Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Subsidiäre Verfassungsbeschwerde 4D.107/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4D_107/2008 /len

Urteil vom 8. Oktober 2008
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Luczak.

Parteien
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

B.D.________,
C.D.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerden gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Thurgau vom 25. Juli 2008 und die Verfügung des Präsidenten des
Obergerichts des Kantons Thurgau vom 4. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 28. März 2008 wies das Bezirksgericht Weinfelden eine Klage von
A.________ (Beschwerdeführer) ab, mit dem dieser als Mieter gegenüber
B.D.________ und C.D.________ (Beschwerdegegner) als Vermieter im Wesentlichen
die am 29. August 2007 ausgesprochene Kündigung aufheben lassen wollte und
eventuell um Erstreckung des Mietverhältnisses nachsuchte. Dem Beschwerdeführer
wurde dabei die unentgeltliche Prozessführung bewilligt. Gegen dieses Urteil
führte er kantonale Berufung. Mit Verfügung vom 4. Juni 2008, expediert am 20.
Juni 2008, wies der Präsident des Obergerichts des Kantons Thurgau das Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege für das Berufungsverfahren zufolge
Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels ab, und setzte dem Beschwerdeführer eine
Frist von 20 Tagen ab Zustellung der Verfügung zur Zahlung eines
Kostenvorschusses mit dem Hinweis, bei nicht rechtzeitiger Leistung werde nicht
auf die Berufung eingetreten. Mit Beschluss vom 25. Juli 2008 trat das
Obergericht auf die Berufung nicht ein, da der Kostenvorschuss nicht geleistet
wurde.

B.
Mit Eingabe vom 25. August 2008 gelangte der Beschwerdeführer an das
Bundesgericht und beantragte im Wesentlichen, die Verfügung vom 5. (recte 4.)
Juni 2008 aufzuheben und dem Beschwerdeführer für das Berufungsverfahren die
unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und einen Rechtsbeistand beizugeben.
Ferner ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das
Verfahren vor Bundesgericht. In diesem Zeitpunkt hatte er den Beschluss vom 25.
Juli 2008 schon erhalten, wie er in seiner Eingabe selbst ausführt. Mit Eingabe
vom 10. September 2008 rief der Beschwerdeführer erneut das Bundesgericht an,
diesmal im Wesentlichen mit dem Begehren, den Nichteintretensentscheid des
Obergerichts vom 25. Juli 2008 aufzuheben. Auf die Einholung einer
Vernehmlassung wurde verzichtet.

Erwägungen:

1.
Unter Berücksichtigung des Stillstandes der Fristen (Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG)
erfolgte sowohl die Beschwerde gegen die Verfügung, mit der dem
Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege für das Berufungsverfahren
verweigert wurde, als auch gegen den Nichteintretensentscheid innerhalb der
Beschwerdefrist von Art. 100 Abs. 1 BGG.

1.1 Die Verfügung stellt einen letztinstanzlichen kantonalen Zwischenentscheid
dar, der den Hauptprozess nicht abschliesst. Gegen diesen Zwischenentscheid ist
nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG die Beschwerde zulässig, wenn er einen nicht
wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Ist die Beschwerde nicht zulässig
oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht, so ist der Zwischenentscheid durch
Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, soweit er sich auf dessen Inhalt
auswirkt.

1.2 Zwischenentscheide, mit denen die unentgeltliche Rechtspflege verweigert
wird, haben in der Regel zwar einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zur
Folge (BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131; 126 I 207 E. 2a S. 210 mit Hinweisen).
Nachdem die Vorinstanz den Endentscheid bereits gefällt hatte, war der damit
verbundene Nachteil bei Beschwerdeeinreichung aber bereits eingetreten, so dass
an sich kein Interesse mehr an einer gesonderten Anfechtung des
Zwischenentscheides bestand, zumal der Beschwerdeführer diesen mit dem
Endentscheid zusammen anfechten kann und in seiner Beschwerde gegen den
Zwischenentscheid kein Gesuch um aufschiebende Wirkung gestellt hat. Auf die
Problematik braucht aber nicht weiter eingegangen zu werden. Die Rügen, die der
Beschwerdeführer ausschliesslich in der Beschwerde gegen den Zwischenentscheid
erhebt und in der Beschwerde gegen den Endentscheid nicht zumindest sinngemäss
wiederholt, genügen, wie zu zeigen sein wird, den Begründungsanforderungen
nicht, so dass ohnehin nicht darauf eingetreten werden kann. Es rechtfertigt
sich jedenfalls, beide Eingaben des Beschwerdeführers in einem Urteil zu
behandeln.

