Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.502/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_502/2008

Urteil vom 31. März 2009
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Corboz,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Luczak.

Parteien
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Eisele,

gegen

X.________ AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Bruno Meier.

Gegenstand
Unerlaubte Handlung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Zürich, II. Zivilkammer,
vom 30. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Die Y.________ AG (nachfolgend: die Gesellschaft), deren
einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsrat A.________ (Beschwerdeführer) seit
März 2003 war, mietete Geschäftsräumlichkeiten von der X.________ AG
(Beschwerdegegnerin). Sie anerkannte mit Vergleich vom 22. Oktober 2003
Mietzinsausstände von Fr. 100'000.--. Am 8. Juni 2004 trat sie, vertreten durch
den Beschwerdeführer, vier Debitorenguthaben im Gesamtbetrag von Fr. 48'440.--
zahlungshalber (Art. 172 OR) an die Beschwerdegegnerin ab. Diese verzichtete
vorläufig auf die Notifikation der Abtretung gegenüber den Debitoren. Am
gleichen Tag schloss die Beschwerdegegnerin einen "Garantievertrag gemäss Art.
111 ff. ZGB [recte: OR]" mit dem Beschwerdeführer, in welchem sich dieser
verpflichtete, für die erwähnten Debitorenguthaben "persönlich einzuzahlen".
Die Gesellschaft überwies der Beschwerdegegnerin am 28. Juni 2004 eine der vier
Debitorenzahlungen, leitete aber die übrigen von der Abtretung betroffenen
Zahlungen, welche bis zum 29. Juni 2004 ebenfalls eingegangen waren, nicht
(oder nach den Behauptungen des Beschwerdeführers vor Bundesgericht nur
teilweise) an die Beschwerdegegnerin weiter. Die Gesellschaft fiel am 25.
Januar 2005 in Konkurs.

B.
Die Beschwerdegegnerin gelangte daraufhin an das Bezirksgericht Dielsdorf. Sie
verlangte vom Beschwerdeführer Fr. 40'622.15 nebst Zins und die Beseitigung des
Rechtsvorschlages in der von ihr angehobenen Betreibung. Das Bezirksgericht
wies die Klage ab. Auf Berufung der Beschwerdegegnerin hiess das Obergericht
des Kantons Zürich die Klage gut. Es war zwar der Auffassung, die
Beschwerdegegnerin könne aus dem "Garantievertrag" nichts ableiten, da die vom
Beschwerdeführer übernommene Verpflichtung akzessorisch sei und eine mangels
Einhaltung der Formvorschriften ungültige Bürgschaft vorliege. Das Obergericht
qualifizierte aber die fehlende Ablieferung als Veruntreuung (Art. 138 StGB),
billigte der Beschwerdegegnerin einen Schadenersatzanspruch zu und hiess die
Klage gut.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beschwerdeführer dem Bundesgericht
im Wesentlichen, die Klage abzuweisen, eventuell die Forderung auf Fr. 9'197.50
zu reduzieren. Das Gesuch um aufschiebende Wirkung wies das Bundesgericht am
25. November 2008 ab. Die Beschwerdegegnerin schliesst auf kostenfällige
Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist, während das
Obergericht auf Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Gemäss Art. 75 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde zulässig gegen Entscheide letzter
kantonaler Instanzen und des Bundesverwaltungsgerichts. Dabei knüpft der
Begriff der Letztinstanzlichkeit an jenen von Art. 86 Abs. 1 OG an.
Letztinstanzlichkeit gemäss Art. 75 Abs. 1 BGG bedeutet, dass der kantonale
Instanzenzug für die Rügen, die dem Bundesgericht vorgetragen werden,
ausgeschöpft sein muss (BGE 134 III 524 E. 1.3 S. 527 mit Hinweisen).

1.1 Der Beschwerdeführer hat die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde an das
Kassationsgericht nicht ergriffen. Das Bundesgericht kann mithin den
angefochtenen Entscheid in tatsächlicher Hinsicht nicht überprüfen, da die Rüge
der aktenwidrigen oder willkürlichen Feststellung des Sachverhalts (Art. 97
Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG) dem Kassationsgericht hätte unterbreitet werden
können (vgl. § 281 Ziff. 2 der Zivilprozessordnung vom 13. Juni 1976, ZPO/ZH,
LS 271).

