Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.515/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_515/2008 /len

Urteil vom 16. Januar 2009
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Kolly,
Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Widmer.

Parteien
X.________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Walter Studer,

gegen

Y.________ AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Hadrian Meister.

Gegenstand
Kaufvertrag; Aufhebungsvertrag,

Beschwerde in Zivilsachen gegen das Urteil des Handelsgerichts des Kantons
Aargau, 1. Kammer,
vom 5. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AG (Beschwerdeführerin) schloss am 22. März 2006 mit der
Y.________ AG (Beschwerdegegnerin) einen Zusammenarbeitsvertrag ab. Dieser war
bis Ende Juni 2006 befristet und sollte nur mit Zustimmung beider Parteien
fortgesetzt werden.
Ende Mai 2006 bestellte die Beschwerdeführerin bei der Beschwerdegegnerin
94'292 Winterreifen für die Saison 2006. In der Folge kaufte die
Beschwerdegegnerin bei der A.________ dieselbe Anzahl Reifen (Bestellung vom
29. Mai 2006).
Am Dienstag, 20. Juni 2006, sandte die Beschwerdeführerin der
Beschwerdegegnerin ein Schreiben, das soweit vorliegend von Interesse folgende
Punkte behandelte:
Titel: Annulation/Stornierung Warenbestellungen Winter 2006 vom 29. Mai 2006;
"Die heutige Zusammenarbeit zwischen der Firma Y.________ AG und der Firma
X.________ AG kann aus den folgenden Gründen nicht weitergeführt werden."
[diverse Gründe];
Punkt 8: "Die Warenübernahme Sommerlager B.________ im Wert von Fr. 248'155.30
werden an die Firma Y.________ AG zurückgegeben. Die Ware steht im Lager
C.________ zur Abholung bereit. Dieser Betrag wird bei unseren Kreditoren in
Abzug gebracht (gem. Warenliste siehe Beilage)."
Am Montag, 26. Juni 2006, um 10.35 Uhr sandte D.________ von der
Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin ein E-Mail, in dem er auf Punkt 8 des
obigen Schreibens Bezug nahm und ausführte: "Wir werden diese Ware sofort bei
Ihnen übernehmen. Bitte informieren Sie das Lager C.________, dass wir die Ware
abholen. Können wir die Ware heute Nachmittag oder morgen abholen?"
Um 12.05 Uhr gleichentags wurde an D.________ ein E-Mail gesandt, das folgenden
Wortlaut hatte: "Guten Tag die Ware wird bereitgestellt und das genaue
Abholdatum wird Ihnen bekannt gegeben." Dieses E-Mail trägt den Absender von
E.________ von der Beschwerdeführerin, dessen E-Mailadresse und in der
"An:"-Zeile steht bloss "D.________", nicht dessen E-Mailadresse. Die
Beschwerdeführerin bestreitet, dass dieses E-Mail von E.________ geschrieben
worden sei.
Um 12.29 Uhr schrieb E.________ der Beschwerdegegnerin ein E-Mail mit folgendem
Inhalt: "Da Sie nach der uns vorliegenden Vollmacht nicht berechtigt sind,
weitere Anweisungen zu erteilen, bitten wir um schriftliche Bestätigung durch
Herrn F.________, dass die Firma Y.________ AG die Ware zurück nimmt und eine
schriftliche Bestätigung der stornieren beider Rechnungen. Sowohl auch die
Stornierung der falschen Rechnung [sic]. Sobald wir im Besitze dieser
schriftlichen Bestätigungen sind, werden wir das Lager informieren und Ihnen
das genaue Abholdatum bekannt geben."
Darauf antwortete die Beschwerdegegnerin mit E-Mail von 13.05 Uhr: "Sehr
geehrter Herr E.________. Als Firma und GL sind wir selbst berechtigt, Ihnen
direkte Anweisungen zur Abholung zu geben. [...] Wir bestätigen, dass wir die
Rechnungen, die mit der zu übernehmenden Ware zusammenhängen, nach Übernahme
und ordnungsgemässe Zahlung, stornieren werden. Können wir die Ware morgen
übernehmen?"
Um 17.45 Uhr schrieb die Beschwerdeführerin, sie werde keine E-Mails als
Bestätigung akzeptieren und erwarte weiter das Einverständnis von Herrn
F.________.
Am 28. Juni 2006 schrieb die Beschwerdeführerin der Beschwerdegegnerin einen
Brief, worin sie ankündigte, die Ware Sommerlager B.________ zur Verfügung zu
stellen, sobald die Beschwerdegegnerin eine neue, nach unten korrigierte
Rechnung ausgestellt habe.
Mit E-Mail vom 5. Juli 2006 schrieb die Beschwerdegegnerin, die Reifen im
Sommerlager B.________ stünden in ihrem Eigentum.
Mit Schreiben vom 6. Juli 2006 teilte die Beschwerdegegnerin der
Beschwerdeführerin mit, dass sie deren Annullierung der Bestellung der
Winterreifen nicht akzeptiere und darüber hinaus ihren "Eigentumsanspruch" an
den Sommerreifen B.________ geltend machen werde.

