Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.83/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_83/2008 /len

Urteil vom 11. April 2008
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Gerichtsschreiber Mazan.

Parteien
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Kaufmann,

gegen

X.________ AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michael Hüppi.

Gegenstand
Arbeitsvertrag; Kündigung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, III.
Zivilkammer, vom 3. Januar 2008.

Sachverhalt:

A.
A.________ (Beschwerdeführer) arbeitete seit dem 1. Dezember 2000 bei der
X.________ AG (Beschwerdegegnerin). Mit Schreiben vom 27. Februar 2006 löste
die Beschwerdegegnerin das Arbeitsverhältnis per 30. April 2006 auf. Wegen
unbestritten verspäteter Zustellung verlängerte sich die Kündigungsfrist bis
31. Mai 2006.

B.
Mit Eingabe vom 3. November 2006 beantragte der Beschwerdeführer dem
Arbeitsgericht Rorschach, die Beschwerdegegnerin sei wegen
rechtsmissbräuchlicher Kündigung zur Zahlung von Fr. 30'000.-- zuzüglich Zins
zu verpflichten. Mit Entscheid vom 29. Mai 2007 wies das Arbeitsgericht
Rorschach die Klage ab.
Gegen diesen Entscheid erhob der Beschwerdeführer mit Fax vom 17. August 2007
und mit postalisch zugestellter Eingabe (Postaufgabe in Feldkirch/A am 20.
August 2007) beim Kantonsgericht St. Gallen Berufung. Mit Entscheid vom 3.
Januar 2008 trat das Kantonsgericht St. Gallen auf die Berufung nicht ein, weil
diese verspätet erhoben worden sei.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen - eventuell subsidiärer Verfassungsbeschwerde -
beantragt der Beschwerdeführer im Wesentlichen, die Beschwerdegegnerin sei zur
Zahlung von Fr. 30'000.-- zuzüglich Zins zu verurteilen; eventuell sei der
Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 3. Januar 2008 aufzuheben und die
Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Gleichzeitig stellt der Beschwerdeführer das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege. Weiter beantragt er, dass der Beschwerde die aufschiebende
Wirkung zu erteilen sei.

D.
Auf die Einholung einer Vernehmlassung wurde verzichtet, weil sich die
Beschwerde ohne Weiteres als aussichtslos erweist.

Erwägungen:

1.
Das Kantonsgericht erwog im angefochtenen Entscheid, dass auf die Berufung
nicht einzutreten sei, weil das Rechtsmittel verspätet erhoben worden sei. Der
Entscheid des Arbeitsgerichtes Rorschach sei mit eingeschriebener Post am 19.
Juli 2007 versandt und dem Beschwerdeführer am 20. Juli 2007 zugestellt worden.
Die Rechtsmittelfrist habe demnach am 21. Juli 2007 zu laufen begonnen und am
Montag, 20. August 2007 geendet, da der letzte Tag der Frist auf einen Sonntag
gefallen sei. Der Beschwerdeführer habe die Berufungsschrift am 17. August
2007, um 12.56 Uhr vorab per Fax an das Kantonsgericht gesandt. Am Montag, 20.
August 2007, habe er die Berufungsschrift in Feldkirch/A der österreichischen
Post übergeben. Diese postalisch verschickte Eingabe sei von der
Auslandsortierung der schweizerischen Post am 22. August 2007 erfasst worden.
Unter diesen Umständen könne nicht als bewiesen gelten, dass die postalisch am
20. August 2007 von Feldkirch/A aus versandte Eingabe die schweizerische Post
innert der Rechtsmittelfrist, das heisst noch am gleichen Tag bis 24:00 Uhr
erreicht habe. Der Beschwerdeführer habe selbst ausgeführt, er habe die Sendung
vor 19:00 Uhr in Feldkirch/A aufgegeben, so dass bei gewöhnlichem Lauf der
Dinge eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass die Eingabe
frühestens am nächsten Tag, das heisst am 21. August 2007 die schweizerische
Post erreicht habe. Anders sei kaum erklärbar, dass der Brief erst am 22.
August 2007 in der Auslandsortierung in Zürich registriert worden sei. Der
Beschwerdeführer scheitere daher am Nachweis der Rechtzeitigkeit der
postalischen Eingabe. Da die Berufungsschrift die schweizerische Post nicht
innert Frist erreicht habe und die Frist mittels Eingabe per Fax von Vornherein
nicht eingehalten werden könne, sei auf die Berufung nicht einzutreten.

1.1 In einer Eventualbegründung führte das Kantonsgericht aus, dass die
Berufung ohnehin abzuweisen wäre, weil die beanstandete Kündigung nicht als
rechtsmissbräuchlich qualifiziert werden könne. Im Übrigen scheitere die
Entschädigungsforderung auch daran, dass der Beschwerdeführer gegen die
Kündigung nicht rechtzeitig Einsprache erhoben habe.

2.
2.1 Im Zusammenhang mit der Frage der Rechtzeitigkeit der Berufung bestreitet
der Beschwerdeführer nicht, dass die Rechtsmittelfrist für die Berufung im
kantonalen Verfahren am Montag, 20. August 2007, endete. Ebenfalls unbestritten
ist, dass die Sendung am 20. August 2007 in Feldkirch/A der österreichischen
Post übergeben wurde und frühestens am folgenden Tag die schweizerische Post
erreichte. Da die Frist nur eingehalten ist, wenn die Eingabe bis 24.00 Uhr des
letzten Tages dem Gericht oder der schweizerischen Post (Art. 84 GerG/SG [sGS
941.1]) bzw. einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen
Vertretung (Art. 12 IPRG) übergeben wird, ist die Auffassung des
Kantonsgerichts grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass das Rechtsmittel
verspätet eingereicht worden sei.

