Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.42/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_42/2008 /len

Urteil vom 14. März 2008
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiberin Hürlimann.

Parteien
X.________ AG,
Gesuchstellerin,
vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Erich Rüegg
und Dr. Frédéric Krauskopf,

gegen

Y.________ Corporation,
Gesuchsgegnerin,
vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Philipp Habegger und Dr. Marco Stacher.

Gegenstand
Internationales Schiedsgericht; Revisionsgesuch,

Beschwerde gegen den Interim des Schiedsgerichts
der Zürcher Handelskammer vom 23. Februar 2007.

Sachverhalt:

A.
Die Y.________ Corporation (Klägerin im Schiedsgerichtsverfahren,
Gesuchstellerin) ist eine in Taiwan ansässige Gesellschaft. Sie schloss mit der
X.________ AG (Beklagte im Schiedsgerichtsverfahren, Gesuchsgegnerin) bzw. mit
deren Rechtsvorgängerin am 12. Februar 1997 unter anderem einen
Beratungsvertrag betreffend den Abschluss einer Vereinbarung über den Betrieb
und Unterhalt ("Operation and Maintenance Agreement") eines Elektrizitätswerks
zwischen dessen Eigentümer und der X.________ AG.
A.a Am 15. September 2004 leitete die Klägerin ein Schiedsgerichtsverfahren bei
der Zürcher Handelskammer ein, die darauf einen Einzelschiedsrichter bestellte.
Dieser erliess nach Absprache mit den Parteien am 13. Januar 2005 die
Verfahrensregeln und bejahte mit Zwischenentscheid vom 28. Juni 2005 seine
Zuständigkeit.
A.b In einer Vorverhandlung vom 5. Oktober 2005 vereinbarten die Parteien, das
Verfahren vorerst auf die Frage von Gültigkeit und Bestand des
Beratungsvertrags vom 12. Februar 1997 zu beschränken. Die Beklagte hatte
dagegen eingewendet, der Vertrag sei nicht gehörig unterzeichnet, gemäss Art.
20 OR nichtig und eventuell durch eine Vereinbarung vom 29. Mai 2002 aufgehoben
worden.

B.
Mit Zwischenentscheid vom 23. Februar 2007 stellte der Einzelschiedsrichter
fest, dass der Beratungsvertrag vom 12. Februar 1997 gültig zustande gekommen,
seither weder beendet noch durch den Vergleich vom 29. Mai 2002 aufgehoben
worden und daher noch immer gültig und verpflichtend ist (Ziffer 1). Ausserdem
verpflichtete er die Beklagte zur Bezahlung einer Parteientschädigung an die
Klägerin (Ziffer 2). Der Einzelschiedsrichter lehnte insbesondere den Einwand
der Beklagten ab, dass der umstrittene Beratungsvertrag vom 12. Februar 1997
zum Zwecke der Bestechung abgeschlossen worden und daher gemäss Art. 20 OR
nichtig sei.

C.
Mit Revisionsgesuch vom 28. Januar 2008 beantragt die Gesuchstellerin dem
Bundesgericht Folgendes:
1. In Gutheissung des Revisionsgesuches sei der Vorentscheid (Interim Award)
vom 23.02.2007 in der Schiedssache No. 000 aufzuheben und die Schiedssache sei
an den Einzelschiedsrichter zur Neubeurteilung unter Berücksichtigung der neuen
Tatsache und Beweismittel gemäss Ziff. IV hiernach zurückzuweisen ..."

Ausserdem beantragt die Gesuchstellerin, der Einzelschiedsrichter sei durch den
Erlass einer vorsorglichen Massnahme anzuweisen, keine Entscheide zu erlassen,
die sie zu Geldleistungen verpflichten würden.
Zur Begründung ihres Revisionsgesuchs beruft sich die Gesuchstellerin auf Art.
123 Abs. 2 lit. a BGG und macht geltend, sie habe in ihrem Archiv neue
Dokumente gefunden, womit sie nunmehr den Nachweis erbringen könne, dass
tatsächlich Schmiergelder bezahlt worden seien.

D.
Die Gesuchsgegnerin beantragt in ihrer Stellungnahme, auf das Revisionsgesuch
sei nicht einzutreten, eventualiter sei es abzuweisen. Sie widersetzt sich dem
Gesuch um Erlass vorsorglicher Massnahmen.
Der Einzelschiedsrichter erklärt, er verzichte auf Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Das Gesuch um vorsorgliche Massnahmen wird mit dem Urteil von heute
gegenstandslos.

2.
Das IPRG enthält keine Bestimmungen zur Revision von Entscheiden des
Schiedsgerichts im Sinne von Art. 176 ff. IPRG. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts, das diese Gesetzeslücke gefüllt hat, steht den Parteien eines
Verfahrens der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit das ausserordentliche
Rechtsmittel der Revision zur Verfügung, für das die Zuständigkeit des
Bundesgerichts gegeben ist (BGE 118 II 199 E. 2 und 3 S. 200 ff.; vgl. auch BGE
129 III 727 E. 1 S. 729). Heisst das Bundesgericht ein Revisionsgesuch gut,
entscheidet es nicht selbst über die Sache, sondern weist diese an das
Schiedsgericht, das entschieden hat, oder an ein neu zu bildendes
Schiedsgericht zurück (BGE 118 II 199 E. 3 S. 204; Urteil 4P.117/2003 vom 16.
Oktober 2003 E. 1.1).

