dürfen,
dass die Gutachterin zum gleichen Schluss wie die Ärzte komme, sei die
rechtliche Würdigung für ihn überraschend erfolgt. Deshalb habe die Vorinstanz
seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem sie ihn nicht zur
rechtlichen Würdigung angehört habe. Er leide an einer Lungenkrankheit und
benötige nachts unmittelbare persönliche Betreuung und zusätzlichen Sauerstoff.
Inwiefern die medizinische Betreuung in einer Strafanstalt tatsächlich zur
Verfügung stehe, werde im angefochtenen Urteil nicht dargelegt. Weiter leide er
an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Aufgrund seiner gemachten
Erfahrung während der letzten Untersuchungshaft müsse er davon ausgehen, dass
ihm während des Strafvollzuges in einer Notsituation nicht die adäquate
medizinische Versorgung gewährt werden würde.

3.
3.1 Nach der bundesgerichtlichen Praxis liegt Willkür vor, wenn der
angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen
Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid
jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis
unhaltbar ist; dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar
zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 134 I 140 E. 5.4 S. 148 mit
Hinweisen).

Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör.
Dazu gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in
seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern und an der
Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum
Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu
beeinflussen. Die Verfassungsgarantie steht einer vorweggenommenen
Beweiswürdigung nicht entgegen. Das Gericht kann auf die Abnahme von Beweisen
verzichten, wenn es aufgrund bereits abgenommener Beweise seine Überzeugung
gebildet hat und ohne Willkür annehmen kann, seine Überzeugung werde durch
weitere Beweiserhebungen nicht geändert (BGE 134 I 140 E. 5.2 und 5.3 S. 147 f.
mit Hinweisen).

3.2 Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde zu begründen. Die Begründung
hat in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht
verletzt (Art. 42 Abs. 2 Satz 1 BGG).
Eine qualifizierte Rügepflicht gilt hinsichtlich der Verletzung von
Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht. Das Bundesgericht
prüft eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise
vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG, BGE 133 Il 249 E.
1.4.2 S. 254).

Vorab ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer grösstenteils nicht mit
den vorinstanzlichen Erwägungen auseinandersetzt, sondern seine Ausführungen
wiederholt, welche er in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht hat.
Soweit seine Rügen deshalb den Begründungsanforderungen nicht genügen, ist
darauf nicht einzutreten.

3.3 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kommt eine Verschiebung des
Vollzuges einer rechtskräftigen Strafe auf unbestimmte Zeit nur ausnahmsweise
in Frage. Dafür wird verlangt, dass mit beträchtlicher Wahrscheinlichkeit damit
zu rechnen ist, der Strafvollzug gefährde das Leben oder die Gesundheit des
Verurteilten. Selbst dann noch ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei
neben den medizinischen Gesichtspunkten Art und Schwere der begangenen Straftat
und die Dauer der Strafe mitzuberücksichtigen sind. Je schwerer Tat und Strafe,
umso schwerer fällt - im Vergleich zur Gefahr des Verlustes der körperlichen
Integrität - der staatliche Strafanspruch ins Gewicht (BGE 108 la 69 E. 2c/d S.
72 mit Hinweisen).

3.4 Unbestritten ist, dass der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers in
erheblichem Masse beeinträchtigt ist. Zu prüfen ist, ob der Strafvollzug sein
Leben oder seine Gesundheit gefährden würde. Frau Dr. med. B.________ hat mit
den Ärzten des Beschwerdeführers Rücksprache gehalten, um sich über seinen
aktuellen Gesundheitszustand zu informieren. Die ärztlichen Zeugnisse von Dr.
med. A.________ vom 19. Februar 2008 und von Dr. med. C.________ vom 28. Juli
2008 stufen den Beschwerdeführer auf unbestimmte Zeit als nicht
hafterstehungsfähig ein. Der Bericht von Dr. med. D.________ vom 6. September
2004 hält fest, dass sich die nächtlichen Atemnotepisoden durch die
medikamentöse Therapie schon deutlich gebessert hätten (s. angefochtenes Urteil
E. 4b S. 13). Frau Dr. med. B.________ führt in ihrem Schreiben vom 25. Juni
2008 aus, der Beschwerderführer sei mobil und selbständig und er benötige keine
Sauerstofftherapie. Falls in der Strafanstalt die medizinische Betreuung
jederzeitig gewährleistet und bei Bedarf eine Versetzung in ein Spital oder in
eine psychiatrische Klinik möglich sei, habe der Beschwerdeführer kausal durch
den Strafvollzug bedingt keine (bleibenden) gesundheitlichen Schädigungen zu
erwarten (s. angefochtenes Urteil E. 3d S. 11).

Wie die Vorinstanz ausführt, geht es bei der Frage der Hafterstehungsfähigkeit
nicht um die Krankengeschichte des Beschwerdeführers, sondern um seinen
aktuellen Gesundheitszustand im Hinblick auf den Eintritt in die Strafanstalt.
Die Folgerung von Frau Dr. med. B.________, dass er durch den Strafvollzug
keine (weitere) Schädigung zu erwarten habe, ist klar und nachvollziehbar.
Demgegenüber verneinen Dr. med. A.________ und Dr. med. C.________ die
Hafterstehungsfähigkeit des Beschwerdeführers gestützt auf seinen aktuellen
Gesundheitszustand, ohne auf die Auswirkungen des Strafvollzuges einzugehen.
Dass Dr. med. D.________ die Hafterstehungsfähigkeit verneint, ist eine
unbelegte Behauptung des Beschwerdeführers. Im Übrigen durfte die Vorinstanz
die vom Beschwerdeführer eingereichten Berichte, welche als Bestandteil der
Parteivorbringen gelten, zurückhaltender würdigen (vgl. BGE 127 I 73 E. 3f/bb
S. 81 f. mit Hinweisen). Aus den genannten Gründen ist es nicht willkürlich,
wenn die Vorinstanz gestützt auf die Beurteilung von Dr. med. B.________ die
Hafterstehungsfähigkeit des Beschwerdeführers bejaht.

Frau Dr. med. B.________ konnte den aktuellen Gesundheitszustand des
Beschwerdeführers anhand der geführten Telefonate und dem ärztlichen Zeugnis
von Dr. med. A.________ ausreichend beurteilen, so dass sie eine persönliche
Untersuchung des Beschwerdeführers nicht als notwendig hielt. Zudem hatte sie
dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass die Frage der Hafterstehungsfähigkeit
allenfalls auf dem Aktenweg geklärt werden könne und hatte ihn zur Einreichung
von ergänzenden Unterlagen bezüglich seines Gesundheitszustandes aufgefordert.
Die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe den Sachverhalt unter
Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht hinreichend abgeklärt,
erweist sich nach dem Gesagten als unbegründet.

4.
Somit ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug,
Verwaltungsrechtliche Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. März 2009

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Favre Binz