B.
Die Beschwerdegegnerin stellte mit Klage vom 6. Dezember 2006 beim
Handelsgericht des Kantons Aargau unter anderem die Rechtsbegehren, die
Beschwerdeführerin sei zu verpflichten, ihr die im Warenlager der Firma
G.________ AG in C.________ eingelagerten Sommerreifen aus dem "Sommerlager
B.________" und den ihr gehörenden weissen VW-Lieferwagen ZH 1.________
herauszugeben.
Mit Urteil vom 5. Juni 2008 hiess das Handelsgericht die Klage hinsichtlich der
genannten Rechtsbegehren gut. Im vorliegend nicht mehr strittigen Mehrumfang
wies es die Klage ab.

C.
Die Beschwerdeführerin verlangt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des
Handelsgerichts soweit aufzuheben, als sie darin verpflichtet werde, der
Beschwerdegegnerin die im Warenlager der Firma G.________ AG in C.________
eingelagerten Sommerreifen aus dem "Sommerlager B.________" herauszugeben. Das
entsprechende Rechtsbegehren der Beschwerdegegnerin sei abzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten,
eventuell sie abzuweisen. Das Handelsgericht verzichtete auf eine
Stellungnahme.
Das Präsidium der I. zivilrechtlichen Abteilung gewährte der Beschwerde mit
Verfügung vom 2. Dezember 2008 die aufschiebende Wirkung.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein Endurteil (Art. 90 BGG) eines kantonal letztinstanzlich
entscheidenden, für handelsgerichtliche Streitigkeiten zuständigen Fachgerichts
(Art. 75 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b BGG), gegen das die Beschwerde in Zivilsachen
offen steht. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde
erfüllt sind, ist auf diese einzutreten.

2.
Strittig ist, ob zwischen den Parteien hinsichtlich des Kaufvertrags, dem die
Warenbestellung vom 29. Mai 2006 zugrunde liegt, ein Aufhebungsvertrag zustande
gekommen ist, konkret, ob im Schreiben der Beschwerdeführerin vom 20. Juni 2006
eine Offerte zu einem solchen zu sehen ist, und gegebenenfalls, ob die
Beschwerdegegnerin diese rechtzeitig angenommen hat.

3.
Eine tatsächliche Willensübereinstimmung zum Abschluss eines
Aufhebungsvertrages hat die Vorinstanz nicht festgestellt, weshalb ein
Vertragsschluss nur dann bejaht werden kann, wenn die Beschwerdegegnerin nach
dem Vertrauensgrundsatz in ihrem Verständnis der Willensäusserungen der
Beschwerdeführerin im Schreiben vom 20. Juni 2006 als Aufhebungsofferte zu
schützen und damit letztere auf ihren Äusserungen in deren objektiven Sinn zu
behaften ist (BGE 124 III 363 E. II/5a; vgl. auch BGE 127 III 444 E. 1b; 123
III 35 E. 2b S. 39 f., je mit Hinweisen). Ob die Beschwerdeführerin ein
Verhalten an den Tag gelegt hat, aus dem die Beschwerdegegnerin in guten Treuen
auf das Vorliegen eines entsprechenden Willens schliessen durfte, prüft das
Bundesgericht frei. Massgebend sind dabei die Umstände, die den Parteien im
fraglichen Zeitraum bekannt oder erkennbar waren. An Feststellungen der letzten
kantonalen Instanz hinsichtlich äusserer Tatsachen und des inneren Willens der
Parteien ist das Bundesgericht wiederum gebunden (BGE 124 III 363 E. II/5a mit
Hinweisen; vgl. dazu auch BGE 133 III 61 E. 2.2.1 S. 67; 132 III 24 E. 4 S. 27
f.; 131 III 606 E. 4.1. S. 611).