1.3 Der in der Beschwerde gegen den Endentscheid gestellte Rückweisungsantrag
(beziehungsweise der in der Beschwerde gegen die Verfügung gestellte Antrag auf
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung für das kantonale Verfahren)
genügt, da das Bundesgericht, sollte es die Beschwerde für begründet erachten,
nicht selbst entscheiden könnte, sondern die Sache zur materiellen Behandlung
der Berufung an die Vorinstanz zurückweisen müsste (BGE 133 III 489 E. 3.1 mit
Hinweisen).

1.4 Der Bezirksgerichtspräsident erachtete sich erstinstanzlich mit Blick auf
den Fr. 8'000.-- nicht übersteigenden Streitwert für zuständig. Für die
Zulässigkeit der Rechtsmittel vor Bundesgericht folgt die Streitwertberechnung
indessen Art. 51 BGG und berechnet sich, sofern die Gültigkeit einer Kündigung
bestritten wird, aufgrund des Zeitraumes, während dem der Vertrag fortdauern
würde, wenn die Kündigung nicht gültig wäre unter Berücksichtigung der
Sperrfrist nach Art. 271a Abs. 1 lit. e OR (vgl. BGE 111 II 384 E. 1 S. 386).
Bei einer monatlichen Nettowohnungsmiete von Fr. 960.-- wird der für die
Beschwerde in Zivilsachen erforderliche Streitwert von Fr. 15'000.-- (Art. 74
Abs. 1 lit. a BGG) überschritten.

1.5 In der Beschwerde in Zivilsachen wendet das Bundesgericht das Recht
grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Eine qualifizierte
Rügepflicht gilt allerdings hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten und
von kantonalem und interkantonalem Recht. Das Bundesgericht prüft eine solche
Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet
worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 III 393 E. 6 S. 397; 133 II 249 E.
1.4.2 S. 254).

2.
Der Beschwerdeführer rügt im Wesentlichen eine Verletzung des Willkürverbots
(Art. 9 BV), da die für die Leistung des Kostenvorschusses angesetzte Frist
abgelaufen und der Nichteintretensentscheid erfolgt sei, bevor über die
unentgeltliche Rechtspflege vom Bundesgericht rechtskräftig entschieden wurde,
obwohl die Vorinstanz darüber orientiert worden sei, dass der Zwischenentscheid
an das Bundesgericht weitergezogen werde. Der Beschwerde an das Bundesgericht
kommt indessen in der Regel keine aufschiebende Wirkung zu (Art. 103 BGG) und
der Beschwerdeführer hat auch keine beantragt. Daher war die Vorinstanz nicht
gehalten, den Entscheid des Bundesgerichts abzuwarten. Eine Verletzung von Art.
9 BV liegt nicht vor.

3.
Mit Bezug auf die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege und die Rüge
einer Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV beschränkt sich der Beschwerdeführer im
Wesentlichen darauf zu behaupten, die Vorinstanz hätte die Prozessaussichten
nicht bloss summarisch, sondern umfassend geprüft und das Berufungsverfahren
vorweggenommen. Angesichts des Umfangs der Begründung von zwölf Seiten könne
nicht gesagt werden, das Rechtsmittel sei offensichtlich aussichtslos. Es fehlt
aber jegliche materielle Auseinandersetzung mit den Gründen, welche die
Vorinstanz zur Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege führten. Mangels
hinreichender Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Entscheid kann insoweit
nicht auf die Beschwerde eingetreten werden (vgl. E. 1.5 hiervor).

