Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.601/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_601/2008 /len

Urteil vom 26. Januar 2009
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss,
Gerichtsschreiberin Sommer.

Parteien
A.C.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Victor Benovici,

gegen

B.C.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Pius Fryberg.

Gegenstand
Arbeitsvertrag; Darlehen,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Zivilkammer,
vom 18. August 2008.

Sachverhalt:

A.
A.C.________ (Beschwerdeführerin) ist Inhaberin der Boutique D.________ in
E.________. Als Geschäftsführerin dieser Boutique beschäftigte sie ab dem Jahr
2000 ihre Schwester, B.C.________ (Beschwerdegegnerin). Mit Schreiben vom 28.
Juni 2006 kündigte die Beschwerdegegnerin ihre Stelle per 31. Dezember 2006. Am
27. November 2006 wurde sie von der Beschwerdeführerin mit sofortiger Wirkung
freigestellt.
Ende des Jahres 2006 kam es zwischen den Parteien zum Streit. Dieser betraf
einerseits Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis, andererseits einen Geldbetrag
von Fr. 236'169.35, den die Beschwerdegegnerin zwischen dem 31. Mai 2004 und
dem 5. September 2005 in mehreren Tranchen an die Beschwerdeführerin überwiesen
hatte.

B.
Nach einem erfolglosen Sühneverfahren belangte die Beschwerdegegnerin die
Beschwerdeführerin am 23. April 2007 beim Bezirksgericht Plessur auf Bezahlung
von Fr. 236'169.35 nebst verschiedenen Zinsbetreffnissen. Zudem sei die
Beschwerdeführerin zu verpflichten, ihr Fr. 12'500.--, allenfalls einen Betrag
nach richterlichem Ermessen, nebst 5 % Zins seit 1. Januar 2007 zu bezahlen.
Sodann sei die Beschwerdeführerin zur Ausstellung eines Arbeitszeugnisses zu
verurteilen. Mit Urteil vom 11. Januar 2008 verpflichtete das Bezirksgericht
die Beschwerdeführerin, der Beschwerdegegnerin aus arbeitsrechtlicher Forderung
Fr. 124.55 zuzüglich Zins zu 5 % ab dem 1. Januar 2007 (Ziff. 1) sowie aus
Darlehensforderung Fr. 236'169.35 zuzüglich Zins zu 5 % auf Fr. 225'000.-- ab
dem 9. August 2006 und auf Fr. 11'169.35 ab dem 31. Dezember 2006 zu bezahlen
(Ziff. 2). Schliesslich verpflichtete es die Beschwerdeführerin, der
Beschwerdegegnerin ein qualifiziertes Arbeitszeugnis auszustellen (Ziff. 3). Im
Übrigen wies es die Klage ab (Ziff. 4).
Gegen dieses Urteil erhob die Beschwerdeführerin Berufung an das Kantonsgericht
von Graubünden mit den Anträgen, Ziffer 2 des angefochtenen Urteils aufzuheben
und die Forderung aus Darlehen vollumfänglich abzuweisen. Ziffer 3 des
angefochtenen Urteils sei aufzuheben. Die Beschwerdeführerin lasse sich darauf
behaften, ein Zeugnis nach Art. 330a Abs. 2 OR auszustellen, unter
Berücksichtigung von BGE 101 II 69 ff. Ferner wandte sie sich gegen den
erstinstanzlichen Kostenentscheid. Die Beschwerdegegnerin erhob
Anschlussberufung und verlangte, den zugesprochenen Betrag aus Darlehen mit den
von ihr beantragten Zinsbetreffnissen zu ergänzen. Zudem verlangte sie eine
ausseramtliche Entschädigung von 16'000.-- für das erstinstanzliche Verfahren.
Mit Urteil vom 18. August 2008 wies das Kantonsgericht die Berufung ab. Die
Anschlussberufung hiess es insofern teilweise gut, als es der
Beschwerdegegnerin für das erstinstanzliche Verfahren eine ausseramtliche
Entschädigung von Fr. 14'000.-- zusprach.

