Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.49/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_49/2008 /len

Urteil vom 9. April 2008
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiber Luczak.

Parteien
A.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Max Auer,

gegen

B.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Armin Eugster.

Gegenstand
Kaufvertrag,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, III.
Zivilkammer, vom 17. Oktober 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit öffentlich beurkundetem Kaufvertrag vom 21. April 1995 erwarben A.________
(Beschwerdeführerin) und C.________ von B.________ (Beschwerdegegner) ein
Grundstück und schlossen parallel dazu einen Werkvertrag mit der B.X.________
AG. Bei Vertragsunterzeichnung leisteten die Käufer eine Anzahlung von Fr.
30'000.-- in bar und Fr. 40'000.-- in WIR an den Kaufpreis von Fr. 185'000.--.
Wegen Problemen bei der Finanzierung des Bauprojekts unterzeichneten die Käufer
einerseits und der Verkäufer andererseits am 2. April 1996 folgende als
"Kaufvertrag und Werkvertrag" bezeichnete Vereinbarung (nachfolgend
Vereinbarung II):
"Haus Nr. 8 wird direkt an einen dritten Käufer weiterverkauft. Die Anzahlung
Bar Fr. 30'000.-- sowie WIR Fr. 40'000.-- werden Frau A.________ zurückbezahlt
bei Eigentumsübertragung der Liegenschaft auf den neuen Käufer."

B.
Da kein dritter Käufer gefunden werden konnte, schlossen die gleichen
Vertragsparteien am 3. November 1997 eine weitere Vereinbarung (nachfolgend
Vereinbarung III) mit welcher der Beschwerdegegner die Übergangsfinanzierung
sicherstellte. Für den Fall des Verkaufes bestimmten die Parteien in Ziff. 6
dieser Vereinbarung, der Beschwerdegegner habe aus einem allfälligen Gewinn
(nach Abzug der Kosten) die Anzahlung von Fr. 30'000.-- in bar und Fr.
40'000.-- in WIR an die Beschwerdeführerin zurückzuerstatten. Bei einem Gewinn
von weniger als Fr. 70'000.-- sollte eine entsprechend reduzierte
Rückerstattung erfolgen.

C.
Am 13. Januar 1998 verkaufte der Beschwerdegegner das Grundstück zusammen mit
anderen Parzellen der von ihm mit Einzelunterschrift vertretenen B.Y.________
AG. Der auf das Gegenstand des Kaufvertrags vom 21. April 1995 bildende
Grundstück entfallende Anteil am Gesamtkaufpreis betrug Fr. 185'000.--. Am 13.
Januar 2005 verlangte die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf den
unterbliebenen Vollzug des Kaufvertrages vom 21. April 1995 und die offenkundig
erfolgte Eigentumsübertragung des Vertragsgrundstücks auf einen Dritten die
Rückerstattung der geleisteten Anzahlung. Dabei bezog sie sich auf die
Vereinbarung II vom 2. April 1996. Der Beschwerdegegner wandte mit Schreiben
vom 31. Januar 2005 unter Hinweis auf Ziff. 6 der Vereinbarung III vom 3.
November 1997 ein, er habe das mittlerweile auf der betreffenden Parzelle
erstellte Einfamilienhaus ohne Gewinn weiterverkauft, weshalb der geltend
gemachte Anspruch auf Rückerstattung entfalle.

D.
Am 3. Februar 2005 trat C.________ sämtliche Rechte aus den erwähnten
Rechtsgeschäften gegenüber dem Beschwerdegegner an die Beschwerdeführerin ab.
Am 11. April 2005 klagte diese gegen den Beschwerdegegner auf Zahlung von Fr.
30'000.-- in bar und Fr. 40'000.-- in WIR nebst Zins. Das Kreisgericht
Alttoggenburg-Wil schützte die Klage am 21. Februar 2006, im Wesentlichen in
der Erwägung, Ziff. 6 der Vereinbarung III sei mangels Einhaltung der
Urkundsform ungültig. Auf Berufung des Beschwerdegegners hob jedoch das
Kantonsgericht St. Gallen am 17. Oktober 2007 das angefochtene Urteil auf und
wies die Klage ab.

E.
Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in
Zivilsachen, den Entscheid des Kantonsgerichts aufzuheben und die Klage
gutzuheissen, eventuell die Streitsache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Der Beschwerdegegner schliesst auf kostenfällige Abweisung der
Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Die Parteien streiten über die Frage, ob Vereinbarung III eine nach Art. 12 OR
formbedürftige Änderung des Grundstückkaufvertrags darstellt oder einen nach
Art. 115 OR formfrei gültigen Aufhebungsvertrag, in welchem eine Regelung für
den künftigen Verkauf an einen Dritten getroffen worden sei.