1.2 Der Beschwerdeführer weist an sich zu Recht darauf hin, dass die Rüge der
Verletzung von Art. 8 ZGB vorbehalten bleibt, da die Nichtigkeitsbeschwerde
insoweit nicht gegeben ist. Wenn aber die Vorinstanz in Würdigung der Beweise
zum Ergebnis gelangt, eine Behauptung sei erwiesen oder widerlegt, liegt
Beweiswürdigung vor und fällt eine Verletzung von Art. 8 ZGB, der an die
Beweislosigkeit anknüpft, ausser Betracht (BGE 134 II 235 E. 4.3.4 S. 241; 130
III 591 E. 5.4 S. 601 f.). Wer eine Verletzung seines Beweisführungsanspruches
geltend machen will, hat mit Aktenhinweisen darzulegen, welche Beweismittel er
im kantonalen Verfahren prozesskonform für welche prozessrelevanten Tatsachen
angeboten hat. Denn ein Anspruch auf Beweisführung besteht nur, sofern der
Beweisantrag rechtserhebliche Tatsachen betrifft und nach Form und Inhalt den
Vorschriften des kantonalen Prozessrechts entspricht (BGE 133 III 295 E. 7.1 S.
299).

1.3 Wenn der Beschwerdeführer in seinen Ausführungen unter dem Titel "Zum
Sachverhalt" von den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Entscheides
abweicht, bleibt dies unbeachtet. Auch soweit er verschiedene Zahlungen der
Gesellschaft an die Beschwerdegegnerin von deren Forderung in Abzug gebracht
wissen will, setzt er sich zur tatsächlichen Feststellung, es sei unbestritten
geblieben, dass nur eine der vier Debitorenzahlungen weitergeleitet wurde, und
der weiteren Beweiswürdigung der Vorinstanz in Widerspruch. Damit ist er nicht
zu hören.

1.4 Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, mehrere objektive und subjektive
Voraussetzungen für die Annahme einer Veruntreuung im Sinne von Art. 138 StGB
seien nicht gegeben. Die Vorinstanz habe nicht alle relevanten
Tatbestandselemente geprüft und überdies Art. 8 ZGB verletzt, indem sie zu
massgeblichen Punkten kein Beweisverfahren durchgeführt habe. Der
Beschwerdeführer verkennt, dass kein gesondertes Beweisverfahren notwendig ist,
wenn das Gericht bereits aus den Vorbringen der Parteien in tatsächlicher
Hinsicht Schlüsse ziehen und so zu einem positiven Beweisergebnis kommen kann.
Zudem zeigt der Beschwerdeführer nicht im Einzelnen auf, welche Beweismittel er
im kantonalen Verfahren prozesskonform angeboten haben will. Eine Verletzung
von Art. 8 ZGB ist nicht dargetan.

2.
Der objektive Tatbestand von Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB ist erfüllt, wenn der
Täter ihm anvertraute Vermögenswerte unrechtmässig in seinem oder eines anderen
Nutzen verwendet. Subjektiv ist Vorsatz erforderlich. Zusätzlich wird verlangt,
dass der Täter handelt, um sich oder einen anderen unrechtmässig zu bereichern,
auch wenn Art. 138 Ziff. 1 Satz 2 StGB dies nicht ausdrücklich erwähnt (BGE 118
IV 32 E. 2a S. 34).

2.1 Der Beschwerdeführer bestreitet, dass der Vermögenswert der Gesellschaft
anvertraut worden sei und dass eine stillschweigende Inkassovereinbarung
bestanden habe. Er macht mit Aktenhinweisen geltend, dass er dies immer
bestritten habe und rügt eine Verletzung von Art. 8 ZGB. Zum Ergebnis, die
Gesellschaft habe sich zumindest stillschweigend zur Weiterleitung der ihr
zugehenden Debitorenzahlungen an die Beschwerdegegnerin verpflichtet und damit
als Hilfsperson für das Inkasso gehandelt, kam die Vorinstanz indessen
offensichtlich gestützt auf die Vorbringen der Parteien, diese hätten
vereinbart, den Debitoren die Abtretung vorerst nicht zu notifizieren. Da ein
positives Beweisergebnis vorliegt, scheidet eine Verletzung von Art. 8 ZGB aus
(vgl. E. 1.2 hiervor).

2.2 Dass mit der Gesellschaft vereinbart war, die Notifikation an die Debitoren
hätte nur unter ganz speziellen Voraussetzungen erfolgen dürfen, ist nicht
festgestellt. Damit ist unerheblich, ob in diesem Fall eine bedingte Zession
vorläge, wie der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die Literatur behauptet.
Seine Ausführungen, mangels Übergangs der Forderungen auf die
Beschwerdegegnerin habe keine Veruntreuung stattgefunden, stützen sich auf
nicht festgestellte Tatsachen und sind daher nicht zu hören.

2.3 Der Beschwerdeführer bestreitet, vorsätzlich gehandelt zu haben. Aus seinen
eigenen Ausführungen geht indessen hervor, dass er in voller Absicht aus den
Zahlungen der zedierten Forderungen andere Schulden der Gesellschaft beglichen
hat und sich der Abtretung an die Beschwerdegegnerin bewusst war. Damit
handelte er vorsätzlich.

