Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.424/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_424/2008 /len

Urteil vom 22. Januar 2009
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Corboz,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiber Leemann.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Philipp Habegger und Fabian Meier,

gegen

Fédération Internationale de Hockey (FIH),
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Maître Claude Ramoni, avocat.

Gegenstand
Internationales Schiedsgericht; Ordre public; Zuständigkeit,

Beschwerde gegen die Entscheide des Tribunal Arbitral du Sport (TAS), ad hoc
Division, vom 2. August 2008 sowie 8. August 2008.

Sachverhalt:

A.
A.a Die X.________ (Beschwerdeführerin) mit Sitz in A.________ ist als
nationaler Landhockeyverband von B.________ Mitglied des Welthockeyverbands
Fédération Internationale de Hockey (FIH; Beschwerdegegnerin), einem Verein
schweizerischen Rechts mit Sitz in Lausanne.
A.b Vom 12. bis 20. April 2008 wurde in A.________ ein Qualifikationsturnier
abgehalten, dessen Gewinner sich für die Olympischen Sommerspiele in Peking
qualifizieren würde. Als Finalisten dieses Turniers standen sich am 20. April
2008 die spanische Frauennationalmannschaft sowie die Mannschaft der
Beschwerdeführerin gegenüber. Die spanische Mannschaft gewann das Finalspiel
mit 3 zu 2 Toren.
Während des Turniers waren Dopingtests durchgeführt worden. Am 21. Mai 2008
teilte die Beschwerdegegnerin mit, dass die A-Proben von zwei Spielerinnen der
spanischen Mannschaft positiv ausgefallen waren. Am 4. Juni 2008 liess die
Beschwerdegegnerin verlauten, dass die B-Proben die A-Proben bestätigten.
Gleichzeitig wurde mitgeteilt, dass die betroffenen Spielerinnen eine Anhörung
vor der verbandsinternen Judicial Commission der Beschwerdegegnerin verlangt
hätten.
Die Anhörung betraf aber nicht nur die beiden Spielerinnen, sondern wirkte sich
möglicherweise auf die gesamte spanische Mannschaft aus, da Art. 11.1 der
Anti-Doping Policy der Beschwerdegegnerin folgendes vorsieht:
"if more than one team member in a Team Sport is found to have committed an
Anti-Doping Rule violation during the Event, the team may be subject to
Disqualification or other disciplinary action."
Die Beschwerdegegnerin beantragte der Judicial Commission, es seien die beiden
Spielerinnen des Dopingmissbrauchs schuldig zu befinden und das spanische Team
als Folge davon zu disqualifizieren.
Die Judicial Commission befand daraufhin, dass eine der spanischen Spielerinnen
die Anti-Dopingregeln verletzt habe. Da die Spielerin kein Verschulden traf,
wurde jedoch auf eine Sanktion verzichtet. In Bezug auf die zweite Spielerin
entschied die Judicial Commission, dass keine Anti-Dopingregeln verletzt
wurden.

B.
Diesen Entscheid der Judicial Commission focht die Beschwerdeführerin zusammen
mit den Spielerinnen ihrer Mannschaft sowie dem Nationalen Olympischen Komitee
von B.________ am 31. Juli 2008 bei der ad hoc Division des Tribunal Arbitral
du Sport (TAS) an, im Wesentlichen mit den Anträgen, der Entscheid der Judicial
Commission sei aufzuheben, die beiden spanischen Spielerinnen seien des
Dopingmissbrauchs schuldig zu sprechen, die spanische Mannschaft sei zu
disqualifizieren, die Mannschaft von B.________ sei als Gewinnerin des Turniers
zu betrachten, die das spanische Team im Hinblick auf die olympischen Spiele
ersetzen soll. Die ad hoc Division des TAS wies die Begehren mit Schiedsspruch
vom 2. August 2008 mangels Berechtigung der Beschwerdeführerin sowie der
übrigen Parteien zur Anfechtung des Entscheids der Judicial Commission ("want
of standing") ab.
Nachdem dieselben Parteien erfolglos ein weiteres Schiedsverfahren angestrengt
hatten, gelangten sie zum dritten Mal an die ad hoc Division des TAS, im
Wesentlichen mit den im ersten Verfahren bereits gestellten Rechtsbegehren. Mit
Entscheid vom 8. August 2008 wies die ad hoc Division des TAS die Schiedsklage
wiederum ab.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem
Bundesgericht, die beiden Schiedssprüche des TAS vom 2. August 2008 sowie vom
8. August 2008 seien aufzuheben.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
eingetreten werden könne. Das TAS hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

D.
Mit Präsidialverfügung vom 12. November 2008 wurde das Gesuch der
Beschwerdegegnerin um Sicherstellung einer allfälligen Parteientschädigung
gutgeheissen und die Beschwerdeführerin aufgefordert, der Bundesgerichtskasse
Fr. 7'000.-- zu überweisen.