2.1 Unter der Verfahrensordnung des OG waren die Revisionsgründe diejenigen,
die in Art. 137 OG vorgesehen waren, und auf das Verfahren fanden die Art.
140-143 OG analog Anwendung (BGE 118 II 199 E. 4 S. 204; Urteil 4P.120/2002 vom
3. September 2002 E. 1.1, publ. in Pra 2002 Nr. 199 S. 1041). Dies gilt
grundsätzlich weiterhin für die geltende Regelung des BGG, zumal für den
Revisionsgrund in Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG, der demjenigen von Art. 137 lit.
b OG entspricht (BGE 134 III 45 E. 2.1 S. 47). Nach Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG
kann die Revision verlangt werden, wenn die ersuchende Partei nachträglich
erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel auffindet, die sie
im früheren Verfahren nicht beibringen konnte, unter Ausschluss von Tatsachen
und Beweismitteln, die erst nach dem Entscheid entstanden sind. Das
Revisionsgesuch ist nach Art. 124 Abs. 1 lit. d BGG innert 90 Tagen nach
Entdeckung des Revisionsgrundes, frühestens jedoch nach der Eröffnung der
vollständigen Ausfertigung des Entscheides einzureichen.

2.2 Das Bundesgericht ist für die Revision aller internationalen
Schiedsgerichtsentscheide zuständig und zwar unbesehen darum, ob es sich um
Endentscheide, Teilentscheide oder Zwischenentscheide handelt (BGE 122 III 492;
Urteil 4P.102/2006 vom 29. August 2006 E. 1, auszugsweise publ. in SZIER 2007
S. 102 f; vgl. dazu Christoph Müller, Das Schweizerische Bundesgericht
revidiert zum ersten Mal einen internationalen Schiedsspruch, SchiedsVZ 2007 S.
64; vgl. auch BGE 130 III 76 E. 3 S. 78 f.). Erforderlich ist immerhin, dass
der Entscheid für das Schiedsgericht bindend ist, da nur rechtskräftige
Entscheide der Revision zugänglich sind, was etwa dann nicht zutrifft, wenn
eine Abänderung - sei es unter bestimmten Voraussetzungen - ausdrücklich
vorbehalten wird (BGE 122 III 492 E. 1b/bb S. 494; Urteil 4P.237/2005 vom 2.
Februar 2006 E. 3.2, publ. in Pra 2006 Nr. 148 S. 1017).

2.3 Das vorliegende Revisionsgesuch richtet sich gegen einen Zwischenentscheid,
in dem die Gültigkeit des Vertrages vom 12. Februar 1997 festgestellt wird, aus
dem die Gesuchsgegnerin Ansprüche ableitet. Dass die Vorentscheidung für das
Schiedsgericht nicht verbindlich sein könnte, ergibt sich aus dem
Zwischenentscheid nicht und wird auch von keiner Partei behauptet. Im Gegenteil
hält der Einzelschiedsrichter in der von der Gesuchstellerin beigelegten
verfahrensleitenden Verfügung Nr. 31 vom 17. Dezember 2007 fest, dass der
angefochtene Entscheid vom 23. Februar 2007 mangels Zustimmung der Gegenpartei
nicht mehr überprüft werden kann.

3.
Die Gesuchstellerin führt zur Einhaltung der Frist nach Art. 124 Abs. 2 lit. d
BGG aus, die Gesuchsgegnerin habe in ihrer Eingabe vom 20. August 2007
bestritten, dass durch Beweisurkunden belegte Darlehen überhaupt ausbezahlt
worden seien, was so überraschend wie merkwürdig gewesen sei, dass ihre Organe
eine Durchsuchung der Buchhaltung auf Belege für Zahlungen an die
Gesuchsgegnerin veranlasst hätten. Bei dieser Gelegenheit habe am 29. Oktober
2007 eine Besprechung mit ihrem Rechtsvertreter stattgefunden, an der sich ihr
Finanzverantwortlicher an einen Archivraum erinnert habe, in dem er Aktenordner
mit dem Namen des Zeugen B.________ gesehen hatte. Die neuen Beweismittel seien
in der Folge hier entdeckt worden. Ob die Gesuchstellerin mit dieser Begründung
die Einhaltung der 90-tägigen Frist nach Entdeckung des Revisionsgrundes
hinreichend belegt hat, was die Gesuchsgegnerin bestreitet, kann dahingestellt
bleiben, da die Voraussetzungen der Revision nicht erfüllt sind.

4.
Die Gesuchstellerin benennt in Ziffern 61 ff. ihres Revisionsgesuchs mehrere
Dokumente (Memoranden und Schreiben von B.________, Beratungsvertrag vom 23./
26. Januar 1997, Begehren um Sonderzahlungen vom 2. April 1997,
Darlehensvertrag vom 11. Dezember 1996 zwischen den Parteien,
Vergütungsaufträge und Belastungsanzeigen etc.), mit denen sie ihre Behauptung
beweisen will, dass der Beratungsvertrag vom 12. Februar 1997 der Bestechung
diente.