1.1 Die Beschwerdeführerin macht in diesem Zusammenhang geltend, die Vorinstanz
habe die Vereinbarung III nach dem Vertrauensprinzip ausgelegt, und dabei in
verschiedener Hinsicht Bundesrecht verletzt. Entgegen der Behauptungen der
Beschwerdeführerin hat die Vorinstanz indessen nirgends festgehalten, es liege
kein übereinstimmender Parteiwille vor. Sie erkannte lediglich, aus dem
Wortlaut der Vereinbarung könnten diesbezüglich keine eindeutigen Schlüsse
gezogen werden. Den Inhalt der Vereinbarung ermittelte sie unter
Berücksichtigung der gesamten Umstände, namentlich auch des nachträglichen
Parteiverhaltens. Dieses ist bei der Auslegung nach dem Vertrauensprinzip nicht
von Bedeutung, sondern kann höchstens im Rahmen der Beweiswürdigung auf einen
tatsächlichen Willen der Parteien schliessen lassen (BGE 133 III 61 E. 2.2.1 S.
67; 132 III 626 E. 3.1 S. 632, je mit Hinweisen). Die Vorinstanz hat mithin
keine Auslegung nach dem Vertrauensprinzip vorgenommen, sondern aus den
gesamten Umständen auf den tatsächlichen Willen der Parteien geschlossen. Rügen
betreffend derartige tatsächliche Feststellungen, welche mit kantonaler
Nichtigkeitsbeschwerde (Art. 237 ff. des Zivilprozessgesetzes vom 20. Dezember
1990, [sGS 961.2, ZPO/SG]) dem Kassationsgericht unterbreitet werden konnten,
sind mangels Ausschöpfung des Instanzenzuges in einer gegen den
kantonsgerichtlichen Entscheid erhobenen Beschwerde in Zivilsache nicht zu
hören, da diese nach Art. 75 Abs. 1 BGG nur gegen Entscheide letzter kantonaler
Instanzen zulässig ist. Daher ist auf die entsprechenden Ausführungen der
Beschwerdeführerin nicht einzutreten.

1.2 Der Vorwurf, die Vorinstanz habe Art. 18 OR verletzt, indem sie die
Vereinbarung nach dem Vertrauensprinzip ausgelegt habe, obwohl der
übereinstimmende wirkliche Wille nachgewiesen sei, beruht mithin auf einem
Missverständnis des angefochtenen Entscheides. Da die Vorinstanz den
tatsächlichen Willen der Parteien feststellen konnte, kommt den Ausführungen
der Beschwerdeführerin dazu, wie die Vereinbarung nach dem Vertrauensprinzip zu
deuten wäre, keine Bedeutung zu (Art. 18 OR). Die Vorbringen der
Beschwerdeführerin gehen an der Sache vorbei und sind nicht zu hören.

2.
Zu prüfen bleibt, ob die Vorinstanz bundesrechtskonform davon ausgehen durfte,
die Vereinbarung III sei formfrei gültig. Die Beschwerdeführerin ist der
Auffassung, von einem formfrei gültigen Aufhebungsvertrag könnte im zu
beurteilenden Fall nur die Rede sein, wenn die wesentlichen gegenseitigen
Verpflichtungen aufgehoben würden, was unweigerlich dazu führe, dass die
bereits geleistete Zahlung an den Kaufpreis zurückzuerstatten sei. Mit der
abgeschlossenen Vereinbarung III erfolge im Vergleich zu einer blossen
Aufhebung des Vertrages eine erhebliche Mehrbelastung der Beschwerdeführerin,
weil die ursprüngliche Pflicht zur Leistung des Kaufpreises nicht vollständig
aufgehoben würde. Daher sei Ziff. 6 der Vereinbarung III aufgrund von Art. 12
OR formbedürftig.