Erwägungen:

1.
Nach Art. 54 Abs. 1 BGG ergeht der Entscheid des Bundesgerichts in einer
Amtssprache, in der Regel derjenigen des angefochtenen Entscheids. Wurde dieser
Entscheid in einer anderen Sprache abgefasst, bedient sich das Bundesgericht
der von den Parteien verwendeten Amtssprache.
Der angefochtene Entscheid ist in englischer Sprache abgefasst. Da es sich
dabei nicht um eine Amtssprache handelt und sich die Parteien vor Bundesgericht
verschiedener Sprachen bedienen, ergeht der Entscheid des Bundesgerichts
praxisgemäss in der Sprache der Beschwerde.

2.
Im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ist die Beschwerde in
Zivilsachen unter den Voraussetzungen der Art. 190-192 IPRG zulässig (Art. 77
Abs. 1 BGG).

2.1 Der Sitz des Schiedsgerichts befindet sich vorliegend in Lausanne.
Wenigstens eine Partei, vorliegend die Beschwerdeführerin, hat ihren Sitz nicht
in der Schweiz. Da die Parteien die Bestimmungen des 12. Kapitels des IPRG
nicht schriftlich ausgeschlossen haben, gelangen diese zur Anwendung (Art. 176
Abs. 1 und 2 IPRG).

2.2 Zulässig sind allein die Rügen, die in Art. 190 Abs. 2 IPRG abschliessend
aufgezählt sind (BGE 134 III 186 E. 5; 128 III 50 E. 1a S. 53; 127 III 279 E.
1a S. 282). Nach Art. 77 Abs. 3 BGG prüft das Bundesgericht nur die Rügen, die
in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden sind; dies entspricht der in
Art. 106 Abs. 2 BGG für die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und
interkantonalem Recht vorgesehenen Rügepflicht (BGE 134 III 186 E. 5 mit
Hinweis). Bei Rügen nach Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG ist die Unvereinbarkeit
des angefochtenen Schiedsentscheids mit dem Ordre public im Einzelnen
aufzuzeigen (BGE 117 II 604 E. 3 S. 606). Appellatorische Kritik ist unzulässig
(BGE 119 II 380 E. 3b S. 382).

2.3 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den das
Schiedsgericht festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung des Schiedsgerichts weder berichtigen noch ergänzen,
selbst wenn diese offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (vgl. Art. 77 Abs. 2 BGG, der die Anwendbarkeit
von Art. 105 Abs. 2 sowie Art. 97 BGG ausschliesst). Allerdings kann das
Bundesgericht die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen
Schiedsentscheids überprüfen, wenn gegenüber diesen Sachverhaltsfeststellungen
zulässige Rügen im Sinne von Art. 190 Abs. 2 IPRG vorgebracht oder
ausnahmsweise Noven berücksichtigt werden (BGE 133 III 139 E. 5 S. 141; 129 III
727 E. 5.2.2 S. 733; je mit Hinweisen). Wer sich auf eine Ausnahme von der
Bindung des Bundesgerichts an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
beruft und den Sachverhalt gestützt darauf berichtigt oder ergänzt wissen will,
hat mit Aktenhinweisen darzulegen, dass entsprechende Sachbehauptungen bereits
im vorinstanzlichen Verfahren prozesskonform aufgestellt worden sind (vgl. BGE
115 II 484 E. 2a S. 486; 111 II 471 E. 1c S. 473; je mit Hinweisen).
Die Beschwerdeführerin stellt ihren rechtlichen Ausführungen eine ausführliche
Sachverhaltsdarstellung voran, in der sie den Ablauf der Ereignisse sowie des
Verfahrens vor der Vorinstanz aus ihrer Sicht darlegt. Sie weicht darin in
zahlreichen Punkten von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ab oder
erweitert diese, ohne substantiiert Ausnahmen von der Sachverhaltsbindung
gemäss Art. 105 Abs. 2 und Art. 97 Abs. 1 BGG geltend zu machen. Ihre
Vorbringen haben insoweit unbeachtet zu bleiben.

3.
Die Beschwerdeführerin macht unter Berufung auf Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG
geltend, die Vorinstanz hätte ihre Zuständigkeit ablehnen müssen.

3.1 Die Vorinstanz wies die beiden Schiedsklagen unter Anwendung von Art. 11
und 13.2 der FIH Anti-Doping Policy mit der Begründung ab, die
Beschwerdeführerin sei zur Anfechtung des Entscheids des Judicial Committee
nicht berechtigt.

3.2 Die Beschwerdeführerin bringt hiergegen vor, es gebe vielfach Situationen,
in denen sich die Frage der Gebundenheit an den Hauptvertrag (Sachlegitimation)
von derjenigen der Gebundenheit an die Schiedsvereinbarung (Parteifähigkeit)
nicht trennen lasse, weshalb in diesen Fällen ein Schiedsgericht im Rahmen der
Zuständigkeitsprüfung vorfrageweise und umfassend die Verbindlichkeit bzw.
Rechtszuständigkeit der Parteien in Bezug auf den Hauptvertrag
(Sachlegitimation) zu prüfen habe. Sei der Zuständigkeitsentscheid negativ,
habe das unzuständige Schiedsgericht keine Kompetenz, die Sachlegitimation an
Ansprüchen aus dem Hauptvertrag zu beurteilen, sondern fälle ein reines
Prozessurteil. Sie macht weiter geltend, es fehle ihr an der subjektiven
Schiedsfähigkeit, weshalb die beiden Schiedsgerichte, wenn sie schon die
Auslegung der Beschwerdeführerin von Art. 13.2.1 in Verbindung mit Art. 13.2.3
FIH Anti-Doping Policy nicht teilten, ihre Zuständigkeit hätten verneinen
müssen und die Klage nicht hätten materiell abweisen dürfen.