3.1 Die Vorinstanz stellte fest, das Schreiben vom 20. Juni 2006 sei etwas
sonderbar aufgebaut. Im Titel stehe "Annulation / Stornierung,
Warenbestellungen Winter 2006 vom 29. Mai 2006". Anschliessend folge die Anrede
und dann werde mitgeteilt, dass die Zusammenarbeit zwischen der
Beschwerdegegnerin und der Beschwerdeführerin aus folgenden Gründen nicht mehr
weitergeführt werden könne. Danach folge ein Titel "Begründungen" und dann die
einzelnen Punkte. Die Punkte 1, 2 und 4 enthielten solche Begründungen. In
Punkt 3 werde mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin eine Rechnung bezahlt
habe und diese mit Forderungen der Beschwerdegegnerin verrechnen werde. Auch in
den Punkten 6 und 7 kündige die Beschwerdeführerin an, sie werde angebliche
Forderungen gegen die Beschwerdegegnerin von deren Forderung in Abzug bringen.
In Punkt 5 teile die Beschwerdeführerin mit, sie werde ihre Zahlungen an die
Beschwerdegegnerin vorderhand zurückbehalten und in Punkt 9 moniere sie, dass
die Beschwerdegegnerin die Rechnung 461/06 nicht um Fr. 84'545.40 nach unten
angepasst habe. In Punkt 8 kündige sie sodann die Rückgabe der im Sommerlager
B.________ befindlichen Reifen und den Abzug der entsprechenden Forderung bei
ihren Kreditoren an. In Punkt 10 schliesslich biete die Beschwerdeführerin dem
Verwaltungsratspräsidenten der Beschwerdegegnerin ihre Inhaberaktien an der
Beschwerdegegnerin zum Kauf an und in Punkt 11 behalte sie sich Schadenersatz
und Genugtuungsansprüche vor.
Nach Auffassung der Vorinstanz enthalten einzig die Punkte 8 und 10
Willenserklärungen, die eine Reaktion der Beschwerdegegnerin erforderten. Bei
den anderen Punkten handle es sich um autoritative Feststellungen oder
Mitteilungen der Beschwerdeführerin. Somit sei es bei diesem Schreiben entgegen
der Behauptung der Beschwerdeführerin nicht darum gegangen, der
Beschwerdegegnerin eine umfassende Offerte zu unterbreiten, sondern um die
Klarstellung und Regelung einzelner Punkte. Daher spreche nichts dagegen, dass
die Beschwerdegegnerin nach Treu und Glauben Ziffer 8 als separate Offerte habe
verstehen dürfen und akzeptieren können.

3.2 Die Beschwerdeführerin bringt dazu vor, sie habe nie geltend gemacht, der
Beschwerdegegnerin im Schreiben vom 20. Juni 2006 eine umfassende Offerte
unterbreitet zu haben. Insofern sei die gegenteilige Darstellung der Vorinstanz
im Sinne von Art. 97 BGG unrichtig. Sie legt indessen nicht dar, inwiefern der
gerügte Mangel für den Verfahrensausgang erheblich sein soll (Art. 97 Abs. 1
BGG) und dies ist auch nicht ersichtlich. Es ist daher nicht weiter darauf
einzugehen.