4.
Schliesslich behauptet der Beschwerdeführer mit Hinweis auf eine
Literaturstelle, im Kanton Thurgau gelte die erstinstanzlich gewährte
unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung auch für das
zweitinstanzliche Verfahren, ohne dass ein neues Gesuch einzureichen sei
(BARBARA MERZ, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2007,
N. 27a zu § 80 ZPO/TG [vom 6. Juli 1988], wobei der Beschwerdeführer die 1.
Aufl. zitiert). Der Offizialanwalt sei demnach zu entschädigen, bis der Entzug
der unentgeltlichen Rechtspflege mitgeteilt worden sei. Die Vorinstanz habe es
aber unterlassen, die bis zum 23. Juni 2008 angefallenen Aufwendungen der
Offizialanwältin zu entschädigen und diese im Hinblick auf den
Abschreibungsentscheid zur Einreichung der Honorarnote aufzufordern. Die
Angelegenheit sei zur Festsetzung der Entschädigung der Offizialanwältin an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

4.1 Gemäss Art. 99 Abs. 2 BGG sind neue Begehren vor Bundesgericht unzulässig.
Der Beschwerdeführer zeigt nicht auf, wo er im kantonalen Verfahren eine
Entschädigung der bis zum 23. Juni 2008 angefallenen Aufwendungen der
Offizialanwältin verlangt hätte. In der Verfügung vom 4. Juni 2008 wurde sein
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen mit dem Hinweis, dass auf die
Berufung nicht eingetreten werde, falls der Kostenvorschuss nicht geleistet
werde. In diesem Zeitpunkt hätte Anlass bestanden, eine allfällige
Entschädigung geltend zu machen. Es ist nicht am Bundesgericht, darüber zu
entscheiden, wenn der Beschwerdeführer der Vorinstanz keine entsprechende
Forderung unterbreitet hat.

4.2 Im Übrigen wird auch die Meinung vertreten, für das Berufungsverfahren
bedürfe es eines neuen Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege, unabhängig
davon, ob ein solches Begehren erstinstanzlich bewilligt wurde (BÜRGI und
andere, Handbuch zur Thurgauer Zivilprozessordnung, 2000, N. 5 zu § 83 ZPO/TG).
Die vom Beschwerdeführer zitierte Autorin beruft sich in der 2. Auflage ihres
Werks auf OTTO BÖCKLI, Zivilprozess-Ordnung für den Kanton Thurgau (vom 29.
April 1928), 1930, N. 3 zu Art. 106 aZPO/TG (vgl. MERZ, a.a.O., N. 4 zu § 83
ZPO/TG). Das Obergericht ist unter Geltung der alten Zivilprozessordnung dieser
Meinung aber nicht gefolgt, sondern hat entschieden, ein Offizialanwalt werde
für seine Bemühungen nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens nicht
durch das Gericht entschädigt, wenn die unentgeltliche Rechtspflege für das
Berufungsverfahren verweigert würde (Rechenschaftsbericht des Obergerichts, der
Rekurskommission, der Versicherungskammer, der Kriminalkammer des Kantons
Thurgau über das Jahr 1961, Nr. 6 S. 52 ff.). Damit genügt der blosse Hinweis
auf die zitierte Literaturstelle nicht, um die Anwendung des kantonalen Rechts
als offensichtlich unhaltbar und willkürlich auszuweisen (vgl. zum Begriff der
Willkür BGE 134 II 124 E. 4.1 S. 133). Die Rüge ist nicht hinreichend
begründet. Auch eine Verletzung des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege
ist nicht dargetan. Zwar darf diese nicht rückwirkend entzogen werden (BGE 122
I 5 E. 4b S. 7), nichts steht jedoch einer neuerlichen Überprüfung der
Erfolgsaussichten im zweitinstanzlichen Verfahren entgegen (BERNARD CORBOZ, Le
droit constitutionnel à l'assistance judiciaire, SJ 2003 II S. 67 ff., S. 74).

5.
Beide Beschwerden erweisen sich als unbegründet und sind abzuweisen, soweit
darauf einzutreten ist. Angesichts der offensichtlichen Aussichtslosigkeit
kommt die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Verfahren vor
Bundesgericht nicht in Betracht. Der Beschwerdeführer wird kostenpflichtig. Da
keine Vernehmlassung eingeholt wurde, hat er keine Parteientschädigung zu
entrichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung für das bundesgerichtliche
Verfahren wird abgewiesen.

2.
Die Beschwerden werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. Oktober 2008
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Corboz Luczak