Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.419/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_419/2008 /len

Urteil vom 28. Januar 2009
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Corboz,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Luczak.

Parteien
A.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Schmid,

gegen

X.________ AG,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Versicherungsvertrag; Taggeld,

Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich,
II. Kammer, vom 27. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
A.________ (Beschwerdeführerin) schloss mit der Z.________ (nachfolgend: die
Versicherung) für die Dauer vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2003 eine
"Krankentaggeldversicherung für Betriebsinhaber und Kaderpersonen gemäss
Kollektivvertrag mit dem Schweizerischen Kaderverband" nach VVG (SR 221.229.1)
ab. Durch einen Unfall vom 23. Dezember 2002 wurde die Beschwerdeführerin
dauernd zu 100 % arbeitsunfähig. Die Versicherung leistete Taggelder, kündigte
jedoch den Vertrag per 31. Dezember 2003 und erbrachte nach diesem Zeitpunkt
bis zum 28. Juni 2004 noch 180 Taggelder. Die X.________ AG
(Beschwerdegegnerin) übernahm das Portefeuille der Versicherung. Sie lehnte in
der Folge aber das Gesuch um Ausrichtung weiterer Taggelder ab. Daraufhin erhob
die Beschwerdeführerin Klage und verlangte von der Beschwerdegegnerin Fr.
33'200.-- nebst Zins. Mit Urteil vom 27. Juni 2008 wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Klage ab.

B.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem
Bundesgericht, das Urteil des Sozialversicherungsgerichts aufzuheben, und hält
an dem im kantonalen Verfahren gestellten Begehren fest. Die Beschwerdegegnerin
verweist auf das angefochtene Urteil und schliesst auf Abweisung der
Beschwerde. Das Sozialversicherungsgericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Gemäss Versicherungspolice vom 3. April 2003 vereinbarten die Parteien bei
einem versicherten Jahreslohn von Fr. 73'000.-- die Ausrichtung eines Taggeldes
im Rahmen von maximal Fr. 200.-- pro Kalendertag für 720 Tage abzüglich einer
Wartefrist von 30 Tagen pro Fall. Als Versicherungsbeginn wurde der 1. Januar
2000, als Ablauf der 31. Dezember 2003 festgesetzt. Als Vertragsgrundlage
wurden die allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), Ausgabe 2002, genannt.
Unter dem Titel "Ende des Versicherungsschutzes" bestimmt Art. 22 Abs. 1 lit. c
AVB, für die einzelne versicherte Person erlösche der Versicherungsschutz bei
Erlöschen des Vertrages. Gemäss Art. 22 Abs. 2 AVB werden in diesem Fall im
Zeitpunkt des Erlöschens des Versicherungsschutzes die vertraglichen Leistungen
für laufende Krankheiten noch während den folgenden 180 Tagen bzw. bis zum
Ablauf der vereinbarten Leistungsdauer, längstens jedoch bis zum Beginn einer
Rente nach BVG ausgerichtet. Gemäss Art. 23 Abs. 2 AVB ist der Vertrag für die
in der Police genannte Dauer abgeschlossen und verlängert sich stillschweigend
um ein Jahr, wenn er nicht rechtzeitig gekündigt wird.

1.1 Dass die Kündigung des Versicherungsvertrages durch die Beschwerdegegnerin
rechtsgültig erfolgte, ist zwischen den Parteien nicht umstritten. Die
Vorinstanz schloss daraus, das Versicherungsverhältnis habe am 31. Dezember
2003 geendet, was mit dem Erlöschen des Vertrages nach Art. 22 Abs. 1 lit. c
AVB gleichzusetzen sei. Für diesen Zeitpunkt bestimme Art. 22 Abs. 2 Satz 1
AVB, dass die vertraglichen Leistungen für laufende Krankheiten und Unfälle
noch während der folgenden 180 Tage beziehungsweise bis zum Ablauf der
vereinbarten Leistungsdauer ausgerichtet würden. Diese Bestimmung ist nach
Auffassung der Vorinstanz hinreichend klar. Die Formulierung "beziehungsweise
bis zum Ablauf der vereinbarten Leistungen" sei aufgrund des Umstands, dass es
der Beschwerdegegnerin nicht verwehrt gewesen sei, nach Eintritt des
Schadenfalles den Taggeldvertrag zu kündigen (Art. 23 Abs. 2 AVB), limitierend
zu verstehen. Werde fristgerecht gekündigt, erlösche der Versicherungsschutz
auf den Kündigungszeitpunkt, selbst wenn in einem laufenden Schadensfall noch
nicht sämtliche Taggelder erschöpft sein sollten. Es seien somit grundsätzlich
keine Leistungen über diesen Zeitpunkt hinaus geschuldet, mit der Ausnahme der
hier vereinbarten Nachdeckung von 180 Taggeldern. Diese seien erbracht worden,
weshalb die Klage bereits aus diesem Grund abgewiesen werden müsse, und die
Frage der Verjährung offen gelassen werden könne.

1.2 Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, selbst wenn die in den AVB
enthaltene Regelung als hinreichend klar angesehen werde, könne die
Beschwerdegegnerin nichts daraus ableiten, da die Regelung ungewöhnlich sei und
zudem den konkreten Abmachungen in der Versicherungspolice widerspreche.