2.1 Nach Art. 115 OR kann eine Forderung durch Übereinkunft ganz oder zum Teil
auch dann formlos aufgehoben werden, wenn zur Eingehung der Verbindlichkeit
eine Form erforderlich oder von den Vertragsschliessenden gewählt war. Diese
Bestimmung ist nach ständiger Rechtsprechung und Lehre nicht nur auf die
Aufhebung einzelner Forderungen, sondern (analog) auch auf die Aufhebung ganzer
Vertragsverhältnisse anwendbar (BGE 95 II 419 E. 2d S. 425, mit Hinweisen), es
sei denn, die formlose Aufhebung bestimmter Verträge sei gesetzlich
ausgeschlossen (z. B. Art. 513 Abs. 1 ZGB; vgl. Aepli, Zürcher Kommentar, N. 17
zu Art. 115 OR). Der Aufhebungsvertrag ist ein Verfügungsvertrag und hebt eine
früher geschlossene Vereinbarung auf (Aepli, a.a.O., N 10 zu Art. 115 OR; Gauch
/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Band
II, 8. Aufl., Rz. 3305 ff. S. 213; Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht,
Allgemeiner Teil, 2. Aufl., S. 390 und 403). Für sein Zustandekommen gelten die
allgemeinen Regeln, und die Parteien bestimmen dessen Modalitäten frei.
Demgegenüber ist nach Art. 12 OR für die Abänderung eines Vertrags, für den die
schriftliche Form vorgeschrieben ist, ebenfalls Schriftlichkeit erforderlich,
mit Ausnahme von ergänzenden Nebenbestimmungen, die mit der Urkunde nicht im
Widerspruch stehen. Diese Regel ist nach Lehre und Rechtsprechung analog auch
anzuwenden auf Rechtsgeschäfte, für die das Gesetz eine andere als die
Schriftform, namentlich die öffentliche Beurkundung, vorschreibt (BGE 95 II 419
E. 2b S. 423 mit Hinweisen). Bei der Abgrenzung zwischen Art. 12 OR und Art.
115 OR ist entscheidend darauf abzustellen, ob der unter Einhaltung der
Formerfordernisse abgeschlossene Vertrag immer noch, zumindest teilweise, in
Kraft steht oder gemäss der betreffenden Vereinbarung der Parteien in seiner
Gesamtheit dahingefallen ist. Eine derartige Vertragsaufhebung kann formfrei
erfolgen (Schönenberger/Jäggi, Zürcher Kommentar, N. 2 und 9 zu Art. 12 OR).

2.2 Die Parteien sind nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz
übereingekommen, von der ursprünglich vereinbarten Übertragung der Parzelle auf
die Beschwerdeführerin abzusehen. Das hat zur Folge, dass hierfür kein
Kaufpreis geschuldet ist. Aus dem ursprünglichen Kaufvertrag blieb danach
keinerlei Verpflichtung bestehen. Die Vorinstanz hat daher bundesrechtskonform
geschlossen, der Kaufvertrag sei mit der Vereinbarung III vollständig
aufgehoben worden, was formfrei geschehen konnte. Die Abmachung, der
Beschwerdegegner habe die geleistete Anzahlung nur in dem Umfang
zurückzuerstatten, als er mit einem anderweitigen Verkauf der Parzelle einen
Gewinn erziele, erfolgte demnach ausserhalb des kaufvertraglichen Synallagmas
und steht in keinerlei Zusammenhang mit einer Verpflichtung aus dem
ursprünglichen Kaufvertrag. Das in der Lehre diskutierte Problem der Abgrenzung
von Art. 115 gegenüber Art. 12 OR, wenn die Aufhebung oder Beschränkung einer
Forderung im synallagmatischen Vertrag das Verhältnis von Leistung und
Gegenleistung beeinflusst (Schmidlin, Berner Kommentar, N. 10 ff. zu Art. 12
OR; Schwenzer, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 4. Auflage,
Rz. 31.25 S. 226, je mit Hinweisen), stellt sich vorliegend nicht, denn der
Kaufvertrag bildet nicht mehr den Rechtsgrund der (bedingten) Zahlungspflicht
der Klägerin, welche im Aufhebungsvertrag in der Höhe der geleisteten Anzahlung
festgesetzt wurde. Die Vorinstanz erkannte bundesrechtskonform, die Parteien
hätten in der Aufhebungsvereinbarung (Vereinbarung III) die Bedingungen und
Modalitäten der Rückabwicklung geregelt. Dass die Beschwerdeführerin dabei
gegenüber einer blossen Aufhebung des Kaufvertrags eine Mehrbelastung erleidet,
ist mit Blick auf die Formbedürftigkeit der Vereinbarung III irrelevant. Da
diese Vereinbarung, wie gezeigt, keinem Formzwang unterliegt und auch keine
materiellen Gründe ersichtlich sind, die gegen ihre Rechtsbeständigkeit
sprechen, ist die Beschwerdeführerin daran gebunden.

3.
Aus den dargelegten Gründen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin
kosten- und entschädigungspflichtig.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 5'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, III.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 9. April 2008
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Corboz Luczak