3.3 Die Beschwerdeführerin bestreitet sodann, dass die Punkte 8 und 10 ihres
Schreibens vom 20. Juni 2006 Willenserklärungen enthielten, die eine Reaktion
seitens der Beschwerdegegnerin erfordert hätten. Wie deren Wortlaut im
Vergleich zu demjenigen der anderen 9 Punkte des Schreibens zeige, handle es
sich offensichtlich auch hier, wie bei den anderen Punkten, um autoritative
Feststellungen oder Mitteilungen von ihr, wie sich die Vorinstanz ausdrücke.
Aufgrund des Vertrauensprinzips könne Punkt 8 des Schreibens nicht als Offerte
verstanden werden und der gegenteilige Schluss der Vorinstanz verletzte Art. 1
und 18 OR.
Die Beschwerdeführerin zeigt indessen nicht auf, weshalb die Vorinstanz nach
dem Wortlaut der verschiedenen Punkte des Schreibens zu einem abweichenden
Schluss hätte kommen müssen. Vielmehr stellt sie mit ihren Vorbringen der
vorinstanzlichen Auslegung bloss ihre eigene Auffassung gegenüber, ohne auf die
Begründung der Vorinstanz einzugehen und aufzuzeigen, inwiefern das
Vertrauensprinzip verletzt sein soll. Soweit sie damit überhaupt die
Begründungsanforderungen im Rahmen einer Beschwerde in Zivilsachen erfüllt und
somit auf ihre Ausführungen einzugehen ist (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.1/2;
Urteil 4A_22/2008 vom 10. April 2008 E. 1), vermag sie mit ihnen jedenfalls
keine Bundesrechtsverletzung darzutun.
Ohnehin ist die vorinstanzliche Auslegung nicht zu beanstanden. Nach den
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz handelt es sich bei den Punkten 3,
6 und 7 des strittigen Schreibens um blosse Ankündigungen, sie werde
Forderungen verrechnen. Eine solche Erklärung erfordert in der Tat keine
Reaktion des Adressaten, zumal es sich selbst bei einer Verrechnungserklärung
um eine einseitige Willenserklärung handelt, deren Rechtswirkung nicht von der
Mitwirkung bzw. von der Reaktion des Adressaten abhängt (BGE 122 III 133 E. 4a
S. 135; Gauch/Schluep/Schmid/Emmenegger, Schweizerisches Obligationenrecht,
Allgemeiner Teil, 9. Aufl., 2008, Rz. 3206 und Rz. 65). Die Erklärung in Ziffer
5, Zahlungen zurückbehalten zu wollen, oder die in Ziffer 9 enthaltene
Reklamation, dass eine Rechnung nicht reduziert wurde, erscheint sodann von
vornherein nicht geeignet, Rechtswirkungen zu entfalten, unabhängig von einer
Reaktion des Empfängers. Der Vorinstanz kann ohne weiteres gefolgt werden, wenn
sie befand, die Erklärung in Ziffer 8 sei im Gegensatz dazu, als Offerte zu
einer Vertragsauflösung zu verstehen, die - eine entsprechende Reaktion der
Empfängerin vorausgesetzt - Rechtswirkungen zu entfalten geeignet ist, indem
sie den zum Aufhebungsvertrag führenden Konsens mitbegründet. Es ist damit
keineswegs unhaltbar, wenn die Vorinstanz in der Ankündigung der Rückgabe der
Reifen eine Offerte zur Vertragsauflösung erblickt hat.
Die Beschwerde ist in diesem Punkt unbegründet.

4.
Damit ist zu prüfen, ob die Vorinstanz bundesrechtskonform entschied, die
Offerte sei seitens der Beschwerdegegnerin rechtzeitig angenommen worden, um
den Auflösungsvertrag zur Entstehung zu bringen.