2.4 Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, es habe keine Absicht
ungerechtfertigter Bereicherung bestanden. Die Gesellschaft sei nicht
bereichert gewesen, weil sie mit dem eingegangenen Geld fällige Lohnforderungen
befriedigt habe. Dadurch seien weder die Gesellschaft noch die
Zahlungsempfänger bereichert gewesen. Zudem habe Ersatzbereitschaft bestanden,
was den Tatbestand der Veruntreuung ausschliesse.
2.4.1 Bezüglich der Ersatzbereitschaft hält die Vorinstanz fest, der
Beschwerdeführer habe selbst nicht geltend gemacht, er habe immer die Absicht
und die Möglichkeit gehabt, den Betrag der abgetretenen Forderungen zu
bezahlen. Die gegenteiligen Vorbringen vor Bundesgericht sind nicht zu hören.
2.4.2 Die Annahme des Beschwerdeführers, wer bei zwei fälligen Schulden
zunächst die eine und danach die andere tilge, handle nicht mit
Bereicherungsabsicht, trifft nicht zu (vgl. BGE 118 IV 32). Auch in der Tilgung
einer Schuld kann eine Bereicherung liegen. Dass sich ein Täter allenfalls nur
vorübergehend bereichern will, entlastet ihn nicht (BGE 118 IV 27 E. 3a S. 30).
Die unrechtmässige Verwendung des empfangenen Geldes durch den Inkassovertreter
zu seinem oder eines Dritten Nutzen bildet einen klassischen Fall der
Veruntreuung (vgl. schon HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil,
Bd. I, Berlin 1937, S. 241; BGE 118 IV 32 E. 2a S. 33).

3.
Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, die Zession sei ungültig, weil die
Gesellschaft im Zeitpunkt der Abtretung erkennbar bereits überschuldet gewesen
sei. Auf dieses Argument sei die Vorinstanz nicht eingegangen und habe dadurch
Art. 285 und Art. 287 SchKG verletzt.

3.1 Die Vorinstanz äusserte sich zu Art. 285 und Art. 287 SchKG im Rahmen ihrer
Erwägungen zum Garantievertrag, den sie schliesslich für ungültig erachtete.
Sie hielt fest, die Argumentation des Beschwerdeführers ziele an der Sache
vorbei, da auch bei einer Gläubigerbevorzugung die Zession nicht nichtig,
sondern lediglich anfechtbar gewesen wäre. An einer Anfechtung fehle es aber.
Diese könne überdies nur Wirkung mit Bezug auf ein bestimmtes
Vollstreckungsverfahren entfalten.

3.2 Die Anfechtung nach SchKG ist ein vollstreckungsrechtliches Institut. Eine
Gutheissung der Anfechtungsklage hätte einzig zur Folge, dass der bevorzugte
Gläubiger die Vermögenswerte zur Verwertung in die Masse einbringen müsste. Sie
ändert aber nichts an der zivilrechtlichen Gültigkeit des angefochtenen
Rechtsgeschäfts; dessen zivilrechtliche Wirkungen sind lediglich
betreibungsrechtlich unbeachtlich, so dass die Gläubiger den Vermögenswert
pfänden und verwerten lassen können (BGE 134 III 52 E. 1.3.3 S. 57 mit
Hinweisen). Die Anfechtbarkeit nach Art. 285 ff. SchKG kann mithin keinesfalls
die Ungültigkeit der Zession bewirken.

3.3 Allerdings würde sich der Schaden der Beschwerdegegnerin reduzieren, soweit
der Nachweis gelänge, dass eine Anfechtung nicht nur theoretisch möglich,
sondern bei vereinbarungsgemässer Weiterleitung der Zahlungen auch tatsächlich
erfolgt wäre. Entsprechendes ist aber nicht festgestellt, und der
Beschwerdeführer nennt auch keine Beweismittel, mit welchen er hätte beweisen
wollen, dass tatsächlich eine Anfechtung erfolgt wäre. Damit scheidet eine
Ergänzung des Sachverhalts aus und bleibt es beim der Beschwerdegegnerin
entstandenen Schaden. Da die Anfechtungsklage mit Zeitablauf verwirkt (Art. 292
SchKG) und der bevorzugte Gläubiger ohne Anfechtung auch bei Bösgläubigkeit in
seinem Erwerb geschützt wird, kann der Beschwerdeführer die Frage, ob
tatsächlich eine Anfechtung erfolgt wäre, nicht einfach ausblenden, soweit er
aus der Anfechtbarkeit der Zessionen etwas zu seinen Gunsten ableiten will.

4.
Damit ist der angefochtene Entscheid im Ergebnis nicht zu beanstanden und die
Beschwerde abzuweisen. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird der
Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 31. März 2009
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Klett Luczak