C.
Die Beschwerdeführerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des
Kantonsgerichts vom 18. August 2008 aufzuheben und die Klage aus Darlehen
vollumfänglich abzuweisen. Die Forderung der Beschwerdegegnerin auf ein
qualifiziertes Arbeitszeugnis sei ebenfalls abzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin und das Kantonsgericht beantragen die Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
Mit dem heutigen Entscheid in der Sache wird das Gesuch der Beschwerdeführerin,
der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen, gegenstandslos.

2.
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des
Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich"
(BGE 133 II 249 E. 1.2.2).
Soweit in einer Beschwerde in Zivilsachen Willkür in der Ermittlung des
Sachverhalts geltend gemacht wird, ist zu beachten, dass dem Sachrichter in der
Beweiswürdigung ein breiter Ermessensspielraum zusteht; der Beschwerdeführer
hat daher darzulegen, inwiefern das kantonale Gericht sein Ermessen
missbraucht, insbesondere offensichtlich unhaltbare Schlüsse gezogen,
erhebliche Beweise übersehen oder willkürlich ausser Acht gelassen hat (vgl.
BGE 132 III 209 E. 2.1; 129 I 8 E. 2.1; 120 Ia 31 E. 4b S. 40).

3.
Streitig ist, ob die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin den Betrag von
insgesamt Fr. 236'169.35 als Darlehen gegeben hat und die Beschwerdeführerin
ihr demnach diesen Betrag zurückerstatten muss. Die Vorinstanz gelangte zur
Überzeugung, dass die fraglichen Gelder als Darlehen übergeben worden waren und
nicht - wie die Beschwerdeführerin behauptet - als Ausgleichszahlung für von
der Beschwerdegegnerin verursachte Verluste.

4.
Die Vorinstanz würdigte die Aussagen des Zeugen F.________, der bei der
G.________ Treuhand AG für die Betreuung der Boutique D.________ zuständig war.
Sie kam dabei zum Schluss, aus dessen Aussagen ergebe sich nicht eindeutig,
dass den Zahlungen die Absicht der Beschwerdegegnerin zugrunde gelegen habe,
von ihr verursachte Verluste auszugleichen. Gestützt werde vielmehr die
Behauptung der Beschwerdegegnerin, dass ihre Einlagen in erster Linie erfolgt
seien, um Liquiditätsschwierigkeiten des Geschäfts überbrücken zu helfen.
Darauf deute auch die Verbuchung der Gelder als Kapitaleinlage hin. Mit der
Bereitstellung von Kapital für einen Geschäftsbetrieb sei eine
Rückzahlungspflicht verbunden, es sei denn, dieser liege eine Schenkungsabsicht
zugrunde, was aber die Beschwerdeführerin nie behauptet habe.
Ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines Darlehens erblickte die
Vorinstanz sodann im Verhalten der Parteien im Laufe der Zeit. So habe die
Beschwerdegegnerin bereits am Tag ihrer Kündigung am 28. Juni 2006 in einem
Schreiben an die Beschwerdeführerin geltend gemacht, diese schulde ihr
insgesamt Fr. 225'000.--. Darauf habe die Beschwerdeführerin nicht reagiert und
nicht in Abrede gestellt, die fragliche Summe zu schulden. In ihrem Schreiben
vom 10. November 2006 habe die Beschwerdegegnerin erneut festgehalten, die
Beschwerdeführerin schulde ihr unter dem Titel Darlehen Fr. 145'000.-- nebst
Zins und weitere Fr. 80'000.-- nebst Zins, die sie ihrerseits von der
Erbengemeinschaft C.________ aufgenommen habe. Auch im Anschluss an diesen
Brief habe die Beschwerdeführerin das Vorliegen eines Darlehens nicht
bestritten, auch nicht in ihrem Schreiben an die Beschwerdegegnerin vom 29.
November 2006. Am 7. Dezember 2006 habe der Rechtsvertreter der
Beschwerdeführerin erstmals geltend gemacht, die Beschwerdegegnerin habe die
Einlagen mindestens im Bewusstsein einer Mitverantwortung für die Verluste
getätigt. Somit habe die Beschwerdeführerin über Monate hinweg, nachdem die
Beschwerdegegnerin zum ersten Mal eine Rückzahlung verlangt hatte, nie in
Abrede gestellt, dass ihr ein Darlehen gewährt worden sei. Wäre tatsächlich
vereinbart worden, dass die Beschwerdeführerin den Betrag nicht zurückzahlen
müsse bzw. dass die Beschwerdegegnerin diesen zur Deckung von durch sie
verursachte Verluste überwiesen hatte, wäre zu erwarten gewesen, dass die
Beschwerdeführerin dies auch unverzüglich geltend gemacht hätte.