4.1 Die Vorinstanz erwog dazu, der Antragsteller bleibe, wenn er den Antrag wie
vorliegend ohne Bestimmung einer Frist an einen Abwesenden stelle, bis zu dem
Zeitpunkte gebunden, wo er den Eingang der Antwort bei ihrer ordnungsmässigen
und rechtzeitigen Absendung erwarten dürfe (Art. 5 Abs. 1 OR). Er dürfe dabei
voraussetzen, dass sein Antrag rechtzeitig angekommen sei (Art. 5 Abs. 2 OR).
Die Normaldauer, von der der Offerent ausgehen dürfe, setze sich somit aus der
Übermittlungsdauer der Offerte und der Annahmeerklärung sowie aus einer
angemessenen Überlegungsfrist zusammen. Diese drei Perioden bildeten zusammen
die Gesamtdauer, weshalb die Verkürzung der einen eine Überdehnung der anderen
auszugleichen vermöge. Die Übermittlungsdauer der Annahmeerklärung bemesse sich
nach dem Zeitbedarf des "Transportmittels", das der Antragssteller für sein
Angebot gewählt habe. Diese rechtlichen Ausführungen sind zutreffend (vgl. dazu
Gauch/Schluep/Schmid/Emmenegger, a.a.O, Rz. 411) und werden vorliegend nicht in
Frage gestellt.
Nach den Feststellungen der Vorinstanz, ist das Schreiben vom 20. Juni 2006
gemäss den unbestrittenen Behauptungen von der Beschwerdeführerin gleichentags
mit A-Post verschickt worden. Die Übermittlungsdauer für einen solchen Brief
betrage normalerweise einen Tag, so dass er bei normalem Postversand am
nächsten Tag beim Empfänger eintreffe. Die Beschwerdeführerin habe damit davon
ausgehen dürfen, dass der Brief am Mittwoch, 21. Juni 2006, bei der
Beschwerdegegnerin eingetroffen sei. Die Annahme der Beschwerdegegnerin sei per
E-Mail am Montag, 26. Juni 2006, erfolgt. Dass die Beschwerdegegnerin ein
schnelleres Kommunikationsmittel als die Beschwerdeführerin verwendet habe,
führe nicht zu einer Verkürzung der Gesamtdauer, sondern zu einer längeren
Überlegungsfrist für sie. Hätte die Beschwerdegegnerin die Annahmeerklärung am
Freitag, 23. Juni 2006, per A-Post versandt, wäre sie am Samstag oder am Montag
bei der Beschwerdeführerin eingetroffen. Da das Wochenende nicht in die
Fristberechnung einzubeziehen sei, bleibe somit zu prüfen, ob die
Beschwerdegegnerin ab (fingiertem) Erhalt des Schreibens am 21. Juni 2006 bis
zum (fingierten) Absendetermin am 23. Juni 2006 habe überlegen dürfen oder ob
sie die Annahmeerklärung früher hätte abgeben müssen.
Dazu erwog die Vorinstanz, im kaufmännischen Verkehr gelte grundsätzlich eine
eintägige Überlegungsfrist, so dass die Annahmeerklärung grundsätzlich am Tag
nach Empfang der Offerte versandt werden müsse. In casu seien aber die Umstände
anders. Die Beschwerdeführerin habe von der Beschwerdegegnerin nichts bestellt,
sondern vorgeschlagen, einen bereits geschlossenen und von der
Beschwerdegegnerin auch erfüllten Vertrag über Reifen im Wert von mehr als Fr.
200'000.-- aufzulösen. Dass ein solcher Vorschlag von der Beschwerdegegnerin
umgehend angenommen werden würde, habe die Beschwerdeführerin nicht erwarten
dürfen, zumal er soweit ersichtlich unerwartet gekommen sei. Zudem hätten sich
die Parteien in laufenden Geschäftsbeziehungen befunden und insbesondere einen
Zusammenarbeitsvertrag abgeschlossen gehabt. Der Beschwerdegegnerin sei daher
Zeit einzuräumen, um sich nach einem anderen Käufer umzusehen oder abzuklären,
ob sie ihren eigenen Kaufvertrag mit der Lieferantin annullieren könne. Dafür
brauche sie mehr als einen Tag und erscheine sogar eine Überlegungsfrist von
fünf bis sieben Tagen als angemessen. Dieses Zeitbedürfnis sei für die
Beschwerdeführerin voraussehbar gewesen, weshalb sie nach Art. 5 OR nicht davon
habe ausgehen dürfen, die Annahme ihres Antrags werde am 22. Juni 2006
erfolgen.

4.2 Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, der Beschwerdegegnerin wäre
im vorliegenden Fall, wie im kaufmännischen Verkehr üblich, höchstens eine
Überlegungsfrist von einem Tag zuzugestehen gewesen. Beide Parteien kauften und
verkauften als Kaufleute Reifen. Die streitbetroffenen Reifen gehörten zu den
Waren, die die Beschwerdeführerin bei der Beschwerdegegnerin gekauft habe, so
dass diese bei Eingang des Schreibens vom 20. Juni 2006 genau gewusst habe,
worum es sich dabei gehandelt habe und wie sie diese weiterveräussern könne.
Besondere Erhebungen und Abklärungen seien dazu nicht notwendig gewesen.
Damit verkennt die Beschwerdeführerin, dass es sich bei der Festsetzung der
angemessenen Überlegungsfrist um eine Ermessensentscheidung des Richters
handelt (vgl. BGE 98 II 109 E. 2b S. 111; SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 13
ff. zu Art. 5 OR). Derartige Ermessensentscheide überprüft das Bundesgericht an
sich frei. Es übt dabei aber Zurückhaltung und schreitet nur ein, wenn die
Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen
abgegangen ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im
Einzelfall keine Rolle spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt Umstände ausser
Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen. Es greift ausserdem
in Ermessensentscheide ein, wenn sich diese als offensichtlich unbillig, als in
stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 133 III 201 E. 5.4 S. 211; 131 III 26
E. 12.2.2; 130 III 213 E. 3.1 S. 220, je mit Hinweisen).
Etwas Entsprechendes wird von der Beschwerdeführerin mit den wiedergegebenen
Vorbringen nicht geltend gemacht. Vielmehr stellt sie damit den
vorinstanzlichen Erwägungen bloss ihre eigene Sichtweise entgegen. Damit vermag
sie keine Rechtsverletzung in der Ermessensausübung aufzuzeigen.