4.1 Die neuen Tatsachen müssen erheblich sein, das heisst sie müssen geeignet
sein, die tatsächliche Grundlage des angefochtenen Urteils zu verändern, so
dass sie bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer anderen Entscheidung
führen können. Neue Beweismittel haben entweder dem Beweis der die Revision
begründenden neuen erheblichen Tatsachen oder dem Beweis von Tatsachen zu
dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt waren, aber zum Nachteil des
Gesuchstellers unbewiesen geblieben sind. Sollen bereits vorgebrachte Tatsachen
mit den neuen Mitteln bewiesen werden, so hat der Gesuchsteller darzutun, dass
er die Beweismittel im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Erheblich
ist ein Beweismittel, wenn anzunehmen ist, es hätte zu einem anderen Urteil
geführt, falls das Gericht im Hauptverfahren davon Kenntnis gehabt hätte.
Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss der
Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient. Ein
Revisionsgrund ist nicht schon dann gegeben, wenn das Gericht bereits im
Hauptverfahren bekannte Tatsachen unrichtig gewürdigt hat. Notwendig ist
vielmehr, dass die unrichtige Würdigung erfolgte, weil für den Entscheid
wesentliche Tatsachen unbewiesen geblieben sind (BGE 110 V 138 E. 2 S. 141;
vgl. auch BGE 118 II 199 E. 5 S. 205; 121 IV 317 E. 2 S. 322 mit Verweisen).
Wird die Revision eines internationalen Schiedsgerichtsurteils beantragt, hat
das Bundesgericht gestützt auf die in diesem Urteil aufgeführten
Entscheidgründe zu beurteilen, ob die Tatsache erheblich ist und - wäre sie
bewiesen worden - wahrscheinlich zu einem anderen Entscheid geführt hätte
(Urteil 4P.102/2006 vom 29. August 2006 E. 2.1).

4.2 Die Gesuchstellerin begründet die Erheblichkeit der Beweismittel, auf die
sie sich neu berufen will, damit, insbesondere das Memorandum vom 9. Oktober
1996 belege, dass die Herren C.________ und B.________ (Zeugen im
Schiedsgerichtsverfahren) von der Schmiergeldofferte gewusst hätten; sie könne
nun als neue Tatsache geltend machen, dass Schmiergelder offeriert und getätigt
wurden. Die Gesuchstellerin beruft sich damit wohl kaum auf erhebliche
Beweismittel. Es bedarf jedoch keiner eingehenden Beurteilung der Erheblichkeit
der neu angerufenen Beweismittel, da die Gesuchstellerin jedenfalls nicht zu
belegen vermag, dass sie diese im Schiedsgerichtsverfahren nicht rechtzeitig
beibringen konnte. Denn nach eigener Darstellung der Gesuchstellerin fand sie
die Dokumente, auf welche sie sich zum Beweis ihrer Behauptung neu berufen
will, in ihren eigenen Archiven. Es ist nun aber offensichtlich ausschliesslich
Sache der Gesuchstellerin, ihre interne Dokumentation so zu organisieren, dass
sie auf sämtliche dienlichen Unterlagen Zugriff hat, wenn sie diese als Beleg
braucht. Ob sie ihre Archive zentral oder räumlich aufgegliedert oder sonstwie
führt, ist unbeachtlich für die Frage, ob die Gesuchstellerin auf Dokumente in
ihrem Herrschaftsbereich Zugriff hat oder nicht. Wenn es ihr nicht gelingt, von
ihr selbst archivierte Dokumente rechtzeitig vorzulegen, hat sie sich dies
jedenfalls selbst zuzuschreiben und sie kann nicht geltend machen, dass ihr
objektiv unmöglich gewesen wäre, die Dokumente bei gehöriger Sorgfalt
rechtzeitig beizubringen. Da der Gesuchstellerin die Unterlagen, die sie neu
als Beweismittel ins Recht legen will, in ihren eigenen Archiven zugänglich
waren, sind die Voraussetzungen einer Revision aufgrund neuer Beweismittel
offensichtlich nicht erfüllt.

5.
Ein Revisionsgrund im Sinne von Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG liegt nicht vor,
weshalb offen bleiben kann, ob die formelle Voraussetzung von Art. 124 Abs. 1
lit. d BGG gegeben wäre. Das Revisionsgesuch ist abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Die Gerichtsgebühr, die unter Berücksichtigung des
Streitwerts bemessen wird, ist der Gesuchstellerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1
BGG). Diese hat der anwaltlich vertretenen Gesuchsgegnerin deren Parteikosten
für das Revisionsverfahren zu ersetzen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 25'000.-- wird der Gesuchstellerin auferlegt.

3.
Die Gesuchstellerin hat die Gesuchsgegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 28'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Schiedsgericht der Zürcher
Handelskammer schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 14. März 2008
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Corboz Hürlimann