5.
Die Beschwerdeführerin rügt, der vorinstanzlich festgestellte Sachverhalt sei
in einer Reihe von Punkten offensichtlich unrichtig und unvollständig. Es
gelingt ihr jedoch nicht, die Beweiswürdigung der Vorinstanz als willkürlich
auszuweisen. Im Einzelnen ist zu ihren Vorbringen, soweit sie überhaupt als
rechtsgenüglich begründet zu hören sind, Folgendes auszuführen:

5.1 Sie bringt vor, die Beschwerdegegnerin habe das Ausbleiben einer Reaktion
auf ihre Zahlungsaufforderungen erstmals im mündlichen Vortrag vor der
Vorinstanz geltend gemacht. Selbst wenn dem so wäre, ist nicht dargetan, dass
die Vorinstanz diesen Umstand nicht hätte berücksichtigen und darin ein
gewichtiges Indiz dafür erblicken dürfen, dass die Beschwerdeführerin selbst
von einem Darlehen ausgegangen war.

5.2 Nicht nachvollziehbar ist das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die
Behauptung der Beschwerdegegnerin, wonach es nie die Meinung gewesen sei,
Beträge von über Fr. 230'000.-- einfach zu schenken, bedeute eindeutig, dass
keine (auch nicht eine stillschweigende) Willenserklärung über den Abschluss
eines Darlehensvertrags zustande gekommen sei. Die Vorinstanz hat nicht aus der
unbestrittenen Tatsache, dass keine Schenkung beabsichtigt war, sondern in
Würdigung von Zeugenaussagen und weiteren Indizien auf das Bestehen einer
Darlehensabrede geschlossen.

5.3 Dass die Behauptung der Beschwerdegegnerin, es sei vereinbart gewesen, die
Gelder zurückzubezahlen, in der "ganzen Prozedur" keine Stütze findet, wie die
Beschwerdeführerin moniert, widerspricht den vorinstanzlichen Feststellungen.
Danach machte die Beschwerdegegnerin geltend, es handle sich um ein Darlehen
und es sei für sie und die Beschwerdeführerin klar gewesen, dass die Gelder
zurückzubezahlen seien.