4.3 Die Beschwerdeführerin wirft sodann der Vorinstanz vor, krass und damit
willkürlich gegen die Verhandlungsmaxime verstossen zu haben: Zum einen, indem
sie geprüft habe, ob die Beschwerdegegnerin die Offerte schon vor dem 7. (recte
wohl: 6.) Juli 2006 angenommen habe, und indem sie geschlossen habe, die
Annahme sei am 26. Juni 2006 erfolgt, obwohl sich die Beschwerdegegnerin selber
mit aller Deutlichkeit auf den Standpunkt gestellt habe, sie habe die
angebliche Offerte erst am 6. Juli 2006 akzeptiert. Zum anderen, indem die
Vorinstanz zur Begründung, weshalb die Überlegungsfrist der Beschwerdegegnerin
nicht bloss einen Tag betragen habe, Umstände herangezogen habe (vorstehende
Erwägung 4.1, letzter Absatz), die von jener nicht geltend gemacht worden
seien.
4.3.1 Bei der Verhandlungsmaxime handelt es sich nicht um einen
bundesrechtlichen, sondern um einen kantonalrechtlichen Grundsatz (BGE 127 III
248 E. 1b S. 251; 127 IV 215 E. 2d S. 218; 106 II 201 E. 3b), dessen
Ausgestaltung von gewissen Ausnahmen abgesehen den Kantonen belassen ist (vgl.
Kummer, Berner Kommentar, N. 12 f. zu Art. 8 ZGB). Als solchen prüft das
Bundesgericht behauptete Verletzungen der Verhandlungsmaxime nur unter dem
Gesichtswinkel des Willkürverbots.
Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt dabei nicht schon dann vor, wenn eine
andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das
Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid wegen Willkür nur auf, wenn er
offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch
steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder
in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgrundsatz zuwiderläuft. Willkür liegt
zudem nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheids, sondern auch
das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 134 II 124 E. 4.1; 133 I 149 E. 3.1; 132 III
209 E. 2.1, je mit Hinweisen).
4.3.2 Die Vorinstanz verneinte im angefochtenen Urteil ausdrücklich, dass die
Beschwerdegegnerin nach der Verhandlungsmaxime darauf behaftet werden müsse,
dass ihr Akzept erst mit Schreiben vom 6. Juli 2006 erfolgt sei. Die
Beschwerdeführerin habe - wenn auch mit einer unglücklichen Formulierung - die
obige Argumentation (betreffend Annahme der Offerte durch das E-Mail vom 26.
Juni 2006 nach angemessener Überlegungsfrist) als Eventualstandpunkt
vorgebracht (Klageschrift S. 10), was prozessual zulässig sei.
Die Beschwerdeführerin rügt diese Ausführungen sinngemäss als aktenwidrig,
indem sie vorbringt, der von der Vorinstanz zitierten Aktenstelle könne
hinsichtlich der "obigen Argumentation" rein gar nichts entnommen werden. Dies
trifft indessen nicht zu. Die Beschwerdegegnerin hat an der genannten Stelle
ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe (noch vor Annahme der Offerte durch die
Beschwerdegegnerin am 6. Juli 2006) die Vereinbarung am 26. Juni 2006 mit
Mailschreiben bestätigt; auf entsprechende Anfrage der Beschwerdegegnerin vom
26. Juni 2006, ob die Ware heute Nachmittag oder morgen abgeholt werden könne,
habe die Beschwerdeführerin bestätigend festgehalten, die Ware werde
bereitgestellt, das genaue Abholdatum werde noch bekannt gegeben; die
Vereinbarung sei daher ohne Zweifel zustande gekommen. Diese Ausführungen
lassen sich willkürfrei dahingehend verstehen, dass der Auflösungsvertrag nach
Auffassung der Beschwerdegegnerin mit deren E-Mail vom 26. Juni 2006 zustande
gekommen sei. Dies zumal die behauptete Bestätigung einer Vereinbarung