1.3 Vorformulierte allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) sind, wenn sie in
Verträge übernommen werden, grundsätzlich nach denselben Prinzipien auszulegen
wie andere vertragliche Bestimmungen (BGE 135 III 1 E. 2 S. 6 mit Hinweisen).
Von der global erklärten Zustimmung zu allgemeinen Vertragsbedingungen sind
indessen alle ungewöhnlichen Klauseln ausgenommen, auf deren Vorhandensein die
schwächere oder weniger geschäftserfahrene Partei nicht gesondert aufmerksam
gemacht worden ist, da davon auszugehen ist, dass ein unerfahrener
Vertragspartner ungewöhnlichen Klauseln, die zu einer wesentlichen Änderung des
Vertragscharakters führen oder in erheblichem Masse aus dem gesetzlichen Rahmen
des Vertragstypus fallen, nicht zustimmt. Je stärker eine Klausel die
Rechtsstellung des Vertragspartners beeinträchtigt, desto eher ist sie als
ungewöhnlich zu qualifizieren (BGE 135 III 1 E. 2.1 S. 7; 119 II 443 E. 1a S.
446 mit Hinweisen).

1.4 Bereits in systematischer Hinsicht fällt auf, dass sich die strittige
Regelung nicht unter den Bestimmungen zum Umfang der Leistungen, sondern zur
Dauer des Versicherungsschutzes befindet, obwohl sie sich inhaltlich auf die
Dauer der Leistungserbringung und damit auf den Leistungsumfang bezieht. Dieser
beträgt gemäss der besonderen Parteiabrede, welche den allgemeinen
Vertragsbestimmungen vorgeht (BGE 125 III 263 E. 4b/bb S. 266 f. mit
Hinweisen), maximal 720 Tage pro Versicherungsfall. Nach dem umstrittenen Art.
22 Abs. 2 AVB wirkt sich aber ein Erlöschen des Versicherungsschutzes auf
bereits eingetretene Versicherungsfälle leistungsverkürzend aus, selbst wenn
das Vertragsende durch eine Kündigung seitens des Versicherungsunternehmens
hervorgerufen wurde. Nach dieser Regel hätte es der Versicherer ab einem
gewissen Zeitpunkt in der Hand, durch die Kündigung die Leistungsdauer
abzukürzen und so das vereinbarte Maximum von 720 Tagen nicht zur Anwendung
kommen zu lassen. Eine derartige Möglichkeit des Versicherungsunternehmens,
durch einseitige Willenserklärung nach Eintritt des Versicherungsfalles auf den
zeitlichen Umfang der geschuldeten Leistungen Einfluss zu nehmen, ist dem Wesen
des Versicherungsvertrages und generell dem Grundsatz "pacta sunt servanda"
(vgl. hierzu BGE 135 III 1 E. 2.4 S. 9) fremd. Bei Abschluss des Vertrages muss
der Versicherungsnehmer vernünftigerweise weder damit rechnen, dass der
Versicherungsschutz gegen Ende der Vertragsdauer abnimmt, noch damit, dass der
Versicherer nach Belieben eine bereits entstandene Leistungspflicht durch
Kündigung des Vertrages reduzieren kann. Art. 22 Abs. 2 AVB hätte zur Folge,
dass der Versicherte beim Eintritt eines Schadens gegen Ende der ursprünglich
vereinbarten Vertragsdauer die Leistungsdauer zufolge der Ungewissheit über den
Fortbestand des Versicherungsvertrages nicht abschätzen könnte. Die
Deckungslücken, die durch die Kürzung der Leistungen infolge Kündigung
entstünden, blieben auch beim Abschluss eines neuen, an den beendigten
anschliessenden Versicherungsvertrages offen (Art. 9 VVG; NEF, in: Basler
Kommentar, Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag, 2001, N. 1 zu Art. 9
VVG). Vor diesem Hintergrund konnte die Versicherung nach Treu und Glauben
nicht davon ausgehen, die Beschwerdeführerin würde einer derartigen Klausel
zustimmen.

1.5 Nach dem Gesagten genügt die globale Übernahme der AVB nicht, um die in
Art. 22 Abs. 2 AVB vorgesehene Kürzung der Leistungen bei Kündigung des
Vertrages zur Anwendung kommen zu lassen. Dass die Beschwerdeführerin bei
Vertragsschluss auf diese Klausel speziell hingewiesen worden wäre, ist nicht
festgestellt. Daher kann die Beschwerdegegnerin aus Art. 22 Abs. 2 AVB nichts
zu ihren Gunsten ableiten, und es kann offen bleiben, ob die Bestimmung
hinreichend klar und überhaupt zulässig ist.

2.
Die Beschwerde erweist sich als begründet. Da die Vorinstanz die Frage der
Verjährung offen gelassen und diesbezüglich keinerlei Feststellungen getroffen
hat, kann das Bundesgericht in der Sache nicht selbst entscheiden. Das
angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Angelegenheit an die
Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese über die Frage der Verjährung sowie
gegebenenfalls den Umfang des Anspruchs entscheiden kann. Dem Ausgang des
Verfahrens entsprechend wird die Beschwerdegegnerin kosten- und
entschädigungspflichtig.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben
und die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. Januar 2009
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Klett Luczak