3.3 Das Bundesgericht prüft die Zuständigkeitsrüge nach Art. 190 Abs. 2 lit. b
IPRG einschliesslich materieller Vorfragen, von deren Beantwortung die
Zuständigkeit abhängt, in rechtlicher Hinsicht frei (BGE 133 III 139 E. 5 S.
141; 129 III 727 E. 5.2.2 S. 733; 128 III 50 E. 2a S. 54). Die
Beschwerdeführerin verkennt jedoch, dass es sich bei der von ihr kritisierten
Frage der Berechtigung zur Anfechtung des Entscheids der Judicial Commission
nicht um eine materielle Vorfrage im Hinblick auf die Beurteilung der
Zuständigkeit handelt. Ob eine Partei zur Anfechtung des Beschlusses des
Vereinsorgans der Beschwerdegegnerin nach den anwendbaren statutarischen und
gesetzlichen Bestimmungen legitimiert ist, betrifft nicht die Zuständigkeit des
für die Streiterledigung vorgesehenen Schiedsgerichts, sondern die Frage der
Aktivlegitimation. Die ad hoc Division des TAS hat diese Frage für die
Schiedsklage der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 13.2 FIH Anti-Doping
Policy verneint ("no standing to request relief for the merits"), der im
Zusammenhang mit internationalen Wettkämpfen ein Anfechtungsrecht der
nationalen Verbände nicht vorsieht. Auch unter Berücksichtigung von Art. 11 FIH
Anti-Doping Policy hat die Vorinstanz die Aktivlegitimation der
Beschwerdeführerin verneint.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kann im zu beurteilenden Fall die
Frage der Sachlegitimation von derjenigen der Gebundenheit an die
Schiedsvereinbarung klar getrennt werden. Was die Beschwerdeführerin unter dem
Deckmantel einer Rüge nach Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG gegen die angefochtenen
Entscheide vorbringt, ist richtig besehen appellatorische Kritik an der vom TAS
vorgenommenen Auslegung von Art. 11 und 13.2 der FIH Anti-Doping Policy, welche
die Voraussetzungen einer Anfechtung von Verbandsentscheiden im Zusammenhang
mit Dopingvergehen regeln. Die Vorinstanz hat die Voraussetzungen einer
Anfechtung des Entscheids der Judicial Commission geprüft, die
Aktivlegitimation der Beschwerdeführerin verneint und ihre Rechtsbegehren daher
abgewiesen. Das Bundesgericht überprüft nicht, ob das Schiedsgericht das Recht,
auf das es seine Entscheidung stützt, richtig angewendet hat. Die Vorbringen
der Beschwerdeführerin stossen daher ins Leere.
Abgesehen davon hat die Beschwerdeführerin die beiden Schiedsverfahren selber
bei der Vorinstanz eingeleitet und ist damit von deren Zuständigkeit
ausgegangen. Bereits aus diesem Grund ist sie mit der Unzuständigkeitseinrede
vor Bundesgericht nicht zu hören (vgl. Art. 186 Abs. 2 IPRG).

3.4 Unter diesen Gesichtspunkten sind die angefochtenen Entscheide, mit denen
die Vorinstanz die Schiedsklagen der Beschwerdeführerin beurteilt und mangels
Aktivlegitimation abgewiesen hat, nicht zu beanstanden. Ins Leere stösst auch
der unzutreffende Vorwurf der Beschwerdeführerin, die Vorinstanz habe eine
Begründetheitsprüfung der geltend gemachten Ansprüche unterlassen und damit den
formellen Orde public verletzt. In dem von der Beschwerdeführerin ins Feld
geführten Umstand, dass den beiden Schiedssprüchen als Sachurteilen materielle
Rechtskraft zukommt, die einer allenfalls vor einem staatlichen Gericht
angebrachten Anfechtungsklage im Sinne von Art. 75 ZGB gegen den Entscheid der
Judicial Commission entgegenstehen würde, ist schliesslich entgegen der Ansicht
der Beschwerdeführerin keine Verletzung des Ordre public (Art. 190 Abs. 2 lit.
e IPRG) zu sehen, sondern er ergibt sich folgerichtig aus der materiellen
Beurteilung und Abweisung ihrer Rechtsbegehren.

4.
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die
Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art.
68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 6'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 7'000.-- zu entschädigen. Diese Entschädigung wird aus der an
die Gerichtskasse bezahlten Sicherheitsleistung ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Tribunal Arbitral du Sport (TAS), ad
hoc Division, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. Januar 2009
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Klett Leemann