notwendigerweise voraussetzt, dass sie vorgängig zustande gekommen ist. Wenn
die Beschwerdegegnerin in irrtümlicher Rechtsauffassung davon ausging, die
Annahme sei erst am 6. Juli erfolgt, ist dies im Zusammenhang mit der Frage
einer Verletzung der Verhandlungsmaxime unerheblich, da diese nur die
Feststellung von Tatsachen, nicht die rechtliche Würdigung von solchen
beschlägt (vgl. BGE 125 III 231 E. 4a S. 238 f.).
Selbst wenn der Klageschrift hinsichtlich der Annahme der Offerte am 26. Juni
2006 nichts zu entnehmen wäre, gelänge es der Beschwerdeführerin nicht, eine
willkürliche Nichtanwendung der Verhandlungsmaxime darzutun. Die Vorinstanz hat
in Würdigung der zu den Prozessakten eingereichten Dokumente, namentlich des
E-Mails der Beschwerdegegnerin vom Montag, 26. Juni 2006, ("Wir werden diese
Ware sofort bei Ihnen übernehmen. Bitte informieren Sie das Lager C.________,
dass wir die Ware abholen. Können wir die Ware heute Nachmittag oder morgen
abholen?") geschlossen, die Annahme der Offerte sei mit diesem erfolgt. Die
Beschwerdeführerin macht dazu geltend, die Verhandlungsmaxime nach aargauischem
Zivilprozessrecht sei verletzt, wenn nicht behauptete Tatsachen berücksichtigt
würden, die sich nur aus einer Beilage zu einer Rechtsschrift ergäben. Damit
vermag sie aber nicht zu begründen, dass die Berücksichtigung der Erklärung im
E-Mail vom 26. Juni 2006 seitens der Vorinstanz geradezu eine krasse und damit
willkürliche Nichtanwendung der Verhandlungsmaxime darstellt, wenn es
allenfalls auch zutreffen mag, dass bei freier Prüfung eine Verletzung der
Verhandlungsmaxime zu bejahen sein könnte. Die Beschwerdeführerin geht auch
fehl, wenn sie in jeder Verletzung einer kantonalen Prozessmaxime eine
Verletzung des Willkürverbots sehen will. Das Willkürverbot ist nur verletzt,
soweit ein krasser Verstoss gegen einen klaren Rechtsgrundsatz erfolgt und dies
im Ergebnis zu einem unhaltbaren Entscheid führt. Etwas Entsprechendes hat die
Beschwerdeführerin nicht dargetan.
4.3.3 Das zuletzt Ausgeführte gilt auch sinngemäss, soweit die
Beschwerdeführerin geltend macht, die Vorinstanz habe bei der Bemessung der
Überlegungsfrist auf nicht geltend gemachte Umstände abgestellt.
Hierzu ist überdies zu bemerken, dass die vorinstanzlichen Überlegungen
insoweit nicht nur auf Tatsachen beruhen, die aus den Akten hervorgingen,
sondern auch auf der allgemeinen Lebenserfahrung. Dass deren Heranziehung einen
willkürlichen Verstoss gegen die Verhandlungsmaxime darstelle, macht die
Beschwerdeführerin zu Recht nicht geltend.
Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang die Feststellungen der
Vorinstanz beanstandet, wonach sie nicht habe erwarten bzw. nicht davon habe
ausgehen dürfen, dass "ein solcher Vorschlag" von der Beschwerdegegnerin
umgehend, d.h. am 22. Juni 2006, angenommen würde, verkennt sie, dass es sich
dabei um rechtliche Schlüsse handelt. Die Verhandlungsmaxime beschlägt aber von
vornherein nur die Feststellung des Sachverhalts, weshalb die Rüge ihrer
Verletzung in diesem Zusammenhang fehl geht.

5.
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde abzuweisen. Dem Verfahrensausgang
entsprechend wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig
(Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 6'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 7'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Aargau, 1.
Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Januar 2009
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Klett Widmer