5.4 Die Beschwerdeführerin bringt weiter vor, sie habe anlässlich der
Hauptverhandlung vor dem Kantonsgericht geltend gemacht, sie habe keinen Grund
gehabt, bei ihrer angestellten Schwester um ein Darlehen nachzusuchen. Dafür
hätte sie die Bank angehen können bzw. hätte ihre Schwester sie an die Bank
verwiesen, wenn ihr nicht mit einer Strafklage wegen Unterschlagung gedroht
worden wäre. Beide Vorinstanzen hätten diese Tatsachen übergangen.
Dazu ist zunächst anzumerken, dass die Erstinstanz diese "Tatsachen" gar noch
nicht berücksichtigen konnte, wenn die Beschwerdeführerin sie erst an der
Hauptverhandlung vor Kantonsgericht vorgebracht haben will. Für das
entsprechende Vorbringen vor der zweiten Instanz fehlt aber eine Belegangabe,
weshalb auch dem Kantonsgericht von vornherein nicht vorgeworfen werden kann,
sich nicht ausdrücklich damit befasst zu haben. Ohnehin entbehren jene
Vorbringen der Relevanz. Die Vorinstanz stellte aufgrund der Zeugenaussagen von
F.________ fest, dass die finanzielle Lage des Geschäfts schon seit mehreren
Jahren angespannt war. Die Einlagen seien erfolgt, um
Liquiditätsschwierigkeiten des Geschäfts überbrücken zu helfen. Ob die
Beschwerdeführerin bei dieser Finanzlage des Geschäfts effektiv Geld von den
Banken erhalten hätte, sei dahingestellt, zumal die Beschwerdeführerin dies
selber nicht behauptete. Hinzu kommt, dass die Bank der Beschwerdeführerin
nicht wie ihre Schwester ein zinsfreies Darlehen gewährt hätte. Dass die
Vorinstanz ein verzinsliches Darlehen annahm, trifft im Übrigen - entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführerin - nicht zu. Der Beschwerdegegnerin wurde
lediglich Verzugszins, jedoch keine Zinsen im Sinne von Art. 313 OR auf dem
Darlehensbetrag zugesprochen.

5.5 Für die Frage der Beschwerdeführerin, weshalb sie nicht selbst direkt bei
der Erbengemeinschaft C.________ ein Darlehen von Fr. 80'000.-- hätte aufnehmen
können, anstatt ihre Schwester dazwischenzuschalten, findet sich im
angefochtenen Urteil in der Tat keine Erklärung. Die Beschwerdeführerin belegt
indessen nicht, dass sie diesen Einwand schon im kantonalen Verfahren
vorgebracht hat. Ohnehin bildet die theoretische Möglichkeit einer direkten
Darlehensaufnahme durch die Beschwerdeführerin noch keinen Beweis gegen die
Rückerstattungspflicht der fraglichen Gelder, wie die Beschwerdeführerin meint.
Es ist durchaus denkbar, dass jemand ein Darlehen aufnimmt, um das Geld
seinerseits einem Dritten auszuleihen.

5.6 Schliesslich befasst sich die Beschwerdeführerin mit den Aussagen des
Zeugen F.________. Sie legt aber lediglich dar, welche Schlüsse ihrer
Auffassung nach aus diesen Zeugenaussagen zu ziehen wären. Damit zeigt sie
keine willkürliche Beweiswürdigung durch die Vorinstanz auf (vgl. Erwägung 2).

6.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Verpflichtung zur Ausstellung
eines Arbeitszeugnisses. Sie erhebt gewisse Vorwürfe gegen die
Beschwerdegegnerin, aufgrund derer sie kein positives Zeugnis ausstellen könne,
weil dies sonst der Wahrheitspflicht widersprechen würde. Dies und auch das
Präjudiz BGE 101 II 69 hätten die Vorinstanzen übergangen.
Indem das Bezirksgericht die Beschwerdegegnerin verpflichtete und die
Vorinstanz dies bestätigte, der Beschwerdegegnerin ein "qualifiziertes
Arbeitszeugnis" auszustellen, ist gemeint, dass sie ein vollständiges
Arbeitszeugnis im Sinne von Art. 330a Abs. 1 OR und nicht bloss eine
Arbeitsbestätigung im Sinne von Art. 330a Abs. 2 OR auszustellen hat. Dies geht
klar aus den Erwägungen der Vorinstanz hervor. Nirgends ist die Rede davon,
dass sie ein wahrheitswidriges Zeugnis ausstellen bzw. einen falschen Inhalt
bezeugen müsse. BGE 101 II 69 betreffend die Erfüllung des Tatbestands der
unerlaubten Handlung durch das Ausstellen eines falschen Zeugnisses zugunsten
eines Angestellten wurde daher nicht übergangen. Die Beschwerde erweist sich
somit auch in diesem Punkt als unbegründet.

7.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang
wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1
und Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 6'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 7'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden,
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. Januar 2009
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Die Gerichtsschreiberin:

Klett Sommer