2.2 Der Beschwerdeführer macht jedoch geltend, dass diese Regelung ein
gravierendes administratives Hindernis für einen "EWR-Rechtsanwalt" darstelle
und gegen das Freizügigkeitsabkommen verstosse (FAZ, Abkommen zwischen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft
und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit [SR
0.142.112.681]). Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Das FZA betrifft
unter anderem den Zugang zum Anwaltsberuf für Anwälte aus den Vertragsstaaten.
In diesem Zusammenhang wird im Anwaltsgesetz (BGFA, Bundesgesetz über die
Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte [SR 935.61]) der Zugang für Anwälte
aus den EU- und EFTA-Ländern zur Anwaltstätigkeit in der Schweiz geregelt (Art.
21 ff. BGFA betreffend befristete Erbringung von Dienstleistungen von Anwälten
aus den Vertragsstaaten; Art. 27 ff. BGFA betreffend ständige Ausübung des
Anwaltsberufs durch Anwälte aus den Vertragsstaaten in der Schweiz). Das FZA
und die damit zusammenhängenden Bestimmungen des Anwaltsgesetzes regeln
ausschliesslich die Zulassung zum Anwaltsberuf in der Schweiz. Die zugelassenen
Anwälte unterstehen bei der Erbringung ihrer Dienstleistungen grundsätzlich den
gleichen Regeln wie Schweizer Anwälte. Dies gilt sowohl für die befristete
Erbringung von Dienstleistungen als auch für die ständige Ausübung des
Anwaltsberufs in der Schweiz. Im vorliegenden Fall ist daher davon auszugehen,
dass der in Feldkirch/A praktizierende Rechtsvertreter des Beschwerdeführers
gestützt auf das FZA und das Anwaltsgesetz unter den dort normierten
Voraussetzungen Anspruch auf Zulassung zur befristeten Erbringung von
Dienstleistungen in der Schweiz hat. Dabei untersteht er jedoch gleich wie
Schweizer Anwälte den hierorts geltenden Regeln. Für die hier interessierende
Frage, unter welchen Bedingungen eine Rechtsmittelfrist gewahrt ist, enthält
das FZA keine Vorschriften und ist daher ohne Bedeutung. Allein entscheidend
ist die in der Schweiz bzw. dem Kanton St. Gallen geltende Regelung, wonach die
Eingabe am letzten Tag der Frist bis 24.00 Uhr dem Gericht oder der
schweizerischen Post (Art. 84 GerG/SG) bzw. einer schweizerischen
diplomatischen oder konsularischen Vertretung (Art. 12 IPRG) übergeben sein
muss. Die Darstellung des Beschwerdeführers, dass in Österreich angeblich
Rechtsmittel fristwahrend bei allen Postämtern der Welt aufgegeben werden
können, ist irrelevant. Da aus dem vom Beschwerdeführer angerufenen FZA für die
Frage der Fristwahrung nichts abgeleitet werden kann, erweist sich die
Beschwerde ohne Weiteres als unbegründet.

2.3 Offensichtlich unbegründet ist auch die Auffassung des Beschwerdeführers,
dass die der Berufungsschrift vorangegangene Faxeingabe vom 17. August 2007 die
Rechtsmittelfrist wahre. Auch diesbezüglich gilt, dass ein gestützt auf das FZA
und das Anwaltsgesetz zugelassener Anwalt bei der Erbringung seiner
Dienstleistungen in der Schweiz dem in der Schweiz geltenden Recht untersteht.
Soweit sich der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung
in anderen Staaten - Österreich und Liechtenstein - beruft, geht seine
Argumentation an der Sache vorbei. Mit den Erwägungen des Kantonsgerichtes, die
sich auf die Rechtslage in der Schweiz und im Kanton St. Gallen beziehen, setzt
sich der Beschwerdeführer nicht auseinander.

2.4 Aus diesen Gründen erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Nachdem die
Hauptbegründung des Kantonsgerichts, dass die Berufung verspätet erhoben worden
sei, nicht zu beanstanden ist, erübrigt es sich, auf die Eventualbegründung
einzugehen.

3.
Aus diesen Gründen ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens sind die reduzierten Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 4 lit. c BGG) dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da keine Vernehmlassung
eingeholt wurde, entfällt eine Entschädigungspflicht.

4.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen.
Da dem Beschwerdeführer von Vornherein hätte bekannt sein müssen, dass das FZA
nur die Zulassung eines Anwalts zur Erbringung einer Dienstleistung zum
Gegenstand hat, ist der Hinweis auf das FZA im Zusammenhang mit der Frage der
Fristwahrung verfehlt. Die Beschwerde erweist sich daher als aussichtslos, was
zur Abweisung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege führt (Art. 64 Abs. 1
BGG).

5.
Mit dem heutigen Urteil wird das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird
abgewiesen.

2.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 300.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, III.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 11. April 2008
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Corboz Mazan